Muss der 2015 revidierte Art. 47 BankG korrigiert werden?
David Zollinger, Rechtsanwalt, Wetzikon
I. Einleitung
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Im Februar 2022 veröffentlichte ein internationales Journalisten-Netzwerk, angeführt durch die Süddeutsche Zeitung, unter dem Begriff «Suisse Secrets» Angaben zu Kunden der Credit Suisse. Das Netzwerk hatte von einer anonymen Quelle Unterlagen zu rund 18’000 Kontobeziehungen erhalten, diese analysiert und schliesslich unter Nennung von Kundennamen Berichte dazu veröffentlicht.[1]
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Nicht mit an Bord waren dieses Mal die Schweizer Medien des Netzwerks. Sie befürchteten, sich nur schon bei der Entgegennahme der Kontounterlagen, sicher aber mit deren Publikation strafbar zu machen. Stattdessen lancierten sie eine Diskussion zur Frage, ob die Revision des Bankengesetzes (BankG) im Jahre 2015 korrigiert werden müsse.[2]
II. Geschichte
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Bis zum 1. Juli 2015 wurde gemäss Art. 47 BankG ausschliesslich bestraft, «wer vorsätzlich ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Organ, Angestellter, Beauftragter oder Liquidator einer Bank oder einer Person nach Artikel 1b oder als Organ oder Angestellter einer Prüfgesellschaft anvertraut worden ist oder das er in dieser Eigenschaft wahrgenommen hat».[3] Welche Informationen vom Geheimnis erfasst werden, wurde an anderer Stelle erläutert.[4]
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Der Täterkreis bezog sich damit ausschliesslich auf Personen, welche im Rahmen ihrer Tätigkeit bei einem Bankinstitut an geheimnisgeschützte Informationen gekommen waren und diese Dritten offenbarten. Strafrechtlich nicht von Art. 47 BankG erfasst waren bis zum 1. Juli 2015 diejenigen Personen, welche von einem Geheimnisträger Informationen erhielten und diese anschliessend weiterverwendeten und z.B. publizierten oder in einem Gerichtsverfahren verwerteten.
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In den Anfangsjahren des 21. Jahrhunderts wurden wiederholt Fälle von Bankdatenverkäufen in den Schweizer Medien bekannt.[5] Während die Verkäufer der Bankdaten prinzipiell bestraft werden konnten, blieben die Erwerber – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt von Art. 47 BankG – straffrei. Obwohl bereits seit 2013 der Bankdatenaustausch mit den USA unter dem Begriff «FATCA» in Kraft getreten und der Automatische Informationsaustausch im Steueramtshilfebereich (AIA) im Grundsatz beschlossen war, entschied sich das Schweizer Parlament zu einer Ergänzung von Art. 47 BankG, um auch die Verwendung von geheimnisgeschützten Daten durch Dritte (also andere Personen als das Bankpersonal) unter Strafe zu stellen.
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Mit Wirkung ab 1. Juli 2015 wird seither auch bestraft, wer «ein ihm nach Buchstabe a offenbartes Geheimnis weiteren Personen offenbart oder für sich oder einen anderen ausnützt». Der strafbewehrte Geheimnisschutz wird damit auf jede weitere Person ausgedehnt, welche ab dem 1. Juli 2015 geheimnisgeschützte Informationen von einem Geheimnisträger erhält, ob direkt oder durch Mittelsleute.
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Im Parlament war bei der Beratung dieses Zusatzes darüber diskutiert worden, ob dies nicht zu weit gehe und allenfalls künftige Berichte im öffentlichen Interesse nicht mehr erscheinen könnten, wenn sie sich auf geleakte Bankdaten stützen. Während die eine Seite der Auffassung war, Journalisten könnten ja dann vor Gericht Rechtfertigungsgründe geltend machen, wenn sie die Publikation im öffentlichen Interesse vornehmen, vertrat die andere Seite die Auffassung, es sei «nicht Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu verletzen».[6] Das führt zum etwas absurden Ergebnis, dass heute Bankdaten besser geschützt sind als beispielsweise Informationen aus dem gesundheitlichen Intimbereich einer Person. Für medizinisches Personal gilt zwar auch das Berufsgeheimnis, aber eine Weitergabe von Arztberichten durch Dritte an Medienschaffende ist anders als beim Bankgeheimnis nicht durch eine Spezialnorm geschützt.
III. Zur Situation heute
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Nimmt man die obenstehende Ausgangslage der «Suisse Secrets» zum Massstab, so ist klar, dass Medienschaffende ebenfalls «weitere Personen» im Sinne der seit 1. Juli 2015 gültigen Gesetzesnorm sind. Sie können daher bestraft werden, wenn sie Informationen «offenbaren oder für sich oder einen anderen ausnützen», welche erkennbar – direkt oder über Mittelsleute – nur von einer Person stammen können, die selbst dem Bankgeheimnis untersteht.
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Ausschlaggebend ist dabei, dass die Daten von einer Bank stammen müssen, die dem Schweizer Bankengesetz untersteht[7]. Nicht von Art. 47 BankG erfasst sind z.B. die Geschäftsdaten eines Vermögensverwalters, der selbst nicht über eine Bankenlizenz verfügt. Dort können allenfalls Geschäftsgeheimnisse im Sinne von Art. 162 StGB oder einschlägige Datenschutzvorschriften betroffen sein.
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Ebenso müssen die Daten Geheimnischarakter aufweisen, d.h. es muss sich um Angaben zur Geschäftsbeziehung einer Person zu einer Bank handeln, die nicht bereits öffentlich bekannt sind. Naturgemäss ist hier die Abgrenzung nicht immer ganz trivial. Im Falle der «Suisse Secrets» ist aber immerhin anzunehmen, dass durch die Publikation der Bankdaten in den ausländischen Medien der Geheimnischarakter im Umfang der dort bekannt gemachten Details verlorenging.
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Bei Art. 47 BankG handelt es sich um ein Offizialdelikt, d.h. der Geheimnisherr (die Bankkundin) muss nicht selbst Anzeige erstatten oder schon gar nicht einen Strafantrag innert drei Monaten nach Bekanntwerden stellen. Grundsätzlich würde es zur Verfahrenseröffnung reichen, wenn eine zuständige Staatsanwaltschaft von einer solchen Geheimnisverletzung erfährt. Der Alltag zeigt allerdings, dass die Staatsanwaltschaften prinzipiell erst dann tätig werden, wenn eine Anzeige erstattet wird, die explizit auf die Verletzung des Bankgeheimnisses und einen möglichen Täterkreis Bezug nimmt. Der Anlass dazu kann allerdings auch ein Zivilverfahren sein wie ein Streit um eine Persönlichkeitsverletzung oder gar ein Arbeitsrechtsstreit.[8]
IV. Verteidigungsmöglichkeiten für Medienschaffende
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Bereits im Parlament wurde 2014 erwähnt, dass sich Medienschaffende allenfalls bei der Verwendung von Bankdaten in der Berichterstattung auf Rechtfertigungsgründe stützen könnten. Die damalige Justizministerin führte dazu aus:
«Grundsätzlich sind auch die Medien dieser Gesetzgebung unterstellt; sie sind in diesem Sinn Dritte. Die Frage ist, ob es den Autor alleine betrifft oder auch weitere, die die entsprechenden Informationen aufnehmen. Man muss auch sagen, dass in diesem Zusammenhang immer das Strafrecht, also das Strafgesetzbuch, massgebend ist. Es sieht für die Medien Entschuldigungsgründe vor, wenn sie tätig werden. Das wird im Einzelfall zu prüfen sein. Grundsätzlich sind die Medien dieser Gesetzgebung unterstellt, es gilt aber die Einschränkung durch das Strafrecht und die möglichen Entschuldigungsgründe.»[9]
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Gemeint haben dürfte die Justizministerin Art. 18 StGB. Dieser hält fest:
«Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.»
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Was denn genau «andere hochwertige Güter» sein sollen, definiert das Gesetz leider nicht.[10] Ebensowenig kam diese Frage damals im Parlament zur Sprache. Damit bleibt es ein Hochrisikospiel, wenn sich Medienschaffende bei einer Verwendung von bankgeheimnisgeschützten Daten darauf berufen, sie hätten durch ihre Berichterstattung den Geheimnisschutz der Bankkundin verletzt, um «andere hochwertige Güter zu retten». Es wird immer von den Personen bei der Staatsanwaltschaft und am Gericht abhängig sein, ob diese die Berichterstattung über Korruption, Veruntreuung, Betrug etc. als «hochwertiges Gut» betrachten, welches die – vom Parlament ausdrücklich gewollte – Bestrafung der Geheimnisverletzung mildert oder gar ausschliesst.
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Dass sich zuweilen auch Gerichte mit der Abwägung schwer tun, belegt das Obergericht des Kantons Zürich in einem Entscheid, der sich auf Vorgänge um den Jahreswechsel 2011/2012 und daher – weil vor der Verschärfung von Art. 47 BankG – nur auf die Beziehung zwischen Bankmitarbeiter und Drittem bezog. Es hielt zum einen die Weitergabe von Bankauszügen an Dritte und die Gehilfenschaft durch diese Dritte dazu für strafbar, befand dann aber: Der «Frage, ob der Nationalbankpräsident als einer der höchsten Exponenten der Schweizerischen Staatsorgane, Insiderwissen ausgenutzt und damit einen erheblichen persönlichen Vermögensvorteil erlangt hat, kommt eine erhebliche (staats-)politische und rechtsstaatliche Bedeutung zu. Das Interesse der Öffentlichkeit, durch die Medien über einen entsprechenden Verdacht angemessen informiert zu werden, ist als gewichtig zu erachten. Dieses Interesse überwiegt unter den hier vorliegenden konkreten Umständen das private Interesse auf den Schutz einzelner persönlicher, unter das Bankgeheimnis fallender Informationen.»
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In der Folge wurde der beschuldigte Dritte kurioserweise zwar der Gehilfenschaft zur Verletzung des Bankgeheimnisses im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. a BankG in Verbindung mit Art. 26 StGB schuldig gesprochen, weil er die Bankdaten vom IT-Mitarbeiter der Bank bekommen und an einen Politiker weitergeleitet hatte. Vom Vorwurf der versuchten Verleitung zur Verletzung des Bankgeheimnisses im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. b BankG (weil er die Bankdaten an einen Journalisten übergeben hatte) wurde er dagegen freigesprochen. Einmal schuldig, weil das Rechtsgut zweifellos verletzt gewesen sein soll; einmal unschuldig, weil das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung dann doch höher zu gewichten war, obwohl notabene die eigentlich zuständigen staatlichen Prüfstellen das Ganze schon beerdigt und sinngemäss erklärt hatten, es gebe kein öffentliches Interesse. Damit hängt es ausschliesslich vom Ermessen des urteilenden Gerichtes ab, ob in einem konkreten Fall berechtigte öffentliche Interessen wichtiger sind als die Privatsphäre – berechenbar ist das aber zum Vornherein kaum.[11]
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Zu bedenken ist als Verteidigungsstrategie immerhin Folgendes: Bei den meisten Bankkunden, die für eine Medienrecherche interessant sind, gibt es in der Regel ein administratives Umfeld in der Person von Steuerexpertinnen, Buchhaltern, administrativen Hilfskräften etc., welche im Umfeld des Bankkunden arbeiten und (auch) im Rahmen ihrer Tätigkeit Empfänger von Bankdaten sein können. Diese Personen unterstehen selbst nicht dem Bankgeheimnis, so dass eine Weitergabe durch sie nicht unter Art. 47 BankG fällt. Anzufügen ist allerdings, dass auch die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen nach Art. 162 StGB nicht ohne weiteres straflos ist, wenn ein Dritter «den Verrat für sich oder einen anderen ausnützt».
V. Und in Zukunft?
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Der Bankgeheimnisschutz in Zusammenhang mit den «Suisse Secrets» hat dazu geführt, dass die Diskussion dazu wieder aufgeflammt ist, ob in Zusammenhang mit Art. 47 Abs. 1 lit. c BankG eine Ausnahmeregelung für Medienschaffende eingeführt werden soll.[12]
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Die praktische Umsetzung wäre kaum sehr schwierig: Es würde wohl reichen, beispielsweise die Bestimmung in lit. c um den Satz zu erweitern, wonach «Medienschaffende nicht als weitere Personen gelten, wenn sie die Geheimnisse für Recherchen und Publikationen über damit zusammenhängende Straftaten verwenden».
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Es würde zwar auch dann noch der Gerichtspraxis obliegen zu bestimmen, wann ein Geheimnis mit einer Straftat verbunden ist, ob nur in der Schweiz begangene Straftaten davon betroffen sein sollen oder auch solche im Ausland (und ob dort das Prinzip der doppelten Strafbarkeit gelten muss), ob die Straftat die betroffene Bankkundin direkt betreffen muss oder ob es auch ein Dritter sein kann etc. Aber solche Fragen dürften wohl vorab schon im Parlament diskutiert werden, so dass dort die Richtung vorgegeben werden könnte.
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Bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein. In der Zwischenzeit bleibt wohl betroffenen Medienschaffenden nichts anderes übrig, als im Rahmen einer strafrechtlichen Vernehmung zu erklären, der Beweis, dass die Information von einem Geheimnisträger im Sinne von Art. 47 BankG stamme bzw. nur von einem solchen stammen könne, obliege den Strafverfolgungsbehörden, und sich im übrigen auf den Quellenschutz von Art. 28a StGB bzw. 172 StPO zu berufen.
Fussnoten:
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https://www.tagesanzeiger.ch/weltweite-kritik-am-umgang-der-schweiz-mit-der-pressefreiheit-884403267706 ↑
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https://jusletter.weblaw.ch/juslissues/2018/932/der-schutzbereich-vo_bb651e1d9a.html ↑
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https://www.20min.ch/story/erneut-steuer-cd-nach-deutschland-verkauft-965952835822 ↑
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https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=29598 ↑
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was grundsätzlich für sämtliche Unternehmen gilt, die in der Schweiz domiziliert sind und den Begriff «Bank», «Banque» o.ä. in der Geschäftsfirma tragen. Im Zweifel gibt das Handelsregister Auskunft darüber, ob der Betrieb einer Bank zum Geschäftszweck gehört. ↑
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Vgl. z.B. BGer 6B_247/2019 unter https://entscheide.weblaw.ch/cache.php?link=22.06.2020_6b_247-2019&sel_lang=de ↑
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siehe Fn 6 ↑
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Vgl. dazu Niggli/Göhlich in BSK-StGB, N5 zu Art. 18: «Unglücklicherweise bleibt weitgehend unklar, was ‹hochwertig› genau heisst. Auch das Verhältnis des Rechtsguts, dessen ‹Hochwertigkeit› zu bestimmen wäre, zu demjenigen, das zu seinem Schutz verletzt wird, hilft hier nicht weiter (anders Stratenwerth, AT/14, § 11 N 70). Was ‹hochwertig› ist, kann sich nicht aus dem Vergleich mit etwas anderem ergeben (das wäre nur zutreffend, wenn das Gesetz von ‹hochwertiger› spräche, was es indes nicht tut). Einen gewissen Hinweis vermögen immerhin die romanischen Textfassungen zu geben, die von ‹essentiel› bzw. ‹essenziale› sprechen.» ↑
- Urteil OGZ SB160257 vom 16. August 2017 mit dem Link https://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/SB160257-O1.pdf ↑
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https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz-verliert-in-der-rangliste-der-pressefreiheit-vier-plaetze-447272516164 ↑
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