Weder Attentat noch Zensur

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Entgegnung auf den Beitrag von Matthias Schwaibold in Medialex vom 3. Mai 2021

Manuel Bertschi, LL.M., Rechtsanwalt, Zürich

Résumé: Selon l’auteur, le débat provoqué par la proposition de la Commission des affaires juridiques du Conseil des Etat (CAJ-E) de modifier l’article 266 du Code de procédure civile est unilatéral et non objectif. La critique d’«attentat contre la liberté d’opinion» est aussi déplacée que le reproche de «censure». Il est actuellement très difficile, en Suisse, d’obtenir une protection judiciaire provisionnelle contre des médias. L’auteur salue l’intention de la CAJ-E de rééquilibrer les forces entre les médias et les personnes qu’ils visent, mais il propose d’autres possibilités d’y parvenir que la commission.

Zusammenfassung: Nach Ansicht des Autors hat die von der ständerätlichen Rechtskommission vorgeschlagene Änderung von Artikel 266 ZPO eine einseitige und unsachliche Debatte ausgelöst. Das von Schwaibold monierte «Attentat auf die Meinungsfreiheit» sei ebenso verfehlt wie der Vorwurf der «Zensur». Vorsorglichen Rechtsschutz gegen Medienberichte zu erhalten, sei in der Schweiz sehr schwierig. Der Autor hält den von der ständerätlichen Rechtskommission bezweckten Machtausgleich zwischen Medien und Medienbetroffenen grundsätzlich für begrüssenswert, schlägt aber andere Handlungsmöglichkeiten vor.

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«Ein Attentat auf die Meinungsfreiheit» – was sich liest wie eine süffige «Blick»-Schlagzeile, entstammt der Feder des Rechtsvertreters des Medienkonzerns Ringier (Matthias Schwaibold) und ist der Titel seines Beitrags in dieser Zeitschrift zur von der ständerätlichen Rechtskommission angedachten Änderung des Artikels 266 ZPO. Schwaibold beschränkt sich in seinem Beitrag auf die vorgeschlagene Abschwächung von Artikel 266 Buchstabe a ZPO («Uns interessiert im Augenblick nur die Bestimmung von Art. 266 Buchstabe a ZPO») und sorgt sich um die damit angeblich Einzug haltende «Zensur». Seine Ausführungen können insbesondere in einem medienrechtlichen Kontext nicht unwidersprochen bleiben.

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Der Ursprung des Vorschlags der ständerätlichen Rechtskommission geht auf den Gedanken zurück, die Hürden für richterliche Massnahmen gegen Medien etwas zu senken. Anstelle eines «besonders schweren Nachteils» soll, so der Vorschlag, künftig ein «schwerer Nachteil» genügen, um eine der drei Massnahmenvoraussetzungen gemäss Art. 266 ZPO zu erfüllen. Im erwähnten Beitrag von Schwaibold (und wie in praktisch allen Medienberichten von Medienvertretern zum Änderungsvorschlag hinsichtlich Art. 266 ZPO) entsteht der Eindruck, der glaubhaft zu machende (besonders) schwere Nachteil sei die einzige Voraussetzung zum Erlass vorsorglicher Massnahmen gegen Medien. Passend dazu hat Schwaibold in seinem Beitrag nur Art. 266 Bst. a ZPO zitiert und dabei unerwähnt gelassen, dass Art. 266 nicht nur eine, sondern drei Voraussetzungen enthält.

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Um den Änderungsvorschlag der ständerätlichen Rechtskommission einordnen zu können, drängt sich folglich ein Blick in den gesamten Gesetzestext von Art. 266 ZPO auf:

Art. 266 Massnahmen gegen Medien

Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn:
a. die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;
b. offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt; und
c. die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.
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Eine von drei gleichwertigen Massnahmenvoraussetzungen soll also gemäss der ständerätlichen Rechtskommission abgeschwächt werden. Bei superprovisorischen Massnahmen ist zusätzlich eine «besondere Dringlichkeit» (Art. 265 Absatz 1 ZPO) erforderlich. Die vorgeschlagene Streichung des Wörtchens «besonders» in Art. 266 Buchstabe a ZPO als «Attentat auf die Meinungsfreiheit» oder «Anschlag auf die Medien» zu bezeichnen, ist offensichtlich übertrieben und verkennt die eingeschränkte Tragweite des Änderungsvorschlags hinsichtlich Art. 266 ZPO. Dies umso mehr, als dass das Ergreifen von vorsorglichen bzw. superprovisorischen Massnahmen für Medienbetroffene regelmässig bereits an den anderen beiden Voraussetzungen, dem Rechtfertigungsgrund (z.B. überwiegendes öffentliches Interesse) und der Verhältnismässigkeit, oder an den vorzuschiessenden Gerichts- und Anwaltskosten scheitert. Wie Schwaibold zu suggerieren, bereits heute seien die Eingriffsschwellen tief genug und würden kontinuierlich gesenkt, ist falsch, zumal Schwaibold dazu weder Beispiele noch Erhebungen zu zitieren vermag. Vorsorglichen Rechtsschutz gegen Medienberichte zu erhalten, ist in der Praxis sehr schwierig. Selbst bei Inkrafttreten der angedachten Abschwächung von Art. 266 ZPO dürften entsprechende Massnahmengesuche nicht oder zumindest nicht wesentlich zunehmen.

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Unbegreiflich bleibt denn auch, weshalb Schwaibold im erwähnten Änderungsvorschlag bezüglich Art. 266 ZPO die Gefahr einer Einzug haltenden «Zensur» wittert und – generell – richterliche Massnahmen gegenüber Medien als «Akt der Zensur» qualifiziert. «Zensur» im verfassungsrechtlichen Sinn meint eine systematische Vorzensur als präventive und generelle staatliche Inhaltskontrolle. Dies kann mit der angedachten Abschwächung von Art. 266 ZPO nicht ernsthaft gleichgesetzt werden. Aus juristischer Sicht ist es daher schlicht falsch, den Vorschlag der ständerätlichen Rechtskommission mit angeblichen Zensurgelüsten zu erklären. Das Zensurverbot als Kerngehalt der Meinungs- und Medienfreiheit ist in der Schweiz unantastbar. Schwaibold hätte darauf vertrauen können, dass dies auch der ständerätlichen Rechtskommission bewusst ist (zehn von 13 Mitglieder verfügen über einen juristischen Abschluss).

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Damit wird evident: Weder ein «Attentat auf die Meinungsfreiheit» noch «Zensur» kann der Rechtskommission des Ständerates ernsthaft vorgeworfen werden. Dass Medienschaffende sich am Vorschlag zur Abschwächung von Art. 266 ZPO stören, kann gleichwohl nachvollzogen werden. Ihre Position wird vordergründig (leicht) geschwächt. Im Sinne einer sachlichen Debatte wäre es aber wünschenswert, sich mit den eigentlichen Gründen des ständerätlichen Änderungsvorschlags auseinanderzusetzen. Auch wenn dieser nicht vollständig durchdacht scheint, wird damit beabsichtigt, einen zumindest teilweisen Machtausgleich zwischen Medien und Medienbetroffenen anzustreben. Wäre in der bisher einseitig geführten Debatte im Rahmen von Art. 266 ZPO die Perspektive der Medienbetroffenen eingeflossen, hätte der Handlungsbedarf zur Stärkung des Rechtsschutzes von Individualinteressen erkannt werden können.

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Anstelle einer Abschwächung von Art. 266 ZPO gäbe es jedoch griffigere Instrumente, die Position der Medienbetroffenen zu stärken. Im Zeitalter des Internets wäre etwa an die Errichtung von Pikettdiensten an den jeweiligen Gerichten zu denken, um Medienbetroffenen rund um die Uhr Rechtsschutz zu gewährleisten. Auch die Senkung des Kostenrisikos für Medienbetroffene würde deren Stellung stärken. Ironischerweise hat dies auch Schwaibold kurz nach Publikation seines Rundumschlags gegen die angedachte Änderung von Art. 266 ZPO erkannt und sich im «Blick» kritisch zu den generell hohen Gerichtskosten geäussert. Seine Schlagzeile lautete diesbezüglich: «Gerichte sind für die Reichen da».

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