Wenn der Besuch bei Hausbesetzern zum Hausfriedensbruch wird
Besprechung des Urteils 4M 1987 des Kantonsgerichts Luzern vom 25. März 2020
Markus Prazeller, Advokat, LL.M., Basel und David Hug, Advokat, LL.M. , Basel
Anmerkungen:
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Im Zentrum der Auseinandersetzung, dem sogenannten «Fall Gundula», steht eine 130-jährige Stadtvilla im Luzerner Obergrund-Quartier. Sie stand einst im Eigentum einer Gesellschaft des bekannten Unternehmers Jørgen Bodum, die den Fall mit ihrem Strafantrag erst ins Rollen brachte. Die Gesellschaft hat das Interesse an der Villa im spätklassizistischen Stil mittlerweile verloren und sich mittlerweile in Meggen niedergelassen. Der juristische Streit um jene Geschehnisse, die sich am Abend des 20. April 2016 in der Villa zugetragen haben – er dauert seit über viereinhalb Jahren an und geht nun in eine neue Runde.
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Am Anfang steht die Besetzung der «Bodum-Villa» und eine Berichterstattung darüber auf dem News-Portal «zentralplus». Eine Journalistin des Portals hatte die Villa an besagtem Abend im April aufgesucht und sich dort mit Hausbesetzerinnen und Hausbesetzern getroffen. Über ihren Besuch verfasste sie anschliessend eine Reportage unter dem Titel «Auf ein Bier mit Besetzern und Alt-68ern», die am 21. April 2016 auf «zentralplus.ch» erschien (hier abrufbar). Ein Jahr später wurde die Journalistin dafür mittels Strafbefehl des Hausfriedensbruches für schuldig erklärt und mit einer bedingten Geldstrafe von fünf Tagessätzen à CHF 90.00 sowie einer Busse von CHF 100.00 bestraft. Gegen den Strafbefehl erhob sie Einsprache. In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, da die Journalistin nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sowohl einem Sachverhalts- wie auch Verbotsirrtum unterlegen sei. Gegen diese Verfahrenseinstellung erhob die Privatklägerin – die Gesellschaft von Unternehmer Bodum – Beschwerde, die das Kantonsgericht im Dezember 2018 guthiess. Die Folge: Die Staatsanwaltschaft erliess erneut einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch (mit dem gleichen Strafmass wie zuvor) und die Journalistin erhob dagegen erneut Einsprache. Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Luzern bestätigte den Schuldspruch wegen Hausfriedensbruchs, reduzierte jedoch die Strafe auf eine Busse von CHF 500.00, da die Journalistin einem Verbotsirrtum unterlegen sei. Dagegen erhobt die Journalistin Berufung und die Privatklägerin Anschlussberufung, weshalb sich das Kantonsgericht mit dem Fall zu beschäftigen hatte. Mit Urteil vom 25. März 2020 bestätigte es den Schuldspruch.
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Das Urteil des Kantonsgerichts ist schlüssig begründet und überzeugt über weite Strecken. Die Kantonsrichterinnen und Kantonsrichter haben sich eingehend mit der Rechtsprechung des EMGR zur Medienfreiheit auseinandersetzt und die Interessen der beteiligten Personen sorgfältig gegeneinander abgewogen. Gleichzeitig ist das Urteil nicht sonderlich überraschend und die Erkenntnisse daraus sind nicht geeignet, das Medienrecht grundlegend zu erschüttern. Die Befürchtung einzelner Medienschaffender und -experten, wonach eine Verurteilung der Journalistin erhebliche Auswirkungen auf die freie Recherche von Journalistinnen und Journalisten habe, teilen wir nicht. Denn: Im Gegensatz zu einzelnen Gerichten in der Westschweiz, welche im Zusammenhang mit dem «Klimanotstand» jüngst mit eigenwilligen Urteilen auf sich aufmerksam gemacht haben, verzichtet das Kantonsgericht auf juristische Experimente und hält sich an die gefestigte Rechtsprechung zum Hausfriedensbruch und zum Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen. Trotzdem lohnt sich ein vertiefter und kritischer Blick auf ausgewählte Aspekte der kantonsgerichtlichen Beurteilung.
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Die beschuldigte Journalistin beruft sich auf ein öffentliches Interesse, das die tatbestandsmässige Handlung – das unerlaubte Betreten des Grundstücks – zu rechtfertigen vermöge. Im strafrechtlichen Kotext erfolgt die Beurteilung eines solchen Interesses im Rahmen der Rechtfertigung, namentlich unter dem Titel der «Wahrung berechtigter Interessen». Es handelt sich dabei um einen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund, der gemäss steter Rechtsprechung des Bundesgerichts nur dann angerufen werden kann, wenn «die Tat ein notwendiges und angemessenes Mittel ist, um ein berechtigtes Ziel zu erreichen, die Tat also insoweit den einzigen möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht» (BGE 134 IV 216 E. 6.1; BGE 127 IV 122 E. 5c).
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Das Kantonsgericht erachtet die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes als nicht erfüllt. Zwar stellt das Kantonsgericht in seinem Urteil fest, dass die leerstehenden Liegenschaften im Obergrund-Quartier die Bevölkerung und die Politik in der Stadt Luzern bewegen und daher ein öffentliches Informationsinteresse an den Besetzungen der Liegenschaften «grundsätzlich gegeben» sei. Aber: Das öffentliche Interesse an «Informationen der Art, wie sie im Bericht der Beschuldigten […] erfolgten bzw. dafür oder für allfällige spätere Berichterstattungen geplant waren», wiege nicht so schwer, dass es die Rechtswidrigkeit der Handlung auszuschliessen vermöge (E. 4.6.3.). Das Kantonsgericht weiter: «Es sind im Bericht keine für die Öffentlichkeit wesentlichen oder erstrangigen Informationen vorhanden, und es ist auch nicht ersichtlich, was für (gesicherte und objektive) erstrangige Informationen über den baulichen Zustand, beispielsweise im Hinblick auf die Erhaltbarkeit des Gebäudes, die Beschuldigte als Journalistin und in Baufragen nicht ausgebildete Person hätte feststellen können.»
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Indem das Kantonsgericht in der Hauptsache auf die Berichterstattung der beschuldigten Journalistin abstellt, nimmt es eine ex-post-Betrachtung vor. Ob ein allgemeines (und berechtigtes) Interesse an der Recherche und der späteren Berichterstattung vorliegt, soll sich demgemäss nach Massgabe der Berichterstattung beurteilen, nicht jedoch nach der Interessenslage zum Zeitpunkt der Recherche. Diese Auffassung überzeugt nicht und ist überdies Beleg dafür, dass die Richterinnen und Richter mit der Arbeitsweise von Journalistinnen und Journalisten offenbar wenig vertraut sind. Eine journalistische Recherche hat zum Zweck, Informationen zu beschaffen, einen Sachverhalt festzustellen und/oder eine journalistische These zu überprüfen. Längst nicht jede Recherche führt auch zu einer Berichterstattung. Und längst nicht jeder Rechercheur ist selbst auch Autor einer Berichterstattung, in der über seine Erkenntnisse berichtet wird. Aus der veröffentlichten Berichterstattung in einem Medium kann daher nicht ohne weiteres auf das (Nicht-)Bestehen eines allgemeinen Interesses an einer Recherche geschlossen werden.
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Das Abstellen auf eine ex-post-Betrachtung greift daher zu kurz. Vielmehr müsste untersucht werden, ob zum Zeitpunkt der Recherche (und damit der Tathandlung) ein allgemeines Interesse an der Informationsbeschaffung besteht – unabhängig davon, ob und inwiefern die gewonnenen Erkenntnisse später im Rahmen einer Berichterstattung veröffentlicht werden. Der vorliegende Fall zeigt dies exemplarisch. Gemäss den (vom Kantonsgericht und der Privatklägerin nicht in Abrede gestellten) Aussagen der beschuldigten Journalistin stand eine polizeiliche Räumung der «Bodum-Villa» im April 2016 (kurz) bevor. Nach der Beurteilung des Kantonsgericht (und dessen Vorinstanz) ist es gerichtsnotorisch, dass die leerstehenden Liegenschaften die Bevölkerung bewegen und in der Stadt Luzern ein «Politikum» darstellen. Es ist daher anzunehmen, dass auch bezüglich der Besetzung der Liegenschaften sowie einer von der Liegenschaftseigentümerin angestrengten polizeilichen Räumung ein öffentliches Informationsinteresse besteht. Nach der hier vertretenen Auffassung hätte das Kantonsgericht deshalb durchaus auch zum Schluss kommen können, die Recherche auf dem fremden Anwesen sei vor dem Hintergrund der drohenden Räumung ein notwendiges und angemessenes Recherchemittel gewesen. Auch wenn es letztlich am Abend des 20. April 2016 nicht zu einer Räumung gekommen sei und diese deshalb auch keinen Niederschlag in der Berichterstattung gefunden habe.
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Als nicht mit den Grundsätzen einer sorgfältigen Recherche zu vereinbaren und zurückzuweisen ist auch die kantonsgerichtliche Argumentation, wonach die von der Journalistin auf dem Grundstück erlangten Informationen alternativ auch «durch Anfrage bei der Gruppierung über Telefon oder soziale Medien oder durch Drittauskünfte» hätten erlangt werden können. Journalistinnen und Journalisten sind gehalten, den Sachverhalt selbst festzustellen und erhaltene Informationen durch eigene Wahrnehmungen und Erkenntnisse zu überprüfen und einzuordnen. Das blosse Abfragen von Drittinformationen über Telefon oder soziale Medien erfüllt diese nicht.
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Obschon das Kantonsgericht an der Verurteilung der Journalistin festhält: Eine gewisse «Medienfreundlichkeit» kann ihm nicht abgesprochen werden. So kommt es zwar einerseits zum Schluss, dass die Journalistin zum Zeitpunkt der Recherche nicht davon ausgehen durfte, dass die Eigentümerschaft die Besetzung geduldet hat und sie somit einem Sachverhaltsirrtum unterlag (E. 4.5.2.1.). Auf der anderen Seite zeigte sich das Gericht bei der Frage, ob sich die Journalistin auf einen Verbotsirrtum berufen konnte, wesentlich kulanter. So kommt das Kantonsgericht zum Schluss, dass die «offene Publikation der selbstbelastenden Reportage» und das damit verbundenen Eingestehen des (verbotenen) Betretens der Liegenschaft belegen, dass die Journalistin offensichtlich davon ausging, mit dem Betreten der Liegenschaft zu Recherchezwecken nicht gegen die Rechtsordnung verstossen zu haben. Auch wenn das Gericht zum Schluss kommt, dass dieser Verbotsirrtum für eine erfahrene Journalistin mit entsprechender Ausbildung vermeidbar war (weil sie die Rechtslage vorgängig hätte abklären müssen), ist dieser Schluss vor dem Hintergrund der zurückhaltenden Anwendung der Bestimmung von Art. 21 StGB bemerkenswert. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt ein Verbotsirrtum nämlich nicht schon vor, wenn der Täter sein Verhalten nicht für strafbar hält, sondern nur, wenn er meint, überhaupt kein Unrecht zu tun (BGE 128 IV 201 E. 2; 6B_64/2014 vom 26. Juni 2014, E. 2.3.2). Im vorliegenden Fall war sich die Journalistin im Zeitpunkt des Aufenthalts in der Liegenschaft offenbar bewusst, dass die Besetzung der Liegenschaft grundsätzlich verboten war und sich die Personen darin widerrechtlich aufhielten. Trotzdem erachtete sie ihre Recherchetätigkeit auf dem besetzten Grundstück aber nicht als illegale Hausbesetzung, sondern als erlaubte journalistische Recherchetätigkeit. Mit anderen Worten: Es hätte u.E. nachvollziehbare Gründe gegeben, den Sachverhalt anders zu würdigen und von einem Verbotsirrtum abzusehen.
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Zwar führt der Verbotsirrtum aufgrund dessen Vermeidbarkeit nicht zu einer Strafbefreiung, jedoch zu einer deutlichen Milderung der Strafe: Das Gericht bestätigte die Busse von 500 CHF und wich damit zu Gunsten der Journalistin vom gesetzlichen Strafrahmen des Hausfriedensbruchs ab, der eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vorsieht. Dies ist im Ergebnis zu begrüssen, da die Strafe den gesamten Umständen entsprechend angemessen ist.
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Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Die Beschuldigte führt dagegen Beschwerde in Strafsachen, weshalb sich nun das Bundesgericht mit der Sache auseinanderzusetzen hat.