Der «fliegende Gerichtsstand» bei Persönlichkeitsverletzung
Die internationale Zuständigkeit am Beispiel einer deutschen Abmahnung – eine Beurteilung aus Schweizer Sicht
Markus Prazeller und Simon Walker, Advokaten, Kanzlei «Wagner Prazeller Hug», Basel
I. Ausgangslage
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Es gehört zum Alltag auf den Rechtsabteilungen Schweizer Verlage: Abmahnungen deutscher Anwälte wegen angeblicher Verletzungen von Urheber- oder Persönlichkeitsrechten, begangen etwa durch die Verwendung eines Bildes oder einer unliebsamen Berichterstattung.
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Mit einer solchen Abmahnung[1] sah sich kürzlich auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) konfrontiert. Absender: Ein Rechtsanwalt aus Berlin, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und gewerblichen Rechtsschutz. Die Berichterstattung der NZZ, so der deutsche Kollege, verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht seines Klienten, weshalb die entsprechenden Aussagen im Artikel gelöscht werden müssten. Darüber hinaus habe die NZZ «gemäss den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. §§ 186 ff. StGB, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK» eine Unterlassungserklärung abzugeben, so die Forderung.Soweit nichts Besonderes. Bemerkenswert am vorliegenden Fall ist jedoch, dass der deutsche Fachanwalt einen Geschäftsmann aus Luzern vertritt, der in der Schweiz wohnt. Wer sich nun wundert, wie ein deutscher Anwalt auf die Idee kommt, bei einem Sachverhalt, der auf den ersten Blick keinen Auslandbezug aufweist, die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu unterstellen, ist in guter Gesellschaft.
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Auch die Rechtsabteilung der NZZ monierte diesen Umstand, was den deutschen Kollegen zur Bemerkung bewog, die Schweiz sei «kein Planet, sondern ein auch deutschsprachiges Land inmitten Europas und direkter Nachbar der Bundesrepublik Deutschland». Das ist zwar sachlich korrekt, jedoch kein juristisch stichhaltiges Argument für die Zuständigkeit deutscher Gerichte und die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Immerhin: Der deutsche Anwalt verwies zumindest auf einen (angeblichen) «Deutschland-Bezug» seines Mandanten, der «recherchierbar» sei, und hielt fest: «Und wenn Sie nun noch die «New York Times-Rechtsprechung des BGH zur Kenntnis nehmen, erschlieβt sich der Rest.»
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Die Autoren nehmen die beschriebene Intervention zum Anlass, sich einerseits mit der «New York Times-Rechtsprechung» des deutschen Bundesgerichtshofs auseinanderzusetzen, andererseits zu erörtern, ob ein vergleichbarer Fall aus dem Ausland in der Schweiz anhängig gemacht werden könnte.
II. Die deutsche Sicht
1. Vorbemerkungen
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Ausgangspunkt unserer Erörterung ist die Abmahnung eines deutschen Anwalts, der die Zuständigkeit deutscher Gerichte unterstellt und die Anwendbarkeit deutschen Rechts behauptet. Würde der Anwalt, wie angedroht, vor einem deutschen Gericht eine Klage gegen den Schweizer Verlag anhängig machen, prüft das angerufene Gericht seine Zuständigkeit nach der lex fori, also seinem eigenen Verfahrensrecht.[2]
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Im Verhältnis zwischen Deutschland und den EU-Mitgliedsstaaten beurteilt sich die internationale Zuständigkeit nach dem supranationalen Unionsrecht, namentlich der EuGVVO oder Brüssel Ia-Verordnung[3]. Hat die Beklagte – wie in unserem Ausgangsfall – ihren Sitz in der Schweiz, sind die einschlägigen völkerrechtlichen Verträge massgebend, mithin das Lugano-Übereinkommen (LugÜ)[4], das zwischen der EU, der Schweiz, Island und Norwegen abgeschlossen wurde. Fehlen supranationale oder völkerrechtliche Regelungen, ist auf das autonome deutsche Zivilprozessrecht abzustellen.[5]
2. New York-Times-Entscheid
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In seiner Korrespondenz mit dem Verlag verweist der deutsche Kollege auf die New-York-Times-Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH). In diesem Urteil aus dem Jahr 2010 äussert sich der BGH zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bei behaupteten Persönlichkeitsverletzungen, begangen durch einen ausländischen Verlag.[6]
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Anlass des Rechtsstreits war ein Artikel in der Online-Ausgabe der «New York Times», in dem über Ermittlungsverfahren der US-amerikanischen Behörden gegen einen in Deutschland lebenden und wirtschaftenden – und im Artikel namentlich genannten – Unternehmer berichtet wurde. Der Mann klagte in Deutschland gegen den US-amerikanischen Verlag. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verneinte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, da der Online-Artikel nicht den «erforderlichen Inlandsbezug» aufweise. Zum einen richte sich die Publikation nicht «gezielt» und «bestimmungsgemäss» an das deutsche Publikum. Zum anderen, so das Oberlandesgericht, vermögen auch die rund 14’000 Leserinnen und Leser mit Wohnsitz in Deutschland, die den Artikel gelesen hätten, keinen hinreichenden Deutschland-Bezug herzustellen, da dies bloss einem halben Prozent der Online-Leserschaft der «New York Times» entspreche.[7] Unter diesen Umständen scheide Deutschland als Begehungsort[8] aus.
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Dieser Auffassung widersprach der Bundesgerichtshof. Er stellt klar: «Entscheidend ist vielmehr, ob die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits, Interesse des Beklagten an der Gestaltung seines Internetauftritts und an einer Berichterstattung andererseits – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann».[9] Oder etwas weniger sperrig formuliert: Für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bedarf es eines deutlichen Inlandbezugs, der über die blosse Aufrufbarkeit des Artikels hinausgeht.
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Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes kann dieser Bezug aber nicht so weit gehen, als dass sich der Inhalt der inkriminierten Aussagen «gezielt» und «bestimmungsgemäss» an ein deutsches Publikum richten müsse. Dieses Kriterium sei bei Wettbewerbsverletzungen sinnvoll, werde jedoch dem Persönlichkeitsrecht nicht gerecht, bei dem nicht ein räumlich definierter Markt zu schützen ist, sondern der Achtungsanspruch des Klägers.[10] Ebenfalls keine entscheidende Rolle spiele die Anzahl von Abrufen durch eine deutsche Leserschaft, da der eingeklagte Unterlassungsanspruch auf die Zukunft gerichtet sei und keiner eingetretenen Rechtsverletzung bedürfe.[11]
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Im vorliegenden Fall war der erforderliche Inlandsbezug laut Bundesgerichtshof zu bejahen, weil die inkriminierten Aussagen den Ruf des klagenden Unternehmers in Deutschland, wo er lebe und geschäftlich tätig sei, stören bzw. gefährden würden.[12]
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Die mit dem New York-Times-Entscheid dargelegte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überzeugt, weil sie die Ratio des Persönlichkeitsrechts berücksichtigt und von Medienartikel Betroffenen eine Alternative zum Beklagtenforum eröffnet. Gleichzeitig wird durch das Erfordernis eines qualifizierten Inlandbezugs ein unkontrollierbares «forum runnig» verhindert, wie es – im Kontext Deutschland/Schweiz – zuweilen im Urheberrecht zu beobachten ist.
3. eDate-Urteil des EuGH
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Im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zueinander sticht das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Sache eDate Advertising GmbH u.a. gegen X und Société MGN LIMITED hervor.[13] In einem Vorabentscheidungsverfahren hatte der EuGH Fragen zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen auf Webseiten und damit zur Tragweite des Art. 5 Nr. 3 der Brüssel Ia-Verordnung in der damaligen Fassung[14] zu beantworten.
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Der EuGH hielt fest, dass die verletzte Person Klage bei den Gerichten des Mitgliedstaats einreichen kann, in dem das Medium seinen Sitz hat – oder sie an die Gerichte des Mitgliedstaats gelangen kann, in dem sich der «Mittelpunkt ihrer Interessen» befindet. In beiden Varianten kann der gesamte Schaden eingeklagt werden. Sodann bejaht der EuGH die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der inkriminierte Inhalt zugänglich ist oder war – jedoch mit der Einschränkung, dass diese Gerichte nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig sind, der im Gerichtsstaat verursacht wurde.[15] Die internationale Zuständigkeit wird damit deutlich weiter gefasst als im «New York Times»-Urteil des BGH, auch wenn sich die Geltendmachung eines länderspezifischen Schadens in der Praxis als schwierig bzw. wenig opportun erweisen dürfte.
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Zur Wendung des «Mittelpunktes der Interessen» hält der EuGH fest: «Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, entspricht im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Jedoch kann eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich nicht gewöhnlich aufhält, sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können.»[16] Es wird unter Rz. 26 hiernach detailliert auf dieses Erfordernis eingegangen.
4. Feststellung
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Welche Zuständigkeitsregeln zur Anwendung gelangen, hängt im Wesentlichen vom rechtsrelevanten Sachverhalt und der Frage ab, ob ein Unionsbezug vorliegt. Im persönlichkeitsrechtlichen Kontext erteilen jedoch sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof dem Konzept des exorbitanten Gerichtsstands eine Absage. Die internationale Zuständigkeit verlangt einen qualifizierten Bezug zum Ort des angerufenen Gerichts.
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Ein pauschaler Verweis auf einen vermeintlichen «Deutschland-Bezug», wie in unserem Ausgangsfall, vermag die vom BGH und vom EuGH definierten Anforderungen freilich nicht zu erfüllen. Verlangt wird vielmehr eine besondere Nähe zum Gerichtsstand, die im vorliegenden Fall in Bezug auf Deutschland nur schwer zu begründen sein dürfte. Zudem wird in der Abmahnung unterschlagen, dass die Zuständigkeit vorliegend nach Massgabe des LugÜ ermittelt würde – und mithin anhand der eDate-Rechtsprechung zu beurteilen wäre (vgl. Rz.26 ff. hiernach). Das New York Times-Entscheidung ist da nur begrenzt hilfreich.
III. Die Schweizer Sicht
1. Vorbemerkung
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In diesem Abschnitt richten wir den Blick nun auf den umgekehrten Fall: Wie würde es sich verhalten, wenn ein ausländischer Staatsbürger in der Schweiz gegen ein Medium in seinem Wohnsitzstaat klagen wollte. Es wird erörtert, nach welchen Voraussetzungen sich eine Schweizer Zuständigkeit im internationalen Privatrecht bestimmt und ob sich ein Schweizer Gericht in der vorgenannten Ausgangslage für zuständig erklären würde.
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Die Anwendbarkeit des Kollisionsrechts setzt einen internationalen Sachverhalt voraus.[17] Die Art und Intensität des notwendigen Auslandsbezugs wird gesetzlich nicht definiert und ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen.[18] In der Regel ist bei einem ausländischen Wohnsitz einer Partei von einem internationalen Sachverhalt auszugehen. Anknüpfungspunkte für einen ausländischen Sachverhalt können zudem ein Handlungs- oder Erfolgsort im Ausland bilden.[19] Da im vorliegenden Beispiel eine ausländische Person gegen ein ausländisches Unternehmen in der Schweiz klagen möchte, liegt aus Schweizer Sicht zweifelsohne ein internationaler Sachverhalt vor.
20
Massgebend für die Frage der Zuständigkeit der Schweizer Gerichte bei internationalen Sacherhalten ist im Privatrecht das Kollisionsrecht. In erster Linie richtet sich das internationale Privatrecht nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG). Dieses regelt im internationalen Verhältnis unter anderem die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte oder Behörden (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a IPRG). Das IPRG äussert jedoch einen Vorbehalt gegenüber völkerrechtlichen Verträgen, die den Bestimmungen des IPRG vorgehen (vgl. Art. 1 Abs. 2 IPRG). Neben dem IPRG ist im EU-Raum für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit insbesondere das Lugano-Übereinkommen (LugÜ) von zentraler Bedeutung. Es wird im Nachfolgenden auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach IPRG sowie nach LugÜ eingegangen. Weitere Abkommen werden in diesem Beitrag nicht behandelt.
2. LugÜ / IPRG als Ausgangspunkt
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Das IPRG bestimmt, dass für Ansprüche aus einer Persönlichkeitsverletzung die Bestimmungen über die unerlaubte Handlung gelten (vgl. Art. 33 Abs. 2 IPRG). Das IPRG sieht für unerlaubte Handlungen einen schweizerischen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten oder, sofern ein solcher fehlt, am gewöhnlichen Aufenthalt vor (Art. 129 Abs. 1 IPRG). Zusätzlich besteht eine Zuständigkeit der Schweizer Gerichte am Handlungs- und am Erfolgsort. (Art. 129 Abs. 1 IPRG).
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Auch das Lugano-Übereinkommen ordnet für unerlaubte Handlungen oder ihnen gleichgestellte Handlungen einen Gerichtsstand am Ort an, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist bzw. einzutreten droht (vgl. Art. 5 Ziff. 3 LugÜ).
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Beide Rechtsquellen – IPRG und LugÜ – sehen somit den Erfolgsort als möglichen Gerichtsstand vor. Zur Auslegung der Begriffe „Handlungsort“ und „Erfolgsort“ im IPRG ist die Auslegung der Begriffe nach dem LugÜ heranzuziehen, insbesondere im Hinblick auf dessen Entstehungsgeschichte und zur Koordinierung der Zuständigkeitsregeln.[20]
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Der Erfolgsort ist jener Ort, an dem das geschützte Rechtsgut verletzt wird.[21] Wird ein persönlichkeitsverletzendes Medienerzeugnis über das Internet verbreitet, kann die Verletzung grundsätzlich überall dort eintreten, wo der Inhalt abrufbar ist.[22] Daraus ergibt sich eine potenziell unbegrenzte Anzahl an Gerichtsständen, da der Eingriff an jedem Ort denkbar ist, an dem die inkriminierte Aussage zugänglich ist (sogenannter „fliegender Gerichtsstand“). Das birgt die Gefahr eines «forum running», bei dem die Parteien gezielt den für sie günstigsten Gerichtsstand wählen.[23]
3. Zuständigkeit nach LugÜ: Die Mosaiktheorie
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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich im Rahmen seiner Rechtsprechung gegen die Ansicht gestellt, ein Erfolgsort liege nur dort vor, wo ein Inhalt bestimmungsgemäss abrufbar ist oder der Inhalt ein besonderer Bezug zum Erfolgsort aufweist[24]. Eine Einschränkung nimmt der EuGH insofern vor, als dass er die Kognition der Gerichte am Erfolgsort einschränkt.[25] So kann das Gericht am Erfolgsort nur über den im jeweiligen Staat eingetretenen Schaden befinden.[26] Sofern die klagende Partei auf den gesamten Schaden klagen möchte, muss sie dies am Handlungsort oder am Wohnsitz der beklagten Partei tun.[27] Diese Aufteilung der Schadenersatzansprüche je Erfolgsort wird als Mosaikprinzip bzw. Mosaiktheorie bezeichnet.[28]
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Diese Grundprämisse erweitert der EuGH mit seinem Entscheid eDate Advertising GmbH vom 25. Oktober 2011[29]. Der EuGH erlaubt zusätzlich die Geltendmachung des gesamten Schadens am Ort, an dem sich der Erfolg verwirklich hat, nämlich dort, wo sich der Mittelpunkt der Interessen des mutmasslichen Opfers befindet. Bezüglich des Mittelpunktes der Interessen führt der EuGH an, dass es sich im Allgemeinen um den gewöhnlichen Aufenthalt der Person handeln wird. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass eine Person den Mittelpunkt ihres Interesses auch in einem anderen Mitgliedstaat haben kann, sofern Indizien, wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können. Der EuGH schafft mit dieser Rechtsprechung neben den beiden bestehenden einen weiteren Gerichtsstand, an dem das Gericht über den vollen Schadenersatzanspruch urteilen kann.
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Das Mosaikprinzip ist nicht nur auf Schadenersatzansprüche anwendbar, sondern gilt auch für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche sowie für Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz, soweit die Ansprüche teilbar sind.[30] Nicht teilbar, sondern einheitlich und untrennbar sind gemäss der Rechtsprechung des EuGH die Begehren auf Richtigstellung oder Entfernung von Inhalten sowie Unterlassungsansprüche.[31] Bei Ansprüchen, die nicht teilbar sind, besteht analog wie bei der Geltendmachung des Gesamtschadens nur eine Zuständigkeit bei einem Gericht mit voller Kognition, namentlich am Handlungsort, am Ort des Wohnsitzes der beklagten Partei sowie bei einer Persönlichkeitsverletzung über das Internet am Erfolgsort, an dem sich der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person befindet[32].
28
Fraglich ist, was diese Erkenntnis für einen persönlichkeitsrechtlichen Feststellunganspruch nach Schweizer Recht bedeutet. Pro memoria: Ein Feststellungsanspruch setzt voraus, dass sich die Persönlichkeitsverletzung weiterhin störend auswirkt. Zudem kann dem Feststellungsanspruch eine beseitigende Wirkung zukommen.[33] Diese Umstände sprechen nach Ansicht der Autoren dafür, den Feststellunganspruch analog des Richtigstellungs- und Beseitigungsanspruchs zu behandeln. Dies, da diese Ansprüche ebenfalls primär darauf abzielen, einen Zustand, der sich störend auswirkt, zu beseitigen. Für einen Feststellungsanspruch muss deshalb ebenfalls gelten, dass dieser nur am Handlungsort, am Wohnsitz der beklagten Partei oder am Erfolgsort, an dem der Interessensmittelpunkt der betroffenen Person liegt, eingeklagt werden kann. Ein Feststellunganspruch kann zudem nicht geteilt werden. Er bildet damit einen einheitlichen Streitgegenstand. Wird also ein Feststellunganspruch anhängig gemacht, kann dieser infolge der erfolgten Rechtshängigkeit (res judicata) nicht bei einem weiteren Gericht geltend gemacht werden – im Gegensatz zu teilbaren Schadenersatzansprüchen. Es ist deshalb angebracht, dass der Feststellungsanspruch nur bei Gerichten mit voller Kognition eingeklagt werden kann, andernfalls ein fliegender Gerichtsstand für den Feststellungsanspruch für über das Internet erfolgte Persönlichkeitsverletzungen bestehen würde – was mit der Rechtsprechung des EuGH nicht im Einklang stünde.
29
Zurückkommend auf die ursprüngliche Fragestellung – eine ausländische Person möchte in der Schweiz gegen ein ausländisches Medienunternehmen klagen, dessen Inhalte hier abrufbar sind – muss deshalb vorerst geklärt werden, welche Ansprüche geltend gemacht werden. Ein Gerichtsstand in der Schweiz kann sich im vorliegenden Beispiel nur aufgrund des Erfolgsorts ergeben. Sowohl der Handlungsort, nämlich die Publikation der inkriminierten Berichterstattung, als auch der Sitz des verantwortlichen Unternehmens liegen nämlich im Ausland. Ob am Erfolgsort ein Gerichtsstand besteht, hängt nach der vorerwähnten Rechtsprechung des EuGH davon ab, welche Ansprüche geltend gemacht werden sollen.[34] Sind die Ansprüche teilbar, insbesondere auf die Schweiz entfallende Schadensforderungen, kann die Forderung in der Schweiz als Erfolgsort geltend gemacht werden. Bei unteilbaren Ansprüchen muss hingegen geprüft werden, ob die Schweiz als Erfolgsort ein Interessensmittelpunkt der betroffenen Person darstellt, andernfalls kein Gerichtsstand mit voller Kognition besteht. Diese Beurteilung ist jeweils im Einzelfall vorzunehmen. Besteht beispielsweise ein enger geschäftlicher Bezug zur Schweiz, weil die betroffene Person hauptsächlich in der Schweiz beruflich tätig ist, kann ein Interessensmittelpunkt in der Schweiz bejaht werden. Besteht hingegen kein besonderer Bezug zur Schweiz, wird eine Zuständigkeit von Schweizer Gerichten folglich abzulehnen sein.
30
Daraus folgt, dass für Ansprüche aus Persönlichkeitsverletzungen im Internet, die gestützt auf das LugÜ in der Schweiz als Erfolgsort geltend gemacht werden, ähnlich wie nach deutscher und europäischer Rechtsprechung (vgl. Rn. 16 hiervor) ein besonderer Anknüpfungspunkt zur Schweiz vorausgesetzt wird, soweit sich der Streitgegenstand nicht auf teilbare Ansprüche beschränkt.
4. Zuständigkeit nach IPRG
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Die in Art. 129 Abs. 1 IPRG bezeichnenden Gerichtsstände am Handlungs- bzw. Erfolgsort sind keine subsidiären, sondern alternative Gerichtsstände – dies im Gegensatz zur altrechtlichen Regelung.[35] Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als auch nach der herrschenden Lehre wird angenommen, dass sich bei Persönlichkeitsverletzungen der Erfolgsort in erster Linie dort befindet, wo die betroffene Person ihren Wohnsitz bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder den Lebensmittelpunkt hat.[36] Das Bundesgericht hält fest, dass der Lebensmittelpunkt einer Person nicht zwingend deckungsgleich mit deren Wohnsitz sein muss. So kann beispielsweise der Lebensmittelpunkt bei einem vorübergehenden ausländischen Wohnsitz trotzdem im Ursprungsland verbleiben, zum Beispiel bei Studenten.[37] Gewisse Autoren sehen bei einem Bezug zur beruflichen Tätigkeit der betroffenen Person, und soweit das berufliche Ansehen tangiert ist, zudem am gewöhnlichen Arbeitsort einen Erfolgsort – die Rede ist wiederum vom Interessensmittelpunkt.[38] Es besteht in der Lehre mehrheitlich Einigkeit darüber, dass bei einer Persönlichkeitsverletzung zur Begründung eines Gerichtsstands in der Schweiz über den Erfolgsort hinaus ein zusätzlicher Bezug zur Schweiz bestehen muss.[39] Damit gelten nach dem Schweizer IPRG ähnliche Voraussetzungen für eine Zuständigkeit wie in Deutschland bzw. Europa, wo ebenfalls ein besonderer Bezug verlangt wird (vgl. Rz. 16 hiervor). Die Übernahme der vom EuGH entwickelten Mosaiktheorie wird für das schweizerische IPRG in der Lehre – mit unterschiedlicher Begründung – mehrheitlich abgelehnt.[40]
5. Feststellungen
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Die Voraussetzung, dass ein besonderer Bezug zur Schweiz bestehen muss, damit in der Schweiz gestützt auf den Erfolgsort ein Gerichtsstand begründet werden kann, überzeugt. Einer in der Schweiz lebenden Person, die sich mit einer Persönlichkeitsverletzung in einem ausländischen Medium konfrontiert sieht, soll es auch als klagende Partei möglich sein, in der Schweiz zu klagen.[41] Hingegen besteht kein Anlass, Personen, die keinen Bezug zur Schweiz aufweisen, einen Gerichtsstand in der Schweiz zu eröffnen. Es ist naheliegend, dass sich eine Persönlichkeitsverletzung insbesondere am Lebensmittelpunkt der betroffenen Person auswirkt. In Ländern, zu denen die betroffene Person kaum oder keine Anknüpfungspunkte aufweist, wird die Persönlichkeitsverletzung nicht im gleichen Ausmass spürbar sein. Es ist deshalb dogmatisch richtig, wenn diejenigen Gerichte über eine geltend gemachte Persönlichkeitsverletzung entscheiden, die den nächsten Sachbezug zur behaupteten Verletzung aufweisen. Zumal es der betroffenen Person unbenommen bleibt, ein erwirktes Urteil auch in weiteren Ländern zu vollstrecken.
33
Wendet man das vorab Ausgeführte auf das Fallbeispiel an, wonach eine ausländische Person gegen ein ausländisches Unternehmen in der Schweiz klagen will, würde eine Schweizer Zuständigkeit wohl nur bejaht werden, wenn die betroffene Person einen besonderen Bezug zur Schweiz nachweisen kann. Sei dies, weil sie nur vorübergehend im Ausland wohnt, oder weil sie nachweisen kann, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit über eine besondere Nähe zur Schweiz verfügt.
34
Die blosse Abrufbarkeit des inkriminierenden Inhalts über das Internet wäre hingegen nicht ausreichend, um eine Schweizer Zuständigkeit nach IPRG zu begründen.
IV. Fazit
35
Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse lässt sich für unseren Ausgangsfall und seine Variante was folgt feststellen: Vorderhand ist zu bestimmen, nach welchem Kollisionsrecht die Zuständigkeit zu ermitteln ist. Ist wie in unseren beiden Ausgangsfällen das Lugano-Übereinkommen anwendbar, ist zu fragen, welche Ansprüche geltend gemacht werden: Bei teilbaren Ansprüchen kann an jedem Erfolgsort der jeweilige, auf das Land entfallende Teilanspruch geltend gemacht werden. Sofern der gesamte Schaden geltend gemacht werden möchte, ist an einem Gericht mit voller Kognition zu klagen (Handlungsort oder Sitz der beklagten Partei und am Erfolgsort, an dem der Interessensmittelpunkt liegt).
36
Unteilbare Ansprüche können nur an einem Gericht mit voller Kognition geltend gemacht werden. Dies hat insbesondere auch für den Unterlassungsanspruch zu gelten, den der deutsche Kollege im Ausgangsfall geltend machen will. Konkret dürfte sich ein deutsches Gericht unter Berücksichtigung des Gesagten nur dann für zuständig erklären, wenn in Deutschland ein Interessensmittelpunkt besteht.
37
Nach Massgabe des IPRG fällt die Beurteilung einfacher aus: Eine Klage ist am Handlungsort oder am Sitz der beklagten Partei einzureichen. In der Schweiz als Erfolgsort kann unabhängig davon, ob die Ansprüche teilbar bzw. unteilbar sind, nur geklagt werden, wenn ein besonderer Bezug zur Schweiz besteht. Die blosse Abrufbarkeit ist hingegen nicht ausreichend.
Fussnoten:
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Die Rechtsabteilung der NZZ hat den Autoren die Abmahnung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Die vorliegende Abhandlung erfolgt jedoch ohne Instruktion und Auftrag. ↑
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Statt vieler Junker, Internationales Zivilprozessrecht, § 2 N. 45. ↑
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Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007. ↑
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Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, SR 0.275.12. ↑
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Junker, Internationales Zivilprozessrecht, § 21 N. 3. ↑
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BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09. ↑
-
BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, Rn. 9. ↑
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Die Beurteilung erfolgte nach Massgabe von § 32 der deutschen ZPO, wonach für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist, wobei als Begehungsort sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort infrage kommt. ↑
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BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, Rn. 25. ↑
-
BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, Rn. 23. ↑
-
BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, Rn. 24. ↑
-
BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 23/09, Rn. 28. ↑
-
EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – Rechtssachen C‑509/09 & C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685. ↑
-
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1–23. ↑
-
EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – Rechtssachen C‑509/09 & C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685, Rn. 52. ↑
-
EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – Rechtssachen C‑509/09 & C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685, Rn. 49. ↑
-
Schnyder/Liatowitsch, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Rz. 1 f. ↑
-
BGE 131 III 76 E. 2.3. ↑
-
OFK/IPRG/LugÜ-Kren Kostkiewicz, IPRG 129 N 1. ↑
-
BSK IPRG-Rodriguez/Krüsi/Umbricht, Art. 129 N 16. ↑
-
BGE 113 II 476 E. 3 a. ↑
-
David Rosenthal, Das auf unerlaubte Handlungen im Internet anwendbare Recht am Beispiel des Schweizer IPR, AJP/PJA 11/97, S. 1343. ↑
-
Alexander Kernen, Persönlichkeitsverletzungen im Internet, Rz. 517. ↑
-
BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 596. ↑
-
BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 630. ↑
-
Dasser/Oberhammer-Oberhammer, Art. 5 LugÜ N 122. ↑
-
Schnyder/Sogo-Acocella, Art. 5 LugÜ N 254. ↑
-
Vgl. Dasser/Oberhammer-Oberhammer, Art. 5 LugÜ N 122 sowie Schnyder/Sogo-Acocella, Art. 5 LugÜ N 255. ↑
-
EuGH, C-509/09 und C-161/10 vom 25. Oktober 2025, eDate Advertising c. X / Olivier Martinez u. Robert Martinez c. MGN. ↑
-
Schnyder/Sogo-Acocella, Art. 5 LugÜ N 255 m.w.H. ↑
-
EuGH, C-194/16 vom 17. Oktober 20, Bolagsupplysningen, Ilsjan c. Svensk Handel sowie BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 634 sowie Schnyder/Sogo-Acocella, Art. 5 LugÜ N 258c. ↑
-
BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 5 N 634. ↑
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Vgl. BGE 122 III 449 E. Regeste sowie E. 2a und 2b. ↑
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Dies unter der Annahme, dass Schweizer Gerichte die Rechtsprechung des EuGH bei der Beurteilung der Zuständigkeit berücksichtigen. ↑
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BSK IPRG-Rodriguez/Krüsi/Umbricht, Art. 129 N 12. ↑
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BGer 5A_812/2015 vom 6. September 2025 E. 5.1.2, BSK IPRG-Rodriguez/Krüsi/Umbricht, Art. 129 N 30, ZK IPRG-Volken/Göksu, Art. 129 N 53 sowie OFK/IPRG/LugÜ-Kren Kostkiewicz, IPRG 129 N 24. ↑
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BGer 5A_812/2015 vom 6. September 2025 E. 5.1.2. ↑
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ZK IPRG-Volken/Göksu, Art. 129 N 53. ↑
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Vgl. BGer 5A_812/2015 vom 6. September 2025 E. 5.1.1 m.w.H. ↑
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Vgl. BSK IPRG-Rodriguez/Krüsi/Umbricht, Art. 129 N 28 und ZK IPRG-Volken/Göksu, Art. 129 N 50. ↑
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Vgl. OFK/IPRG/LugÜ-Kren Kostkiewicz, IPRG 129 N 24. ↑