Meinungsfreiheit im Lichte der Programmgrundsätze
Rechtsprechungsübersicht 2024 der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI
Oliver Sidler, Dr. iur., Rechtsanwalt, Küssnacht am Rigi
I. Überblick
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Von den 37 erledigten Beschwerdeverfahren hat die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) im letzten Jahr 33 materiell-rechtlich beurteilt (2023: 23). Auf vier Beschwerden wurde nicht eingetreten (2023: 8). Gutgeheissen wurden sieben, teilweise gutgeheissen drei Beschwerden. Bei 23 Beschwerden wurde keine Verletzung des programmrechtlichen Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG oder Vielfaltsgebot von Art. 4 Abs. 4 RTVG festgestellt. Im Folgenden wird eine Auswahl der im Jahr 2024 abgeschlossenen Verfahren vorgestellt.
II. Nichteintretensentscheide
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Die meisten Nichteintretensentscheide betrafen Fälle, bei denen die formellen Voraussetzungen zur Beschwerdeführung nicht vollständig gegeben waren. Entweder lag keine enge Beziehung zum Sendegegenstand im Sinne von Art. 94 Abs. 1 RTVG vor, oder die Beschwerdeführenden reichten innert der gesetzten Nachfrist nicht die notwendigen Unterzeichner nach, um den Voraussetzungen für eine Popularbeschwerde gemäss Art. 94 Abs. 2 RTVG zu genügen. Ein öffentliches Interesse für eine Entscheidfassung i.S. von Art. 96 Abs. 1 RTVG wurde nicht festgestellt.
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Im Verfahren b.1000 waren die formellen Voraussetzungen für eine Popularbeschwerde erfüllt, die Beanstandung bezog sich aber nicht auf den Online-Artikel vom April 2024 der RTS-Webseite selbst, sondern auf eine verlinkte Sendung aus dem November 2023, zu deren Anfechtung die Frist längst abgelaufen war. Die Einbettung der Videos in den Artikel wurde von der UBI nicht als Neuauflage oder Neuausstrahlung des ursprünglichen Inhalts gewertet. Auch der Umstand, dass die Beiträge noch online abrufbar waren, vermochte die Fristen nicht erneut zu starten. Aus diesem Grund wurde auf die Beschwerde wegen unzureichender Begründung und versäumter Fristen nicht eingetreten.
III. Erhöhte Sorgfaltspflichten vor Wahlen und Abstimmungen
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Eine Popularbeschwerde richtete sich gegen das Wahldossier von SRF (verschiedene TV-, Radio- und Onlineformate, insb. mehrere „Arena“-Sendungen, das „Wahlbarometer“, der „Parteiencheck“ sowie ein kritisierter Online-Artikel vom 10. Oktober 2023) zur Nationalratswahl 2023, die sich auf den Zeitraum von August bis Oktober 2023 bezieht. Der Beschwerdeführer rügte insbesondere die ungleiche Behandlung kleiner Parteien, namentlich der EDU im Vergleich zur EVP, sowie eine unfaire Berichterstattung in einzelnen Sendungen. Er machte geltend, dass das Vielfaltsgebot gemäss Art. 4 Abs. 4 RTVG verletzt worden sei. Zusätzlich kritisierte er einen Online-Artikel, in dem die EDU als „Rechtsaussen-Partei“ bezeichnet wurde, wegen Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots.
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Die UBI erinnerte in ihrem Entscheid daran, dass bei Wahlsendungen in der sensiblen Phase vor dem Urnengang erhöhte Anforderungen an die Vielfalt und Ausgewogenheit gestellt werden. Sie wies darauf hin, dass nicht alle Parteien gleichbehandelt werden müssen – die Programmautonomie gestattet eine Gewichtung, sofern diese auf objektiven, transparenten und nicht-diskriminierenden Kriterien, wie etwa die Fraktionsstärke im Parlament, die Sitzanzahl auf kantonaler Ebene oder die nationale Präsenz beruht.
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Im Fall des Wahldossiers stellte die UBI fest, dass den sechs grossen Parteien (SVP, SP, FDP, Die Mitte, Grüne, GLP) der meiste Raum eingeräumt wurde, während kleinere Parteien wie die EVP und die EDU weniger Beachtung fanden. Zwar wurde die EDU nur in einer „Arena“-Sendung eingeladen (25. August 2023), während die EVP mehrfach vertreten war, doch wurde sie in anderen Formaten wie dem Online-Steckbrief oder dem Regionaljournal erwähnt. Auch wenn die Gewichtung innerhalb der Wahlsendungen nicht ganz transparent oder einheitlich erfolgte, wurde darin keine unzulässige Diskriminierung gesehen. Die grössere Mandatsanzahl der EVP auf Bundes- und Kantonsebene wurde als sachlicher Grund für die differenzierte Behandlung akzeptiert.
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Ebenso wurde der „Parteiencheck“ auf Radio SRF 1 beanstandet, da dort die EVP, aber nicht die EDU berücksichtigt wurde. Auch hier verwies die UBI auf sachliche Gründe wie die grössere parlamentarische Präsenz der EVP und betonte, dass die EDU in weiteren regionalen Beiträgen zur Sprache kam. Die UBI befand daher, dass auch hier keine Verletzung des Vielfaltsgebots vorlag.
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Bezüglich des Online-Artikels «Das sind die Erfolgsaussichten der Massnahmen-Kritiker» vom 10. Oktober 2023 stellte die UBI jedoch eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots fest. Im Artikel wurde die EDU als „Rechtsaussen-Partei“ bezeichnet, was laut UBI nicht den Tatsachen entsprach, insbesondere im Lichte von neutralen Wahlhilfeplattformen wie Smartvote. Die Bezeichnung sei geeignet gewesen, das öffentliche Bild der Partei zu verzerren – insbesondere in der sensiblen Phase vor den Wahlen. Zwar korrigierte SRF den Artikel wenige Tage später und ersetzte den Ausdruck durch „rechtsbürgerliche EDU“, doch wertete die UBI die ursprüngliche Formulierung als journalistisch unzulässig und als Einflussnahme auf die Meinungsbildung. Infolgedessen wurde die Beschwerde in diesem Punkt gutgeheissen.
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In der publizierten abweichenden Meinung des Präsidiums wurde die Abweisung der Verletzung des Vielfaltsgebots kritisiert und darauf hingewiesen, dass die EDU als eine von acht Nationalratsparteien der Deutschschweiz in der sensiblen Phase vor den Wahlen mehrfach ungleich behandelt wurde – insbesondere durch ihre Nichtberücksichtigung in der „Arena“-Sendung vom 6. Oktober 2023, im „Parteiencheck“ und im „Wahlbarometer“, wo sie unter „übrige Parteien“ subsumiert wurde. Die Begründung, die EVP sei die „grösste der Kleinparteien“, sei nicht tragfähig. Eine vollständige politische Meinungsvielfalt sei unabdingbar für eine funktionierende Demokratie – die SRF hätte dies sorgfältiger beachten müssen (b.967).
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Fernsehen SRF porträtierte in der Sendung «Reporter» vom 29. November 2023 den Oberwalliser Renato Jordan und begleitete den Initianten eines Solarprojekts in den Alpen («Gondosolar») während eines Jahres. Die Sendung wurde am 30. November 2023 noch einmal auf SRF Info ausgestrahlt. In einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde beanstandet, dass dem Projektinitianten deutlich mehr Raum zur Darstellung seiner Sichtweise gegeben worden sei als den Kritikerinnen und Kritikern. Zudem sei der Beitrag geeignet gewesen, die am 10. Dezember 2023 anstehenden Volksabstimmungen in Grengiols sowie die bis Januar 2024 laufende Unterschriftensammlung gegen das neue Stromversorgungsgesetz zu beeinflussen.
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Die UBI vermochte keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots erkennen, da der Beitrag transparent darstellte, dass Jordans Projekt nicht unumstritten war und die Redaktion dem Protagonisten durchaus kritisch mit entsprechenden Fragen begegnete. Sie stellte auch keine Verletzung des Vielfaltsgebots fest, auch wenn der Beitrag in der sensiblen Phase vor der Abstimmung in Grengiols ausgestrahlt wurde. Zwar befanden sich unter den gezeigten Stimmen zur Abstimmung überwiegend Befürworter, doch wurde diese Darstellung durch die klare und medienwirksam präsentierte Gegenpositionen relativiert. Es sei keine „intensive“ Stellungnahme im Sinne politischer Werbung erfolgt. Angesichts der begrenzten Anzahl Aussagen zur Abstimmung und des übergeordneten Beitragsfokus (Gondosolar-Projekt) sei ein ausreichendes Mindestmass an Ausgewogenheit gewahrt geblieben (b.983).
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In der sensiblen Phase vor Abstimmungen und Wahlen müssen in Wahl- und Abstimmungssendungen erhöhte journalistische Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Gegen diesen programmrechtlichen Grundsatz und letztlich Art. 4 Abs. 4 RTVG verstiess Radio Télévision Suisse (RTS) mit der Sendung «Forum» vom 2. November 2023. Für den zweiten Wahlgang zu den Ständeratswahlen im Kanton Genf bewarben sich sechs Personen. In der beanstandeten Diskussionssendung wurden nur vier Kandidaten und Kandidatinnen eingeladen und in der Anmoderation oder während der Diskussionssendung nie darauf hingewiesen, dass sich zwei weitere Kandidatinnen von Kleinparteien um den Sitz in den Ständerat bewarben. Die UBI erinnerte an die Programmautonomie der Veranstalter, aber auch an den erhöhten Informationsbedarf der Öffentlichkeit vor Wahlen und Abstimmungen. Kleinparteien dürften im Vergleich zu grossen Parteien eine geringere mediale Präsenz erhalten, solange dies auf objektiven, nichtdiskriminierenden Kriterien beruht. Dennoch seien grundlegende Informationen über alle Kandidierenden obligatorisch, insbesondere deren Existenz und Zugehörigkeit. Die 50 Sekunden Sendezeit für eine Kandidatin und deren Partei in der am Morgen des gleichen Tags ausgestrahlten Sendung «Matinale» vermochte keine angemessene Kompensation darstellen für die Nicht-Erwähnung der beiden Kandidatinnen in der Hauptdiskussionssendung (b. 987).
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Ebenfalls in der sensiblen Phase vor der Volksabstimmung im Kanton Bern vom 3. März 2024 über eine Änderung der Kantonsverfassung zur Einführung der dringlichen Gesetzgebung informierte Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) am 16. Februar 2024 im «Regionaljournal Bern, Freiburg, Wallis» und gleichentags im Online-Artikel «Abstimmung Kanton Bern – Der Kanton soll in Krisen sofort handeln können» über diese Vorlage. Beanstandet wurde, dass Argumente des Nein-Komitees kaum berücksichtigt worden seien, insbesondere sei keine Person aus dem gegnerischen Lager zu Wort gekommen, und es sei der Eindruck entstanden, dass es sich bei der Gegnerschaft – unzutreffend – ausschliesslich um Kritiker der Corona-Massnahmen handle.
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Die UBI stellte fest, dass der Radiobeitrag tendenziell zugunsten des Ja-Lagers ausgestaltet war. Die Vizepräsidentin des Kantonsparlaments durfte mehrfach ausführlich Stellung nehmen und dabei insbesondere die Argumente der Gegnerschaft widerlegen. Diese wiederum kam nicht mit einer O-Ton-Stimme zu Wort, sondern wurde nur kurz zusammengefasst erwähnt. Die Redaktion bezeichnete die Gegnerschaft pauschal als massnahmenkritisch und verband sie mit Organisationen wie „Mass-Voll“ und „Freunde der Verfassung“. Dass auch andere Gruppierungen beteiligt waren (z. B. Junge SVP, Schweizer Demokraten, PdA), wurde nicht erwähnt. Damit sei das Vielfaltsgebot, aber auch das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt worden, da zentrale Informationen über die Zusammensetzung des gegnerischen Komitees sowie wichtige Gegenargumente nicht korrekt oder vollständig wiedergegeben worden seien, meinte die UBI. Das Publikum konnte sich somit keine eigene Meinung bilden. Ähnlich beurteilte die UBI auch den Online-Beitrag zu Sendung (b. 995).
IV. Gesteigerte Anforderungen an Transparenz und Sorgfaltspflicht bei schwerwiegenden Vorwürfen
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«Bei Sendungen, in denen schwerwiegende Vorwürfe gegenüber Personen erhoben werden und die so ein erhebliches materielles und immaterielles Schadensrisiko für direkt Betroffene oder Dritte beinhalten, gelten qualifizierte Anforderungen bezüglich der Transparenz und der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten. Der Standpunkt der Angegriffenen ist in geeigneter Weise darzustellen. Bei schweren Vorwürfen sollen sie mit dem belastenden Material konfrontiert und mit ihren besten Argumenten zu Wort kommen (BGE 137 I 340 E.3.2 S. 346). Das Sachgerechtigkeitsgebot verlangt aber nicht, dass alle Sichtweisen qualitativ und quantitativ gleichwertig zum Ausdruck kommen» (b.985).
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In diesem Entscheid behandelte die UBI eine Beschwerde des Kantonsspitals Baselland (KSBL) zur Nachrichtensendung „punkt6“ vom 1. Dezember 2023 von Telebasel. Im strittigen Beitrag berichtete Telebasel über Kritik von Mitarbeitenden des KSBL an der Spitalleitung. Im Zentrum der Kritik stand das Arbeitsklima und der Vorwurf, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung hätten sich im Jahr 2022 „unbegründet“ höhere Entschädigungen (+6,8 %) ausbezahlt. Im anschliessenden Interview erhielt der CEO des KSBL Gelegenheit, zu den allgemeinen Vorwürfen Stellung zu beziehen. Auf den spezifischen Vorwurf der ungerechtfertigten Erhöhung der Entschädigungen konnte er jedoch im ausgestrahlten Beitrag nicht eingehen. Die UBI stellte fest, dass der Vorwurf, die Erhöhung der Entschädigungen sei „unbegründet“, für das Publikum klar als schwere Anschuldigung gegen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung zu verstehen gewesen sei. Zwar verfügte die Redaktion über Informationen und Interviewmaterial, welche erklärten, weshalb die Entschädigungen tatsächlich erhöht wurden (u. a. mehr Sitzungen, Anpassung variabler Vergütungen, Vorjahresvergleich). Diese Informationen stammten u.a. aus einer Debatte des Baselbieter Landrates sowie aus einem ausführlichen Interview mit dem CEO, welches jedoch – im Gegensatz zur Online-Version auf „Baseljetzt“ – nicht vollständig in der beanstandeten Sendung verwendet wurde. Die UBI wies darauf hin, dass lokale Medien das Thema bereits aufgegriffen hatten, doch könne nicht davon ausgegangen werden, dass das durchschnittliche Publikum des Formats „punkt6“ diese zusätzlichen Quellen zur Kenntnis genommen hätte und somit ausreichend vorinformiert gewesen wäre (b.985).
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Am 19. November 2023 strahlte RTS im Rahmen der Sendung «Mise au Point» eine zweiteilige Reportage über mutmassliche sexuelle Missbräuche in der Abtei Saint-Maurice aus. Die Reportage thematisierte Vorwürfe gegen neun Kleriker, Aussagen von Opfern sowie die Rolle der kirchlichen Hierarchie. In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde gerügt, dass der Beitrag tendenziöse Kommentare enthalte, unzureichend belegte Anschuldigungen verbreite und die Unschuldsvermutung missachte.
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Die UBI erinnerte daran, die Unschuldsvermutung nicht nur in Art. 4 RTVG, sondern auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV ihren Niederschlag finde. Sie verpflichtet zu einer zurückhaltenden Berichterstattung über laufende Verfahren und zu einer differenzierten Darstellung der Tatsachen und Perspektiven. Auch im investigativen Journalismus gelten gesteigerte Anforderungen an Transparenz und Sorgfaltspflicht, insbesondere bei schwerwiegenden Vorwürfen, die betroffene Personen oder Institutionen erheblich schädigen können. In solchen Fällen sei es erforderlich, dass betroffene Personen die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten – auch wenn sie diese ablehnen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung wurde nach Ansicht der UBI im Beitrag nicht verletzt, da namentlich weder eine Person stigmatisiert noch vorverurteilt wurde. Die Berichterstattung unterschied zwischen rechtlich abgeschlossenen und offenen Fällen und erweckte nicht den Eindruck, dass nicht verurteilte Personen strafrechtlich schuldig seien. Die Redaktion habe im Gegenteil mehrfach explizit auf das Fehlen strafrechtlicher Verurteilungen hingewiesen und mit allen relevanten Akteuren Kontakt aufgenommen, ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben und diese Bemühungen transparent gemacht. Auch wenn einzelne Begriffe (wie «Angeklagter») juristisch nicht präzise verwendet worden seien, führten diese Ungenauigkeiten nicht zu einer massgeblichen Beeinträchtigung der Meinungsbildung des Publikums. Kommentare des Journalisten – etwa zum systematischen kirchlichen Versagen – seien klar als persönliche Einschätzungen erkennbar gewesen und man habe auch positive Aspekte der Institution angesprochen (b.991).
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Die Sendung «Grigioni sera» vom 28. November 2023 von «Rete Uno» der Radio Televisione Svizzera italiana (RSI) informierte über den Abschluss einer Strafuntersuchung gegen einen ehemaligen Richter des kantonalen Verwaltungsgerichts Graubünden, welcher beschuldigt wurde, sexuelle Delikte begangen zu haben. Der betroffene Richter kritisierte in seiner Beschwerde vor allem, dass der Journalist in der Sendung fälschlicherweise angab, die Bündner Staatsanwaltschaft sehe «ausreichende Schuldbeweise» («sufficienti elementi di colpevolezza») gegen ihn, um Anklage zu erheben. Er sah darin eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots gemäss Art. 4 Abs. 2 RTVG sowie der Unschuldsvermutung. Zudem sei seine Identität trotz anonymisierter Berichterstattung für Zuhörer leicht erkennbar gewesen und er sei durch die Berichterstattung implizit als schuldig dargestellt worden.
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Die UBI stellte fest, dass der Journalist im Beitrag unpräzis von „ausreichenden Schuldbeweisen“ sprach, obwohl die Staatsanwaltschaft lediglich über „ausreichenden Verdachtsmomente“ bzw. Indizien informierte. Diese Ungenauigkeit sei vernachlässigbar und nicht entscheidend für die Gesamtwirkung der Sendung. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass der Bericht klar als vorläufiger Stand der Ermittlungen präsentiert wurde und deutlich machte, dass es noch keine rechtskräftige Verurteilung gebe. Die Sendung hatte ausserdem explizit darauf hingewiesen, dass erst noch über die Anklage und die zuständige Gerichtsinstanz zu entscheiden sei. Zudem sei ausdrücklich erwähnt worden, dass der Beschuldigte seine Unschuld beteuere und angegeben habe, dass alle Handlungen im gegenseitigen Einverständnis stattgefunden hätten (b.986).
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Gegenstand eines weiteren Entscheids der UBI war eine Beschwerde gegen einen Beitrag der Hauptausgabe der SRF-«Tagesschau» vom 26. Oktober 2023, welcher sich mit der Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber und FIFA-Präsident Gianni Infantino beschäftigte. In der rund zweiminütigen Reportage wurde berichtet, dass das Verfahren mit Verfügung zweier ausserordentlicher Bundesstaatsanwälte gegen Lauber und Infantino eingestellt worden sei. Die ausserordentlichen Bundesanwälte machten in ihrer Beschwerde geltend, dass durch die unwidersprochenen Aussagen insbesondere eines interviewten Journalisten schwere Vorwürfe gegen sie erhoben worden seien. Es sei suggeriert worden, dass die Einstellung sachfremd, amtsmissbräuchlich oder begünstigend erfolgt sei. Ihnen sei keine Möglichkeit eingeräumt worden, diese schwerwiegenden Vorwürfe zu kommentieren, weshalb das Sachgerechtigkeitsgebot nach Art. 4 Abs. 2 RTVG verletzt worden sei.
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Die UBI hiess die Beschwerde mit vier zu drei Stimmen gut. Insbesondere die Aussage des Journalisten über einen «fürsorglichen Funktionärsschutz» sei als schwerwiegender Vorwurf zu qualifizieren, der die persönliche und berufliche Reputation der Beschwerdeführer beeinträchtigen könnte. Die UBI hielt ausdrücklich fest, dass es nicht darauf ankomme, ob der Vorwurf objektiv zutreffe, sondern entscheidend sei, dass die Betroffenen Gelegenheit erhalten müssten, dazu Stellung zu nehmen. Dies sei im konkreten Fall unterlassen worden, was eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten darstelle. Insgesamt wirke der Beitrag zudem einseitig, weil die Hintergründe der Einstellungsverfügung nur unzureichend dargestellt wurden. «Der beanstandete Beitrag vermittelte dem Publikum aufgrund der Gestaltung ein einseitig negatives Bild zu den Ermittlungen. Über die Einstellung der Verfahren informierte die Redaktion nur ganz summarisch («Kein Strafverfahren», «Keine Hinweise auf Amtsmissbrauch oder Begünstigung»), ohne auf die eigentlichen Gründe oder die Ermittlungen einzugehen, die ihr aufgrund der zum Zeitpunkt der Ausstrahlung des Beitrags vorliegenden Dokumente (die über 200 Seiten umfassende Einstellungsverfügung, Medienmitteilung) zudem bekannt sein mussten. Die beigezogenen Experten aus dem In- und Ausland mit unterschiedlichen Spezialgebieten erachteten beide die Ermittlungen als nicht ausreichend bzw. gar fragwürdig.» Die im Entscheid publizierte Minderheitsmeinung geht davon aus, dass die kritischen Kommentare der Experten im Rahmen legitimer Justizkritik lagen und für das Publikum erkennbar subjektiv waren. Eine zwingende Anhörung der Beschwerdeführer sei in diesem Rahmen nicht erforderlich gewesen (b.978).
V. Dinge beim Namen nennen
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Eine Zeitraumbeschwerde richtete sich gegen die Berichterstattung von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) über Proteste an amerikanischen und schweizerischen Universitäten zwischen dem 14. Februar und 14. Mai 2024. Der von 310 Personen unterstützte Beschwerdeführer machte geltend, dass SRF durch die Berichterstattung die Menschenwürde verletzt, zu Rassenhass beigetragen, die öffentliche Sicherheit gefährdet, Gewalt verharmlost und das Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebot verletzt habe. Kritisiert wurde insbesondere, dass SRF über zentrale Aspekte wie die Unterstützung der Hamas und Hisbollah durch Studierende, antisemitische Äusserungen und Gewaltaufrufe nicht angemessen berichtet habe. Über verschiedene relevante Fakten habe SRF nicht orientiert, wie u.a. über die Sympathien der Studierenden mit den Hamas-Terroristen und der Hisbollah-Miliz, über die Intifada-Aufrufe, über das Anzünden von amerikanischen Fahnen, die Forderungen zur Vernichtung Israels oder die ideologischen Grundlagen der Proteste. Es sei auch nicht repräsentatives Bild- und Videomaterial in den Publikationen von SRF veröffentlicht worden.
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In Bezug auf das Sachgerechtigkeitsgebot stellte die UBI nach Prüfung der gerügten 17 Radio-, Fernseh- und Online-Beiträge vom 24. April bis 14. Mai 2024 fest, dass trotz einzelner Mängel die Beiträge dem Publikum erlaubten, sich eine eigene Meinung zu bilden. Zwar kritisierte die UBI einzelne Formulierungen und Titel (z.B. „antisemitische Vorfälle finden ‚off campus‘ statt“), stellte aber insgesamt keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots fest, da die Meinungen transparent dargestellt wurden. Auch Art. 4 Abs. 1 RTVG (Beachtung der Grundrechte) sei durch die Berichterstattung nicht verletzt worden. Hingegen erachtete eine Mehrheit der Mitglieder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen eine Verletzung des Vielfaltsgebots, indem SRF zwar zeitlich ausreichend und regelmässig über die Proteste berichtet hatte, aber eine verharmlosende, beschönigende Tendenz hinsichtlich der Inhalte der Proteste erkennbar war. Insbesondere extreme antisemitische Forderungen, Sympathien für Terrororganisationen, und kritische wissenschaftliche Perspektiven zum sogenannten „linken akademischen Antisemitismus“ wurden kaum dargestellt oder gar nicht erwähnt. Auch die Bildauswahl vermittelte oft den Eindruck friedlicher Proteste, während extreme Elemente ausgelassen wurden: «Extreme Aufrufe von Studierenden oder gewisse Slogans auf Plakaten wurden nicht gezeigt oder blieben regelmässig ohne jegliche journalistische Einordnung (z.B. «final solution», «from the river to the sea»). Dagegen wurden mehrmals Szenen mit schwer bewaffneten Polizisten eingeblendet, welche die vermeintlichen Antikriegsproteste auflösten.» Drei UBI-Mitglieder hielten in ihrer Minderheitsmeinung fest, dass SRF umfassend und differenziert berichtet hatte, antisemitische Tendenzen angemessen dargestellt wurden und eine Verletzung des Vielfaltsgebots nicht vorliege. Diese Mitglieder warnten zudem vor einer zu engen Interpretation des Vielfaltsgebots, die die Programmautonomie einschränken könnte (b.1002).
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Kommenar: Das Vielfaltsgebot will «einseitige Tendenzen in der Meinungsbildung durch Radio und Fernsehen verhindern. Es verpflichtet das audiovisuelle Mediensystem als Ganzes, die politisch weltanschauliche Vielfalt widerzuspiegeln, und bezieht sich primär auf die Programme in ihrer Gesamtheit» (BGE 134 I 2 S. 7). Mit der Einschränkung auf konzessionierte Programme gemäss Art. 4 Abs. 4 RTVG muss das Vielfaltsgebot von der konzessionierten SRG in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen eingehalten werden (abgesehen von Sendungen vor Wahlen und Abstimmungen). Eine Prüfung des Programms ist im Rahmen einer Zeitraumbeschwerde auf drei Monate beschränkt (Art. 92 Abs. 3 RTVG; vgl. dazu auch BGE 136 I 167, S. 171), und die Programmaufsicht darf die Gesamtheit der Sendungen in diesem Zeitraum auf seine Vielfältigkeit hin beurteilen. Die Minderheitsmeinung geht in ihrer Begründung davon aus, dass eine Verletzung des Vielfaltsgebots «einem unstatthaften Eingriff in die Programmautonomie des Veranstalters gleichkomme[n], indem in einzelnen Sendungen bestimmte Aussagen eingefordert werden.» Die Beurteilung einzelner Sendungen im Lichte des Vielfaltsgebots ist gerade Sinn und Zweck einer Zeitaumbeschwerde. Allerdings darf nur das Gesamtbild dieser Einzelsendungen im fraglichen Zeitraum letztendlich die Entscheidgrundlage der UBI für eine Einhaltung oder Verletzung des Viefaltsgebots darstellen.
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Ein Entscheid der UBI vom 16. Mai 2024 betrifft eine Beschwerde gegen Beiträge der Nachrichtensendung «Le 19h30» sowie einen Online-Artikel von «RTS Info» vom 9. Oktober 2023. Die Beiträge befassten sich mit dem Ausbruch der Gewalt infolge der Hamas-Attacke auf Israel vom 7. Oktober 2023 und den anschliessenden Reaktionen Israels. Die Beschwerdeführerin und die Mitunterzeichnenden rügten insbesondere die Verwendung der Begriffe „Militante“ und „Kämpfer“ anstelle von „Terroristen“ zur Beschreibung der Angreifer vom 7. Oktober sowie die Darstellung eines Interviews mit einer palästinensischen Bewohnerin, welche die Angriffe des Hamas als „notwendige Antwort“ darstellte und als „Hoffnung auf Wandel“ im arabischen Raum beschrieb. Diese Art von Berichterstattung stelle eine Verharmlosung von Gewalt, eine Rechtfertigung von Terrorismus und Antisemitismus sowie einen Verstoss gegen journalistische Sorgfaltspflichten und gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz dar.
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Die UBI wies die Beschwerde ab. Die Darstellung der Ereignisse sei sachgerecht erfolgt und die Meinungsäusserung der Interviewten als solche klar erkennbar gewesen. Die Verwendung der Begriffe «Militante» und «Kämpfer» konnte im Kontext der damaligen rechtlichen Lage vertreten werden, zumal zum Zeitpunkt der Berichterstattung der Bundesrat die Hamas noch nicht als Terrororganisation eingestuft hatte. Auch die kritisierte Formulierung „notwendige Antwort“ stelle eine journalistisch zulässige Zusammenfassung der Worte der interviewten Person dar. Der Begriff „Hoffnung auf Wandel“ sei zudem als Zitat kenntlich gemacht worden (b.979).
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Zur gleichen Thematik gab es eine Beschwerde zu einem Filmbericht mit dem Titel «Spitäler von Gaza: Die humanitäre Katastrophe», ausgestrahlt von Schweizer Fernsehen SRF in der Sendung «Rundschau» vom 22. November 2023. Moniert wurde eine einseitige Darstellung zulasten Israels, insbesondere wurde bemängelt, dass das Leid der palästinensischen Bevölkerung übertrieben dargestellt, während die Rolle der Hamas vernachlässigt werde.
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Die UBI stellte keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots fest. Zwar stand das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung klar im Vordergrund des Beitrags, doch sei dies journalistisch zulässig und auch transparent kommuniziert worden. Es wurden keine falschen Schuldzuweisungen gemacht, insbesondere bezüglich der Wasserknappheit oder der Raketenangriffe. Wo kritische Punkte angesprochen wurden – etwa hinsichtlich des Beschusses von Krankenhäusern –, wurde auch die israelische Position klar und ausführlich dargestellt, sowohl durch Aussagen eines Armeesprechers als auch der israelischen Botschafterin im Interview. Zudem wurde im Beitrag klar kommuniziert hatte, woher die Informationen stammten und darauf hingewiesen, dass in der Kriegsberichterstattung immer mit gewissen Unsicherheiten bei Quellen und Informationen gerechnet werden müsse. Diese Problematik wurde zudem im Interview selbst durch die israelische Botschafterin und auch durch die Moderation thematisiert (b.981).
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Ein weiteres Verfahren vor der UBI befasste sich mit der Frage, ob im Rahmen eines Nachrichtenbeitrags über das besorgniserregende Ausmass rechtsextremer Tendenzen innerhalb der deutschen Polizei konkrete Namen und Informationen über ein Treffen einer «jungen Politikerin» mit Martin Sellner – einem bekannten österreichischen Rechtsextremen – und der das Treffen organisierenden Vereinigung verschwiegen wurden. Der Beitrag von RSI in den Mittagsnachrichten auf «Rete Uno» und «Rete Due» vom 4. April 2024 bezog sich auf eine aktuelle Enthüllung des Magazins «Stern», wonach über 400 deutsche Polizisten wegen mutmasslicher Verbindungen zur extremen Rechten untersucht würden. Neben einer Einschätzung des RSI-Korrespondenten in Berlin wurde der RSI-Mitarbeiter und der Rechtsextremismus-Experte Stefano Grazioli zu europaweiten Entwicklungen befragt. Die von der Beschwerde konkret beanstandete Passage war Bestandteil dieser zweiten, übergreifenden Analyse. Die Moderatorin sprach eine „junge Politikerin“ an, die kürzlich an einem Treffen mit Martin Sellner teilgenommen habe, und wollte von Grazioli wissen, ob diese Verbindungen europaweit zunehmen.
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Diese Aussage war laut UBI nicht der zentrale Inhalt des Beitrags, sondern lediglich ein Beispiel für transnationale Vernetzung rechtsextremer Akteure. Weder die Identität der erwähnten Politikerin noch der Name der Gruppierung „Junge Tat“ waren laut UBI entscheidend für die Kernaussage der Sendung. Die Redaktion hatte sich nach Ansicht der UBI im Beitrag bewusst auf die übergeordnete Analyse konzentriert. Die kurze Erwähnung der jungen Politikerin war eingebettet in eine weiterführende Diskussion und diente der Illustration, nicht der persönlichen Bewertung. Auch Erwähnung des Namens der Politikerin sei der Informationsgehalt des Beitrags ausreichend gewesen, um das Publikum in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden (b.1001).
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Auch im Verfahren um den am 15. Juli 2024 von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) veröffentlichten Online-Artikel «Aus gesundheitlichen Gründen – Marlen Reusser und Jolanda Neff müssen auf Olympia verzichten» ging es um nicht klar erwähnte Informationen. Gerügt wurde, dass SRF wesentliche Informationen – insbesondere die Covid-19-Erkrankungen und daraus resultierende Langzeitfolgen (Post-Covid-Syndrom) der Athletinnen – nicht deutlich genug dargestellt habe.
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In ihren Erwägungen hielt die UBI fest, dass der Text des beanstandeten Artikels tatsächlich keine explizite Erwähnung der Covid-Erkrankungen enthielt. Es wurde lediglich allgemein von einer Virusinfektion bei Marlen Reusser und von Atembeschwerden bei Jolanda Neff gesprochen. Jedoch seien im Artikel eingebettete Videos entscheidend mitzuberücksichtigen. In diesen erläuterten beide Sportlerinnen offen und nachvollziehbar ihre gesundheitlichen Beschwerden, einschliesslich der mehrfachen Covid-Infektionen. So erklärte Marlen Reusser konkret, an einem postinfektiösen Syndrom zu leiden, das ihre Trainingsfähigkeit stark beeinträchtige, und erwähnte explizit ihre Covid-Erkrankungen Ende Februar und im Mai 2024. Jolanda Neff wiederum äusserte sich zu wiederkehrenden Atemproblemen, erwähnte ihre drei Corona-Infektionen und räumte ein, nicht sicher zu sein, ob ihre Lungenschäden daraus resultierten. Durch diese eingebetteten Videos sei ausreichend Transparenz bezüglich der Gesundheitsursachen gewährleistet hergestellt worden. Es sei nicht notwendig, im Rahmen einer an ein Sportpublikum gerichteten Sendung eigenständig medizinische Diagnosen oder tiefere Erklärungen zum Post-Covid-Syndrom anzubieten, insbesondere weil eine offizielle medizinische Bestätigung der Diagnose bei Reusser erst später erfolgte (b.1008).
VI. Von bevorzugten und vernachlässigten Politikerinnen und Politikern und deren Parteien
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In der Radiosendung „Forum“ auf RTS La Première vom 12. Februar 2023 wurde ein 16-minütiger Beitrag ausgestrahlt, der die Ergebnisse der Zürcher Kantonswahlen vom selben Tag thematisierte. Er beanstandete insbesondere die Auswahl, Reihenfolge und Redezeit der Gäste. Seiner Ansicht nach wurden Vertreter der unterlegenen Parteien – namentlich der Grünen und der SP – überproportional berücksichtigt, während die siegreiche SVP zu kurz kam. Zudem wurden weder Vertreter der FDP noch der Mitte eingeladen. Dies führe zu einer verzerrten Darstellung der Wahlergebnisse.
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Nach Ansicht der UBI informierte der Beitrag korrekt über die Wahlergebnisse; die Hörerinnen und Hörer konnten sich aufgrund der dargelegten Informationen eine eigene Meinung bilden. Die eingeladenen Gäste wurden transparent vorgestellt, ihre Parteizugehörigkeit war klar, und sie konnten ihre Einschätzungen frei äussern. Dabei sei es nicht entscheidend, ob die Redezeit exakt gleich verteilt wurde, sondern ob die wesentlichen politischen Standpunkte erkennbar vertreten waren. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben gewesen. Die Auswahl der Gäste sei journalistisch vertretbar gewesen, insbesondere weil sie Entwicklungen im Vergleich zur letzten Wahl einordnen konnten (b.963)
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Eine Zeitraumbeschwerde bezog sich auf die beanstandete unverhältnismässig hohe Präsenz in Wort und Bild der Genfer Ständerätin Lisa Mazzone in der Tagesschau «Le 19h30» der RTS zwischen dem 19. April und dem 7. Juli 2023. Für die UBI war jede Einzelsituation redaktionell gerechtfertigt und sämtliche Aussagen bzw. Auftritte von Mazzone wiesen einen Sachbezug auf. Es handelte sich nicht um verdeckte Selbstdarstellung oder parteipolitische Schleichwerbung, sondern um eine informative Begleitung aktueller Themen durch eine an den Sachverhalten beteiligte Politikerin. Kleinere redaktionelle Ungenauigkeiten sind nach ständiger Rechtsprechung vernachlässigbar, solange sie den Gesamteindruck nicht verfälschen. In den einzelnen Sendungen sind stets mehrere Stimmen zu Wort gekommen, so dass das Vielfaltsgebot nicht verletzt wurde (b.965).
VII. Verschwiegene Fakten oder blosse Ungenauigkeiten?
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Am 25. Oktober 2023 strahlte Radio SRF im Rahmen der Sendung «Tagesgespräch» eine Diskussion mit den SRF-Korrespondenten Susanne Brunner (Naher Osten) und David Nauer (Ukraine) aus. Die Sendung stand unter dem Thema «Propaganda im Krieg» und widmete sich der Berichterstattung über die Kriege in Israel und der Ukraine. Die Diskussion drehte sich insbesondere um die Herausforderungen journalistischer Arbeit in kriegerischen Konflikten, die Verbreitung von Propaganda und Fake News sowie die Glaubwürdigkeit der Kriegsberichterstattung. Mit einer Popularbeschwerde wurde die Aussage des Korrespondenten David Nauer, wonach es «gar keine Nazis oder mindestens nicht an der Macht in der Ukraine» gebe, beanstandet mit der Begründung, diese Aussage sei falsch und verharmlosend, denn in der Ukraine hätten rechtsextreme und faschistische Strömungen sehr wohl Einfluss auf Politik und Gesellschaft.
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Die UBI stellte fest, dass dieser Satz weder eine vertiefte Analyse rechtsextremer Strukturen in der Ukraine noch deren Leugnung darstellte. Vielmehr wollte Nauer offenbar zum Ausdruck bringen, dass das von Russland genutzte Narrativ einer nationalsozialistisch geprägten Ukraine nicht der Realität entspreche. Die Aussage war in eine Argumentation eingebettet, die sich kritisch mit russischer Kriegspropaganda auseinandersetzte. Zudem relativierte Nauer seine Formulierung unmittelbar selbst, indem er einschränkte, dass es «zumindest keine Nazis an der Macht» gebe. Auch wenn die Äusserung isoliert betrachtet als unpräzis erscheinen mag, war sie eingebettet in einen breiteren Zusammenhang, wurde vom Publikum wohl korrekt verstanden und konnte als persönliche Einschätzung erkannt werden (b.973).
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Ein Hörer kritisierte die Berichterstattung im Beitrag mit dem Titel «Gesundheitsgefahr: Der Klimawandel ist ein medizinischer Notfall» der Sendung «Wissenschaftsmagazin» von Radio SRF 2 Kultur vom 18. November 2023 als einseitig und tendenziös. Insbesondere bemängelte er, dass CO₂ als alleinige Ursache für den Klimawandel dargestellt werde und alternative wissenschaftliche Ansichten – etwa zur Sonnenaktivität oder anderen Umweltfaktoren – nicht berücksichtigt würden. Daraus leitete er eine Verletzung der gesetzlichen Gebote zur Sachgerechtigkeit und zur Vielfalt der Meinungen ab.
40
Die UBI wies die Beschwerde ab. Der Beitrag befasste sich gemäss der UBI nicht primär mit den Ursachen des Klimawandels, sondern mit dessen gesundheitlichen Auswirkungen. Dies sei aus dem Titel und der Anmoderation klar ersichtlich gewesen. Allerdings konnte die wiederholte Nennung von CO₂ und fossilen Brennstoffen in der Anmoderation und im Beitrag den Eindruck eines monokausalen Zusammenhangs vermitteln. Dies sei durch den Bezug zur Forderung des Gesundheitssektors gerechtfertigt. Entscheidend sei, dass im Beitrag nicht explizit behauptet werde, CO₂ sei die einzige Ursache des Klimawandels. Die Redaktion habe zudem weder alternative Ursachen explizit ausgeschlossen noch konkurrierende Meinungen diffamiert. Eine weiterführende Differenzierung der Klimafaktoren sei nicht zwingend erforderlich gewesen, da das Zielpublikum der Sendung – eine naturwissenschaftlich interessierte Zuhörerschaft – aufgrund seines Vorwissens in der Lage gewesen sei, die Aussagen einzuordnen (b.976).
VIII. Aufschaltung von Online-Kommentaren im Lichte der Meinungsäusserungsfreiheit
41
Drei Beschwerden zur Nichtaufschaltung bzw. Löschung von Kommentaren in Online-Foren zu verschiedenen redaktionellen Beiträgen auf den SRF-Webseiten wurden von der UBI zusammen beurteilt. Die UBI hat bei Streitigkeiten um die Veröffentlichung von Kommentaren in Online-Foren von SRF im Einzelfall zu beurteilen, ob im Lichte der Meinungsäusserungsfreiheit relevante Gründe bestanden, einen Kommentar zu löschen bzw. nicht aufzuschalten (BGE 149 I 2 E. 4.1 S. 12f.). Als Richtlinie dient dabei laut Bundesgericht die Rechtsprechung zum Werbebereich (BGE 139 I 306 E. 4.2f. S. 313f.). Die Community-Redaktion entscheidet jeweils auf der Grundlage einer Netiquette von SRF, ob ein nutzergenerierter Kommentar zu veröffentlichen ist bzw. gelöscht werden darf. Diese Netiquette stellt nach der Rechtsprechung der UBI jedoch keine gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 36 Abs. 1 BV zur Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit von Nutzerinnen und Nutzern von Kommentarspalten dar.
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Im ersten Verfahren kritisierte der Beschwerdeführer die Nichtveröffentlichung eines Kommentars zum Online-Artikel „Hyperfeminismus – Wie feministisch sind aufgespritzte Lippen und tiefe Dekolletés?“ vom 14. Dezember 2023. Sein Kommentar („Ich habe gehört in Südgaza seien Botox und Silikon ausgegangen.“) wurde von der Redaktion ursprünglich mit der Begründung „Diskriminierung“ abgelehnt. Die Redaktion vermutete, der Kommentar könne als herabwürdigend gegenüber Kriegsopfern interpretiert werden. Der Beschwerdeführer verneinte dies und bezeichnete die Auslegung als völlig abwegig.
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Die UBI kam zum Schluss, dass die ursprüngliche Begründung der Diskriminierung nicht plausibel sei. Allerdings sei es zulässig gewesen, den Kommentar wegen mangelnden Bezugs zum eigentlichen Thema abzulehnen. Die Programmautonomie erlaube SRF, die Debatte konstruktiv und themenbezogen zu halten. Die Sicherung eines sachlichen Diskurses stelle ein hinreichendes öffentliches Interesse dar und die Nichtveröffentlichung sei verhältnismässig gewesen. Die UBI wies die Beschwerde fünf zu vier Stimmen ab (b.982).
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Im zweiten Verfahren wurde die Nichtaufschaltung eines Kommentars zum Thema „Wie zeitgemäss sind Zoos?“ vom 21. Februar 2024 gerügt. Im nicht aufgeschalteten Kommentar wurde kritisiert, dass SRF auf seiner Webseite die Berichterstattung über den wichtigen Prozess um Julian Assange ignoriere, stattdessen aber eine Diskussion über Erdmännchen im Zürcher Zoo zulasse. Die Redaktion verweigerte die Veröffentlichung mit der Begründung „Kein Bezug zum Thema“. Die UBI bestätigte auch hier, dass der Kommentar tatsächlich nur eine Kritik an der Themenwahl und keinen Bezug zur inhaltlichen Diskussion des Artikels hatte. Ein öffentliches Interesse bestehe wiederum in der Sicherstellung eines konstruktiven und sachlichen Dialogs. Die Nichtveröffentlichung sei somit rechtlich zulässig und verhältnismässig gewesen, weshalb die UBI auch diese Beschwerde mit fünf zu vier Stimmen abwies (b.990).
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Vier Mitglieder der UBI vertraten eine abweichende Meinung zu beiden Verfahren mit der Argumentation, die Meinungsfreiheit umfasse grundsätzlich auch kritische und provozierende Äusserungen. Es sei nicht Aufgabe von SRF, Kommentare allein wegen ihrer Kritik an der redaktionellen Themenwahl nicht zu veröffentlichen. Die Sicherung einer freien demokratischen Debatte verlange vielmehr eine weite Auslegung der Meinungsfreiheit. Die Kommentare hätten zudem durchaus einen erkennbaren Bezug zu den Themen gehabt, indem sie auf die Relevanz der Themenwahl hinwiesen. Aus Sicht dieser Minderheit verletzte die Nichtaufschaltung der Kommentare daher Art. 16 BV.
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Im dritten Verfahren monierte der Beschwerdeführer mehrfach die Nichtaufschaltung bzw. Löschung von Kommentaren im Zusammenhang mit einem Artikel zur Münchner Sicherheitskonferenz vom 16. Februar 2024. Mehrere Kommentare enthielten Links zu externen Dokumenten und kritisierten die Praxis von SRF, Links in Kommentaren zunächst nicht aufzuschalten. Die UBI bestätigte, dass SRF Kommentare überprüfen dürfe, um rechtswidrige Inhalte zu verhindern. Obwohl der Beschwerdeführer berechtigterweise darauf hingewiesen hatte, dass die Redaktion verhältnismässig viel Zeit für die Freischaltung benötigte, sah die UBI keine absichtliche Verzögerung oder gar Zensur durch SRF. Dem Beschwerdeführer war es gelungen, seine Position trotz anfänglicher Nichtveröffentlichung mehrfach umfassend zu äussern. Da die Meinungsfreiheit nicht unverhältnismässig eingeschränkt wurde, wies die UBI die Beschwerde mit sechs zu drei Stimmen ab (b.992).
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In zwei weiteren Verfahren beschäftigte sich die UBI mit dem Nichtaufschalten von Online-Kommentaren. In seinem nicht publizierten Kommentar verspottete ein Nutzer die Redaktion von SRF News für ihren Fragestil und den Fokus des Artikels und bezeichnete die Redaktorinnen und Redaktoren pauschal als „Ausnahmetalente bei der Verbreitung von wichtigen Nachrichten“ sowie als „Geschichtenerzählpult“. Die Redaktion hatte den Kommentar mit Verweis auf die SRF-Netiquette, die „persönliche Angriffe“ untersagt, zurückgewiesen.
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Die UBI führte aus, dass SRF in seinen freien Online-Kommentarspalten grundsätzlich auch kritische Äusserungen gegen sich selbst akzeptieren muss. Erhebliche persönliche Angriffe jedoch können unter Berufung auf eine hinreichende gesetzliche Grundlage gelöscht oder zurückgehalten werden. Als solche gesetzliche Grundlage erkannte die UBI sowohl Art. 28 ZGB (Schutz der Persönlichkeit natürlicher und juristischer Personen) als auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Art. 328 OR. Die UBI erachtete eine Grundrechtsbeschränkung im Sinne von Art. 36 Abs. 2-4 BV als gegeben: «So besteht ein öffentliches Interesse an einer von einem konstruktiven und respektvollen Umgang geprägten Diskussionskultur in den für alle Interessierten zugänglichen Foren. Die damit verbundene Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit ist zudem verhältnismässig, kann der Beschwerdeführer doch rasch und ohne grossen Aufwand einen neuen Kommentar mit Kritik am Thema und Fokus des Artikels – aber ohne persönliche Angriffe – formulieren und der Redaktion zur Aufschaltung zustellen. Schliesslich ist auch der Kerngehalt des betroffenen Grundrechts nicht berührt, umso weniger als SRF die Kommentarspalte zu Online-Artikeln auf freiwilliger Grundlage und ohne gesetzliche Verpflichtung anbietet» (b.966).
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In seinem nicht aufgeschalteten zweiten Kommentar kritisierte der Nutzer die vermeintliche „Verhunzung der Schriftsprache“ bei SRF News und bemängelte den Anglizismus „Overtourism“ als „Sprache für dumme Leute“. Die Redaktion begründete die Zurückweisung damit, der Kommentar habe „keinen Bezug zum Thema“ des Artikels. Die UBI stellte fest, dass ein thematischer Bezug in Kommentarspalten zu Online-Artikeln zwar verlangt werden darf, dieser aber nicht derart eng auszulegen ist, dass offensichtliche Aspekte des Artikeltitels – hier «Overtourism» – ausgeblendet werden. Innerhalb der betreffenden Kommentarspalte hatten bereits andere Nutzerinnen und Nutzer intensiv über den Anglizismus diskutiert; sogar Radio SRF 1 selbst beteiligte sich an dieser Debatte. Überdies enthielt der Kommentar des Beschwerdeführers kritische Vorschläge zur präziseren Wortwahl und damit eine inhaltlich legitime Auseinandersetzung mit dem Thema, ohne einzelne Personen persönlich herabzusetzen. Die Äusserung „Sprache für dumme Leute“ richtete sich auf eine abstrakte Gruppe von Sprachgebrauch und nicht auf konkret identifizierbare Personen. Damit fehlte ein sachlicher Grund zur Nichtaufschaltung, und es lag keine unzulässige Persönlichkeitsverletzung vor. Die UBI hiess deshalb die Beschwerde (mehrheitlich) gut (b.972).
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Weitere Entscheide zur Nichtaufschaltung von Kommentaren:
- Kommentare zu politischer Einordnung („Rechtsaussen-Partei“ EDU): Unzulässige Nichtveröffentlichung der Kommentare, da diese inhaltlich zulässige Meinungsäusserungen ohne rechtsverletzenden Charakter darstellten (b.969).
- Kommentar zur Gesundheitspolitik (Jungparteien): Unzulässige Nichtveröffentlichung der Kommentare, da es sich um zulässige politische Meinungsäusserungen handelte (b.969).
- Kommentare zu US-Vorwahlen (Trump): Einer der Kommentare wurde fälschlicherweise nicht veröffentlicht, da ein Bezug zum Thema bestand; diese Beschwerde wurde gutgeheissen. Die übrigen sechs Kommentare, geprägt von persönlichen Angriffen und Nebenstreitigkeiten, durften dagegen aufgrund der Programmautonomie zur Sicherstellung einer sachlichen Debattenkultur zurückgewiesen werden. Diese Beschwerden wurden einstimmig abgewiesen (b.969).
- Kommentare zur Sendung «30 Jahre Arena»: Die Mehrheit der abgelehnten Kommentare durfte aufgrund ihrer unsachlichen Natur abgewiesen werden. Zwei Kommentare enthielten jedoch zulässige Reaktionen auf veröffentlichte Vorwürfe und wurden zu Unrecht nicht veröffentlicht; diese Beschwerde wurde gutgeheissen (b.969).
- Kommentar zur Energiewende: Die Zurückweisung eines Kommentars wegen persönlicher Angriffe war zulässig, da der Beschwerdeführer seine Ansicht in anderen Kommentaren bereits ausführlich platzieren konnte (b.969).
- Kommentare zu Corona-Indiskretionen: Die Nichtaufschaltung zweier Kommentare wurde gutgeheissen, da diese persönliche Angriffe enthielten und die Debattenkultur beeinträchtigten (b.969).
- Kommentare zu Blauhelmtruppen in Afrika: Hier wurde eine behauptete Ungleichbehandlung verneint, da unterschiedliche Kommentarspalten und damit Situationen betroffen waren. Die Beschwerde wurde abgewiesen (b.969).
- Im Verfahren b.974 ging es um Kommentare zu einem Online-Artikel über den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Politwerbung:
- Ein Kommentar mit einer nachweislich falschen Information (ein veralteter Vorwurf gegen Klimaaktivisten) wurde rechtmässig zurückgewiesen.
- Zwei weitere Kommentare, welche darauf hinwiesen, dass politische Irreführung nicht nur von bürgerlichen Parteien ausgehe, wurden zu Unrecht nicht veröffentlicht. Diese Beschwerden wurden gutgeheissen.
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Im Verfahren b.975 ging es um die Sperrung des Kommentarkontos: Im Zentrum stand hier die sechsmonatige Sperrung des Kommentarkontos des Beschwerdeführers durch SRF. Der Beschwerdeführer war zuvor von der Redaktion verwarnt worden, doch die Kommunikation und Begründung der Sperrung erwies sich als inkonsistent und intransparent. Die UBI hielt fest, dass die lange Sperre einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle und durch die angeführten Gründe (z.B. Ressourcenmangel der Redaktion) nicht hinreichend gerechtfertigt werden könne. Die Sperre sei unverhältnismässig erfolgt, weshalb diese Beschwerde mit sechs zu drei Stimmen gutgeheissen wurde.
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Drei Mitglieder der UBI vertraten eine abweichende Meinung bezüglich der Sperrung des Kommentarkontos. Sie argumentierten, die Sperre sei aufgrund wiederholter Netiquette-Verstösse und angesichts der Vielzahl nicht aufgeschalteter Kommentare (ca. 200 nach Verwarnungen) gerechtfertigt. Die Redaktion habe ausreichend und transparent gewarnt; eine weitere Verwarnung sei nicht zwingend erforderlich gewesen. Die Minderheit sah die Sperre als notwendige Massnahme zur Wahrung konstruktiver Debattenkultur und Leserfreundlichkeit als gerechtfertigt an und hätte die Beschwerde daher abgewiesen.
IX. Weitere Entscheide
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Am 6. Oktober 2023 strahlte der lokale Genfer Radiosender Radio Lac SA im Rahmen seiner werktäglichen Sendung „Il suffit de demander“ eine Live-Show mit der Astrologin Christiane Dubois aus. In dieser rund 20-minütigen Sendung wurden drei Zuhörerinnen und Zuhörer live zugeschaltet, um Fragen zur persönlichen Zukunft – etwa zur Liebesbeziehung, zur beruflichen Entwicklung oder zu geschäftlichen Aussichten – an die Astrologin zu richten. Diese beantwortete die Fragen mittels Kartenlegen, astrologischer Konstellationen und esoterischer Deutungen.
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Eine gegen diese Sendung eingereichte Beschwerde wies die UBI ab. Die Sendung hatte einen grundsätzlich unterhaltenen Charakter, enthielt aber auch informative Elemente, was die Anwendbarkeit der Sorgfaltspflichten gemäss Art. 4 Abs. 2 RTVG rechtfertigte. Die astrologische Beratung wurde jedoch eindeutig als subjektive Interpretation dargestellt. Die Moderatorin wies zu Beginn darauf hin, dass es sich um eine unterhaltende Wahrsagungssendung handle. Die Aussagen der Astrologin waren persönlich, freundlich, teilweise trivial und nicht geeignet, den Eindruck einer wissenschaftlich fundierten Beratung zu erwecken. Die UBI befand, dass die Ausstrahlung weder irreführend noch geeignet war, das Publikum in seiner Meinungsbildung unangemessen zu beeinflussen. Das Publikum konnte sich – auch dank der transparenten Inszenierung – eine eigene Meinung bilden (b.971).
55
Am 4. Januar 2024 strahlte Radio SRF im Rahmen der Sendung «Echo der Zeit» einen Beitrag mit dem Titel «Trumps Worte sollten ernst genommen werden» aus, in dem die Rhetorik des ehemaligen US-Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten Donald Trump beleuchtet wurde. Ergänzend erschien am 7. Januar 2024 ein Online-Artikel. In der gegen diese Sendung erhobenen Beschwerde wurde insbesondere gerügt, dass SRF Donald Trump Aussagen unterstellte, die meinungsverzerrend seien und Übersetzungen falsch oder irreführend waren und die Aussagen losgelöst vom Kontext kritisiert worden seien.
56
Nach Ansicht der UBI erfüllten die Sendung und der Online-Artikel die Mindestanforderungen an die Sachgerechtigkeit. «Die Übersetzungen der auch im Originalton veröffentlichten Aussagen von Donald Trump waren nicht falsch, irreführend oder aus dem Kontext gerissen. Die Sichtweise des Präsidentschaftskandidaten kam angemessen zum Ausdruck. Das Interview mit einer Expertin stellte zudem die Rhetorik von Donald Trump in einen grösseren Zusammenhang. Der unterlassene Hinweis auf deren negative persönliche Haltung zu Trump stellt zwar einen Mangel dar. Da dieser aber weder beim Radiobeitrag, in dem das Interview im Zentrum stand, noch beim Online-Artikel den Gesamteindruck massgeblich beeinflusst hat, betrifft er einen Nebenpunkt. Die Aussagen der Wissenschaftlerin unterscheiden sich zudem nicht von denjenigen anderer Fachleute, die sich mit der Rhetorik von Donald Trump auseinandersetzten» (b.989).
57
Die Verwendung von Symbolbildern in Nachrichtensendungen ist grundsätzlich unproblematisch, solange sie korrekt eingebettet und kenntlich gemacht werden. Eine isoliert betrachtet problematische Bildsequenz kann zwar als journalistisch unsorgfältig eingestuft werden, führt aber nicht zwingend zu einer Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots, wenn der Beitrag insgesamt sachlich und differenziert bleibt. Im Beschwerdeverfahren zu einem Beitrag in der Hauptausgabe der «Tagesschau» von SRF am 5. März 2024 mit dem Titel „Annahme der 13. AHV-Rente weckt neue Begehrlichkeiten“ war eine zu Beginn des Beitrags gezeigte Filmsequenz, in der der Beschwerdeführer und seine Frau beim Anstossen mit Weingläsern gezeigt wurden, Hauptgegenstand der Beschwerde. Die Bilder stammten aus einer SRF-Wissenschaftssendung von 2019 („Einstein“). Der Beschwerdeführer beanstandete, dass diese Sequenz den irreführenden Eindruck erweckte, die abgebildete Gruppe feiere die Annahme der 13. AHV-Rente. Tatsächlich habe er sich im Abstimmungskampf aber klar gegen die Vorlage gestellt. Er sah darin eine rufschädigende, ehrverletzende Darstellung und machte geltend, dass die Verwendung ohne Einwilligung erfolgt sei.
58
Zum Vorwurf der Rufschädigung oder Ehrverletzung verwies die UBI den Beschwerdeführer praxisgemäss auf den Zivilweg und beschränkte sich auf die Prüfung einer möglichen Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots nach Art. 4 Abs. 2 RTVG. Die Bilder von sechs Personen beim Anstossen – darunter der Beschwerdeführer und seine Frau – konnten nach Ansicht der UBI für sich allein genommen durchaus den Eindruck vermitteln, dass die Personen den Ausgang der Volksabstimmung feierten. In Kombination mit dem Off-Kommentar („Seit Sonntag ist klar: Rentnerinnen und Rentner erhalten eine 13. Rente“) und den nachfolgenden Szenen (Rollstuhl-Hockeyspiel zur Illustration der IV-Rentner) wurde jedoch ein weiterführender Kontext geschaffen. Es wurde aber darauf hingewiesen, dass SRF es versäumt hatte, diese Archivbilder als Symbolbilder zu kennzeichnen. Der fragliche Beitrag sei gut strukturiert gewesen, habe verschiedene Meinungen und Perspektiven ausgewogen dargestellt und die wesentlichen Informationen zu den neu aufkommenden politischen Forderungen nach der Annahme der 13. AHV-Rente sachlich wiedergegeben. Die fehlerhafte Bildverwendung betraf daher lediglich einen Nebenpunkt, der nach Auffassung der UBI nicht geeignet war, die den Gesamteindruck zur Meinungsbildung des Publikums wesentlich zu verzerren (b.993).
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Am 12. März 2024 strahlte SRF im Rahmen der Fernsehsendung «10 vor 10» einen Beitrag über den Internet-Sender Kla.TV aus, welcher von Ivo Sasek, dem Gründer der «Organischen Christus Generation» (OCG), betrieben wird. Im Zentrum des Beitrags standen die Aussagen zweier ehemaliger Mitarbeiterinnen, die von ihren Erfahrungen bei Kla.TV berichteten. Der Beitrag stellte dabei insbesondere die Nähe des Senders zur OCG, die journalistische Qualität der Inhalte sowie die Verbreitung von Verschwörungstheorien in den Vordergrund. In zwei Beschwerden wurden nicht korrekte Informationen über eine der Mitarbeiterinnen sowie die Verwendung stigmatisierender Begriffe wie „Fake-News-Fabrik“, „krude Verschwörungstheorien“ oder „Sekten-TV“ kritisiert. Die Redaktion habe unkritisch und ohne eigene Recherche die Aussagen zweier nicht verlässlicher Quellen übernommen.
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Die UBI betonte in ihrem Entscheid, dass der Beitrag die Sichtweise von Kla.TV angemessen berücksichtigt habe und verwies auf eine schriftliche Stellungnahme von Ivo Sasek, aus der im Beitrag zitiert wurde. In dieser kritisierte er SRF scharf und wies die Vorwürfe zurück. Die UBI erachtete dies als hinreichende Gegenposition, um den journalistischen Mindestanforderungen an Fairness und Ausgewogenheit zu genügen. Hinsichtlich der beanstandeten Begriffe wie „Sekten-TV“, „Fake-News-Fabrik“ oder „krude Verschwörungstheorien“ stellte die UBI fest, dass einige dieser Zuschreibungen durch gezeigte Beispiele und die Aussagen ehemaliger Mitglieder zumindest teilweise gestützt wurden. Besonders die Aussagen über die Gender-Agenda, über genmanipulierte Mücken oder freimaurerische Weltverschwörungen illustrierten die redaktionelle Stossrichtung von Kla.TV. Allerdings kritisierte die UBI, dass eines der vier Beispiele – die genmanipulierten Mücken – aus journalistischer Sicht nicht ausreichend kontextualisiert worden sei, da auch andere Medien ebenfalls über diesen Sachverhalt berichtet hatten. Die Bezeichnung „Fake-News-Fabrik“ wurde von der UBI als problematisch beurteilt, da hierfür im Beitrag keine ausreichende Evidenz vorgelegt worden sei. Die Aussagen der beiden Frauen seien zu allgemein und die gezeigten Beispiele zu kurz und aus dem Zusammenhang gerissen, um diesen schwerwiegenden Vorwurf nachvollziehbar zu belegen. Dennoch sah die UBI hierin nur einen Fehler in einem Nebenpunkt, welcher den Gesamteindruck des Beitrags nicht wesentlich trübt (b.996/997).