1

Hoher Stellenwert für den Quellenschutz

Das Bundesgericht verhindert den Zugriff auf beschlagnahmte Daten im Fall Corona-Leaks

Simon Canonica, Rechtsanwalt, Redaktor «medialex», Stadel b. Niederglatt

Résumé: Durant la pandémie de Covid-19, des informations confidentielles du Conseil fédéral ont été transmises à la maison d’édition Ringier. Peu de temps après, l’informateur ainsi que le directeur de Ringier ont fait l’objet de perquisitions à leur domicile. Les appareils et données saisis ont été placés sous scellés. Le tribunal compétent du canton de Berne a refusé de les lever, comme le demandait le Ministère public de la Confédération. Saisi d’un recours formé contre cette décision, le Tribunal fédéral l’a rejeté (arrêt 7B_733/2024). Il s’est largement appuyé sur la jurisprudence existante, soulignant que, en raison du secret de rédaction garanti par la Constitution, aucun matériel ne pouvait être saisi auprès des professionnels des médias dans le cadre d’enquêtes pour violation du secret de fonction. La protection des sources s’applique à toute personne participant à la diffusion de contenus médiatiques, dès lors qu’elle a pu avoir connaissance d’informations couvertes par le secret de rédaction, y compris les éditeurs et les membres de la direction d’une entreprise de médias. Ce jugement confirme que le Tribunal fédéral suisse continue d’accorder une grande importance à la liberté des médias et, par conséquent, à leur rôle de surveillance.

Zusammenfassung: Im Zusammenhang mit Covid-Geschäften des Bundesrates gelangten vertrauliche Informationen zum Ringier-Verlag. Kurz darauf kam es zu Hausdurchsuchungen beim Informanten und dem Ringier-CEO. Die beschlagnahmten Geräte bzw. die Daten wurden versiegelt. Die von der Bundesanwaltschaft verlangte Entsiegelung lehnte das zuständige Berner Gericht ab. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde im Entscheid 7B_733/2024 ab. Es stützte sich weitgehend auf die bisherige Rechtsprechung und betonte, dass das aufgrund des verfassungsmässig garantierten Redaktionsgeheimnisses bei Medienschaffenden im Zuge von Untersuchungen wegen Amtsgeheimnisverletzungen kein Material beschlagnahmt werden dürfe. Der Quellenschutz gelte für jede Person, die an der Verbreitung von Medienerzeugnissen mitwirke, falls sie vom Redaktionsgeheimnis geschützte Einzelheiten zur Kenntnis nehmen konnte, auch für Verleger oder Direktionsmitglieder eines Medienunternehmens. Das Urteil zeigt, dass das oberste Gericht der Schweiz der Medienfreiheit und damit dem Wächteramt der Medien weiterhin grosse Bedeutung zumisst.

I. Sachverhalt in Kürze:

1

Im Zuge der Strafuntersuchung zur so genannten «Crypto-Affäre» meldete der eingesetzte ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes 2022 der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft, er sei auf Zufallsfunde gestossen, die einen dringenden Tatverdacht auf zahlreiche Amtsgeheimnisverletzungen ergeben würden Der damalige Leiter Kommunikation im EDI, Peter Lauener, habe im Zusammenhang mit Covid-Geschäften des Bundesrates vertrauliche Informationen an Marc Walder, den CEO der Ringier AG, weitergegeben. Kurz darauf wurden am Wohnort und am Arbeitsplatz von Peter Lauener Durchsuchungen durchgeführt und dabei Laptops, Datenträger und die Daten von einem Mobiltelefon sichergestellt. Beim Ringier-CEO wurden ebenfalls Laptops und ein Mobiltelefon sichergestellt. Die Ringier AG übermittelte später noch weitere verlangte Daten.

2

Auf Ersuchen der Betroffenen wurden die Geräte bzw. die Daten versiegelt. Die Bundesanwaltschaft beantragte beim kantonalen Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern die Entsiegelung der sichergestellten Geräte. Mit Entscheid vom 31. Mai 2024 wies das angerufene Gericht das Entsiegelungsgesuch ab, worauf die Bundesanwaltschaft mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht gelangte.

II. Die wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichts

3

Das Bundesgericht hielt in E. 3.1 fest, dass gemäss Art. 264 StPO, der den Quellenschutz regelt, u.a. «Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit Personen nicht beschlagnahmt werden dürfen, die nach den Art. 170 – 173 StPO das Zeugnis verweigern können und im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt sind». Nach Art. 172 StPO könnten Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen das Zeugnis über die Identität der Autorin oder des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern, ausser es handle sich um einen in Art. 172 Abs. 2 StPO ausdrücklich genannten Ausnahmefall. Das Delikt Amtsgeheimnisverletzung werde von diesem Ausnahmekatalog nicht erfasst.

4

Die Bedeutung des Quellenschutzes unterstreicht das Bundesgericht in E. 3.2, indem es auf das unter dem Titel der Medienfreiheit in Art. 17 Abs. 3 BV garantierte Redaktionsgeheimnis sowie auf den Schutz journalistischer Quellen nach Art. 10 Ziff. 1 EMRK hinweist.

5

Nach einem Blick auf die Entstehungsgeschichte von Art. 172 StPO und dem gleichlautenden Art. 28a StGB betont das Bundesgericht, dass es im Ausnahmekatalog von Art. 172 StPO darum gehe, Rechtssicherheit zu schaffen. Medienschaffende seien darauf angewiesen, Informanten vor einer Publikation absolute Diskretion zusichern zu können, was nicht möglich sei, wenn der Schutz vor Enthüllung vom ungewissen Ausgang einer richterlichen Interessenabwägung abhängig sei. Der Quellenschutz Medienschaffender gelte deshalb absolut, «d.h. es findet keine Abwägung kollidierender Interessen statt, wenn die aufzuklärende Straftat nicht im Ausnahmekatalog von Art. 172 Abs. 2 StPO aufgeführt ist» (E. 3.3.1).

6

Der Begriff der «Veröffentlichung von Informationen» gemäss Art. 28a StGB (bzw. Art. 172 StPO) ist gemäss E. 3.3.2 weit auszulegen. Auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Ernsthaftigkeit könne es nicht ankommen. Ebenso unerheblich sei, ob die Information von allgemeinem und öffentlichem Interesse ist. Die Durchbrechung des Quellenschutzes sei auf gewichtige Straftatbestände beschränkt. Eine weite Auslegung des Informationsbegriffs leiste auch keinen Vorschub zum Rechtsmissbrauch. Der Informant könne aus dem Redaktionsgeheimnis keinen direkten Schutz für sich ableiten und habe somit keine Gewähr, dass der Quellenschutz von Seiten des Mediums tatsächlich in Anspruch genommen werde.

7

In Erw. 3.4 geht es um die Frage, wer den Quellenschutz beanspruchen kann. Unter den im Sinne von Art. 28a StGB bzw. Art. 172 Abs. 1 StPO an der Informationsveröffentlichung beteiligten Personen sind «nicht allein die Journalisten im eigentlichen Sinn, also etwa Redaktoren und (Bild-)Reporter, zu verstehen». Eine Beschränkung auf Journalisten trüge den Realitäten der Medienwelt nicht Rechnung, und der Quellenschutz liesse sich durch Befragung anderer am Medienprodukt mitwirkender Personen leicht unterlaufen. Zu den Hilfspersonen, denen gemäss Art. 172 StPO der Quellenschutz ebenfalls zusteht, gehören gemäss Bundesgericht nicht nur Sekretariats- oder Korrektoratspersonal; geschützt werde jede Person, die an der Vorbereitung, Herstellung und Verbreitung von Medienerzeugnissen mitwirke, falls sie aufgrund ihrer Tätigkeit vom Redaktionsgeheimnis geschützte Einzelheiten zur Kenntnis nehmen könne. «Das Redaktionsgeheimnis umfasst damit auch Verleger, Mitglieder der Direktion oder Inhaber eines Medienunternehmens».

8

Unter Bezugnahme auf den bekannten BGE 140 IV 108 in Sachen i.S. Blocher gegen Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, E. 6.5 ff., hielt das Bundesgericht fest, das Beschlagnahmeverbot gelte nicht nur für Gegenstände und Unterlagen, die sich beim Journalisten befinden, sondern auch für solche beim Beschuldigten oder bei Dritten, was das in Art. 264 Abs. 1 lit. c (ebenso wie lit. a und d) StPO enthaltene Wort «Verkehr» verdeutliche. Es betont, dass die Aussicht darauf, dass Inhalte der Kommunikation mit dem Journalisten beim Informanten beschlagnahmt werden könnten, diesen davon abhalten könnte, Journalisten die Information zukommen zu lassen, was dem Wächteramt der Medien abträglich wäre (Erw. 3.5).

9

In Erw. 4.1.2 befasst sich das oberste Gericht mit dem Einwand der Bundesanwaltschaft, die Berufung auf den Quellenschutz sei rechtsmissbräuchlich, «da es vorliegend nicht um die Aufdeckung von Missständen gehe, sondern darum, die Medien zu instrumentalisieren und das Funktionieren der obersten Exekutivbehörde der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu beeinflussen bzw. zu beeinträchtigen». Es verwirft diesen Einwand. Der Gesetzgeber habe das Vertrauensverhältnis zwischen einem Informanten und einem Medienschaffenden höher gewichtet als das strafprozessuale Bedürfnis nach Sachverhaltsaufklärung. Da die Amtsgeheimnisverletzung nicht vom Ausnahmekatalog in Art. 172 Abs. 2 StPO erfasst sei, gelte der Quellenschutz von Medienschaffenden in Verfahren nach Art. 320 StGB ohne Einschränkung. Für die Annahme von Rechtsmissbrauch bestehe kein Raum, «ansonsten der Informant stets Gefahr liefe, dass die von ihm verfolgten Zwecke unter diesem Titel als nicht schützenswert beurteilt würden und ihm der Quellenschutz letztlich versagt bliebe».

III. Anmerkungen

10

Das Urteil des Bundesgerichts befindet sich auf der Linie seiner früheren Entscheide zum Thema Quellenschutz und stützt sich, wo Präjudizien fehlen, auf die herrschende Lehre.

11

Gemäss dem Urteil hat es nach der Revision der Bestimmungen zum Quellenschutz von 1998 bei Strafuntersuchungen zu Delikten wie der Amtsgeheimnisverletzung keinen Platz mehr für eine Abwägung zwischen dem Interesse der Strafverfolgungsbehörden nach Aufklärung von Straftaten einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Publikation von amtsgeheimen Inhalten andererseits. Dies ist inzwischen bewährte Praxis. Schon vor rund 20 Jahren hat das Bundesgericht festgehalten, dass der Ausnahmenkatalog von Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO zwar nicht kohärent formuliert sei, dafür aber Rechtssicherheit schaffe (BGE 132 I 181). Der Quellenschutz kann damit unabhängig von der Motivation eines Informanten, selbst bei einem allfällig «täuschenden Verhalten desselben» (E. 4.1.2) nicht durchbrochen werden, ausser es geht darum, «eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten» (Art. 172 Abs. 2 lit. a StPO) oder um die Aufklärung einer im Ausnahmenkatalog von Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO genannten Straftaten, zu denen Tötungsdelikte und eine Reihe weiterer Verbrechen und schwerer Vergehen gehören.

12

Das Bundesgericht hält wie in früheren Urteilen (z.B. BGE 136 IV 145 E. 3.5 mit Hinweisen) an einem weiten Informationsbegriff fest. Dies sei der Bedeutung der Medienfreiheit und des Redaktionsgeheimnisses in einer demokratischen Gesellschaft geschuldet. Treffend fügt es an, dass diese Sichtweise durch die Systematik der Bestimmung von Art. 28a Abs. 2 StGB (bzw. Art. 172 Abs. 2 StPO) gestützt werde, welche die Durchbrechung des Quellenschutzes auf gewichtige Straftatbestände beschränke.

13

Auch zur Frage, was alles dem Beschlagnahmeverbot unterliegt, gibt es bereits ein Urteil, das vor gut 11 Jahren viel Aufmerksamkeit erregt hatte (BGE 140 IV 108). Die Zürcher Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hatte gegen Christoph Blocher wegen des Verdachts der Gehilfenschaft und der versuchten Verleitung zur Verletzung des Bankgeheimnisses ein Strafverfahren geführt und ihm vorgeworfen, er habe einen Angestellten einer Privatbank, der im Besitz vertraulicher Informationen über Bankgeschäfte des damaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank gewesen sei, bei sich zu Hause empfangen. Dabei habe der Bankangestellte die Informationen offengelegt. Blocher habe in der Folge darauf hingewirkt, den Bankangestellten einem Journalisten zuzuführen, der im Zusammenhang mit den Bankgeschäften des Nationalbankpräsidenten am Recherchieren gewesen sei. Es kam zu einer Durchsuchung im Haus von Christoph Blocher und in Räumlichkeiten einer Aktiengesellschaft. Dabei wurden Unterlagen sichergestellt, die Blocher versiegeln liess. Gegen das vom zuständigen Zwangsmassnahmengericht gutgeheissene Entsiegelungsgesuch führte der Alt-Bundessrat erfolgreich beim Bundesgericht Beschwerde. Schon damals hielt das Bundesgericht fest, das Beschlagnahmeverbot gelte «nicht nur für Gegenstände und Unterlagen, die sich beim Journalisten befinden, sondern auch für solche, die sich beim Beschuldigten oder bei Dritten befinden» (BGE 140 IV 108, E. 6.5). Der aktuelle Entscheid stellt auf dieses Präjudiz von 2014 ab.

14

Keine Präjudizien gab es bis jetzt zur Frage, wer alles den Quellenschutz beanspruchen kann. Aufgrund der diesbezüglich kaum widersprochenen herrschenden Lehre gab es aber ebenfalls wenig zu klären. Natürlich wirkt es auf den ersten Blick etwas befremdend, wenn dem CEO eines grossen Medienunternehmens als «Hilfsperson» Quellenschutz zuerkannt wird. Doch das Bundesgericht legt den im in Art. 172 Abs. 1 StPO verwendeten Begriff der Hilfsperson zu Recht weit aus und fokussiert nicht auf die Hierarchie, sondern trägt «den Realitäten der Medienwelt» Rechnung. Der Zweck des Einbezugs von «Hilfspersonen» in den Quellenschutz besteht darin, eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Befragen von Personen zu vermeiden, die nur «mittelbar zur Veröffentlichung von Informationen beitragen» (E. 3.4). Somit können genauso wie Mitarbeitende in untergeordneter Stellung Mitglieder der Direktion oder Verleger und andere Personen als Hilfspersonen gelten, «die nicht unmittelbar an einer Berichterstattung mitwirken, sondern in allgemeiner Weise zur Veröffentlichung eines Medienprodukts (unterstützend) beitragen». Folgerichtig erklärt deshalb das Bundesgericht, dass sich auch die Ringier AG auf den Quellenschutz müsse berufen können, sorge sie «als Medienunternehmen doch dafür, dass ihre Medienschaffenden die Informationen letztlich publizieren können».

15

Alles in allem lässt sich das Fazit ziehen, dass das oberste Gericht der Schweiz der Medienfreiheit und damit dem Wächteramt der Medien weiterhin grosse Bedeutung zumisst und den Quellenschutz hochhält, was in Zeiten, in denen andernorts versucht wird, die Justiz in den Dienst der Politik zu stellen, nicht mehr so selbstverständlich ist wie es auch schon war.


Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.