Erweiterte Urheberrechte für Fotografien

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Auswirkungen der URG-Revision für die Kollektivverwertung

Philip Kübler, Rechtsanwalt, Dr. iur. LL.M., Geschäftsführer von ProLitteris

Résumé: La révision de la Loi sur le droit d’auteur (LDA) est entrée en vigueur le 1er avril 2020. Elle a, notamment, élargi la protection des photographies. En conséquence, les sociétés de gestion des droits doivent adapter leur pratique. Cet article synthétise les cas de figure de mise en œuvre du nouvel article 2, al. 3bis de la LDA dans les tarifs de la gestion collective obligatoire des droits. L’auteur résume aussi la situation juridique pour les photographies, montre la place des photographies dans le répertoire de ProLitteris et rappelle aussi quelles autres modifications de la loi ont un impact sur les photographies.

Zusammenfassung: Seit dem 1. April 2020 gilt das revidierte Urheberrechtsgesetz (URG), das u.a. den Schutz der Fotografien erweitert hat. Damit stellt sich für die Verwertungsgesellschaften die Frage, wie sich die Ausweitung der Menge an geschütztem Material auf ihre Praxis auswirkt. Der vorliegende Beitrag fasst die Annahmen zusammen, mit denen die Verwertungsgesellschaften den neuen Art. 2 Abs. 3bis URG in den Tarifen der obligatorischen Kollektivverwertung umsetzen, gibt die neue Rechtslage für Fotografien wieder, ordnet die Fotografien im Repertoire von ProLitteris ein und erinnert an weitere Änderungen des URG, welche die Verwertung von Fotografien beeinflussen.

I. Einleitung

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Mit dem erweiterten Schutz der Fotografien, der seit dem Inkrafttreten des revidierten URG am 1. April 2020 Jahr gilt, stellt sich auch die Frage, wie sich die plötzlich gewachsene Menge an geschütztem Material auf die Praxis der Verwertungsgesellschaften auswirkt. In der Schweiz ist ProLitteris die für die Verwertung von Rechten an Texten und Bildern zuständige Organisation. Zu den Bildern zählen neben den Kunstwerken auch die Fotografien nach Art. 2 Abs. 2 lit. g und (neu) Abs. 3bis URG. Die Art. 49 und Art. 60 URG regeln die Kriterien für die Verteilung und den Einzug von Vergütungen, insbesondere in den Gemeinsamen Tarifen der Verwertungsgesellschaften in der Schweiz, den GT 1 bis 13.

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Die Beurteilung der Verwertung von Fotografien und die Praxis werden sich weiterentwickeln. Namentlich können sich im Kontext der Tarifverfahren, Genehmigungsverfahren, in der Verteilung und in der weiteren Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften Anpassungen ergeben. Es ist möglich, aber nicht zwingend, dass sich die Erstreckung des Urheberrechts auf nicht individuelle Bilder in einer dedizierten Vergütung für gesetzliche Lizenzen niederschlägt. Die Darstellung gibt somit die aktuelle Beurteilung von ProLitteris wieder und ist nicht bindend.

II. Rechtslage: Alle Fotografien sind urheberrechtlich geschützt

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Aus der Revision des Urheberrechtsgesetzes (URG) ging eine Erweiterung des urheberrechtlichen Schutzes von Fotografien hervor. Artikel 2 Absatz 3bis URG lautet neu: «Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.»

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Laut dem neuen Art. 2 Abs. 3bis URG gelten somit auch nicht-individuelle Fotos als Werke. Damit entsteht rechtlich eine neue Werk-Untergattung. Sie lässt sich – wie bereits im Gesetzgebungsverfahren – als «Lichtbild» oder als «nicht individuelle Fotografie» bezeichnen. Die Legaldefinition eines Lichtbildes lautet im Ergebnis «fotografisches Werk (gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. g URG) ohne individuellen Charakter (gemäss Art. 2 Abs. 1 URG)».

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Individualität bedeutet Originalität, Kreativität, Gestaltung, Schöpfungshöhe. Nach der neuen Rechtslage müssen Fotografien diese Individualität nicht aufweisen, um als Werk zu gelten und Urheberrechtsschutz zu geniessen. Die Besserstellung gilt nur für Fotografien, nicht für andere Bilder wie Zeichnungen, Grafiken, Illustrationen.

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Wie bisher gilt allein die fotografierende Person als Urheberin des Werks. Sie ist allein berechtigt, über Verwendungen des Werks zu verfügen, d.h. zu entscheiden, ob, durch wen und wie eine Fotografie vervielfältigt, verbreitet, im Internet oder in einer Sendung verwendet wird. Für ein fotografisches Werk wird weiterhin vorausgesetzt, dass ein menschliches Handeln zugrunde liegt. Wenn nicht Menschen den Apparat bedienen, sondern Tiere oder Maschinen, dann fehlt es an der geistigen Schöpfung (Art. 2 Abs. 1 URG). Als Gerät kommt jeder bildgebende Apparat in Frage. Hingegen ist der vollautomatische Output von Überwachungskameras, Radargeräten, Fotofallen oder Satelliten nicht geschützt.

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Neu sind somit alle Medienfotografien (Pressefotos) geschützt. Auch alle historischen bzw. dokumentarischen Fotos und alle Gebrauchsfotografien ab Herstellungsjahr 1970 sind geschützt, genauso wie Produktfotos und Symbolbilder und dergleichen. Vom Verzicht auf die Schutzvoraussetzung «Individualität» profitieren auch private Fotos und Gelegenheitsbilder aller Art, die Menschen mit Kameras und Handys massenhaft herstellen. Die Qualität der Fotografie und ihr Zweck spielen keine Rolle.

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Die Gesetzesbestimmung setzt für ein Lichtbild voraus, das es in einem fotografischen oder ähnlichen Verfahren entsteht und dass das Abgebildete dreidimensional ist. Dreidimensional sind eine Skulptur, ein Gebäude oder ein Relief. Nicht geschützt sind Fotografien, die zweidimensionale Vorlagen abbilden. Als zweidimensional gelten in der Regel auch Gemälde ohne besonders herausragende Elemente. Es sollte keine Rolle spielen, dass ein Original, sein Rahmen und letztlich praktisch jedes Objekt physikalisch gesehen dreidimensional beschaffen sind – hier ist die Abgrenzung allerdings noch unklar. Denkbar ist immerhin, dass die gestalterische Nachbearbeitung einer Fotografie einen individuellen Charakter verleiht, auch wenn sie bloss ein zweidimensionales Objekt abbildet. Auf diese Weise kann eine individuell gestaltete Fotografie entstehen, ein Werk mit der üblichen Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.

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Fotografien sind 50 Jahre ab Herstellung, individuelle Fotografien dagegen wie alle sonstigen Werke bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt. Dass die Schutzdauer nicht-individueller Fotografien ab Herstellung immer – ohne Rücksicht auf die Veröffentlichung – 50 Jahre beträgt, weicht von den Leistungsschutzrechten ab. Diese Uneinheitlichkeit ist ein Nachteil. Ein Vorteil dieser Regel ist der besser erkennbare Fristbeginn.

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Der neue Schutz gilt auch für bereits bestehende Fotografien, die neu verwendet werden (Art. 80 Abs. 1 URG). Der Bundesrat geht davon aus, dass bisher ungeschützte Fotografien weiterhin ohne Einwilligung des Urhebers online stehen bleiben dürfen, dass aber ein neues Hochladen zustimmungspflichtig wäre (Bundesrat, Botschaft zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 22. November 2017 BBl 2018 S. 619). Ein andauerndes Zugänglichmachen wird somit als Vollendung der Verwendung im Sinne von Art. 80 Abs. 2 URG betrachtet.

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Der Hauptzweck des Prinzips «Alle Fotografien sind Werke» in der URG-Revision war, dass allen Fotografen ein Verbotsrecht zukommt.

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Mit der Erweiterung des Schutzes sind aber automatisch auch Folgen in der obligatorischen Kollektivverwertung verbunden, die kaum diskutiert wurden.

III. Gesetzliche Vergütungsansprüche für Urheberinnen von Fotografien

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In der Kollektivverwertung ist es unumgänglich, über die Verwendung von Fotografien und anderen Werkkategorien Annahmen zu treffen und, soweit wirtschaftlich vertretbar, Studien einzuholen. Die Werke einer Kategorie sind in der Regel gleich zu behandeln, ohne Beurteilung des inhaltlichen oder wirtschaftlichen Wertes im Einzelfall.

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Der im Gesetzesverfahren «Lichtbildschutz» genannte Schutz von Fotografien als Werk, wenn sie keinen individuellen Charakter aufweisen, bringt eine Mengenausweitung an geschütztem Material. Dies aus rechtlichen Gründen unabhängig davon, ob die in den Tarifen geregelten Nutzungen auch faktisch mehr Fotografien betreffen.

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Die Verwertungsgesellschaften stellen in der Nachführung aller Gemeinsamen Tarife (d.h. für «gesetzliche Vergütungen», seien es ausschliessliche Rechte mit Zwang zur Kollektivverwertung, oder gesetzliche Vergütungsansprüche) sicher, dass der Grundsatz «Alle Fotografien sind Werke» vom Anwendungsbereich erfasst und die Mengenausweitung in dieser Werkkategorie berücksichtigt wird.

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Der neue Artikel 2 Absatz 3bis URG bringt in der Praxis die Vereinfachung, dass Rechtsanwendende die Fotografien meistens nicht mehr danach beurteilen müssen, ob sie individuell sind («individuelle Fotografien») oder nicht («nicht individuelle Fotografien»). Unterschiedlich bleiben allerdings die Schutzfrist und der Beginn der Schutzdauer.

IV. Mengenausweitung im Material, das pauschal genutzt werden darf

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Die gewachsenen Mengen an geschützten Fotografien wirken sich auf Gemeinsame Tarife (GT) aus, welche noch aufgrund des früheren URG verhandelt und genehmigt worden sind. Aus praktischer Sicht sind Auswirkungen auf die gesetzlichen Vergütungen:

  • a) stärker in den «Eigengebrauchs-Tarifen» (insb. GT 4, 4i, 7, 8, 9) sowie beim Vermieten (GT 5). Dies, weil die tarifliche Nutzung in der Praxis viele publizistische Produkte mit informativem Gehalt zum Gegenstand hat, d.h. ertragsorientiert angebotene Text- und Bild-Inhalte der Print- und Online-Medien, der Buchverlage, der Special-Interest-Angebote und Blogs etc.
  • b) im Kreis der «Eigengebrauchs-Tarife» schwächer im privaten Eigengebrauch (GT 4, 4i) verglichen mit dem schulischen (GT 7) und betrieblichen (GT 8 und 9) Eigengebrauch. Dies, weil die private Nutzung (z.B. über soziale Medien und Messaging mit automatischer Speicherung) in der Praxis vorwiegend Inhalte betrifft, die der Individual- und Gruppenkommunikation dienen, ohne dass die Fotografien ertragsorientiert verwertet würden, d.h. als Gegenstand wirtschaftlicher Transaktionen.
  • c) im Vergleich mit allen «Eigengebrauchs-Tarifen» wiederum schwächer in den «Verbreitungs-Tarifen» (insb. GT 1, 2b, 3a, 3b, 3c, 11, ebenso GT 12 als Sonderfall unter den «Eigengebrauchs-Tarifen»). Dies, weil die tarifliche Nutzung in der Praxis vorwiegend Audio/Audiovisions-Inhalte mit weniger stehenden Bildern zum Gegenstand hat, die unverändert verwendet werden (Videos, Filme, Serien etc.).

V. Folgen für die Zulassung von Rechteinhabern und die Verteilung

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Die Statuten von ProLitteris erlauben Rechteinhabern, einen Verwertungsvertrag zu schliessen und Mitglied der Genossenschaft zu werden:

  • wenn sie ein Urheber, ein Verlag oder eine Rechtsnachfolgerin sind, mit Rechten an veröffentlichten Werken der Literatur und Kunst im Bereich «Text» und «Bild»;
  • wenn sie Ressourcen und Aktivitäten in der Schweiz oder in Liechtenstein haben und relevante Nutzungen ihrer Werke nachweisen, für welche ProLitteris Vergütungen einziehen und verteilen kann.
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Wie bisher sind auch Fotografinnen und Fotografen willkommen, neu auch dann, wenn sich ihr Schaffen auf Fotografien gemäss Art. 2 Abs. 3bis URG beschränkt. Erforderlich ist, dass die Werke veröffentlicht werden und in den Verteilungen von ProLitteris verwertbar sind.

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Die Verteilungen gesetzlicher Vergütungen wird zurzeit in Schritten erneuert. Sie umfassen die Publikationsformen Print, Online und Broadcast (Radio und TV). Die Verteilung Online bietet seit Anfang 2021 die Möglichkeit, dass der Verlag (Betreiber einer Website mit redaktioneller Verantwortung) einen oder mehrere Bildurheber meldet und an der Entschädigung für ein Werk beteiligt. Vorausgesetzt wird, dass der Verlag am Zähl- und Messverfahren von ProLitteris teilnimmt. Dem neuen Gesetz entsprechend ist die Individualität einer Fotografie keine Voraussetzung.

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Das Verteilungsreglement von ProLitteris (Art. 48 Abs. 1 URG) stellt sicher, dass auch nicht individuelle Fotografien zugelassen werden. Fotos können wie andere Werke dann entschädigt werden, wenn sie die Bedingungen im Verteilungsreglement erfüllen. Eine Prüfung der Individualität entfällt, solange die Schutzfrist keine Rolle spielt.

VI. Freiwillige Kollektivverwertung

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Im Rahmen der freiwilligen Kollektivverwertung verwaltet ProLitteris Rechte an Texten, welche von Sendeunternehmen (Radio und TV) genutzt werden, sowie Rechte an abgebildeten Kunstwerken inkl. Kunstfotografien. Die Reproduktionsrechte an Bildern betreffen also nur den qualifizierten Bereich der Kunst: Zur Teilnahme an diesem Verwertungsbereich muss das Werk einer Rechteinhaberin bereits im Kunstmarkt verwertet werden. Für nicht individuelle Fotos nach Art. 2 Abs. 3bis URG ist dies selten der Fall.

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Erst als Konzeptentwurf liegen Überlegungen vor, wie die Verwertungsgesellschaft ProLitteris Zweitnutzungen von Texten und Bildern im Internet kollektiv verwerten könnte. Gestützt auf gepoolte Rechte wären Pauschallizenzen für Gedächtnisinstitutionen denkbar, für Sammlungen oder Internetdienste (Plattformen), und diese Lizenzen könnten gestützt auf den neuen Art. 43a URG auch als erweiterte Kollektivlizenz ausgestaltet werden.

VII. Weitere Änderungen des Urheberrechts mit Bezug auf Fotografien

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Im neuen Urheberrechtsgesetz, in Kraft ab April 2020, ist die Gattung Bild im Weiteren durch die folgenden Veränderungen betroffen:

1. Zugänglichmachen von Darbietungen in audiovisuellen Werken (Art. 13a und 35a URG)

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Stehende Bilder können Teil eines audiovisuellen Werks sein, gehören aber nicht zum hauptsächlichen Zweck, der dieser neue Vergütungsanspruch verfolgt. Ein Tarif (GT 14) steht in Verhandlung. Zu beobachten ist, inwiefern vorbestehende Bilder, die in einem Video reproduziert werden, vom Vergütungsanspruch erfasst sind. Die Auswirkungen auf Fotografien sind bis auf Weiteres vernachlässigbar.

2. Nutzung von verwaisten Werken (Art. 22b URG, GT 13)

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Nach dem Inkrafttreten der URG-Revision im April 2020 hat ProLitteris umgehend Verhandlungen zur Tarifanpassung eingeleitet und mit Museums- und weiteren Nutzerverbänden in kurzer Zeit abgeschlossen. Im von der Eidgenössischen Schiedskommission (ESchK) genehmigten vollständig erneuerten und vereinfachten Tarif sind Bilder und alle Fotografien als Lizenzierungsobjekt erfasst. Für die Nutzer gibt es eine übersichtliche standardisierte Preisliste, und die Unterscheidung von geschütztem und nicht geschütztem Material muss jetzt auch Art. 2 Abs. 3bis URG berücksichtigen. Die revidierte Rechtslage wirkt sich auf Fotografien in Beständen mit Herstellungsjahr 1970 und später aus.

3. Verwendung von Werken zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung (Art. 24d URG)

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Data Mining ist auch für Bildmaterial zulässig, vergütungsfrei. Das wirkt sich praktisch nicht auf die kollektive Verwertung von Fotografien aus.

4. Bestandesverzeichnisse (Art. 24e URG)

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Bilder sind häufige Objekte dieser vergütungsfreien Schrankenbestimmung. Praktische Auswirkungen in der kollektiven Verwertung von Fotografien betreffen Objekte von Sammlungen aller Art.

5. Erweiterte Kollektivlizenzen (Art. 43a URG)

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Für Bilder ist es denkbar, dass ProLitteris erweiterte Kollektivlizenzen vergeben wird. Mit dem Grundsatz «Alle Fotografien sind Werke» kommt es nicht mehr auf die Individualität einer Fotografie an.


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