«Entschuldigung» als klagbarer Anspruch ?

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Die im Fall Spiess-Hegglin c. Ringier erhobene Forderung hat einen schweren Stand

Dr. Andreas Meili, Meili Pfortmüller Rechtsanwälte, Zürich

Zusammenfassung: Die Frage, ob ein Medienschaffender gerichtlich dazu gezwungen werden kann, sich bei der Person zu entschuldigen beschäftigt zurzeit die Zuger Justiz im Fall Spiess-Hegglin gegen Ringier. Der Autor analysiert die einschlägige schweizerischen und deutsche Judikatur und Literatur und zeigt auf, dass gegen einen Entschuldigungsanspruch insbesondere grundrechtliche Argumente sprechen. Niemandem soll mit staatlichen Mitteln eine Meinung aufgezwungen werden. Zudem sei es problematisch, wenn das Recht den Boden der Objektivität verlasse und sich auf den unsicheren Grund subjektiver Gefühlsbekundungen begebe.

Résumé: La justice peut-elle obliger une journaliste ou un journaliste à présenter des excuses? C’est la question que doit actuellement trancher la justice zougoise en lien avec les plaintes de Jolanda Spiess-Hegglin, l’ancienne députée écologiste du Parlement cantonal, contre Ringier. L’article analyse la jurisprudence et la littérature suisses et allemandes dans ce domaine et montre que la demande se heurte en particulier à des arguments de droit fondamental. Aucun moyen étatique de permet d’obliger quelqu’un à adopter une certaine opinion. L’auteur de l’article estime en outre qu’il est problématique que le droit quitte le terrain de l’objectivité pour se déplacer sur celui, moins stable, de la manifestation subjective de sentiments.

I. Aktualität der Fragestellung

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Die Frage, ob ein Medienschaffender gerichtlich dazu gezwungen werden kann, sich bei der Person, die von seiner Berichterstattung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden ist, zu entschuldigen, beschäftigt zurzeit das Obergericht des Kantons Zug in der medienträchtigen Auseinandersetzung zwischen der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin und der Ringier AG, Herausgeberin der Boulevardzeitung «Blick». Beide Parteien haben gegen den erstinstanzlichen Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 8. Mai 2019[1] Berufung eingelegt. Die Klägerin Spiess-Hegglin forderte im Verfahren vor dem Kantonsgericht u.a., dass sich Ringier verpflichtet, in grossformatiger Aufmachung einen mit «Entschuldigung Jolanda Spiess-Hegglin!» überschriebenen Text auf der Frontseite des «Blick» sowie auf blick.ch zu veröffentlichen. Darin sollte der «Blick» die „unfaire und persönlichkeitsverletzende Berichterstattung“ bedauern und sich bei Spiess-Hegglin entschuldigen.

2

Das Kantonsgericht wies die Klage in diesem Punkt ab und begründete dies kurz und bündig wie folgt (vgl. E. 3.2):

„Gemäss Art. 28a Abs. 2 ZGB kann der widerrechtlich in seiner Persönlichkeit Verletzte verlangen, dass das richterliche Urteil oder aber eine Berichtigung veröffentlicht wird. (…). Darüber hinaus kann der Verletzte die Mitteilung oder Publikation einer Richtigstellung verlange, das heisst eines Textes, der Fehlinformationen in der beanstandeten Publikation korrigiert. Eine Entschuldigung des Verletzten oder eine Erklärung, dass dieser seine Äusserungen zurückziehe, kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung indes nicht verlangt werden (Urteil des Bundesgerichts 5A_309/2013 vom 4. November 2013, E. 6.3.3; Meili, a.a.O., Art. 28a ZGB N 10[2]).“
3

Im Folgenden wird die Frage vertieft geprüft, ob das Kantonsgericht Zug richtig entschieden hat. Dazu hilft auch ein kurzer Rechtsvergleich:

1. Schweizer Recht

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Im Schweizer Recht wird ein persönlichkeitsrechtlicher Anspruch auf Entschuldigung kontrovers diskutiert, aber mehrheitlich abgelehnt. Insbesondere das Bundesgericht nimmt dazu in BGE 5A_309/2013 E. 6.3.3 inzwischen[3] einen klar negativen Standpunkt ein:

„(…) Nicht nur bleiben dem Gericht die tatsächlichen Motive für eine Entschuldigung verschlossen; es hätte auch gar keine Möglichkeit, eine Entschuldigung zu erzwingen. Das Gericht kann höchstens feststellen, dass der Beschwerdegegner 1 sein Unrecht eingestanden und sich bei der Beschwerdeführerin entschuldigt hat. Hingegen kann das Gericht niemanden (…) zwingen, sich zu entschuldigen. (…).“
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Auch die Lehre steht einem solchen Anspruch mehrheitlich ablehnend gegenüber:

6

Steinauer/Fountoulakis halten fest, dass „le droit de réponse ne peut pas être exercé à propos de telles affirmation de caractère subjectif“.[4] Nobel/Weber vertreten die Auffassung, dass mit den Klagen gemäss Art. 28a Abs. 2 ZGB weder eine Entschuldigung noch ein Rückzug der verletzenden Äusserungen verlangt werden kann, da die Berichtigung „notwendigerweise eine Darstellung aus Sicht des obsiegenden Klägers ist“.[5]

7

Diese Auffassung wird auch vom Autor des vorliegenden Beitrags vertreten.[6] Gegen die Entschuldigung als Rechtsbehelf spricht aus seiner Sicht insbesondere das Argument von Brückner, wonach es bei der Berichtigungsklage gemäss Art. 28a Abs. 2 ZGB „um die richterlich-neutrale Feststellung der Unwahrheit der ursprünglichen Verunglimpfung und um die Verurteilung der Verletzerin dazu, die Unwahrheit selber zurückzunehmen“, geht.[7] Bei der Richtigstellung gemäss Art. 28a Abs. 2 ZGB geht es also nicht um ein subjektives Schuldeingeständnis, sondern um die Korrektur objektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen. Das Recht ist somit auf objektivierbare Äusserungen beschränkt und lässt subjektive Äusserungen aussen vor, d.h. sieht keine Rechtsbehelfe dagegen vor.

8

Nicht klar für oder gegen einen rechtlich durchsetzbaren Entschuldigungsanspruch sprechen sich Hausheer/Aebi-Müller aus. Sie beschreiben Art. 28a ZGB als Bestimmung, die die zur Verfügung stehenden spezifisch persönlichkeitsrechtlichen Rechtsbehelfe aufzählt.[8] Ob die Aufzählung abschliessend ist oder nicht, wird nicht gesagt. Sie nennen aber die Entschuldigung als mögliche „andere Art der Genugtuung“ i.S.v. Art. 49 Abs. 2 OR und verweisen dazu auf BGE 5A_309/2013 E. 6.3.3.[9] Ob damit ein klag- und vollstreckbarer Anspruch auf eine Entschuldigung besteht, wird damit nicht gesagt.

9

An anderer Stelle befürworten Aebi-Müller[10] sowie Schwenzer[11] einen Anspruch auf Entschuldigung. Wenn Aebi-Müller dazu jedoch ausführt, das Bundesgericht habe einen solchen Anspruch bejaht, und dazu auf BGE 5A_309/2013, E. 6.3.3 verweist, trifft dies nach dem Gesagten nicht zu. Ohne Bezugnahme auf diesen Entscheid spricht sich zudem Fischer für einen klagbaren Anspruch auf „Widerruf einer Beleidigung“ aus.[12]

10

Auch Hrubesch-Millauer/Bruggisser äussern sich zu BGE 5A_309/2013, E. 6.3.3. Im Unterschied zu Aebi-Müller, Fischer und Schwenzer anerkennen sie jedoch keinen klag- und vollstreckbaren Anspruch auf Entschuldigung, sondern weisen nur darauf hin, dass die Veröffentlichung einer Entschuldigung „eine weitere Art der Genugtuung“ nach Art. 49 Abs. 2 OR darstellen kann.[13] Dem ist beizupflichten, ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf eine Entschuldigung lässt sich daraus aber nicht herleiten. Ähnlich wie Hrubesch-Millauer/Bruggisser äussern sich auch Brehm[14] und Müller[15], beide jedoch ohne Bezugnahme auf den genannten BGE.

2. Deutsches Recht

11

Klarer als im Schweizer Recht wird ein klag- und vollstreckbarer Anspruch auf Entschuldigung im deutschen Recht abgelehnt.

12

Aus der jüngsten Rechtsprechung ist ein Beschluss des BGH  vom 19. Juli 2018[16] zu nennen. Es ging um die Vollstreckung eines polnischen Urteils in Deutschland, womit der deutsche Fernsehsender ZDF verpflichtet wurde, eine in einer Äusserung enthaltene Geschichtsverfälschung zu bedauern und sich für die daraus resultierende Persönlichkeitsverletzung zu entschuldigen. Der BGH hielt in seinem Beschluss fest, dass die Vollstreckung eines solchen Urteils „offenkundig gegen das Grundrecht auf negative Meinungsfreiheit und gegen den deutschen ordre public“ verstosse.

13

In seiner Begründung hielt der BGH fest (vgl. Rz 20 ff.):

„Die Umschreibung einer (…) Programmankündigung als Geschichtsverfälschung und als Verletzung des Persönlichkeitsrechts (…) ist das Ergebnis einer wertenden Betrachtung, nicht jedoch eine Tatsache, deren Wahrheitsgehalt überprüft werden könnte. Mit dem Ausdruck des Bedauerns und mit der Bitte um Entschuldigung soll sich die Antragsgegnerin dieser Bewertung anschliessen und als eigene Meinung veröffentlichen. (…).

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs kann niemand von Rechts wegen gezwungen werden, sich fremde Werturteile und Meinungen zu eigen zu machen (BGH, Urteil vom 17. Juni 1953 - VI ZR 51/52, BGHZ 10, 104, 105; vom 22. April 2008 (VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 16)). Im zuletzt genannten Urteil heisst es, die Berichtigung von Äusserungen, die auf ihren Wahrheitsgehalt im Beweisweg objektiv nicht überprüft werden können, weil sie nur eine subjektive Meinung, also ein wertendes Urteil enthalten, könne nicht verlangt werden. Die Pflicht zur Übernahme einer fremden Meinungsäusserung unterliegt denselben verfassungsmässigen Grenzen wie diejenige zum Unterlassen einer eigenen Meinungsbildung. Das Bundesverfassungsgericht geht ebenfalls davon aus, dass ein Überzeugungswandel nicht verlangt werden kann (BVerfGE 28, 1 ff.). In einer neueren Entscheidung hat es angenommen, die Presse dürfe nach einer rechtmässigen Verdachtsberichterstattung, die sich später als unrichtig erwiesen habe, nicht zu einer (eigenen) Neubewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden (BVerGE, WM 2018, 12167 Rn. 21). Entgegen der Ansicht des Antragstellers geht es hier nicht darum, ob die Ausgangserklärung (…) rechtmässig oder rechtswidrig war. Es geht um die Frage, ob die Antragsgegnerin zur Übernahm einer fremden Meinung verpflichtet werden kann. Wenn schon die Pflicht zur Abgabe einer eigenen Stellungnahme gegen die negative Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verstösst, gilt dies erst recht für die Pflicht, eine vorgegebene Bewertung als eigene Meinung veröffentlichen zu müssen.

Der durch eine Vollstreckung des Urteils (…) bewirkte Eingriff in das Grundrecht der Antragsgegnerin aus Art. 5 GG verstiesse offensichtlich gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsgrundsatz.“
14

Auch die deutsche Lehre lehnt einen klag- und vollstreckbaren Anspruch auf Entschuldigung ab:

15

Ricker/Weberling betonen, dass hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für eine Berichtigung nach §§ 823 und 1004 BGB der Grundsatz gilt „dass nur Tatsachenbehauptungen widerrufsfähig sind, nicht aber Meinungsäusserungen. (…) Denn die Freiheit der Meinungsäusserung und der Meinungsbildung, die in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt sind, setzt einen offenen Meinungsaustausch voraus, der sich in Rede und Gegenrede vollzieht (vgl. BVerGE 20, S. 174 f., 12, S. 125). Dieses Grundrecht verbietet es, mit staatlichen Mitteln die Aufgabe einer bestimmten Meinung zu erzwingen (BGH in NJW 2008, S. 2263).“[17]

16

Gemäss Ricker/Weberling gelten für die Form des Widerrufs (Berichtigung) zudem folgende Massstäbe: „Grundsätzlich ist die schonendste Formulierung zu wählen (BGH in GRUR 1969, S. 555). Der Widerruf darf nicht zur Demütigung führen (BVerGE in NJW 1998, S. 1383; in NJW 1970, S. 651; Gross in AfP 2005, S. 150).“[18]

17

Prinz/Peter weisen ebenfalls auf BVerGE in NJW 1970, S. 651 hin, wonach der Erklärende durch die Berichtigungserklärung „nicht ‘gedemütigt’, sein Wille nicht gebrochen werden“ darf. „Seine Überzeugung muss er nicht ändern.“[19]

18

Auch Dillmann betont in seiner rechtsvergleichenden Studie zum Schutz der Privatsphäre gegenüber Medien in Deutschland und Japan, dass in Deutschland die Möglichkeit, eine Person zur Abgabe einer Entschuldigung zu verpflichten, ausdrücklich abgelehnt wird.[20] Er verweist dazu auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1963, worin wiederum auf ein früheres rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Hamburg verwiesen wird, mit dem der Antrag einer Fernsehmoderatorin auf Veröffentlichung einer entschuldigenden Erklärung (Ausdruck des Bedauerns) im «Stern» abgewiesen wurde.[21]

3. Konsequenzen für den Fall Spiess-Hegglin c. Ringier

19

Eine nüchterne Analyse der einschlägigen schweizerischen und deutschen Judikatur und Literatur zeigt, dass der von Frau Spiess-Hegglin geltend gemachte Entschuldigungsanspruch einen schweren Stand hat. Insbesondere grundrechtliche Argumente sprechen auch in der Schweiz gegen einen solchen Anspruch. Denn grundrechtlich soll niemand mit staatlichen Mitteln gezwungen werden, seine eigene Meinung aufzugeben oder eine fremde Meinung anzunehmen. Zudem ist es aus Gründen der Rechtssicherheit heikel, wenn das Recht den soliden Boden der Objektivität verlässt und sich auf den schwammigen Grund subjektiver Gefühlsbekundungen begibt.


Die Entgegnung zu diesem Beitrag, verfasst von Manuel Bertschi, finden Sie ab 3.12.2019 auf dieser Website unter dem Titel «Die Publikation einer „Entschuldigung“ kann ein klag- und durchsetzbarer Anspruch sein». 

Fussnoten:

  1. Entscheid Nr. A1 2017 55.

  2. Recte: N 13.

  3. Noch offen gelassen im unveröff. BGE vom 23. Juni 1998 i.S. D et al., E. 7b a.E.

  4. Steinauer/Fountoulakis, Droit des personnes physiques et la protection de l’adulte, Bern 2014, Rz 648c.

  5. Nobel/Weber, Medienrecht, 3. A., 2007 Bern, 4. Kap., Rz 133.

  6. Meili, Basler Komm. zu Art. 28a ZGB, N 13.

  7. Brückner, Das Personenrecht des ZGB: (ohne Beurkundung des Personenstandes), Zürich 2000, Rz 718.

  8. Hausheer/Aebi-Müller, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. A., Bern 2016, Rz 14.01.

  9. Hausheer/Aebi-Müller, a.a.O., vgl. Rz 14.61.

  10. Aebi-Müller, Urteil des Bundesgerichts vom 4. November 2013 (5A_309/2013), Medialex 2014, 41 ff.; id., Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2013, ZBJV 150/2014, 369 ff.

  11. Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, AT, 7. A., Bern 2016, 120.

  12. Fischer, in: Kren Kostkiewicz et al. (Hrsg.), Kommentar zu Art. 49 OR, N 34 f.: „Der Richter kann namentlich auf eine andere Art der Genugtuung erkennen.“

  13. Hrubesch-Millauer/Bruggisser, Rechtsprechungsübersicht Personenrecht und Einleitungsartikel, AJP 2014, 718 ff., 721 f.

  14. Brehm, Berner Komm. zu Art. 49 OR, N 113 f.

  15. Müller, in: Furrer/Schnyder (Hrsg.), Handkomm. zu Art. 49 OR, N 16 m.H. darauf, dass diese Arten von Genugtuung „jedoch in der Lehre umstritten“ sind.

  16. Entscheid-Nr. IX ZB 10/18.

  17. Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. A., München 2012, Kap. 44, Rz 19 m.H.

  18. Ricker/Weberling, a.a.O. Rz 25.

  19. Prinz/Peter, Medienrecht, München 1999, Rz 696.

  20. ZJAPANR / J.JAPAN.L Nr. 35/2013, S. 259 ff., u.a. m.H. auf RIXECKER, in: MüKo-BGB, Rdnr. 221.

  21. Urteil des BGHZ vom 5. März 1963, VI ZR 55/62, S. 3 und 5.

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