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Der Wunsch nach neutraler Berichterstattung im Lichte der programmrechtlichen Anforderungen

Rechtsprechungsübersicht 2021 der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI

Oliver Sidler, Dr. iur., Rechtsanwalt, Küssnacht am Rigi

Résumé: Les reportages et les discussions autour du coronavirus et des théories du complot, ainsi que le souhait d’un reportage neutre, objectif et sans émotion ont marqué les décisions de l’Autorité indépendante d’examen des plaintes en matière de radio-télévision (AIEP) durant l’année sous revue. L’étendue du privilège de la satire lors d’émissions précédant des élections et des votations a été définie plus précisément.

Zusammenfassung: Die Berichterstattung und Diskussion rund um das Coronavirus und Verschwörungstheorien wie auch der Wunsch nach neutraler, sachlicher und emotionsloser Berichterstattung prägten die Entscheide der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) im Berichtsjahr. Der Umfang des Satireprivilegs bei Sendungen vor Wahlen und Abstimmungen wurde näher definiert.

I. Überblick

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Von den 39 erledigten Beschwerdeverfahren konnte die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen im letzten Jahr 31 materiell-rechtlich beurteilt (2020: 24). Auf acht Beschwerden trat sie nicht ein (2020: 11). Gutgeheissen wurden sieben, teilweise gutgeheissen zwei Beschwerden. Bei 22 Beschwerden wurde keine Verletzung des programmrechtlichen Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG oder Vielfaltsgebot von Art. 4 Abs. 4 RTVG festgestellt. Im Folgenden wird eine Auswahl der im Jahr 2021 abgeschlossenen Verfahren vorgestellt.

II. Nichteintretensentscheide

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Die meisten Nichteintretensentscheide betreffenden Fälle, bei denen die formellen Voraussetzungen zur Beschwerdeführung nicht vollständig gegeben waren. Entweder lag keine enge Beziehung zum Sendegegenstand im Sinne von Art. 94 Abs. 1 RTVG vor oder die Beschwerdeführerin oder der Beschwerdeführer reichten innert der gesetzten Nachfrist nicht die notwendigen Unterzeichner nach, um den Voraussetzungen für eine Popularbeschwerde gemäss Art. 94 Abs. 2 RTVG zu genügen. In den von der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen beurteilten Beanstandungen konnte auch kein öffentliches Interesse an der materiellen Behandlung der Beschwerdesache ohne Vorliegen der formellen Voraussetzungen festgestellt werden, meist mit der Begründung, dass gleichartige Sachverhalte bereits in früheren Entscheiden behandelt wurden (b.880, b.892, b.897, b.904, b.905).

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Bei einigen Beschwerden aus der italienischsprachigen Region wurde neben Programmrechtsverletzungen auch Kritik an der Arbeit der Ombudsstelle geäussert. Die UBI nahm diese im Sinne einer Aufsichtsbeschwerde gemäss Art. 71 VwVG und Art. 20 der Verordnung der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen auf und erachtete sie als offensichtlich unbegründet. Die Beschwerden wurden von immer denselben Personen, einem Ehepaar, eingereicht (vgl. dazu etwa b.904).

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Schliesslich gab auch wieder die Kommentarfunktion auf der Webseite von SRF News zu Beanstandungen Anlass. Meist ging es um die Einhaltung von Netiquette-Regeln. Die UBI stellt in ihrer Rechtsprechung korrekterweise fest, dass sie für die Beurteilung von nutzergenerierten Inhalten aus dem Online-Angebot der SRG und insbesondere für die Kommentarspalten nicht zuständig sei. Die Kommentarspalten stellen keine von der Redaktion gestalteten Beiträge im Sinne von Art. 2 lit. c bis RTVG dar. Allenfalls kann das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) im Rahmen der allgemeinen Konzessionsaufsicht gemäss Art. 86 Abs. 1 RTVG das Vorhandensein und das Funktionieren der Netiquette überprüfen (b.901, b.906). In der Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) vom 29. Mai 2013 wird klar festgehalten, dass nicht redaktionsgenerierte Beiträge nicht unter die Aufsicht der UBI fallen. Ein Verhindern oder Akzeptieren eines nutzergenerierten Inhalts stellt keine redaktionelle Gestaltung im Sinne des RTVG dar (BBl 2013, 5015). Gleiches gilt für das Löschen eines nutzergenerierten Inhalts.

III. Das Coronavirus und Verschwörungstheorien in der Berichterstattung

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Drei Beschwerden gingen gegen eine vom Westschweizer Radio ausgestrahlten Sendung im Rahmen der Reihe „Tout un monde“ vom 13. Mai 2020 ein. Im Beitrag ging es um Auslandeinsätze von medizinischem Fachpersonal aus Kuba zur Bekämpfung des Corona Virus. In der Sendung wurden die Ärztebrigaden darin sehr kritisch dargestellt und von Gesundheitsindustrie, Zwangsarbeit, unhaltbaren Arbeitsbedingungen und gar von Sklaverei gesprochen. Gerügt wurde die einseitige, unvollständige und fehlerhafte Berichterstattung. Die UBI hiess die drei Beschwerden einstimmig gut und stellte wesentliche Mängel im Beitrag fest. Darin kamen fast nur regierungskritische Kreise zu Wort und es war für das Publikum nicht erkennbar, dass die im Bericht geäusserten Einschätzungen umstritten waren. Nach Meinung der UBI wurde die offizielle Sichtweise Kubas in verkürzter und tendenziöser Weise wiedergegeben. Schliesslich gab es auch unzutreffende Aussagen, sodass sich die Zuhörenden keine eigene Meinung zu den vermittelten Informationen bilden konnten (b.862, b.866, b.867).

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Die Berichterstattung über Demonstrationen der Massnahmenkritiker während der Corona-Krise gab immer wieder Anlass zu Beanstandungen, sowohl beim Ombudsmann der privaten Radio-und Fernsehveranstalter der deutschen Schweiz (der Schreibende übt u.a. diese Funktion aus) wie auch bei der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen. So wurden beispielsweise die Berichterstattung von RTS zur Demonstration in Deutschland vom 29. August 2020 kritisiert. Gerügt wurden die Angabe falscher Zahlen der Demonstrantinnen und Demonstranten, der fehlende Hinweis auf die historische Rede von Robert Kennedy jr. am gleichen Tag in Berlin oder der Fokus der Information auf einige Extremisten während den Demonstrationen. Zur Auswahl der Themen erinnerte die UBI an die Programmfreiheit und wies die Popularbeschwerde ab nach Prüfung der einzelnen Beiträge. Insgesamt entsprachen die Anzahl der an den Demonstrationen Teilnehmenden in etwa den Angaben der Polizei und der Fokus der Berichterstattung war für die Zuschauerin und den Zuschauer klar erkennbar (b.864). Zum gleichen Ereignis wurden auch Beschwerden gegen die Berichterstattung in Fernsehen SRF eingereicht, welche mit ähnlicher Argumentation der UBI allesamt abgelehnt wurden (b.868, vgl. auch b.872).

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Das Politikmagazin „Rundschau“ von SRF befasste sich in seiner Sendung vom 9. September 2020 mit Corona-Verschwörungstheorien. Dabei wurde thematisiert, dass Corona-Verschwörungstheorien in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Illustriert wurde dies anhand eines bekannten Snowboarders, eines Comedians, eines Amtsrichters sowie einer Bundesstrafrichterin. Zudem befragte der Moderator zum letzteren Fall den Präsidenten der parlamentarischen Gerichtskommission. Gerügt wurde, dass der Beitrag nicht ausgewogen gewesen sei und die Redaktion sich auf wenige Wirrköpfe konzentrierte. Es sei nicht über die Aggression gegen die Skeptiker berichtet worden und auch den Vorwürfen der Skeptiker gegen die Massnahmen von Bund und Kantonen sei die Redaktion nicht nachgegangen. Nach Ansicht der UBI konnte sich das Publikum zum eigentlichen Thema des Beitrags, dass die Verschwörungstheorien zu Corona und den staatlichen Corona-Massnahmen in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien, aufgrund der gezeigten Beispiele und vermittelten Informationen eine eigene Meinung bilden. Aufgezeigt wurde auch, dass das Vertreten von Minderheitsmeinungen und insbesondere auch von Verschwörungstheorien grundsätzlich Teil der Meinungsäusserungsfreiheit sei. „Der Umstand, dass die nicht ausreichend in den restlichen Beitrag eingebetteten Sequenzen über die Aggressivität der Debatte um Covid-19 und die dagegen ergriffenen Massnahmen nicht zu befriedigen vermag, hat den Gesamteindruck nicht verfälscht. Es handelt sich dabei um einen Mangel in einem Nebenpunkt, der noch keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots zu begründen vermag“ (b.870).

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Mit den vergleichsweise vielen Covid-19 bedingten Todesfällen und Ansteckungen in Sementina in der Nähe von Bellinzona während der ersten Welle der Pandemie beschäftigte sich eine Sendung des italienischsprachigen Fernsehens am 9. Juni 2020 und eine Radiosendung am Folgetag. Gerügt wurde die Einseitigkeit der Beiträge und dass die Verantwortlichen verurteilt würden, ohne dass sie sich verteidigen könnten. Nach Ansicht der UBI konnten die Verantwortlichen des Altersheims in angemessener und fairer Weise ihre Sicht der Dinge äussern, namentlich auch zur Kritik von Angehörigen von Verstorbenen und dem Personal. Zudem vermittelte der Kantonsarzt überdies wichtige Informationen zu relevanten Aspekten zu den Todesfällen und die Ansteckungen. Nach Ansicht der UBI war das Sachgerechtigkeitsgebot und andere genügte Programmbestimmungen nicht verletzt (b.874). Eine weitere Beanstandung zu einer Sendung zum Thema Coronavirus, die Club-Diskussionssendung vom 22. September 2020 (Fernsehen SRG) mit dem Titel «Corona-Skeptiker – woher kommt der Widerstand?“ wurde abgelehnt (b.875).

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Im Rahmen des Konsumentenmagazins „Kassensturz“ strahlte Fernsehen SRF am 9. Februar und 2. März 2021 zwei kritische Beiträge über die Behandlungsmethoden eines Arztes aus. In den dagegen erhobenen Beschwerden rügte der angegriffene Arzt und Komplementärmediziner namentlich, wesentliche Fakten seien nicht erwähnt worden. Mit fünf zu vier Stimmen wies die UBI die Beschwerde ab. Ihrer Meinung nach wurde die Sichtweise des Beschwerdeführers im Beitrag zwar knapp, verteilt auf mehrere Sequenzen sowie teilweise wie bei der Anmoderation etwas unklar dargestellt. Offenbar machte der Beschwerdeführer in seinen Eingaben nicht geltend, er sei mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht konfrontiert wurden oder seine Aussagen aus dem Interview seien unzutreffend wiedergegeben worden. Die Bezeichnung als Verschwörungstheoretiker betrachtete die UBI als unnötig tendenziös angesichts des Themas (die Behandlungsmethode bei einem Patienten) des Beitrags (b. 886).

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Nicht um das Coronavirus, sondern um die Strahlenproblematik rund um den aktuellen Mobilfunkstandard 5G handelte es sich beim nächsten von der UBI behandelten Beitrag: Das Nachrichtenmagazin „10 vor 10“ von Fernsehen SRF strahlt regelmässig die Rubrik „Faktencheck“ aus. Dabei geht es um Meldungen und Behauptungen, die in sozialen Medien kursieren. Gegen die Sendung vom 17. Juni 2020 mit dem Titel „Wie schädlich ist 5G?“ und den geprüften Behauptungen 5G töte Vögel, verursache Krebs und tote Bäume wurde eine Popularbeschwerde eingereicht. Gerügt wurde insbesondere, dass zu den drei Behauptungen nur eine Expertenmeinung eingeholt und andere verlässliche Quellen zitiert, aber keine abschliessende Antwort zu den Gefahren von 5G und zum Stand der Wissenschaft zu 5G im Allgemeinen präsentiert worden sei. Zudem sei nicht über die Verstrickungen eines Experten mit der Mobilfunkindustrie informiert worden. Für die UBI verfügte der Experte mit seiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Strahlenbelastung durch Mobilfunk und als Mitglied von einschlägigen nationalen und internationalen Gremien offensichtlich über ein erhebliches Fachwissen, um als Experte für den „Faktencheck“ zu fungieren. „Es war im Lichte des Sachgerechtigkeitsgebots daher auch nicht zwingend erforderlich, darauf hinzuweisen, dass die Gegner von 5G (den Experten) als nicht unabhängig erachteten, umso weniger als die Redaktion die Aussagen des Experten teilweise mit zusätzlichen Hinweisen ergänzt hat.“ In Bezug auf die umfassende Darstellung des aktuellen Stands der Wissenschaft zu den Gefahren von 5G kommt die UBI zum Schluss, dass das Thema und der Fokus des Beitrags sowie der Charakter des beanstandeten Sendegefässes beachtet werden müssen: „Es ging im beanstandeten Beitrag in klar erkennbar Weise nicht um eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Gefahren 5G, sondern um einen „Faktencheck“ bezüglich in sozialen Medien verbreiteten Videos und Fotos zu 5G.“ Insgesamt stellte die UBI zwar eine gewisse Einseitigkeit in Bezug auf die Beschränkung auf in sozialen Medien verbreitete Behauptungen von 5G-Gegnern fest. Dieser Fokus jedoch sei zulässig und für das Publikum stets transparent gewesen (b.869).

IV. Rassistische Vorwürfe in Fiktion und Diskussion

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Eine Person, die in einer historischen Dramaserie eine rassistische Haltung vertritt, erfüllt für sich allein den rundfunkrechtlichen Tatbestand der Diskriminierung nicht. Konkret ging es um eine Aussage einer Nationalsozialistin im Rahmen der sechsteiligen historischen Dramaserie „Frieden“, welche von Fernsehen SRF vom 8. bis 11. November 2020 ausgestrahlt wurde. Während eines Abendessens bei der Schweizer Fabrikantenfamilie machte die Deutsche die Aussage: „Aber am schlimmsten ist der Russe, Tiere sind das, dreckige, widerliche Tiere“. In ihrem Entscheid legte die UBI für die an sich diskriminierende Aussage durchaus plausible sachliche Gründe aus historischer Sicht dar. In Bezug auf das Sachgerechtigkeitsgebot sei festzuhalten, dass dieses auf fiktionale Inhalte im Grundsatz und namentlich auf fiktionale Unterhaltungssendungen nicht anwendbar sei (vergleiche UBI-Entscheid b. 781 vom 22. Juni 2018). So verhält es sich nach Ansicht der UBI auch für die vorliegende fiktive Historienserie: „Von einem fiktiven historischen Film, in welchem der Spannung und Unterhaltung ein grosser Stellenwert zukommt, darf nicht – anders als bei einer Informationssendung – eine präzise Vermittlung von Tatsachen erwartet werden. Es gilt diesbezüglich auch auf die Programmautonomie und die Kunstfreiheit (Art. 21 BV) hinzuweisen“ (b.871).

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Die Rolle des Moderators war Thema einer Beanstandung rund um die Sendung „Arena“ vom 29. Januar 2021 von Fernsehen SRF. Die Diskussionssendung drehte sich um das Thema „Burka verbieten – Probleme gelöst?“ Eine Teilnehmerin führte in einer kurzen Sequenz aus, dass der Beschwerdeführer beste Verbindungen zum türkischen Präsidenten pflege und deshalb den politischen Islam vertrete. Eine Intervention des Moderators blieb aus. Die UBI führt dazu aus, dass von einem Moderator einer Diskussionssendung kein derart umfassendes Vorwissen verlangt werden könne, dass er über sämtliche Aspekte eines Themas in allen Einzelheiten – wie hier den Hintergrund der beanstandeten Aussagen der Diskussionsteilnehmerin – informiert ist. Allerdings wäre eine kurze Reaktion des Moderators angesichts der Vorwürfe, die sich gegen eine nicht anwesende Person richteten, eigentlich erforderlich gewesen. Dies auch ohne Kenntnis der detaillierten Fakten. Wird aber die beanstandete Aussage im Lichte des Sachgerechtigkeitsgebots betrachtet, sei zu bemerken, dass dies gar nicht das eigentliche Thema (die Verhüllungsinitiative und insbesondere das Burkaverbot) war und somit aus programmrechtlicher Sicht bloss einen die Meinungsbildung des Publikums nicht relevanten Nebenpunkt betraf. In Bezug auf pauschale und abwertende Urteile zu Menschen mit islamischem Glauben einer Fachperson nahm die UBI Bezug zum Entscheid b.871 (Filmreihe „Frieden“) und stellte fest, dass diskriminierende Aussagen einer Person in einer Diskussionssendung für sich alleine noch keine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 RTVG darstellten. Es gelte immer den Kontext zu beachten und entscheidend sei die Botschaft, die eine Sendung bzw. die beanstandeten Sequenzen vermittelten. Vorliegend hätten die potenziell diskriminierenden Äusserungen einzelnen Personen zugeordnet werden können, sie seien umstritten und entsprächen damit nicht der generellen Auffassung in der Sendung. Deshalb sei das Diskriminierungsverbot nicht verletzt worden. Korrekt ist aus meiner Sicht sicherlich, dass die potenziell diskriminierenden Äusserungen einzelnen Personen zugeordnet werden sollten. Nicht wesentlich ist aber, ob diese der generellen Auffassung einer Sendung widersprechen. Umstrittene Aussagen sollen in einer Sendung Platz haben, sofern sie als solche wahrgenommen werden und allenfalls vom Moderator richtig eingeordnet werden. Zu Recht weist die UBI darauf hin, dass es in einer Demokratie wichtig sei, dass im öffentlichen Diskurs nicht nur Positionen zu Wort kommen, die den gesellschaftlichen Mehrheitskonsens und dem geltenden Wertesystem vollumfänglich entsprechen. Aus meiner Sicht ist aber das rundfunkrechtliche Diskriminierungsverbot nicht deshalb schon nicht verletzt, wenn die potenziell diskriminierenden Äusserungen einzelnen Personen zugeordnet werden können, umstritten sind und nicht der generellen Auffassung in der Sendung entsprechen. Unter diesen – sehr einschränkenden – Bedingungen dürfte das rundfunkrechtliche Diskriminierungsverbot in Diskussionssendungen praktisch kaum zur Anwendung gelangen (b.888).

V. Symbolbilder und das Satireprivileg

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Die Berichterstattung über die Konzernverantwortungsinitiative gab zu Kritik Anlass. Gerügt wurde einmal das Hintergrundbild mit dem orangefarbigen Plakat und dem Text „Konzernverantwortungsinitiative JA!» während eines Tagesschau-Beitrags sowie online auf der Webseite von SRF. In der Tagesschau-Sendung vom 6. Oktober 2020 wurde das Bild während der Anmoderation gezeigt. Dies jedoch nicht kommentarlos, denn der Moderator wies zu Beginn seiner Einleitung auf die Fahnen und Plakate hin, welche für die Konzernverantwortungsinitiative werben würden. Damit wurde, nach Ansicht der UBI, eine ausdrückliche Verbindung zum gezeigten Bild geschaffen. Im Beitrag selbst ging es nicht um Argumente der Initianten, sondern um diejenige des Bundesrates. Das Bild war in verschiedener Weise in das Thema des Beitrags eingebettet und hat das Publikum nicht irregeführt (b.876).

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Zur Illustrierung des Klimawandels wurden in der Sendung „Börse“ von Fernsehen SRF am 3. Mai 2021 vier Bilder mit Rauch aus Schornsteinen von verschiedenen Fabrik- und Verbrennungsanlagen gezeigt. Bei der Sendung ging es um neue Zahlen zur Klimafreundlichkeit von Schweizer Unternehmen. Geäussert hat sich auch der Autor einer Studie zur Umsetzung einer klimafreundlichen Energiestrategie. Bei den gezeigten Bildern handelt es sich um Symbolbilder, die zum Zweck der Illustration der verbalen Aussagen verwendet wurden. Nach Ansicht des Beschwerdeführers waren diese meinungsverfälschend, weil CO2 unsichtbar und nicht giftig sei. Die UBI wiederum war der Ansicht, dass Industrieanlagen, wie sie auf den beanstandeten Bildern zu sehen waren, für einen beträchtlichen Teil der CO2-Emissionen und damit auch der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich seien. Da sich in den Abgasen und damit im Rauch von Fabrik- und Verbrennungsanlagen regelmässig ein wesentlich höherer Anteil an CO2, als er in der Luft natürlicherweise vorhanden sei, finde, sei es auch nicht notwendig gewesen, dass der Moderator den Studienautor korrigierte. Das Publikum sei weder durch die beanstandeten Symbolbilder noch durch die Aussagen des Studienautors getäuscht worden (b.893).

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Satirisch wurde in der Sendung „Deville» vom 22. November 2020 von Fernsehen SRF auf die Konzernverantwortungsinitiative eingegangen. Gerügt wurde, die Beiträge zu den bevorstehenden Volksabstimmungen zur Konzernverantwortungsinitiative und Kriegsmaterialinitiative seien tendenziös gewesen. Die diesbezüglichen Ausführungen seien einseitig sowie verurteilend und erlaubten keine neutrale Meinungsbildung. Bei Satiresendungen gilt die gefestigte Rechtsprechung der UBI, dass das Sachgerechtigkeitsgebot nur beschränkt gilt, wenn das Publikum in solchen Beiträgen in erkennbarer Weise „nicht ernsthaft informiert“ werden soll (vergleiche etwa BGE 132 II 290, S. 295). Erforderlich ist aber, dass der satirische bzw. humoristische Charakter als Ausfluss des Transparenzgebots erkennbar ist. Im konkreten Fall war selbst für Zuschauerinnen und Zuschauer, welche den bekannten Komiker oder die Sendung zuvor nicht kannten, klar, dass aufgrund der zahlreichen satirischen und humoristischen Einlagen, des Dekors, der Mimik, des Verhaltens des Gastgebers und der Gäste es sich um eine Satiresendung und nicht um eine ernsthafte und sachliche Informationssendung über die Konzernverantwortungsinitiative handelte. Das Sachgerechtigkeitsgebot war nach Ansicht der UBI nicht verletzt. In Bezug auf das Vielfaltsgebot war relevant, dass die Sendung eine Woche vor der Volksabstimmung ausgestrahlt wurde und damit in die für die Anwendung des Vielfaltsgebots relevante sensible Periode vor dem Urnengang fiel. Hier meinte UBI, dass das Vielfaltsgebot – wie schon das Sachgerechtigkeitsgebot – nur beschränkt anwendbar sei, da es sich bei der beanstandeten Sendung mit dem klar erkennbaren satirischen und humoristischen Charakter primär um Unterhaltung handelte, die sich zudem an ein politisch überdurchschnittlich interessiertes Publikum richtete. In der Sendung wurde keine Abstimmungsempfehlung ausgesprochen und das der Sendung zustehende Satireprivileg wurde auch nicht für eigentliche politische Propaganda missbraucht (b.878).

VI. Zum Wunsch nach neutraler, sachlicher und emotionsloser Berichterstattung

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In einer Popularbeschwerde wurden neun Beiträge aus verschiedenen Sendungen von Radio und Fernsehen SRF gerügt. Dabei ging es um Beiträge über Kritik der Zürcher Gesundheitsdirektorin an der Contact-Tracing-Praxis im Zusammenhang mit dem Coronavirus, den Kommunalwahlen in Frankreich, über die Wahlen in Polen, Nachrichtenmeldungen zum geplanten Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz sowie zu einer möglichen UNO-Resolution zu Corona-Pandemie, einen Beitrag über den Austritt der USA aus der WHO, über die Explosion in Beirut und ein Beitrag „wohin mit den Flüchtlingen aus Moria?“. Gerügt wurde insgesamt eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots vor allem deshalb, weil sich die Redaktion nicht an Fakten halten würde, sondern Vermutungen äussere und tendenziös berichte. Es sei Aufgabe von SRF, neutral und möglichst ohne Emotionen zu berichten. Kritisiert wurde insbesondere die Wortwahl in den verschiedenen Beiträgen, so zum Beispiel die Verwendung des Begriffs „Dilettantismus“ in Bezug auf den Präsidenten der USA im Bericht über den Austritt der USA auf der WHO. Die UBI wies bei den einzelnen Beiträgen auf die Programmautonomie der Sender hin und prüfte die Beiträge im Hinblick auf die Möglichkeit des Publikums, sich eine eigene Meinung zum Beitrag zu bilden. Solange die Vermittlung von wesentlichen Fakten in den Meldungen korrekt ist und sich die Zuhörenden eine eigene Meinung im Sinne des Sachgerechtigkeitsgebots bilden konnten, sind Wertungen, die Gewichtung einzelner Aspekte wie auch die Wortwahl im Rahmen der Programmautonomie grundsätzlich Sache des Veranstalters. In Stilfragen hat sich die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen nicht einzumischen. In dieser Popularbeschwerde wird ein Wunsch nach neutraler, emotionsloser und sachlicher Berichterstattung über das Geschehen in Nachrichtensendungen angesprochen. Der Wunsch nach einer vertrauenswürdigen, neutralen Informationsinstanz ist gerade in Bezug auf die heutige Informationsüberflutung und der Schwierigkeit, die erhaltenen Informationen zu berichten und richtig einzuordnen, nachvollziehbar. Aufgabe der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen ist es, im Rahmen des Sachgerechtigkeitsgebots im Einzelfall zu prüfen, ob sich das Publikum eine eigene Meinung zu den wesentlichen Informationen in einer Sendung machen konnte. Die Art und Weise der Berichterstattung ist Sache der Veranstalter im Rahmen der Programmautonomie. Wenn aber Fehler in der Berichterstattung, die keine Nebenpunkte betreffen, dazu führen, dass sich das Publikum keine eigene Meinung bilden kann, liegt eine von der UBI zu behandelnde Programmrechtsverletzung vor.

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In der besagten Popularbeschwerde betraf dies schlussendlich eine Nachrichtenmeldung aus der Radiosendung „Heute Morgen“ vom 29. Juni 2020. In dieser Meldung wurde eine Äusserung eines ehemaligen EU-Kommissars zum geplanten Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz nicht klargestellt, dass es sich bei dieser Person nicht um ein aktuelles Mitglied der EU-Kommission, sondern eben um einen ehemaligen Repräsentanten handelt, der seine eigene Meinung äusserte. Zu Recht stellte die UBI bei der Prüfung dieses Sachverhalts auf das Vorwissen des Schweizer Publikums ab und stellte fest, dass die Namen der Mitglieder der EU-Kommission mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel Präsidentin) in der Schweiz kaum bekannt seien. Die UBI erkannte eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht, indem Fakten nicht korrekt überprüft wurden. Da es sich um eine bedeutsame Information zum Zeitpunkt der Ausstrahlung handelte (die Diskussion um das Rahmenabkommen zwischen EU und der Schweiz war hochaktuell) qualifizierte die UBI diese Meldung als Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots (b.877).

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Eine nicht neutrale Berichterstattung im Rahmen des Nachrichtenblocks der Informationssendung „Rendez-vous“ vom 4. Februar 2021 rügte ein Beschwerdeführer in Bezug auf die Statistik der Einwanderung und Auswanderung. Die ausgestrahlte Meldung lautete im Wortlaut wie folgt: „Im letzten Jahr sind weniger Personen in die Schweiz ein- und ausgewandert als in den Jahren zuvor. Grund ist gemäss dem Staatssekretariat für Migration die Coronakrise. Dabei ist die Auswanderung deutlich stärker zurückgegangen als die Einwanderung. Die Auswanderung nahm um über 12 % ab, die Zuwanderung um 2.6 %.“ In der Popularbeschwerde wurde gerügt, dass sich die Meldung einzig auf den ersten Satz der gleichentags veröffentlichten Medienmitteilung des Staatssekretariats für Migration zur Ausländerstatistik 2020 stütze und die zentrale Information, wonach die Netto-Zuwanderung in der Schweiz gegenüber dem Vorjahr trotz Coronakrise um mehr als 10 % gestiegen sei, verschwiegen worden sei. Die UBI kommt in ihrem Entscheid zum Schluss, dass die beanstandete Nachrichtenmeldung zwar nicht ganz präzis war, da es die Redaktion unterliess, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die zur Zu- und Auswanderung vermittelten Informationen ausschliesslich die ständige ausländische Bevölkerung betrafen. Aufgrund der Kontextinformation sei die Meinungsbildung der Zuhörerinnen und Zuhörer zum Beitrag insgesamt aber trotz dieses Mangels nicht in relevanter Weise beeinträchtigt worden. Die Aussagen zur Ausländerstatistik 2020 seien korrekt gewesen und aufgrund der erkennbaren Fokussierung auf gewisse Aspekte der Statistik bzw. der betreffenden Medienmitteilung sei es zudem nicht zwingend erforderlich gewesen, im Radiobeitrag auf den Wanderungssaldo bzw. die Netto-Zuwanderung hinzuweisen (b. 887).

VII.Weitere Entscheide zum Sachgerechtigkeitsgebot

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Ein Beitrag einer Sendereihe von Schweizer Radio und Fernsehen RTS, in welchen an markante Orte und Momente der Festivals des Sommers 2019 (damals noch ohne Coronavirus) erinnert wurde, hatte die Feierlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum der Souveränität des Kantons Jura im Sommer 2019 zum Thema. Ein Beschwerdeführer rügte, dass ein Grossteil der Reportage keineswegs wahrheitsgetreu über die jurassischen Feierlichkeiten berichtete, sondern sich ausschliesslich mit der Abstimmung der Stadt Moutier über ihre Kantonszugehörigkeit befasste und einen der wichtigsten Anführer des separatistischen Lagers in Bezug auf Moutier zu Wort kommen liess. Die UBI kam in ihrer Beurteilung zum Schluss, dass die Reportage nicht einfach im Detail an die Feierlichkeiten erinnern und wahrheitsgetreu berichten wollte, was geschehen war. Es ging vielmehr um Erinnerungen, um das persönliche Empfinden des Festes von einer Person, die bei den Feierlichkeiten anwesend war. Im Rahmen der Programmautonomie sei der Programmveranstalter frei, die Interviewpartner auszuwählen. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer war es nachvollziehbar, über wen gesprochen wurde wie auch den Inhalt seiner Ausführungen und seiner Empfindungen. Eine Manipulation fand nicht statt und die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten sich eine eigene Meinung über das Thema und den Blickwinkel der Reportage bilden, zumal die Jura-Frage allgemein immer wieder in den Medien thematisiert wurde (b.882).

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Die Anforderungen an das Sachgerechtigkeitsgebot sind bei Diskussionsformaten weniger hoch als bei rein redaktionell aufbereiteten Sendungen. So müsse auch genügend „Raum für eine spontane Entwicklung der Diskussion“ bestehen (vergleiche BGE 139 II 519, S. 524). Die UBI weist in ihrem Entscheid b. 884 darauf hin, dass auch das spezifische Sendegefäss bei der Prüfung berücksichtigt werden müsse. Im vorliegenden Fall ging es um die am Sonntagvormittag in Fernsehen SRF ausgestrahlten Sendung „Sternstunde Religion“, bei welcher nicht eine kontroverse Diskussion im Zentrum steht, in welcher die verschiedenen Ansichten zu einem Thema aufeinanderprallen. Vielmehr geht es darum, dass Gäste die Gelegenheit erhalten, ihre Ansichten ausführlich darzustellen, Ideen auszutauschen und das Publikum zum Denken anzuregen. Bei der Diskussion zum Thema „Islam in der Krise“ diskutierten verschiedene Fachleute über dieses Phänomen, seine Ursachen und mögliche Lösungen. Mit der Beschwerde wurde gerügt, dass die Gewissenhaftigkeit des Islams als Ganzes nicht thematisiert worden sei, verschiedene andere Aspekte nicht thematisiert wurden und die Auswahl der Gesprächsteilnehmerinnen und Teilnehmer tendenziös gewesen sei, da grundsätzliche Kritik am Islam von vornherein ausgeschlossen wurde. Die UBI wies die Beschwerde ab mit der Begründung, dass es im Rahmen der beanstandeten Sendung nicht zwingend erforderlich gewesen sei, auf die vom Beschwerdeführer betonten Aspekte einzugehen. Die Moderatorin wies in ihren Ausführungen am Ende der Sendung denn auch darauf hin, dass das Thema viel komplexer und viel komplizierter sei als gemeinhin angenommen und deshalb auch nicht zum letzten Mal darüber gesprochen worden sei. Zu den besprochenen Punkten in der Sendung konnte sich das Publikum aufgrund des transparenten Fokus und der transparenten Gestaltung eine eigene Meinung im Sinne des Sachgerechtigkeitsgebots bilden (b.884).

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Am 6. April 2020, strahlte Fernsehen SRF im Konsumentenmagazin „Kassensturz“ einen zweiteiligen Beitrag über die Kritik von Biobauern an ihrem Vorstand aus, welcher der Delegiertenversammlung empfahl, die Volksinitiative „Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“ abzulehnen. Im Filmbericht äusserten Biobauern ihr Unverständnis. Danach nahm in einem Studiogespräch der Präsident von Bio Suisse zu dieser Kritik Stellung und erläuterte den Beschluss des Vorstands. In der Beschwerde wurde gerügt, dass Aussagen und Einblendungen zum Inhalt der Trinkwasserinitiative, wonach Import-Futter verboten werde, falsch seien. Mit den beanstandeten Aussagen sei der Inhalt der Initiative einseitig im Sinne der Befürworter und damit verfälscht wiedergegeben worden, was sich auf das Stimmverhalten des Publikums auswirken könne. Die UBI wies die Beschwerde mit sieben zu zwei Stimmen ab und gab zu bedenken, dass der Beitrag insgesamt nicht in jeder Hinsicht zu befriedigen vermochte. „In einem Punkt wurde der Inhalt der Trinkwasserinitiative falsch zusammengefasst. Bei den betreffenden Aussagen handelte es sich jedoch um eine Hintergrundinformation. Im Zentrum des Beitrags stand die umstrittene Empfehlung des Vorstands von Bio Suisse an die Delegierten, die Initiative abzulehnen. Diese Information wurde von der Redaktion korrekt und transparent vermittelt. Im Rahmen der Gesamtwürdigung betrifft der festgestellte Mangel einen Nebenpunkt, welche die Meinungsbildung des Publikums nicht rechtserheblich beeinträchtigte.“ In Bezug auf das Vielfaltsgebot, welches vor Abstimmungen einen erhöhten Anforderungsgrad an Sendungen verlangt, kommt die UBI zum Schluss, dass die Argumente der Pro-und Contraseite innerhalb von Bio Suisse ausgewogen dargestellt und somit das Vielfaltsgebot nicht verletzt worden sei. (b.891).

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Eine Reportage des Westschweizer Fernsehens behandelte die allgemeine Thematik der Streichung von Anwälten in der Westschweiz aus dem Anwaltsregister und präsentierte als Beispiel einen aktuellen Fall, nämlich die kürzlich erfolgte strafrechtliche Verurteilung eines Anwalts wegen Urkundenfälschung. Dieser rügte vor der UBI, dass er zu den schweren Vorwürfen nicht angehört worden sei und aus dem Bericht nicht klar hervorkam, dass die Angelegenheit nicht rechtskräftig, sondern noch neu beurteilt werden müsse. Die UBI kommt zum Schluss, dass die allgemeine Thematik sowie die wesentlichen Fakten im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung korrekt und transparent wiedergegeben worden seien. Anhand der Informationen und Beispiele von einem beigezogenen Rechtsexperten seien die Zuschauer darüber aufgeklärt worden, welche Verfehlungen mit dem Anwaltsberuf vereinbar seien und welche nicht, die zu einem Berufsabschluss führen können. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer sei klar gewesen, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers nicht endgültig war, da das Urteil angefochten und der Fall neu verhandelt werden müsse. Deswegen sei es auch nicht notwendig gewesen, den Standpunkt des Beschwerdeführers oder seiner Berater einzuholen. Ähnlich argumentierte die UBI zum Online-Artikel zu dieser Angelegenheit, der im Wesentlichen die Informationen aus der Sendung nochmals zusammenfasst und einzelne Videopassagen enthält (b. 863).

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Das Sachgerechtigkeitsverbot nicht verletzt haben Beiträge von Fernsehen SRF im Rahmen der Sendung „Schweiz aktuell“ über die Anlage von Pensionskassengeldern, einen angeblich unter Wert verkauftes Grundstück und eine damit verbundene Strafanzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, komplizierte Firmenkonstrukte, Interessenkonflikte, mutmassliche Fehlinvestments und einer Millionenabschreibung der Schwyzer Kantonalbank. Nach Ansicht der UBI sei zwar die Anmoderation zum Beitrag reisserisch gewesen, aber bei einer Gesamtbetrachtung lasse sich feststellen, dass diese durch die nachfolgenden Filmberichte erheblich relativiert worden seien. Die wesentlichen Fakten seinen Beitrag korrekt vermittelt worden und für das Publikum sei ersichtlich gewesen, dass es um einen Streit zwischen der Pensionskasse und eine durch die Schwyzer Kantonalbank massgeblich kontrollierte Aktiengesellschaft wegen eines „12’ Milliarden-Lochs“ gehe und die Pensionskasse nach Vorliegen der Ergebnisse eines Gutachtens eine Schadensersatzklage prüfen werde. Ebenfalls sei aus dem Beitrag klar hervorgegangen, dass die Beschwerdeführerinnen die Vorwürfe vollumfänglich bestreiten und sie die Verantwortung für das fehlende Geld ausschliesslich auf Fehler der Pensionskasse zurückführten (b. 856).

VIII. Rückblick zum Fall Quadroni

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Der Entscheid b. 849 der UBI vom 28. August 2020 zu dem am 4. Dezember 2019 auf Fernsehen SRF ausgestrahlten Dokumentarfilm „Der Preis der Aufrichtigkeit – Adam Quadronis Leben nach dem Baukartell“ wurde von der SRG als betroffene Veranstalterin beim Bundesgericht angefochten. Strittig waren sowohl ein formell-rechtlicher als auch ein materiell-rechtlicher Aspekt.

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Der Vizepräsident des Regionalgerichts, gegen dessen Präsident im Dokumentarfilm schwere Vorwürfe erhoben wurden, fungierte als Beschwerdeführer im Verfahren vor der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen. Das Bundesgericht erinnert daran, dass der Umstand, dass sich jemand für ein Thema besonders interessiert oder sich öffentlich für eine solches einsetzt bzw. die Interessen eines Dritten – hier des angegriffenen Gerichtspräsidenten – wahrnehmen will, genügt regelmässig nicht, um eine Beschwerdelegitimation als Betroffener vor der UBI zu rechtfertigen. Obwohl der Vizepräsident von der Produzentin des umstrittenen Beitrags aktiv und mehr als nur im Rahmen von Sondierungsgesprächen in dessen Vorbereitung mit eingezogen wurde, in regelmässigen Mail- und Telefonverkehr stand und es zu einem nicht ausgestrahlten Interview mit ihm gekommen ist, liess das Bundesgericht die Frage der Legitimation im Rahmen der Betroffenheitsbeschwerde offen. Es wies darauf hin, dass die UBI die Beschwerde wegen Vorliegen eines öffentlichen Interesses hätte entgegennehmen können (Urteil des Bundesgerichts 2C_112/2021 vom 2. Dezember 2021).

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In materiellrechtlicher Hinsicht ging es vor allem um die Beurteilung der Passagen zur Rolle des namentlich genannten Regionalgerichtspräsidenten. Wie schon die UBI erachtet auch das Bundesgericht die gegen den Richter im Film erhobenen Vorwürfe als gravierend. Allerdings haben die Vorwürfe dadurch an ihrer Schärfe verloren, dass sie in einem Porträt von rund 50 Minuten erkennbar aus der „Opfersicht“ von Adam Quadroni erhoben wurden und nur einen geringen Platz einnahmen. Auch andere Personen seien kritisiert worden, wobei auch bei ihnen lediglich der Hinweis erfolgte, dass sie sich nicht zu den Vorwürfen hätten äussern wollen. Für das Bundesgericht betrafen die beanstandeten Punkte Nebenaspekte der Haupterzählung. Die festgestellten Mängel beruhten auf dem Umstand, dass der Gerichtspräsident nicht bereit war, seinen Standpunkt einzubringen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und stellte fest, dass der am 4. Dezember 2019 ausgestrahlte Beitrag das programmrechtliche Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt hat (Urteil des Bundesgerichts 2C_112/2021 vom 2. Dezember 2021).


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