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Fotografierverbot für die Chagall-Fenster im Fraumünster?

Ein Plädoyer für eine nutzerfreundliche Handhabung der Panoramafreiheit

Christoph Schütz, Fotograf und Medienwissenschafter

Résumé: L’auteur explique que, selon lui, l’article 27 de la Loi sur le droit d’auteur (LDA) s’applique aussi à des œuvres placées dans des lieux intérieurs. L’auteur se base sur le texte de la loi et sur la ratio legis de la révision de 1992. Sur ce point, toutefois, les juristes sont divisés. L’auteur se demande pourquoi des œuvres d’art se trouvant à l’intérieur des bâtiments accessible au public mais volontairement exposés au public devraient bénéficier d’une protection du droit d’auteur supérieure à celle qui est accordée à une sculpture installée à l’extérieur et exposée au même public. Il montre aussi quelles solutions permettraient d’empêcher une application extensive de la «liberté de panorama».

Zusammenfassung: Der Autor vertritt die Ansicht, dass die sogenannte „Panoramafreiheit“, die in Art. 27 URG geregelt ist, auch für Innenräume zur Anwendung kommt. Dafür spricht für ihn der Gesetzeswortlaut und die Ratio legis der URG-Revision von 1992. Die Lehrmeinungen dazu sind geteilt. Der Autor fragt sich, weshalb Kunstwerke, die sich in Innenräumen befinden, jedoch gewollt den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt werden, mehr urheberrechtlichen Schutz geniessen sollten als beispielsweise eine Skulptur, die im Freien diesen Blicken ausgesetzt ist? Er zeigt aber auch auf, welche Alternativen offen stehen, um eine extensive Anwendung der Panoramafreiheit zu unterbinden.

I. Einleitung

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Auslöser für die Fragestellung ist folgende Situation: Die Reformierte Kirchgemeinde Zürich ist Besitzerin und Hausherrin der Fraumünsterkirche in Zürich. In der Kirche befinden sich – als Teil des Bauwerks – mehrere von Marc Chagall gestaltete Kirchenfenster. Die Urheberrechte an den Werken des 1985 verstorbenen Künstlers werden in der Schweiz von Pro Litteris wahrgenommen.


Dürfen die Chagall-Fenster der Fraumünsterkirche wirklich nur von aussen fotografiert werden? Foto: Roland Zh, (CC BY-SA 3.0)
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In einer Vereinbarung von 1995 haben sich Pro Litteris und die Kirchgemeinde geeinigt, dass die Kirchgemeinde Zürich, falls sie Reproduktionen der Chagall-Fenster herstellen will, die Nutzungsrechte über Pro Litteris regeln muss.

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In einem konkreten Fall hätte die reformierte Kirche Zürich mehrere hundert Franken an Urheberrechtsgebühren bezahlen müssen, damit sie eine Fotografie dieser Chagall-Fenster in einer kircheneigenen Publikation hätte abbilden dürfen. Dieser Umstand ist insbesondere für die Kirchgemeinde als Hauseigentümerin störend.

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Nachfolgend wird die Ansicht vertreten, dass in Kirchen und anderen allgemein zugänglichen Gebäuden die Panoramafreiheit auch für Innenräume gilt, solange Werke abgebildet werden, die integraler Bestandteil dieser Baute sind. Sind die Werke in Innenräumen nicht Teil des Bauwerks, soll die Panoramafreiheit ebenfalls gelten, solange die Werke im Raumkontext abgebildet und genutzt werden.

II. Ausgangspunkt: Der Gesetzeswortlaut

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Grundsätzlich ist auf den Gesetzestext abzustellen, dieser lautet:

Art. 27 URG

1 Ein Werk, das sich bleibend an oder auf allgemein zugänglichem Grund befindet, darf abgebildet werden; die Abbildung darf angeboten, veräussert, gesendet oder sonst wie verbreitet werden.

2 Die Abbildung darf nicht dreidimensional und auch nicht zum gleichen Zweck wie das Original verwendbar sein.
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Die Panoramafreiheit stellt also eine nicht unwesentliche Einschränkung der Urheberrechte dar: Alles, was von allgemein zugänglichem Grund aus sichtbar ist, darf auch fotografiert werden, und diese Bilder dürfen genutzt werden ohne jemanden fragen oder entschädigen zu müssen. Die Idee hinter dieser Schutzschranke ist, dass Künstler, die ihre Kunstwerke im öffentlichen Raum präsentieren, auch damit leben müssen, dass ihre Werke als Teil des Allgemeinguts betrachtet werden und demnach auch von jedermann genutzt werden dürfen.

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Die Kirchenfenster Chagalls befinden sich bleibend auf allgemein zugänglichem Grund. Entsprechend ist es nicht nur der Kirchgemeinde Zürich, sondern jedermann erlaubt, diese Fenster zu fotografieren und die Abbildungen auch kommerziell zu verwerten. Von einer Einschränkung von Art. 27 URG auf Ansichten von aussen ist weder im Gesetzestext noch in der zugrunde liegenden Botschaft[1] von 1989 etwas zu lesen. Die Einschränkungen des Anwendungsbereichs sind in Absatz 2 aufgeführt: „Die Abbildung darf nicht dreidimensional und auch nicht zum gleichen Zweck wie das Original verwendbar sein“.

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Trotz dem meines Erachtens klar definierten örtlichen Geltungsbereich, wurden in juristischen Beiträgen und Kommentaren seit der Einführung von Art. 27 URG divergierende Ansichten vertreten, was die Anwendbarkeit der Bestimmung auf Abbildungen in Innenräumen betrifft. Dies dürfte mit dem Wortlaut des früher geltenden, aus dem Jahr 1922 stammenden Artikels sowie der langen, teils verworrenen und mit offensichtlichen Fehlleistungen behafteten Entstehungsgeschichte des heute geltenden Art. 27 URG zu tun haben. Im Folgenden wird diese nachgezeichnet.

III. Entstehungsgeschichte von Art. 27 URG

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Die entsprechende Schrankenbestimmung im URG von 1922 lautete wie folgt:

Art. 30: 
Zulässig ist die Wiedergabe

(…)
3. von Werken der bildenden Künste oder der Photographie nach Exemplaren, die sich bleibend auf oder an öffentlichen Wegen oder Plätzen befinden; jedoch ist wiederholte Herstellung eines Werkes der Baukunst unzulässig; auch darf die Wiedergabe weder eine plastische noch zum gleichen Zwecke verwendbar sein, dem das wiedergegebene Exemplar dient.
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Insgesamt unterscheidet sich damit der aktuelle Artikel materiell in drei Punkten von der Version aus dem Jahr 1922:

  1. Es dürfen alle visuell wahrnehmbaren Werke als Bild wiedergegeben werden (also z.B. auch auf einer Hausfassade lesbare Texte), früher beschränkte sich die Schutzausnahme auf Werke der bildenden Kunst und Fotografien.
  2. Da auch Privatgrund allgemein zugänglich sein kann (z.B. ein Privatweg), fand diesbezüglich eine Erweiterung des Geltungsbereichs statt.
  3. Schliesslich wurde der Geltungsbereich auf „Werke an oder auf allgemein zugänglichem Grund“ ausgedehnt; früher umfasste dieser nur „öffentliche Wege oder Plätze“, also Orte im Freien.
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Soweit konsultiert, sind sich die Kommentatoren bis auf Punkt 3 einig, dass mit dem 1992 geänderten Artikel materielle Änderungen stattgefunden haben. Es ist unverständlich, weshalb in den Erläuterungen der Botschaft von 1989[2] zu lesen ist, die neue Bestimmung würde Artikel 30 Ziffer 3 des URG von 1922 entsprechen. Dies ist ebenso unzutreffend wie die Bemerkung in den Erläuterungen des Vorentwurfs III[3], der dieser Botschaft zugrunde gelegenen hat, wo festgehalten wurde, Absatz 1 hätte „nur eine redaktionelle Änderung erfahren“. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch noch erwähnt, dass bereits in der (vom Parlament jedoch zurückgewiesenen) Botschaft von 1984 ebenso stand „Diese Bestimmung entspricht Artikel 30 Ziffer 3 URG“.[4]

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Der Vorentwurf III[5] wurde erarbeitet, weil das Parlament die Botschaft von 1984 mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dieser sei zu wenig nutzerfreundlich[6]. Das in den Vorentwürfen I und II Geschriebene ist deshalb höchstens noch von historischem Interesse und darf keine Wirkung auf die Auslegung des heute gültigen Artikels entfalten. Es sei immerhin darauf hingewiesen, dass zwischen diesen beiden ersten Entwürfen Uneinigkeit darüber bestand, ob die Wiedergaben nur im Rahmen einer Gesamtansicht gestattet sein sollen und ob diese Wiedergaben auch dreidimensional sein dürfen. In Bezug auf die örtliche Gültigkeit der Bestimmung folgte die entscheidende Erweiterung jedoch erst mit der Botschaft von 1989[7], denn auch der Vorentwurf III sprach noch von „allgemein zugänglichen Weg oder Platz“. Die Vernehmlassungsantworten zum Vorentwurf III forderten nochmals eine nutzerfreundlichere Ausgestaltung des zu revidierenden Gesetzes[8], und es war die Verwaltung, die die Formulierung auf „allgemein zugänglichen Grund“ einbrachte und damit den Weg für die Anwendbarkeit auf Innenräume ebnete. Eine Begründung für diese Änderung sucht man in den Erläuterungen der Botschaft von 1989 allerdings vergeblich[9].

IV. Uneinheitliche Lehrmeinungen

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Nach Inkrafttreten des revidierten Urheberrechtsgesetzes haben sich mehrere Juristen zur Anwendbarkeit von Art. 27 auf Innenräume geäussert.

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So zieht Wittweiler aus der neuen Formulierung von Art. 27 den Schluss, dass „auch das Innere von Gebäuden frei abgebildet werden darf“.[10]

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Ebenso Auf der Maur: „Im Gegensatz zur Rechtslage unter dem alten URG dürfen somit nicht nur die Aussenansicht, sondern auch das Innere von öffentlich zugänglichen Gebäuden frei abgebildet werden.“[11]

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Laut Hilty ist strittig, ob die Regelung auch für Innenräume gilt. Er selber mutmasst in seinem 2020 erschienenen Kommentar: „Umgekehrt dürfte der Zweck der Norm bei Bauwerken eine Beschränkung auf die Aussenansichten bedeuten, während ein Ablichten von geschützten Innenräumen – auch wenn sie zu öffentlichen Gebäuden wie Kirchen oder Museen gehören – wohl dem Verbotsrecht unterliegt.“[12] Vom auch andernorts vorgebrachten „Zweck der Norm“ wird noch die Rede sein.

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Gemäss Macciacchini ist umstritten, ob auch frei zugängliche Innenräume unter die Bestimmung fallen. Er selber nennt Argumente dafür und dagegen: In der deutschen und italienischen Fassung bestünde keine solche Einschränkung, in der französischen sehr wohl. Massgebend ist für ihn die „faktische Zugänglichkeit“. Diese ist meines Erachtens in Kirchen und Museen sehr wohl gegeben. Zudem ist Macciacchini der Ansicht, dass z.B. die in einer Bahnhofshalle oder einem Einkaufszentrum sichtbaren Werke wiedergegeben werden dürfen, weil diese „gemäss allgemeinem Sprachgebrauch“ keine Innenräume seien.[13]

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Hingegen folgert Macciacchini, die Materialien aus dem Entstehungsprozess von Art. 27 sprächen gegen den Einbezug der Innenräume. Natürlich war in der Version von 1922 noch von „Wegen oder Plätzen“ die Rede und wurden im Vorentwurf I Innenräume noch explizit ausgeschlossen. Danach wurde der Artikel jedoch mehrfach überarbeitet. Der ausser Kraft gesetzte Artikel aus dem Jahr 1922, die vom Parlament explizit zurückgewiesenen Vorentwürfe I und II sowie der in der Vernehmlassung von 1988 als zu wenig nutzerfreundlich beurteilte und deshalb erneut abgeänderte Vorschlag können nicht herhalten, um eine Auslegung zu konstruieren, die mit dem aktuellen Gesetzestext meines Erachtens nicht vereinbar ist. Dass es sich beim französischen Wortlaut um einen bedauerlichen faux pas handelt, wird weiter unten ausgeführt.

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Schaut man sich nun die Begründungen jener Kommentatoren an, die die Ansicht vertreten, die Panoramafreiheit gelte nicht für Innenräume, stellt man fest, dass sie ihre Behauptung entweder nicht begründen, zur Begründung die übersetzungstechnisch verunglückte französische Version zu Hilfe nehmen oder unlogisch argumentieren.

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Rehbinder/Viganò behaupten kurz und bündig, Art. 27 gelte nicht für Innenräume und dort sichtbare Werke. Zur Stützung dieser Aussage, die immerhin nicht eindeutig aus dem Artikel hervorgeht (denn auch Kirchen und Museen sind allgemein zugänglicher Grund), bringen sie jedoch kein einziges Argument vor. Zutreffenderweise machen sie jedoch auf das Hausrecht gemäss Art. 926 ZGB aufmerksam, mit dem Art. 27 URG für Innenräume problemlos ausgehebelt werden kann.[14]

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Wie Cherpillod richtig feststellt, deckt sich der Titel des Artikels in der französischen Version noch mit der deutschen Fassung (endroits accessibles au public“), weicht jedoch im Wortlaut von dieser ab: „sur une voie ou une place accessible au public“. Da auch die in der deutschen und italienischen Fassung – aufgrund einer Intervention im Ständerat[15] – vorgenommene Präzisierung „an und auf allgemein zugänglichem Grund“ in der französischen Fassung fehlt und zudem die deutsche und italienische Fassung in Titel wie Wortlaut in Bezug auf Aussen- oder Innenräume allesamt neutral von „Grund“ oder „Ort“ und nicht „Strasse oder Platz“ sprechen, muss hier eine unpräzise Übersetzung im französischen Wortlaut vorliegen. Auf diese Unstimmigkeit in den diversen Sprachversionen macht auch Macciacchini aufmerksam.[16]

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Cherpillod ist insofern zuzustimmen, als der französische Wortlaut tatsächlich eine Auslegung in seinem Sinn, wonach die Innenräume nicht mitgemeint sein könnten, zulässt. Aber eben nur die französische Fassung. Daraus implizit zu folgern, dass deswegen auch in der deutschen Version Innenräume kein „allgemein zugänglicher Grund“ seien, ist ein unzulässiger Schluss. Auch die von Cherpillod als weitere Begründung herbeigezogene ratio legis mit dem Verweis, es seien lediglich „die Erlaubnis zur Herstellung von Ansichtskarten von öffentlichen Gebäuden oder Skulpturen auf öffentlichem Boden“ gemeint, vermag nicht zu überzeugen: Eine Ansichtskarte eines öffentlichen Gebäudes, z.B. einer Kirche, kann auch deren Innenraum zeigen, eine Skulptur im Foyer eines Stadttheaters befindet sich nach der hier vertretenen Ansicht auf allgemein zugänglichem Grund.

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Egloff schliesslich stellt zuerst fest, der Zweck der Bestimmung sei, dass „die im öffentlichen Raum sichtbaren Werke abgebildet und genutzt werden dürfen“.[17] (Korrekt wäre: „die auf allgemein zugänglichem Grund…“). Als Begründung, weshalb die Bestimmung für Innenräume jedoch nicht gelten würde, schreibt er: „Hingegen sind das Innere eines Gebäudes, (…) nicht allgemein zugänglich im Sinne der vorliegenden Bestimmung, (…)“. Egloff hat den „Sinne der vorliegenden Bestimmung“ einleitend so beschrieben: Im öffentlichen Raum sichtbare Werke dürfen abgebildet und genutzt werden.

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Dass Kirchen zum öffentlichen Raum (resp. allgemein zugänglichem Grund) gehören, lässt sich wohl nicht bestreiten. Es ist deshalb nicht „im Sinne der vorliegenden Bestimmung“, sondern widerspricht dieser geradezu, wenn Innenräume von der Bestimmung ausgeschlossen werden.

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Zwischenfazit: Es gibt keine einheitliche Lehrmeinung dazu, ob Art. 27 URG auch für Innenräume gilt oder nicht. Es gibt jedoch einen Gesetzestext, der diesbezüglich in die Gegenrichtung weist: Entweder befindet sich das wiedergegebene Werk auf allgemein zugänglichem Grund oder eben nicht. Und weshalb sollten Kunstwerke, die sich in Innenräumen befinden, jedoch gewollt den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt werden, mehr urheberrechtlichen Schutz geniessen als z.B. eine Skulptur, die im Freien diesen Blicken ausgesetzt ist? Wie bereits erwähnt, lässt sich das Abbilden – und damit das anschliessende Verwerten – von Werken in allgemein zugänglichen Innenräumen zudem problemlos unterbinden, indem die Hausbesitzer über das ihnen zustehende Hausrecht ein Fotografierverbot erlassen.

V. Die Ratio legis

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Hinter den unterschiedlichen, oben dargelegten Lehrmeinungen bezüglich der örtlichen Gültigkeit von Art. 27 URG verbirgt sich nach Ansicht des Verfassers ein Malaise, dessen Ursache in einem Auseinanderdriften zwischen dem, was der Wortlaut von Art. 27 heute tatsächlich erlaubt, und dem, was gemeinhin verstanden unter dem Titel einer „Panoramafreiheit“ noch erlaubt sein sollte.

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Sämtliche oben aufgeführten Autoren, die sich zur ratio legis von Art. 27 URG äussern, sehen diese darin, dass die Abbildungsfreiheit auf öffentlichem Grund nicht durch urheberrechtliche Verbote eingeschränkt sein soll. Subsumiert wird dieser Zweck unter dem harmlosen Begriff „Panoramafreiheit“. Unter diesem wird gemeinhin verstanden, dass man nichts Unrechtes tut, wenn man beim Fotografieren auf allgemein zugänglichem Grund – bewusst oder unbewusst – auch ein eigentlich urheberrechtlich geschütztes Werk (mit)abbildet.

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Die aus Sicht eines Urhebers nicht unwesentliche Frage, wie prominent das abgebildete Werk bei der Wiedergabe zu sehen sein darf, damit es noch unter die „Panoramafreiheit“ fällt, ist jedoch nirgends geregelt. Was die Schutzschranke unter geltendem Recht erlaubt, liest man z.B. bei Egloff: „Die den Blicken des Publikums frei ausgesetzten Werke dürfen nicht nur angeschaut, sondern auch fotografiert, abgezeichnet, abgemalt werden, auch zu kommerziellen Zwecken.“[18] Entsprechend darf ein Werk auch ohne den ihn umgebenden Ort, also nur das Werk allein, fotografiert und danach vermarktet werden. [19]

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Welch unterschiedliche Nutzungen die „Panoramafreiheit“ zulässt, zeigen folgende (vom Verfasser konstruierte) Beispiele:

 
Bild in einer Lokalzeitung: Interieur eines Supermarktes mit zwei Bildern (Quelle: www.pxhere.com / CC0 / Bildmontage)

Eines der beiden Werke, genutzt in einem Kalender (Quelle: www.pxhere.com/ CC0 / Bildmontage)
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Sich auf allgemein zugänglichem  Grund bleibend befindende oder von dort aus sichtbare Werke sind dank Art. 27 URG also eine Art „Freiwild“ und können z.B. in einem Bildkalender verwertet oder im Internet publiziert werden, alles ohne das Einverständnis oder eine Abgeltung der Autoren. Aus Sicht von Urhebern könnte Art. 27 URG deshalb wesentlich weniger harmlos aber mindestens ebenso zutreffend als „Freiwildartikel“ bezeichnet werden. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass versucht wird, über eine Beschränkung der Anwendbarkeit von Art. 27 URG auf Aussenräume zu verhindern, dass z.B. in Museen permanent ausgestellte Werke von jedermann frei abgelichtet und verwertet werden können. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, einerseits die Panoramafreiheit in Innen- und Aussenräumen zu gewähren und gleichzeitig unerwünschte Verwertungen zu unterbinden.

VI. Sinnvolle Einschränkungen der Panoramafreiheit

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Nachfolgend werden zwei Differenzierungen zu Art. 27 URG skizziert. Man stelle sich z.B. den Eingangsbereich eines allgemein zugänglichen Verwaltungsgebäudes vor, in dem als Wandschmuck seit Jahren ein urheberrechtlich geschütztes Gemälde hängt. Sofern im Gebäude kein Fotografierverbot besteht, erlaubt uns Art. 27 URG, diesen Eingangsbereich inklusive Gemälde abzulichten und diese Fotografie zu verwerten.

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Soll es auch gestattet sein, einzig dieses Gemälde abzulichten, es also fotografisch zu reproduzieren und dieses danach z.B. auf einer Kunstkarte kommerziell zu verwerten? Eine solches „Rosinenpicken“ mit dem Ziel der Monetarisierung entspricht nach Ansicht des Verfassers nicht mehr dem Zweck der „Panoramafreiheit“ und sollte demnach durch sie auch nicht gedeckt sein. Zulässig wäre also nur eine Wiedergabe, die das Gemälde im räumlichen Kontext zeigt, unzulässig eine Nutzung, bei der es primär um das Gemälde geht. Dieser Gedanke ist nicht neu: Eine solche Beschränkung wurde bereits im Rahmen der Gesetzesrevision von 1992 diskutiert[20], dann leider wieder verworfen[21] und später z.B. von Rehbinder als richtig erachtet[22]. Und in Österreich, wo die Panoramafreiheit ebenfalls für Innenräume gilt, kann man sich bei Werken, die nicht integraler Bestandteil des Gebäudes sind, nur auf die Panoramafreiheit berufen, solange die Werke in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem sie umgebenden Raum fotografiert und wiedergegeben werden[23].

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Die zweite, oben schon angetönte Differenzierung, hat mit der Entstehungsgeschichte eines Werks zu tun: Ist ein Werk integraler Bestandteil eines Gebäudes, darf dieses auch ohne dessen Umgebung, also nur das Werk allein, abgebildet und genutzt werden. Genau diese Bedingung trifft z.B. auf die Chagall-Fenster im Zürcher Fraumünster zu, ebenso wie auf alle Werke, die unter dem Titel „Kunst am Bau“ vor oder in allgemein zugänglichen Gebäuden zu sehen sind. Der Grund für eine solche weitergehende Nutzungserlaubnis liegt darin begründet, dass die Urheber solche Werke explizit für allgemein zugängliche Orte geschaffen haben und sie damit bewusst der Öffentlichkeit gewidmet haben.

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Anstatt also mit dem Standpunkt, Art. 27 URG gelte nicht für Innenräume, zu argumentieren, wäre es wünschbar, wenn sich die Anwendung der Panoramafreiheit an den zwei vorgenannten Differenzierungen orientieren würde.

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Zum Schluss und als Anregung für die weitere Auseinandersetzung mit Art. 27 URG sei noch auf zwei in Absatz 2 von Art. 27 URG angelegte Auslegungsprobleme hingewiesen: Die Abbildung darf nicht „zum gleichen Zweck wie das Original verwendbar sein“. Unter der Prämisse der „Verwendbarkeit“ dürfte wohl kein einziges Gemälde, keine Grafik und keine Fotografie abgelichtet werden, denn wer weiss schon bei der Aufnahme, wofür diese später effektiv verwendet wird? Bei der Abbildung eines Bildes lässt sich eine spätere Verwendbarkeit zum selben, dem basalen Zweck eines Bildes, nämlich dass dieses der Betrachtung dient, nicht vermeiden.


Foto: Christoph Schütz
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Und wer bestimmt den Zweck eines Werks und jenen von dessen Wiedergabe? Jean Nouvel hat für die Expo.02 den Monolithen geschaffen, damit die BetrachterInnen über die Vergänglichkeit der Dinge sinnieren. Bestand der Zweck eines Wandkalenders mit 12 Abbildungen des Monolithen ebenfalls darin, dass sich die Betrachtenden Gedanken über die Vergänglichkeit der Dinge machen und war somit ein illegales Produkt? Oder ging es darum, Kalender zu verkaufen, war der Zweck damit ein anderer und diese Nutzung dank Art. 27 legal?


 

Fussnoten:

  1. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1989

  2. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1989

  3. Erläuterungen zum Vorentwurf III von 1987, S. 31

  4. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1984

  5. Vorentwurf III von 1987

  6. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1989, S. 478 und 482

  7. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1989, S. 622

  8. Botschaft des Bundesrates zur URG-Revision, 1989, S. 478, 482 – 484

  9. MACCIACCHINI Sandro, Urheberrechtsgesetz URG, herausg. von MÜLLER Barbara K. und OERTLI Reinhard , Stämpfli, 2. Aufl. 2012, S. 358

  10. WITTWEILER Bernhard, Zu den Schrankenbestimmungen im neuen Urheberrechtsgesetz, AJP 1993, S. 591

  11. AUF DER MAUR Rolf, Neue Herausforderung für das Urheberrecht, AJP 1995, S. 435

  12. HILTY Reto M., Urheberrecht, Stämpfli, 2. Aufl., Bern 2020

  13. MACCIACCHINI, a.a.O., N 7 zu Art. 27

  14. REHBINDER Manfred, VIGANÒ Adriano, Urheberrecht, Orell Füssli, 3. Aufl., Zürich 2008, S. 131

  15. Amtliches Bulletin, Ständerat, 1991, S. 115

  16. MACCIACCHINI, a.a.O, S. 358

  17. EGLOFF Willy, Das neue Urheberrecht, Stämpfli, 4. Aufl., Bern 2020, S. 237

  18. EGLOFF, a.a.O., S. 237

  19. MACCIACCHINI, a.a.O., N 12 zu Art. 27

  20. Erläuterungen zum Vorentwurf I, 1971

  21. Erläuterungen zum Vorentwurf II, 1974

  22. REHBINDER Manfred, 100 Jahre URG, Stämpfli, Bern 1983, S. 372

  23. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_19940712_OGH0002_0040OB00080_9400000_000/JJT_19940712_OGH0002_0040OB00080_9400000_000.html