Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2024 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)
Daniel Ladanie-Kämpfer*, MLaw, Rechtsberater/Öffentlichkeitsberater im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Bern
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Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über praxisrelevante Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) und des Bundesgerichts (BGer) aus dem vergangenen Jahr zum BGÖ. Wie in den Vorjahren werden die Urteile anhand der geprüften Bestimmungen des BGÖ gruppiert und gegebenenfalls kurz kommentiert, weshalb einzelne Entscheide mehrmals erwähnt werden. Im Berichtsjahr ergingen zahlreiche Urteile. Dies setzten sich, wie bereits in den Vorjahren, schwergewichtig mit der Anwendung von vermeintlichen Spezialbestimmungen anderer Bundesgesetze auseinander.
2. Sachlicher Geltungsbereich des Gesetzes (Art. 3 BGÖ)
a) Fristverlängerungsgesuche der Stadtwerke Grenchen bei der Pronovo AG betreffend fünf Bescheide über die kostendeckenden Einspeisevergütung KEV
(BVGer A-4753/2023 vom 17. September 2024)
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Eine Privatperson ersuchte bei der Pronovo AG[1] um Zugang zu den Fristverlängerungsgesuchen der Stadtwerke Grenchen SWG betreffend fünf Bescheide über die kostendeckende Einspeisevergütung KEV. Die Pronovo AG lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, dass es sich bei diesen Fristverlängerungsgesuchen um Dokumente eines erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens handle, welches noch nicht zu einem definitiven Entscheid geführt habe. Nach erfolglos durchlaufenem Schlichtungsverfahren vor dem Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten EDÖB verfügte die Pronovo AG einen Aufschub des Zugangs zu den verlangten Fristverlängerungsgesuchen der SWG betreffend die fünf KEV-Bescheide bis zum Eintritt der Rechtskraft des definitiven Entscheids über die Aufnahme in das Einspeisevergütungssystem. Dies begründete sie im Wesentlichen mit Art. 8 Abs. 2 BGÖ, wonach amtliche Dokumente erst zugänglich gemacht werden dürften, wenn der politische oder administrative Entscheid, für den sie die Grundlage darstellen, getroffen worden sei. Gegen diese Verfügung gelangte der Gesuchsteller mit Beschwerde an das BVGer.
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Das BVGer hielt zunächst fest, dass die Frage nach der Rechtmässigkeit des verfügten Zugangsaufschubes in erster Linie über die Regelung des sachlichen Geltungsbereiches gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. b BGÖ (Ausschluss des BGÖ für Verfahrensakten eines erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens) anstelle des besonderen Falles wegen eines noch ausstehenden politischen oder administrativen Entscheids im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BGÖ zu prüfen sei. Weiter präzisierte es unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung[2], dass das BGÖ auf Dokumente eines abgeschlossenen erstinstanzlichen Verfahrens auf Erlass einer Verfügung anwendbar sei. Nach ausführlicher Auslegeordnung der einschlägigen Bestimmungen des Energierechts kam es zum Schluss, dass die verlangten Fristverlängerungsgesuche der SWG als Akten von Gesuchsverfahren um Teilnahme am Einspeisevergütungssystem zu qualifizieren seien, welche unbestrittenermassen noch nicht in einen Entscheid nach Art. 24 EnFV[3] gemündet hätten. Damit bildeten sie Verfahrensakten hängiger erstinstanzlicher Verwaltungsverfahren und seien somit nicht vom sachlichen Geltungsbereich des BGÖ erfasst. Während der Hängigkeit dieser Verfahren habe der Beschwerdeführer demnach keine Möglichkeit zur Einsichtnahme, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.
b) Beschaffungsdossier Hygienemasken der Armeeapotheke
(BGer 1C_101/2023 vom 1. Februar 2024)
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Nachdem mehrere Medienschaffende unabhängig voneinander bei der Gruppe Verteidigung des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS Zugang zu verschiedenen Unterlagen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Hygienemasken durch die Armeeapotheke bei einem bestimmten Unternehmen ersucht und das VBS die Gewährung des Zugangs mit gewissen Einschränkungen in Betracht gezogen hatte, wehrte sich das betroffene und nach Art. 11 BGÖ angehörte Unternehmen und verlangte vom VBS eine anfechtbare Verfügung über die vorgesehene Zugangsgewährung, gegen welche es sodann Beschwerde erhob.
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Zur Begründung der vom Unternehmen verlangten vollständigen Zugangsverweigerung stellte sich dieses u.a. auf den Standpunkt, das Beschaffungsdossier würde zurzeit Gegenstand eines Strafverfahrens bei einer kantonalen Staatsanwaltschaft sowie eines Entsiegelungsverfahrens bei einem Zwangsmassnahmengericht bilden und sei demnach gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ dem sachlichen Geltungsbereich des BGÖ entzogen.
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In seinem Urteil A-3297/2021 vom 20. Januar 2023[4] widersprach das BVGer dieser Haltung, indem es unter Bezugnahme auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung[5] klarstellte, dass sich Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ gerade nicht auf sämtliche amtlichen Dokumente und Akten beziehe, die sich in einer Strafakte befinden würden. Lediglich Dokumente, welche ausdrücklich im Rahmen eines Strafverfahrens angeordnet oder explizit im Hinblick auf ein solches Verfahren erstellt worden sind, seien als Strafakten im engeren Sinne zu qualifizieren, welche definitiv vom sachlichen Anwendungsbereich des BGÖ ausgeschlossen sind. Strafakten im weiteren Sinne würden hingegen grundsätzlich dem BGÖ unterstehen. Schliesslich nehme das BGer aber zumindest implizit auch amtliche Dokumente, die als Beweismittel in einem Strafverfahren vorhanden sind, vom sachlichen Geltungsbereich des BGÖ aus, soweit diese in einem direkten Zusammenhang zum angefochtenen Entscheid stünden und eng mit dem Streitgegenstand verbunden seien. Im Ergebnis handle es sich beim E-Mailverkehr sowie den Angeboten, Bestellungen und Rechnungen im Beschaffungsdossier nicht um zentrale, eng mit dem Streitgegenstand des Strafverfahrens verbundene Beweismittel, sondern um Strafakten im weiteren Sinne, welche nicht gestützt auf Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ vom sachlichen Geltungsbereich des BGÖ ausgenommen seien.
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Zur Frage, ob das streitgegenständliche Beschaffungsdossier zugleich Gegenstand des Entsiegelungsverfahrens vor dem Zwangsmassnahmengericht sei, hielt das BVGer fest, dass die zu entsiegelnden Urkunden in einem Entsiegelungsverfahren zwar dessen zentraler Streitgegenstand bildeten. Zugleich würden jedoch oft zahlreiche Urkunden beschlagnahmt, für welche von vornherein keine Siegelungsgründe bestünden. Soweit einem amtlichen Dokument im Einzelfall eindeutig und ohne jeglichen Zweifel kein Siegelungsgrund entgegengehalten werden könne, der es rechtfertigen würde, den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts abzuwarten, könne dessen Herausgabe nicht unter Verweis auf Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ verhindert werden. Dies gelte auch für die in diesem Zugangsverfahren zur Einsicht verlangten amtlichen Dokumente.
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Das BGer stützte das Urteil der Vorinstanz vollumfänglich. In Bezug auf die Qualifikation der verlangten Beschaffungsunterlagen als Verfahrensakten eines Strafverfahrens bestätigte es seine bisherige Rechtsprechung, wonach Art. 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 BGÖ nicht einschlägig sei, wenn amtliche Dokumente bloss in einem Zusammenhang mit einem hängigen Strafverfahren stünden. Vorausgesetzt sei kumulativ, dass sie auch eng mit dem Streitgegenstand des Strafverfahrens verbunden seien. Dabei komme nicht jedem Beweismittel im Strafverfahren von vornherein die erforderliche Nähe zum Streitgegenstand zu. Im Ergebnis seinen nur Strafakten im engeren Sinn vom Anwendungsbereich des BGÖ ausgenommen, mithin Dokumente, die mit einem Beweismittel, das durch die Strafbehörde im Hinblick auf das Strafverfahren selber angeordnet worden ist, vergleichbar seien. Dieses restriktive Verständnis des Ausschlussgrundes für Verfahrensakten nach Art. 3 Abs. 1 lit. a BGÖ sei auch vor dem Hintergrund des Zwecks dieser Bestimmung angezeigt, denn soweit der Zugang zu einem amtlichen Dokument den ordnungsgemässen Ablauf eines hängigen Verfahrens nicht beeinflusse oder behindere, stehe ihm grundsätzlich nichts entgegen.
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In Bezug auf die Qualifikation der streitgegenständlichen Beschaffungsunterlagen als Verfahrensakten in einem Siegelungsverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht hielt das BGer fest, dass in Zugangsverfahren nach BGÖ zwar nicht dem Entscheid aus ebendiesem Siegelungsverfahren vorzugreifen sei, auf der anderen Seite jedoch gemäss den ausführlichen und nachvollziehbaren Ausführungen der Vorinstanz in Bezug auf die Dokumente des Beschaffungsdossiers klar und eindeutig keine Siegelungsgründe gemäss Art. 248 Abs. 1 i.V.m. Art. 264 StPO[6] vorliegen würden. Ohne konkrete Hinweise auf einen Siegelungsgrund drohe auch keine Beeinträchtigung des Entsiegelungsverfahrens, zumal amtliche Dokumente mit dem Instrument der Siegelung nicht dem Zugang nach dem BGÖ entzogen werden können sollen, obwohl keine Gründe vorlägen, die einer Entsiegelung entgegenstehen könnten.
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Kommentar: Das BGer bestätigt mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf den Umfang der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches für Verfahrensakten und unterstreicht damit die sehr restriktive Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. a BGÖ. Daraus ergibt sich, dass amtliche Dokumente betreffend Verfahren des Zivil-, Straf- oder des öffentlichen Rechts im Ergebnis nicht als eigentliche Bereichsausnahme zum Öffentlichkeitsprinzip zu verstehen sind. Vielmehr ist deren Ausschluss vom BGÖ insofern an strenge Bedingungen geknüpft, als nur eigentliche Beweismittel, welche explizit für das oder im Rahmen des Verfahrens erstellt wurden, von einem Zugang ausgenommen sind.
3. Spezialbestimmungen anderer Bundesgesetze (Art. 4 BGÖ)[7]
a) Geschäftsbeziehungen des fedpol mit dem israelischen Unternehmen NSO Group im Bereich Spionagesoftware (GovWare)
(TAF A-1310/2022 du 9 janvier 2024)
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Ein Rechtsanwalt verlangte beim Bundesamt für Polizei (fedpol) Zugang zu einem allfälligen Vertrag mit der israelischen NSO Group betreffend die Nutzung jeglicher von diesem Unternehmen entwickelten Software. Nach durchlaufendem Schlichtungsverfahren wurde dem Gesuchsteller der Zugang zu den verlangten Informationen und Unterlagen mittels Verfügung verweigert, wogegen er mit Beschwerde an das BVGer gelangte.
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Da anlässlich der Diskussion um allfällige Überwachungsmassnahmen durch Spyware neben dem fedpol auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) immer wieder zur Sprache kam, prüfte das BVGer die Anwendbarkeit von Art. 67 des Nachrichtendienstgesetzes (NDG)[8] als Spezialbestimmung im Sinne von Art. 4 Bst. a BGÖ, welche den Zugang ausschliesst. Gemäss dieser Bestimmung gilt das BGÖ nicht für den Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Informationsbeschaffung nach dem NDG.
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Das BVGer bejahte die Anwendbarkeit von Art. 67 NDG als Spezialbestimmung gemäss Art. 4 Bst. a BGÖ für den vorliegenden Fall und wies darauf hin, dass für deren Anwendbarkeit einzig die betroffenen Informationen und Unterlagen ausschlaggebend seien, ungeachtet der Frage, welche Behörde (auch ausserhalb des NDB) sich auf diese Bestimmung berufe.[9] Das BGÖ finde demnach für die verlangten Informationen keine Anwendung.
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Kommentar: Zwar liegt das Ergebnis dieser Prüfung nahe, doch wirft die methodische Vorgehensweise des BVGer in diesem Urteil die Frage auf, weshalb zunächst die beiden Ausnahmebestimmungen gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. b und c BGÖ geprüft und deren Anwendbarkeit bejaht wurden und erst anschliessend eine Prüfung über die Anwendbarkeit von Art. 67 NDG als Spezialbestimmung, welche die Anwendbarkeit des BGÖ als Ganzes ausschliesst, erfolgte. Diese Vorgehensweise ist beim BVGer interessanterweise des Öfteren zu beobachten (siehe etwa auch Kommentar zu Ziffer 7 hiernach).
b) Informationen beim BAG zu Medikamenten ausserhalb der sog. Spezialitätenliste
(TAF A-1722/2022 du 21 février 2024)
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Eine Journalistin verlangte beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) Zugang zu den von Krankenkassen an das BAG übermittelten Daten gemäss dem zwischenzeitlich ausser Kraft getretenen Art. 28 Abs. 3bis der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) betreffend die Vergütung von Arzneimitteln ausserhalb der Spezialitätenliste. Nachdem auch nach durchlaufenem Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB keine Einigung erzielt werden konnte, verfügte das BAG eine vollständige Zugangsverweigerung und begründete diese u.a. mit der vermeintlichen Anwendbarkeit von Art. 33 ATSG[10] (Schweigepflicht) i.V.m. Art. 84a Abs. 5 KVG[11] (Datenbekanntgabe) und Art. 28 KVV[12] (Daten der Versicherer) als Spezialbestimmungen im Sinne von Art. 4 BGÖ, welche einen Zugang ausschliessen würden.[13]
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Das BVGer widersprach dieser Haltung unter Hinweis auf seine bereits ergangene Rechtsprechung[14] zum Verhältnis von Art. 33 ATSG i.V.m. Art. 97 UVG[15] (Datenbekanntgabe), welcher mit Art. 84a KVG durchaus vergleichbar sei, als vermeintliche Spezialbestimmungen im Sinne von Art. 4 BGÖ. Dabei sei bereits festgestellt worden, dass die spezialgesetzliche Schweigepflicht mit Erlaubnisvorbehalt für bestimmte, klar bezeichnete Informationen dem Schutz der Versicherten und deren Persönlichkeitsrechte diene und den fraglichen Fall einer Offenlegung im Rahmen des BGÖ nicht regle. Das gelte auch im vorliegenden Fall, weshalb das BVGer keinen Grund sehe, auf diese Frage zurückzukommen. Ausserdem würde weder aus dem Gesetzestext selbst, noch aus den Materialien und auch nicht aus der Systematik des Gesetzes hervorgehen, dass diese Bestimmungen als das BGÖ ausschliessende Spezialbestimmungen zu verstehen wären. Auch wäre eine gegenteilige Interpretation nicht mit dem Paradigmenwechsel des BGÖ vereinbar. Im Ergebnis erklärte das BVGer das BGÖ für die Beurteilung des Zugangs zu den verlangten Informationen für uneingeschränkt anwendbar.
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Kommentar: Dieses Urteil reiht sich ein in eine eigentliche Serie von Entscheiden im Hinblick auf das Vorliegen von spezialgesetzlichen Bestimmungen, welche einem Zugang entgegenstehen können. Das BVGer stellt einmal mehr klar, dass die Prüfung vermeintlicher Spezialbestimmungen nicht abstrakt, sondern im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der jeweiligen Normen vor dem Hintergrund des BGÖ und dessen Sinn und Zweck zu erfolgen hat. Auch unterstreicht das Gericht zum wiederholten Mal deutlich, dass eine Annahme von spezialgesetzlichen Bestimmungen, welche das BGÖ ausschliessen, nur sehr restriktiv in Betracht fällt.
c) Auszug aus dem Betriebs- und Unternehmungsregister (BUR) des BFS
(BVGer A-4708/2022 vom 29. Februar 2024)
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Eine Privatperson ersuchte das Bundesamt für Statistik (BFS) um eine vollständige Liste sämtlicher in der Schweiz registrierten Firmennamen, ihrer entsprechenden Unternehmens-Identifikationsnummer (UID) und ihrem entsprechenden NOGA[16]-Code. Nach einem Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB, welches zu keiner Einigung führte, verfügte das BFS eine vollständig Zugangsverweigerung zur anbegehrten Liste. Diese begründete es u.a. mit der Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 3 (Betriebs- und Unternehmensregister) und Art. 14 Abs. 1 BStatG[17] (Datenschutz und Amtsgeheimnis, sog. Statistikgeheimnis) sowie Art. 10 Abs. 3 BURV[18] (Weitergabe der Daten zu anderen Zwecken) als vermeintliche Spezialbestimmungen i. S. v. Art. 4 BGÖ. So sei ein Zugang auf diese Daten für alle anderen als statistische Zwecke ausgeschlossen und damit auch der Zugang gestützt auf das BGÖ zu verneinen. Zwar statuiere Art. 10 Abs. 3 BStatG eine Ausnahme vom Statistikgeheimnis, indem der Bundesrat bestimmte Angaben auch zur Verwendung für personenbezogene Zwecke vorsehen könne. Diese Ausnahme vom Statistikgeheimnis sei jedoch auf Verwendungszwecke im öffentlichen Interesse beschränkt. Art. 10 Abs. 3 BURV sehe sodann vor, dass die Bearbeitung der Daten nach den Bestimmungen des DSG zu erfolgen habe, weshalb die Bearbeitung der verlangten Daten durch Private von einer Einwilligung der Betroffenen, einem überwiegenden privaten oder öffentlichen Interesse oder vom Gesetz abgedeckt sein müsse. Soweit die BUR-Daten zu personenbezogenen Zwecken ausserhalb jeglichen öffentlichen Interesses verwendet werden sollten, würden sie demnach unter das Statistikgeheimnis gemäss Art. 14 Abs. 1 BStatG fallen und könnten nicht gemäss BGÖ allgemein zugänglich gemacht werden.
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Das BVGer folgte dieser Argumentation nicht. Einleitend hielt es fest, dass das Statistikgeheimnis dazu diene, für statistische Zwecke erhobene Daten einzig hierfür zuzulassen und nicht für andere Interessen zweckzuentfremden. Für Daten, die bei der Verwaltungstätigkeit anfallen und zusätzlich statistisch genutzt werden, um diese Verwaltungstätigkeit selbst zu verbessern, müsse demgegenüber der Zweck des BGÖ vorgehen, der gerade darin bestehe, Transparenz über die Verwaltungstätigkeit als solcher zu schaffen. Sodann sei die Tragweite einer vermeintlichen Spezialbestimmung durch Auslegung zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Auslegung ergebe, dass der Wortlaut von Art. 14 BStatG nicht klar sei. Die historische, die systematische sowie die teleologische Auslegung würden i.V.m. Art. 10 Abs. 3 BStatG gegen eine Abstützung auf Art. 14 BStatG als Spezialbestimmung i.S.v. Art. 4 Bst. a und Bst. b BGÖ für die fragliche Liste sprechen. Die Regelung auf Verordnungsstufe im BURV reichte für eine Spezialbestimmung ohnehin nicht aus. Somit liege zumindest für die verlangte Liste keine dem BGÖ vorgehende Spezialbestimmung vor und das BGÖ finde Anwendung.
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Kommentar: Das Ergebnis der bundesverwaltungsgerichtlichen Auslegung überzeugt. Zu begrüssen scheint der Umstand, dass das BVGer dem Statistikgeheimnis – einmal mehr[19] – klare Grenzen setzt und damit verhindert, dass dieses – bei zu extensiver Auslegung – zu einer Ausnahme der gesamten Kerntätigkeit des BFS führen würde. Kernelement für die Anwendbarkeit des Statistikgeheimnisses ist demnach der Umstand, ob die fraglichen Daten ursprünglich explizit und ausschliesslich zu statistischen Zwecken erhoben worden sind, oder ob sie anlässlich der Verwaltungstätigkeit anfallen und zusätzlich zu statistischen Zwecken dienen. Nur im Rahmen der ersten Konstellation vermag das Statistikgeheimnis das BGÖ im Einzelfall zu verdrängen.
d) Verträge und Evaluationsunterlagen des SEM betr. Betreuungsdienstleistungen in Bundesasylzentren
(BVGer A-1460/2022 vom 4. Juli 2024)
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Ein Journalist ersuchte beim Staatssekretariat für Migration (SEM) einerseits um Zugang zu sämtlichen Rahmen- und Objektverträgen mit zwei Unternehmen (X AG und Y AG) im Zusammenhang mit der Erbringung von Betreuungsdienstleistungen in Asylunterkünften des Bundes und andererseits in Bezug auf das Dossier «Beschaffungsverfahren: Betreuungsdienstleistungen in den Unterkünften des Bundes» des SEM um Einsicht in die Subdossiers «Anträge Bcb», «Evaluation» und «Debriefings». Nach teilweise gewährtem Zugang und einem Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB, in welchem sich die Parteien nicht einigen konnten, verfügte das SEM nach Anhörung der beiden betroffenen Unternehmen einen eingeschränkten Zugang zu den mit der X AG und der Y AG abgeschlossenen Rahmen- und Objektverträgen samt Beilagen betreffend Betreuungsdienstleistungen in den Asylunterkünften des Bundes und eine vollständige Zugangsverweigerung zum Subdossier «Evaluation» zur Vergabe der Betreuungsdienstleistungen, soweit das Subdossier Ausführungen zur X AG und zur Y AG enthielt.
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Die Verweigerung des Zugangs zum Subdossier «Evaluation» begründete das SEM u.a. damit, dass beschaffungsrechtliche Spezialbestimmungen der Zugangsgewährung entgegenstehen würden. Das Dossier umfasste einen Evaluationsbericht zur Vergabe der Betreuungsdienstleistungen in den Unterkünften des Bundes inklusive Beilagen. Im dem Beschwerdeverfahren vorgelagerten Zugangs- und Schlichtungsverfahren stützte das SEM die Zugangsverweigerung auf Art. 11 Bst. e BöB[20] (Verfahrensgrundsätze), wonach die Auftraggeberin bei der Vergabe öffentlicher Aufträge den vertraulichen Charakter der Angaben der Anbieterinnen wahrt. Vor BVGer stützte sich das SEM sodann auf Art. 28 Abs. 1 Bst. f altVöB[21] (Bekanntmachung des Zuschlags), wonach es ihm ausnahmsweise gestattet sei, den tiefsten und den höchsten Preis der in das Vergabeverfahren einbezogenen Angebote statt des Preises des berücksichtigten Angebotes anzugeben. Dieses Vorgehen habe es in vorliegendem Fall bei der Publikation auf der elektronischen Beschaffungsplattform (www.simap.ch) bewusst gewählt.
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Das BVGer prüfte aufgrund der Übergangsbestimmung gemäss Art. 62 BöB, wonach Vergabeverfahren aus der Zeit vor Inkrafttreten des totalrevidierten BöB nach bisherigem Recht zu Ende geführt werden, einzig die Anwendbarkeit der vergaberechtlichen Vertraulichkeit gemäss Art. 8 Abs. 1 Bst. d altBöB.[22] Die entsprechende Vertraulichkeit gelte jedoch grundsätzlich nur während des Vergabeverfahrens und solle mögliche Verzerrungen bis zum Vergabeentscheid verhindern. Nach diesem Zeitpunkt gelte die Vertraulichkeit grundsätzlich nur noch in beschränktem Umfang, was dem ausdrücklichen Gesetzeszweck entspreche, das Vergabeverfahren im Wesentlichen transparent zu gestalten. Da zum Zeitpunkt der Einreichung des Zugangsgesuches das Vergabeverfahren bereits abgeschlossen war, könne sich das SEM nicht auf die vergaberechtliche Vertraulichkeit nach Art. 8 Abs. 1 Bst. d altBöB berufen.
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Kommentar: Dieser Entscheid bestätigt die diesbezügliche Rechtsprechung des BGer[23], welche die vergaberechtliche Vertraulichkeit lediglich während des laufenden Vergabeverfahrens gelten lässt und bei abgeschlossenen Vergabeverfahren grundsätzlich keine spezialgesetzliche allgemeine Vertraulichkeit mehr anerkennt.
e) Statistische Auswertungen und Beurkundungen von verschiedenen Zivilstandsereignissen des BJ aus dem elektronische Personenstandsregister Infostar
(BVGer A-5417/2021 vom 10. Oktober 2024)[24]
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Zwei Privatpersonen ersuchten beim Bundesamt für Justiz (BJ) u.a. um Zugang zu statistischen Auswertungen und Beurkundungen betreffend verschiedene Zivilstandsereignisse (insb. Nichtigerklärungen von erleichterten Einbürgerungen) aus Infostar. Das BJ verweigerte den Zugang u.a. unter Hinweis auf deren Nichtvorliegen in Form von amtlichen Dokumenten i.S.d. Gesetzes sowie aufgrund der spezialgesetzlichen Regelungen zur Bekanntgabe von Personendaten aus Infostar an Dritte. Nach erfolglos durchlaufenem Schlichtungsverfahren verfügte das BJ die Verweigerung des Zugangs zu den verlangten statistischen Auswertungen und Beurkundungen u.a. mit der Begründung, eine Bekanntgabe von Daten aus Infostar an Dritte sei spezialgesetzlich in Art. 43a ZGB[25] (Datenschutz und Bekanntgabe der Daten) i.V.m. Art. 59 ZStV[26] (Bekanntgabe auf Anfrage an Private) geregelt, weshalb das BGÖ nicht zur Anwendung gelange. Nach den spezialgesetzlichen Regelungen würden Privaten, die ein unmittelbares und schutzwürdiges Interesse nachweisen könnten, Personenstandsdaten bekannt gegeben, wenn die Beschaffung bei den direkt betroffenen Personen nicht möglich oder offensichtlich nicht zumutbar sei. Gegen diese Verfügung gelangten die beiden Gesuchstellerinnen mit Beschwerde an das BVGer.
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Dem widersprach das BVGer, indem es zunächst festhielt, dass die Auskunft von Personendaten aus Infostar an Private nach der vorliegend zu prüfenden Bestimmung der ZStV in nicht anonymisierter Form erfolgen würden. Demgegenüber hätten die Beschwerdeführerinnen statistische Daten und Beurkundungen von Zivilstandsereignissen in anonymisierter Form verlangt. Das Zugangsgesuch der Beschwerdeführerinnen falle daher nicht in den Anwendungsbereich von Art. 59 ZStV. In der Folge prüfte das BVGer, ob die ZStV den Zugang zu Personenstandsdaten in Infostar (i.S.e. qualifizierten Schweigens) abschliessend regle und damit als Spezialregelung dem BGÖ vorgehe. Hierbei kam es zum Schluss, dass im Zeitpunkt des Erlasses von Art. 43a ZGB das Öffentlichkeitsprinzip gesetzlich noch nicht verankert war und daher kein Anlass für eine diesbezügliche Regelung bzw. Koordination zwischen den beiden Erlassen bestand. Es sei davon auszugehen, dass die ZStV Gesuche wie jenes der Beschwerdeführerinnen weder anspruchsbegründend noch anspruchsausschliessend erfasse, zumal vorliegend ja gerade nicht personenbezogene Daten, sondern anonymisierte Statistiken verlangt würden, wobei nicht gesagt werden könne, ein solches Gesuch lasse sich nicht mit dem Zweck des BGÖ vereinbaren. Im Ergebnis finde das BGÖ Anwendung, weshalb die Verfügung des BJ in diesem Umfang aufzuheben und zur materiellen Beurteilung an dieses zurückzuweisen sei.
f) Beschaffungsdossier Hygienemasken der Armeeapotheke
(BGer 1C_101/2023 vom 1. Februar 2024)
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Im bereits erwähnten Beschwerdeverfahren um Zugang zum Beschaffungsdossier betreffend Hygienemasken der Armeeapotheke stellte sich das betroffene Unternehmen u.a. auf den Standpunkt, die strafprozessualen Akteneinsichts- und Informationsrechte gemäss Art. 69 Abs. 3 Bst. a und b StPO würden das Vorverfahren wie auch die Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht als geheim qualifizierten und die Öffentlichkeit ausschliessen. Dabei handle es sich um Spezialbestimmungen anderer Bundesgesetze, die dem BGÖ gemäss dessen Art. 4 vorgingen.
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In seinem Urteil A-3297/2021 vom 20. Januar 2023 widersprach das BVGer dieser Argumentation, indem es festhielt, dass Art. 69 StPO einzig die sog. Publikumsöffentlichkeit i.S.e. Anspruchs auf Zugänglichkeit zu einer Verhandlung regle, nicht jedoch den Zugang zu Informationen in den Strafakten selbst. Die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit eines Verfahrens habe demnach keinen Einfluss auf den Geheimnisgrad einer Strafakte, zumal auch die Gerichtsakten eines öffentlichen Verfahrens dem Amtsgeheimnis unterliegen würden.
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Das BGer folgte dem vorinstanzlichen Urteil. Es hielt fest, dass die Justizöffentlichkeit nach Art. 69 StPO sich grundsätzlich auf die Zulassung zu Gerichtsverhandlungen und die Bekanntgabe der Urteile beschränke, hingegen keinen Anspruch auf Zugang zu den Strafakten vermittle. Die Gerichtsakten würden grundsätzlich dem Amtsgeheimnis unterstehen, welches wiederum durch das Öffentlichkeitsprinzip relativiert werde. Soweit es sich um amtliche Dokumente handle, die lediglich Eingang in die Strafakten im weiteren Sinn gefunden hätten, unterstünden diese dem Geltungsbereich des BGÖ, da dieses ansonsten unterlaufen würde. Dasselbe gelte für das Akteneinsichtsrecht nach Art. 101 StPO, welches nur dann als Spezialbestimmung im Sinne von Art. 4 BGÖ Vorrang habe, wenn Strafakten im engeren Sinne betroffen seien. Bei Strafakten im weiteren Sinn, deren Offenlegung den Gang des Strafverfahrens weder beeinträchtigen noch beeinflussen, stünden somit weder die strafprozessualen Akteneinsichtsrechte und Geheimhaltungspflichten noch die Nichtöffentlichkeit des Vorverfahrens und des Verfahrens vor dem Zwangsmassnahmengericht einer Zugangsgewährung nach BGÖ entgegen.
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Kommentar: Dieses Urteil schafft weitere Klarheit im Hinblick auf die Abgrenzung von allgemeinen Verfahrensgrundsätzen zum Anspruch auf Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend Verfahrensakten. Das BGer stellt klar, dass die Anwendbarkeit von vermeintlichen Spezialbestimmungen zum BGÖ auch unter dem Vorbehalt zu prüfen sind, dass sie im Einzelfall tatsächlich nicht mit dem Zweck des BGÖ in Übereinstimmung zu bringen sind. Ihre Anwendung darf insbesondere nicht den Kern des Öffentlichkeitsprinzips aushöhlen.
4. Amtliche Dokumente (Art. 5 BGÖ)
a) Diverse Dokumente des NDB im Zusammenhang mit der internen Arbeitsgruppe DIMMI
(BVGer A-535/2022 vom 18. Januar 2024)
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Ein Journalist verlangte beim der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erfolglos den Zugang zu zwei bei der internen Meldestelle (Arbeitsgruppe DIMMI[27]) eingegangenen Schreiben, einmal im Zusammenhang mit dem verantwortungsbewussten Umgang mit finanziellen Mitteln des Dienstes, einmal betreffend die ungenügende Präzision in der Auftragserteilung bei wichtigen Punkten, sowie eine E-Mail von Mitarbeitenden an die Geschäftsleitung zum Thema betriebliche Chancengleichheit der Geschlechter und die dazugehörige Antwortmail der Geschäftsleitung.
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Nach erfolglos durchlaufenem Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB verfügte der NDB die Verweigerung des Zugangs zu sämtlichen zur Einsicht verlangten Dokumenten. In Bezug auf die zwei anonym bei der Meldestelle eigegangenen Schreiben stellte sich der NDB auf den Standpunkt, diese seien als Dokumente zum persönlichen Gebrauch im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Bst. c BGÖ und damit nicht als amtliche Dokumente im Sinne des BGÖ zu qualifizieren. Vielmehr hätten diese Dokumente einem eng begrenzten Personenkreis als Arbeitsgrundlage bzw. als blosses Hilfsmittel dazu gedient, einen Bericht zur Orientierung des Direktors auszuarbeiten. Hingegen handle es sich nicht um Dokumente, welche als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen gedient hätten. Durch die anonyme Hinterlegung im Postfach der Meldestelle hätten die meldenden Personen zu verstehen gegeben, dass es sich hierbei nicht um abschliessend beurteilte Sachverhalte, sondern um vertrauliche Hinweise auf näher zu prüfende Umstände handle. Auch bezüglich der E-Mail an die Geschäftsleitung sowie deren Antwort betreffend betriebliche Chancengleichheit der Geschlechter verneinte der NDB den amtlichen Charakter der Dokumente, da diese nicht abgeschlossen und mit einem zur Korrektur versandten Text vergleichbar seien. Die Geschäftsleitung habe mit der Antwort ausserdem eine spätere Standortbestimmung zum Thema Chancengleichheit in Aussicht gestellt, womit der relevante Vorgang weiter angedauert habe.
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Dem widersprach das BVGer, indem es festhielt, dass es sich bei den beiden anonym eingegangenen Meldungen um in sich abgeschlossene, strukturierte und inhaltlich ausgereifte Dokumente handle, was gegen den Charakter als blosses Hilfsmittel für den persönlichen Gebrauch spreche. Vielmehr handle es sich um fertig gestellte Meldungen, die der Arbeitsgruppe DIMMI von ausserhalb der Arbeitsgruppe stehender Personen übermittelt worden seien, mit dem Zweck, die Meldestelle zu einer weitergehenden Prüfung der gemeldeten Sachverhalte zu veranlassen. Schliesslich könnten die Mitglieder der Meldestelle und die Mitarbeitenden auch nicht gemeinsam als ein eng begrenzter Personenkreis im Sinne von Art. 1 Ans. 3 VBGÖ[28] betrachtet werden, der im Hinblick auf die Erstellung eines Dokuments blosse Arbeitshilfsmittel austausche. Auch in Bezug auf die E-Mail an die Geschäftsleitung und deren Antwort betreffend betriebliche Chancengleichheit folgte das BVGer der Haltung des NDB nicht und stellte fest, dass diese E-Mail in finalisierter Form verfasste Anliegen der Mitarbeiterinnen an die Geschäftsleitung enthalte und damit nicht bloss als Arbeitshilfsmittel zur Vorbereitung oder Bearbeitung eines anderen Dokuments qualifiziert werden könne. Die entsprechenden Dokumente würden damit allesamt amtlichen Charakter aufweisen und dementsprechend als amtliche Dokumente i.S.d. Gesetzes gelten. Die Zugangsverweigerung zu den beiden anonym bei der Meldestelle eingegangenen Schreiben wurde jedoch in Anwendung von Ausnahmebestimmungen dennoch gutgeheissen (siehe hierzu Ziffer 9 Bst. a unten).
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Kommentar: Das BVGer stellt mit diesem Entscheid einmal mehr[29] klar, dass die gesetzlichen Ausnahmen zur Qualifikation eines Dokuments als „amtliches Dokument“ restriktiv auszulegen sind. Für die Prüfung eines allenfalls persönlichen Gebrauchs eines Dokuments erweist sich dessen objektive Zweckbestimmung als entscheidend. Weitaus weniger Gewicht kommt der subjektiven Sicht der Verfasserin oder des Verfassers eines Dokuments zu. Im Ergebnis kann es demnach in aller Regel nicht in der ausschliesslichen Disposition der Verfasserin oder des Verfassers eines Dokuments liegen, ob dieses zum persönlichen Gebrauch bestimmt ist.
b) Übersichtslisten und Schulungsunterlagen des BJ betreffend das elektronische Personenstandsregister Infostar
(BVGer A-3336/2022 vom 10. Oktober 2024)
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Eine Privatperson verlangte beim Bundesamt für Justiz (BJ) u.a. Zugang zu aus Infostar erstellten Listen und Statistiken sowie zu allen im Rahmen des Projekts Infostar NG erstellten Dokumenten. Nach durchlaufenem Schlichtungsverfahren verfügte das BJ eine Verweigerung des Zugangs zu diesen beiden Dokumentenkategorien unter Hinweis darauf, dass solche Dokumente weder bereits existieren würden, noch i.S.e. einfachen elektronischen Vorgangs aus aufgezeichneten Informationen gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ erstellt werden könnten. Gegen diese Verfügung gelangte die Gesuchstellerin mit Beschwerde an das BVGer und verlangte einerseits die Aufhebung der Verfügung des BJ, da die fraglichen Dokumente ihrer Ansicht nach durch einen einfachen elektronischen Vorgang erstellbar seien. Andererseits verlangte sie die Feststellung durch das BVGer, dass das BJ die Empfehlung des EDÖB nicht korrekt umgesetzt habe, indem es ihr seine von der Empfehlung des EDÖB abweichende Haltung nicht binnen der gesetzlichen Frist von 20 Tagen von Amtes wegen mittels einer anfechtbaren Verfügung eröffnet habe. Damit habe das BJ die Möglichkeit, den Zugang in Abweichung von der Empfehlung des EDÖB zu verweigern, verwirkt, da es sich bei den Fristen nach Art. 15 BGÖ um Verwirkungsfristen handle.
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Das BJ stellte sich anlässlich des Beschwerdeverfahrens auf den Standpunkt, die betreffenden Dokumente würden nicht existieren und könnten auch nicht durch einen einfachen elektronischen Vorgang erstellt werden. Zwar sei es theoretisch möglich, seinen gesamten E-Mail-Verkehr nach bestimmten Schlagwörtern zu durchsuchen, so wie es die Beschwerdeführerin verlange, jedoch stelle eine solche Vorgehensweise keinen einfachen elektronischen Vorgang dar, zumal die erhaltenen Treffer zusätzlich manuell ausgewertet werden müssten. Im Ergebnis lägen auch keine sog. virtuellen Dokumente vor, weshalb das BGÖ gar nicht anwendbar sei. Was die von der Empfehlung des EDÖB angeblich abweichende Zugangsverweigerung anbelangt, hielt das BJ weiter fest, dass gemäss der Empfehlung des EDÖB der Zugang zu den verlangten Übersichten zu gewähren sei, soweit diese durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden könne. Dies sei jedoch gerade nicht der Fall gewesen, weshalb für das BJ keine Verpflichtung bestanden habe, ohne entsprechendes Begehren der Beschwerdeführerin von sich aus eine anfechtbare Verfügung zu erlassen.
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In Bezug auf das Feststellungsbegehren betreffend die angeblich nicht fristgerecht erlassene Verfügung des BJ hielt das BVGer in formeller Hinsicht fest, dass die Beschwerdeführerin hierfür über kein schutzwürdiges Interesse verfüge. Dies deshalb, weil sie neben dem Feststellungsbegehren auch ein rechtsgestaltendes Behren auf Zugang zu den verlangten Dokumenten des BJ gestellt habe. In Bezug auf die Frage, ob das BJ nach Ablauf der Frist zum Erlass einer Verfügung an die Empfehlung des EDÖB gebunden gewesen wäre, hielt das BVGer fest, dass es sich bei den Verfahrensfristen des BGÖ lediglich um Ordnungsfristen, nicht hingegen um Verwirkungsfristen handle. Auch nach Ablauf der Frist zum Erlass einer Verfügung sei das BJ demnach nicht an die Empfehlung des EDÖB gebunden gewesen. Vielmehr eröffne das Verstreichen lassen entsprechender Fristen lediglich zur Erhebung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde. Betreffend die Frage nach der Möglichkeit zur Erstellung der fraglichen Listen, Statistiken sowie Dokumente im Zusammenhang mit dem Projekt Infostar NG hielt das BVGer in Übereinstimmung mit dem BJ fest, dass etwa eine Suche mit bestimmten Schlagwörtern im elektronischen Geschäftsverwaltungssystem Acta Nova nicht ohne Weiteres zu den entsprechenden Übersichten über besagte Dokumente führen würde. Dasselbe gelte für das Durchsuchen von E-Mails ebenfalls anhand bestimmter Schlagwörter. In beiden Fällen müssten allfällige Treffer manuell durch Mitarbeitende des BJ auf ihren Bezug zum Zugangsgesuch der Beschwerdeführerin überprüft werden. Demnach erachtete es das BVGer als überwiegend wahrscheinlich, dass die Übersichten nicht durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen i.S.v. Art. 5 Abs. 2 BGÖ erstellt werden können, weshalb es die Beschwerde abwies.
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Kommentar: Bei der Feststellung, ein verlangtes Dokument könne nicht durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden, handelt es sich um eine negative Tatsache, deren Beweiserbringung naturgemäss schwierig, die einer Beweisführung aber dennoch zugänglich ist. Zu Recht weist das BVGer hierbei unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung[30] darauf hin, dass diese Rahmenbedingungen nicht etwa zu einer Umkehr der Beweislast, aber immerhin zu Beweiserleichterungen führe, jedenfalls soweit negative Tatsachen nicht durch positive Sachumstände oder Indizien bewiesen werden könnten. In der Regel genüge es, wenn die Behörde die überwiegende Wahrscheinlichkeit des zu beweisenden Umstands aufzeigen könne, wobei die Gegenseite nach Treu und Glauben eine verstärkte Mitwirkungspflicht treffe. Diese Ausgangslage bringt für verwaltungsaussenstehende Gesuchstellende die besondere Schwierigkeit mit sich, dass sie hinsichtlich der asymmetrischen Beweiswürdigungsregeln ohne vertiefte Kenntnis und Einsicht in die Arbeitsabläufe und Anwendungen der Verwaltung dennoch mehr oder weniger substantiiert müssen darlegen können, inwiefern sie davon ausgehen, ein bestimmtes Dokument sei durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellbar. Ob das in der Praxis realistischerweise gelingen kann, darf bezweifelt werden.
c) Statistische Auswertungen und Beurkundungen von verschiedenen Zivilstandsereignissen des BJ aus dem elektronische Personenstandsregister Infostar
(BVGer A-5417/2021 vom 10. Oktober 2024)
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Im bereits besprochenen Verfahren betreffend Informationen aus Infostar begründete das Bundesamt für Justiz (BJ) die vollständige Zugangsverweigerung zu statistischen Auswertung zur Nichtigerklärung von (erleichterten) Einbürgerungen einschliesslich deren Erstreckung bzw. der Nichterstreckung auf Kinder in Infostar u.a. auch damit, dass diese gar nicht in Form von amtlichen Dokumenten im Sinne des BGÖ vorliegen würden und auch nicht mittels eines einfachen elektronischen Vorgangs gemäss Art. 5 Abs. 2 BGÖ aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden könnten.
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Zur Begründung stellte sich das BJ auf den Standpunkt, die in Infostar integrierten Statistikfunktionen würden sich auf allgemeine Zivilstandsereignisse wie Geburten, Todesfälle, Eheschliessungen oder Scheidungen beschränken. Im Bereich des Bürgerrechts verfüge Infostar hingegen über keine entsprechende Statistikfunktion. Eine automatische Suche nach Zivilstandsereignissen wie etwa dem Erwerbs- oder Verlustgrund des Bürgerrechts sei daher nicht ohne Weiteres möglich, zumal die entsprechenden Geschäftsfälle sodann manuell ausgewertet oder mittels einer zunächst noch zu implementierenden Suchabfrage aus dem System exportiert werden müssten. Beides stelle keinen einfachen elektronischen Vorgang im Sinne von Art. 5 Abs. 2 BGÖ dar.
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Dem stimmte das BVGer zu. Es hielt in Übereinstimmung mit dem BJ fest, dass es sich bei Infostar nicht um eine elektronische Datenbank handle, welche primär darauf ausgerichtet sei, die Grundlage für Statistiken zu einem beliebigen Zivilstandsereignis zu bilden. Zwar verfüge Infostar auch über Statistikfunktionen, diese beruhten jedoch auf einer spezialgesetzlichen Grundlage in der Statistikerhebungsverordnung[31], wobei für die hier in Frage stehenden Ereignisse zum Bürgerrecht gerade keine solche spezialgesetzliche Grundlage bestehe. Im Ergebnis handle es sich sowohl bei einer manuellen Auswertung sämtlicher Geschäftsfälle zum Bürgerrecht als auch bei der vorgängigen Implementierung einer Suchabfrage oder zusätzlichen Statistikfunktion nicht um einen einfachen elektronischen Vorgang im Sinne des Gesetzes.[32]
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Kommentar: Der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Dokumenten beschränkt sich nicht auf (bereits) vorhandene Dokumente, sondern umfasst auch lediglich latent vorhandene Dokumente (sog. virtuelle Dokumente), welche durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden können. Wie weit die Behörde hierbei gehen muss, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Das BVGer ruft einmal mehr in Erinnerung, dass der Erstellungsprozess eines solchen Dokuments durchaus mehrere Arbeitsschritte umfassen und auch mit gewissem Aufwand verbunden sein darf. Bei der Erstellung von Dokumenten aus Datenbanken zieht das BVGer hingegen zu Recht dort die Grenze, wo zusätzliche Statistikfunktionen programmiert werden müssten, da eine blosse Suchabfrage nicht zum Ziel führen würde. Diese Praxis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wonach sich der Begriff des «einfachen elektronischen Vorgangs» zur Erstellung eines Dokuments auf den Gebrauch durch einen durchschnittlichen Benutzer bzw. eine ebensolche Benutzerin bezieht (Botschaft BGÖ, BBl 2003 1996).
5. Zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen (Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ)
a) Geschäftsbeziehungen des fedpol mit dem israelischen Unternehmen NSO Group im Bereich Spionagesoftware (GovWare)
(TAF A-1310/2022 du 9 janvier 2024)
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Im bereits besprochenen Urteil betreffend den allfälligen Einsatz von Spionagesoftware des israelischen Unternehmens NSO Group durch Schweizer Behörden begründete das fedpol die Verweigerung des Zugangs u.a. damit, dass die Kenntnisnahme der Öffentlichkeit über die Art und Funktionsweise einer allenfalls genutzten GovWare die Strafverfolgung erheblich erschweren könnte. Darüber hinaus würde die Kenntnis über die genaue Art der Spyware ihren Einsatz sowie ihre Möglichkeiten und Grenzen offenbaren, wodurch Kriminelle gezielte Ausweich- oder Gegenmassnahmen ergreifen könnten. Die diesbezüglichen konkreten behördlichen Massnahmen gem. Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ im Hinblick auf die Strafverfolgung müssen im Ergebnis absolut geschützt werden, um deren Wirksamkeit gewährleisten zu können.
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Das BVGer folgte dieser Argumentation. Es hielt fest, dass die Offenlegung des tatsächlichen Einsatzes von bestimmter Spyware anlässlich der Strafverfolgung sowie der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten kriminellen Kreisen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gelegenheit eröffnen würde, sich einen Überblick über die konkreten technischen Möglichkeiten und Grenzen solcher Systeme zu verschaffen. Insbesondere könnten potentiell von solcher Spyware betroffene Personen ihr Verhalten anpassen oder entsprechende Sicherheitsschranken einsetzen, um bereits das Risiko der Installation der Software zu verringern. Dabei müsse der Einsatz von Spyware aber notwendigerweise gerade ohne Wissen der zu überwachenden Person geschehen. Schliesslich berge der Einsatz von GovWare, welche öffentlich bekannt sei, das Risiko eines Missbrauchs durch die überwachte Person bzw. von ihr damit beauftragter fachkundiger Personen. Im Ergebnis erachtete es das BVGer als erstellt, dass die Geheimhaltung der Art(en) von in der Schweiz im Rahmen der Strafverfolgung allenfalls eingesetzter Spyware als Schlüssel zum Erfolg im Hinblick auf den Schutz der entsprechenden behördlichen Massnahmen zu qualifizieren sei. Zugleich unterstrich das BVGer jedoch mit Blick auf die Prüfung der Verhältnismässigkeit der vollständigen Zugangsverweigerung auch das legitime öffentliche Interesse an entsprechenden Informationen. Dies insbesondere aufgrund der Vorkommnisse rund um den Skandal betreffend die Spyware Pegasus, deren Einsatz durch verschiedene Regierungen weltweit zu Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten geführt hatte. Da ein allfälliger Einsatz von GovWare in der Schweiz jedoch an strenge Bedingungen und Auflagen gebunden sei sowie der gerichtlichen Überprüfung unterliege und da jährlich statistische Zahlen zu deren Einsatz publiziert werden müssten, erachtete das BVGer die vollständige Zugangsverweigerung – auch in Ermangelung der Möglichkeit eines Teilzugangs zu den verlangten Informationen und Unterlagen – im Ergebnis als verhältnismässig.
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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.
b) Diverse Dokumente des NDB im Zusammenhang mit der internen Arbeitsgruppe DIMMI
(BVGer A-535/2022 vom 18. Januar 2024)
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Im bereits besprochenen Urteil betreffend Unterlagen der internen Meldestelle für Unregelmässigkeiten argumentierte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit der möglichen Vereitelung des Einsatzes dieses Kanals im Falle einer Offenlegung der entsprechenden Meldungen. Die Vertraulichkeit der Dokumente sei die Grundlage dafür, dass die Stelle überhaupt Meldungen erhalte. Würden die Mitarbeitenden ihre Meldungen sodann in den Medien wiederfinden, würde dadurch das Vertrauen in die Meldestelle zerstört und die Mitarbeitenden von weiteren Meldungen absehen. Ohne solche Hinweise könnten jedoch keine Verbesserungsmassnahmen eingeleitet werden, weshalb die Geschäftsleitung des NDB bei der angestrebten Kurskorrektur im Umgang mit dem Personal letztlich schlechter dastehen würde, als wenn sie gar keine Meldestelle eingerichtet hätte.
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Dieser Haltung folgte das BVGer nicht. Zwar stimmte es zu, dass durch eine Offenlegung von Meldungen der Mitarbeitenden künftige Schreiben an die Meldestelle durch Abschreckung verhindert würden und so unter Umständen eine massive Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der eingerichteten Stelle resultieren könnte. Ein Zugang zu einzelnen Meldungen bewirke im konkreten Fall jedoch nicht, dass bereits konkret definierte Massnahmen i.S.d. Ausnahmebestimmung nicht mehr zielkonform durchführbar wären. Die möglichen Auswirkungen auf eine bloss hypothetisch denkbare Massnahme, die auf Meldung hin anzuordnen wäre, aber nicht ergriffen werden könne, falls der Sachverhalt wegen der möglichen Veröffentlichung gar nicht erst gemeldet würde, erscheine zu abstrakt. Es reiche für eine Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung demnach nicht, dass ohne Meldungen der Mitarbeitenden gar keine dadurch veranlassten Verbesserungsmassnahmen getroffen werden könnten.
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Kommentar: Nach der hier vertretenen Auffassung argumentiert das BVGer zu formalistisch, wenn es im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Offenlegung einzelner Meldungen an die Vertrauensstelle und dem daraus resultierenden Risiko für eine Beeinträchtigung der darauf zu treffenden konkreten behördlichen Massnahmen verneint. Diese strenge Handhabe der Kausalität findet ihre Schwäche dort, wo bereits der Einsatz einer internen Vertrauensstelle zur Anzeige von Unregelmässigkeiten als konkrete behördliche Massnahme i.S.d. Ausnahmebestimmung zur Verbesserung des Arbeitsklimas gesehen wird. Allerdings reiht sich das Urteil in die zu Recht strenge Rechtsprechung des BVGer zu dieser Ausnahmebestimmung ein.
c) Verträge und Evaluationsunterlagen des SEM betr. Betreuungsdienstleistungen in Bundesasylzentren
(BVGer A-1460/2022 vom 4. Juli 2024)
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Im Verfahren betreffend die Unterlagen zu Betreuungsdienstleistungen zweier Unternehmen in Asylunterkünften des Bundes wurde dem Gesuchsteller der Zugang zu den verlangten Rahmen- und Objektverträgen nur teilweise gewährt, indem das Staatssekretariat für Migration (SEM) die in den Verträgen enthaltenen firmenspezifische Kennzahlen, namentlich Arbeitsstundenansätze, Anzahl der Leistungsstunden pro Monat sowie effektive Kosten pro Monat, einschwärzte. Das SEM berief sich auf die Ausnahmebestimmung zum Schutz der zielkonformen Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen und begründete dies mit seinem berechtigten Interesse an der weiterbestehenden Geheimhaltung von spezifischen Firmenkennzahlen. Ansonsten sei damit zu rechnen, dass bei zukünftigen Ausschreibungen gut qualifizierte Unternehmen nicht mehr teilnehmen würden und sie beziehungsweise die gesamte Bundesverwaltung mit Offerten vorliebnehmen müsse, die nicht mehr den jetzigen Qualitätsstandards entsprächen.
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Das überzeugte das BVGer nicht. Es hielt fest, dass diese Ausnahmebestimmung auf den Schutz einzelner, konkreter behördlicher Massnahmen zugeschnitten sei, weshalb vorausgesetzt werde, dass im Zeitpunkt der Beurteilung des Zugangsgesuchs die Durchführung einer klar definierten behördlichen Massnahme droht, beeinträchtigt zu werden. Eine solche Massnahme werde vom SEM und den beiden betroffenen Unternehmen (Beschwerdegegnerinnen) jedoch nicht vorgebracht. Damit vermöge das beweisbelastete SEM die gesetzliche Vermutung des freien Zugangs hinsichtlich des Ausnahmetatbestands von Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ nicht umzustossen.
6. Schutz der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 Bst. c BGÖ)
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Geschäftsbeziehungen des fedpol mit dem israelischen Unternehmen NSO Group im Bereich Spionagesoftware (GovWare)
(TAF A-1310/2022 du 9 janvier 2024)
Im bereits besprochenen Urteil betreffend den allfälligen Einsatz von Spionagesoftware des israelischen Unternehmens NSO Group durch Schweizer Behörden stützte das fedpol die Verweigerung des Zugangs zu den verlangten Informationen und Unterlagen auch auf den Schutz der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz ab. Dies deshalb, weil die drohende Beeinträchtigung der behördlichen Massnahmen im Bereich der Überwachung von Zielpersonen letztendlich eine Beeinträchtigung der Strafverfolgungstätigkeit als Ganzes und damit ein Risiko für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz darstellen würde.
Dies sah auch das BVGer so, indem es erneut den engen Zusammenhang zwischen einer möglichen Vorhersehbarkeit von Überwachungsmassnahmen und entsprechender Gegenmassnahmen potentiell betroffener Personen einerseits und der Wirksamkeit der Strafverfolgung sowie von nachrichtendienstlichen Tätigkeiten andererseits unterstrich. Dementsprechend würden die angeforderten Informationen und allfällige Unterlagen auch eine ernsthafte Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz darstellen.
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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.
7. Aussenpolitische Interessen und internationale Beziehungen der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ)
Aktennotiz zum Austausch zwischen der ESTV und den indischen Behörden im Zusammenhang mit der Amtshilfepraxis in Steuersachen
(BGer 1C_346/2023 vom 16. Dezember 2024)
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Ein Unternehmen ersuchte die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) um Zugang zu einer Aktennotiz aus dem Jahr 2016 über die Amtshilfepraxis zwischen der Schweiz und Indien in Steuersachen. Die ESTV verweigerte den Zugang u.a. unter Hinweis auf die Gefährdung der aussenpolitischen Interessen und der internationalen Beziehungen der Schweiz. Das daraufhin eröffnete Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB resultierte in einer Empfehlung, wonach die ESTV an ihrer Zugangsverweigerung festhalten solle. Auf Ersuchen des Gesuchstellers verfügte die ESTV in der Folge die Verweigerung des Zugangs.
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Zur Begründung führte sie aus, dass für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Bereich der internationalen Amtshilfe in Steuersachen die Partnerstaaten davon ausgingen, dass die Korrespondenz über den bilateralen Austausch vertraulich behandelt würden. Die Schweiz stehe international unter besonderer Beobachtung in Bezug auf die Amtshilfepraxis in Steuersachen. Dabei überprüfe das Global Forum der OECD die Fortschritte hinsichtlich der Anwendung des internationalen Standards zum Informationsaustausch auf Ersuchen hin (sog. Peer Reviews) regelmässig und bewerte die Staaten entsprechend. Die Erzielung einer ausreichenden Bewertung sei für die Schweiz wichtig. Eine Offenlegung der bilateralen Korrespondenz würde als nicht-standardkonformer Verstoss gegen das Vertraulichkeitsgebot betrachtet werden und in der nächsten Beurteilungsrunde mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Herabstufung der Benotung der Schweiz führen. Daraus ergäben sich erhebliche politische und wirtschaftliche Risiken für die Schweiz, wie etwa bilaterale oder multilaterale Sanktionen (sog. Schwarze Listen) und damit ein grosser Reputationsschaden. Aufgrund des politischen Spannungsfeldes wäre eine Veröffentlichung der Aktennotiz demnach unverantwortlich und würde ein ernsthaftes Risiko eröffnen, dass die Schweiz aussenpolitisch sowie bei hängigen oder künftigen Verhandlungen unter Druck geraten könnte. Gegen diese Verfügung gelangte der Gesuchsteller mit Beschwerde an das BVGer.
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In seinem Urteil A-3241/2021 vom 30. Mai 2023 stützte das BVGer die Verfügung der ESTV vollumfänglich. Es hielt fest, dass die Republik Indien eine Herausgabe der Aktennotiz, die sie vertraulich behandeln möchte, als unkooperatives Verhalten der Schweiz auffassen würde. Die Befürchtung der ESTV über eine mögliche Peer Review-Herabstufung erscheine plausibel. Die aussenpolitische Einschätzung der Vorinstanz, die als federführende Behörde im Bereich der Amtshilfe die aktuellen Usanzen kenne, sei nicht zu beanstanden. Indien gelte aufgrund des grossen Umfangs von Amtshilfeersuchen als wichtiger Partner der Schweiz und werde sich im Global Forum entsprechend Gehör verschaffen können. Mit den aufgezeigten Konsequenzen einer Weitergabe der Aktennotiz habe die ESTV den drohenden Schaden für die internationalen Beziehungen der Schweiz ausreichend und überzeugend plausibilisiert. Im Ergebnis sei von einem ernsthaften Risiko auszugehen, dass die Veröffentlichung der Aktennotiz den internationalen Beziehungen der Schweiz schaden könnte. Auch falle die Anwendung eines milderen Mittels ausser Betracht, weshalb die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen sei.
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Das BGer wiederum bestätigte das vorinstanzliche Urteil höchstrichterlich. Es rief in Erinnerung, dass es nach der Rechtsprechung[33] in der Natur von Entscheiden mit politischem und insbesondere aussenpolitischem Gehalt – mithin beim Entscheid über die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ – liege, dass sie der justiziellen Kontrolle nur bedingt zugänglich seien, da sie gerade nicht allein auf rechtlichen, sondern zu einem grossen Teil auf politischen Kriterien beruhten. Die gerichtlichen Instanzen würden bei der Überprüfung der politischen Opportunität des Entscheids eine gewisse Zurückhaltung üben, sofern der Entscheid insgesamt zumindest nachvollziehbar und sachlich erscheine. Die Exekutivbehörden müssten ihren Beurteilungsspielraum pflichtgemäss nutzen. Im Ergebnis hätten die Vorinstanzen die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ für die fragliche Aktennotiz zu Recht bejaht, zumal zum Schutz der aussenpolitischen Interessen und der internationalen Beziehungen der Schweiz kein milderes Mittel ersichtlich sei.
57
Kommentar: Zu Recht fanden die Argumente der ESTV im Hinblick auf die aussenpolitische Notwendigkeit einer vollständigen Zugangsverweigerung zur fraglichen Aktennotiz bis in höchster Instanz Gehör. Die ESTV stützte die vollständige Zugangsverweigerung zur streitgegenständlichen Aktennotiz allerdings auch direkt auf die Geheimhaltungspflicht gemäss Art. 26 Abs. 2 des Abkommens vom 2. November 1994 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA CH-IN; SR 0.672.942.31). Die Frage, ob es sich bei dieser Bestimmung um eine Spezialbestimmung i.S.v. Art. 4 BGÖ handelt, welche die Anwendbarkeit des BGÖ ausschliesst, liessen sowohl das BVGer als auch das BGer bedauerlicherweise offen, da der Zugang zur verlangten Aktennotiz ohnehin über Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ zu verweigern sei. Da es sich bei der Anwendbarkeit von Spezialbestimmungen nach Art. 4 BGÖ um eine Frage des gesetzlichen Geltungsbereiches handelt, wirft diese Vorgehensweise in der gerichtlichen Prüfung in methodischer Hinsicht Fragen auf. Würde es sich bei Art. 26 Abs. 2 DBA CH-IN nämlich um eine Spezialbestimmung i.S.v. Art. 4 BGÖ handeln, welche das BGÖ ausschliesst, bliebe mangels dessen Anwendbarkeit kein Raum mehr für eine Prüfung einzelner gesetzlicher Ausnamebestimmungen (siehe auch Kommentar zu Ziffer 3 Bst. a hiervor).
8. Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse (Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ)
a) Informationen beim BAG zu Medikamenten ausserhalb der sog. Spezialitätenliste
(TAF A-1722/2022 du 21 février 2024)
58
Im bereits besprochenen Verfahren betreffend die beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) von Krankenkassen übermittelten Daten über die Vergütung von Arzneimitteln ausserhalb der Spezialitätenliste stützte dieses die Zugangsverweigerung u.a. auf die Qualifikation der verlangten Informationen als Geschäftsgeheimnisse ab. So seien etwa die Höhe der zu übernehmenden Kosten bestimmter Medikamente ebenso wie die Strategie und die internen Prozesse der Versicherer als Berufs- und Geschäftsgeheimnisse zu qualifizieren. Weiter wären medizinische Daten von Patientinnen und Patienten, die in den entsprechenden Auflistungen nicht enthalten seien, für das Verständnis und die korrekte Einordnung der Erstattungsentscheide der Krankenkassen zwingend erforderlich, da andernfalls unweigerlich falsche Schlussfolgerungen gezogen und Fehlinterpretationen erfolgen würden, was einzelne Krankenkassen zu Unrecht exponieren bzw. ihnen einen Imageschaden verursachen und letztendlich zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen führen könnte.
59
Dem widersprach das BVGer, indem es schlussfolgerte, dass die verlangten Informationen nicht geeignet erschienen, Rückschlüsse zur Geschäftspolitik oder -strategie der Krankenkassen zu ermöglichen. Die verlangten Informationen könnten auch nicht ohne Weiteres mit bestimmten Medikamenten und deren Zulassungsinhaberinnen in Verbindung gebracht werden, womit auch eine Verzerrung des Wettbewerbs im Falle der Kenntnisnahme durch konkurrierende Unternehmen nicht wahrscheinlich erscheine. In Bezug auf einen vermeintlichen Imageschaden einzelner Krankenkassen stellte das BVGer klar, dass der Ausnahmekatalog des BGÖ in seinem Artikel 7 Abs. 1 keine Bestimmung enthalte, die eine Einschränkung des Zugangs aufgrund von Reputationsüberlegungen zulasse. Vielmehr seien solche Überlegungen anlässlich der Interessenabwägung gemäss Art. 7 Abs. 2 BGÖ bzw. Art. 9 Abs. 2 altBGÖ i.V.m. Art. 19 altDSG zu berücksichtigen.[34] Im Ergebnis hielt das BVGer fest, dass die verlangten Informationen nicht als Geschäftsgeheimnisse qualifiziert und der Zugang zu diesen nicht unter Hinweis auf die entsprechende Ausnahmebestimmung verweigert werden dufte.
60
Kommentar: Das BVGer hat in diesem Entscheid dem Vorbringen im Hinblick auf einen vermeintlichen Imageschaden wegen befürchteter Fehlinterpretationen der zur Offenlegung verlangten Informationen – nota bene eine Argumentation, die insbesondere von betroffenen und angehörten Dritten immer wieder gerne herangezogen wird – eine deutliche Abfuhr erteilt. Zu Recht wies es darauf hin, dass Reputationsüberlegungen nicht anlässlich der Prüfung von Berufs- oder Geschäftsgeheimnissen gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ zu prüfen sind, sondern allenfalls anlässlich der Interessenabwägung im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes Bedeutung erlangen können. Damit grenzt das BVGer die Anwendungsbereiche der entsprechenden Ausnahmebestimmungen weiter voneinander ab und schärft diese zugleich.
b) Verträge und Evaluationsunterlagen des SEM betr. Betreuungsdienstleistungen in Bundesasylzentren
(BVGer A-1460/2022 vom 4. Juli 2024)
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Im bereits besprochenen Entscheid betreffend die Unterlagen zu Betreuungsdienstleistungen zweier Unternehmen in Asylunterkünften des Bundes qualifizierte das SEM sowohl in den Rahmen- und Objektverträgen als auch im Subdossier „Evaluation“ die Arbeitsstundenansätze, die Anzahl der Leistungsstunden pro Monat sowie die effektiven Kosten pro Monat als Geschäftsgeheimnisse im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ der betroffenen Unternehmen und schwärzte diese Informationen entsprechend ein.
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Zur Begründung führte das SEM aus, eine Offenlegung dieser Zahlen liesse ziemlich präzise Rückschlüsse auf die Marge der Anbieter zu. Diese ergebe sich bei derart personalintensiven Dienstleistungen wie vorliegend im Wesentlichen aus der Differenz zwischen dem offerierten Preis und den Kosten für das Personal. Die übrigen Kosten wie Mietkosten, Lagerkosten, Betriebsorganisationskosten, Abschreibungen sowie Materialaufwand würden hingegen kaum ins Gewicht fallen. Die Personalnebenkosten (Sozialversicherungsbeiträge, Kosten für Weiterbildungen etc.) würden ausserdem bei allen Branchenteilnehmern praktisch gleich anfallen. Die Stundenansätze seien somit der entscheidende Faktor für die Kalkulation des gesamten Angebots. Weiter sei mit dem publizierten Gesamtpreis und seinen eigenen behördlichen Vorgaben als Auftraggeberin zu den zu leistenden Arbeitsstunden eine Berechnung des durch den Bund den Anbietern pro Arbeitsstunde im Durchschnitt zu bezahlendem Betrag möglich. Die Anzahl der zu erbringenden Arbeitsstunden beruhe auf einem fixen Betreuungsschlüssel. Eine zusätzliche Offenlegung des Stundenansatzes für das Dienstleistungspersonal würde im Ergebnis zwei von drei Variablen bekanntmachen und es liesse sich über einen einfachen Dreisatz die Marge auf den Personalkosten mit ausreichender Genauigkeit berechnen. Nur mit der Geheimhaltung der in den Angeboten enthaltenen Stundenansätzen sowie den Gesamtkosten pro Monat könne eine exakte Berechnung der Marge durch Dritte verhindert werden. Die Kenntnis der Stundenansätze durch die Konkurrenz würde damit zu einem direkten Wettbewerbsvorteil und einer damit verbundenen Wettbewerbsverzerrung führen.
63
Das BVGer erachtete diese Argumentation für überzeugend. Es erinnerte zunächst an die vom BGer[35] entwickelten drei Tatbestandsmerkmale eines Geschäftsgeheimnisses. Erstens die relative Unbekanntheit der Information, zweitens der subjektive Geheimhaltungswille des Geheimnisherrn und drittens das objektiv berechtigte Geheimhaltungsinteresse. Als ohne Weiteres zu bejahen erklärte es die relative Unbekanntheit der streitigen Informationen sowie das Vorhandensein des subjektiven Geheimhaltungswillens der betroffenen Unternehmen. In Bezug auf das objektiv berechtigte Geheimhaltungsinteresse stellte es fest, dass Informationen zu Preiskalkulationen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung unter den Gegenstand des Geschäftsgeheimnisses fallen würden, sofern sie Auswirkungen auf das Geschäftsergebnis haben könnten. Das SEM habe plausibel aufgezeigt, wie es Dritten möglich sei, aus den zurückgehaltenen Informationen die Marge der beiden Anbieterinnen (Beschwerdegegnerinnen) zu errechnen. Die geschwärzten Preise würden demnach in Verbindung mit den bereits öffentlich zugänglichen Informationen Rückschlüsse auf die Preispolitik der beiden betroffenen Unternehmen zulassen. Die Anrufung der Ausnahmebestimmung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sei vom SEM und den Beschwerdegegnerinnen daher zu Recht erfolgt.
64
Kommentar: In der Auseinandersetzung des BVGer mit der Argumentation des SEM wurde deutlich, wie konkret und spezifisch die Behauptung des Vorliegens von schützenswerten Geschäftsgeheimnissen substantiiert werden können muss. Dass das Gericht hierbei der ausführlichen Argumentation des SEM gefolgt ist, überrascht nicht.
c) Expertengutachten im Auftrag der PostCom betreffend Anmeldepflicht von gewerbsmässigen Postdiensten gemäss Art. 4 PostG[36] durch das Unternehmen X AG
(TAF A-756/2024 du 9 octobre 2024)[37]
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Eine Privatperson verlangte bei der Eidgenössischen Postkommission (PostCom) Zugang zu einem Expertengutachten, welches diese im Hinblick auf den Entscheid über die Unterstellung des Unternehmens X AG unter die gesetzliche Meldepflicht für gewerbsmässige Postdienste gemäss Art. 4 PG in Auftrag gegeben hatte. Da sich die X AG anlässlich des Zugangsverfahrens gegen die von der PostCom vorgesehene Zugangsgewährung mit Einschwärzungen zur Wehr setzte, kam es zu einem Schlichtungsverfahren. Mangels Einigung zwischen den Parteien folgte die PostCom schliesslich der Empfehlung des EDÖB und verfügte eine vollständige Zugangsgewährung zum verlangten Expertengutachten ohne Einschwärzungen. Gegen diese Verfügung gelangte die X AG als betroffene Dritte mit Beschwerde ans BVGer. Dementsprechend beharrte die X AG auf der Einschwärzung diverser Passagen im Expertengutachten im Falle von dessen Offenlegung.
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Im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens stellte sich die X AG im Wesentlichen auf den Standpunkt, dass die im Expertengutachten wiedergegebene detaillierte Analyse ihrer Tätigkeit und die Einzelheiten ihres Geschäftsmodells ein Geschäftsgeheimnis i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ darstelle, von welchen ihre Konkurrentinnen im Falle der Kenntnisnahme profitieren oder dieses gar kopieren könnten. Dadurch würde ihr ein Wettbewerbsvorteil genommen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen komme ausserdem nicht nur in gravierenden Fällen zum Tragen, sondern bereits dann, wenn ein Wettbewerbsnachteil mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten könne.
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Dieser generellen Behauptung über das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen im Expertengutachten folgte das BVGer nicht. Zunächst hielt es fest, dass viele Informationen zum Geschäftsmodell der X AG im Allgemeinen aufgrund der öffentlich zugänglichen Verfügung der PostCom über die Unterstellung unter die Meldepflicht nach Art. 4 PG sowie aufgrund anderer öffentlicher Quellen bereits bekannt seien. Die relative Unbekanntheit der Informationen zum Geschäftsmodell der X AG sei demnach zu verneinen und die Prüfung der weiteren im Expertengutachten enthaltenen geschäftsrelevanten Informationen über die X AG habe im Lichte des bereits bekannten Geschäftsmodells zu erfolgen. Diese Detailprüfung erfolgte sodann für jede streitige Textstelle des Expertengutachtens je separat durch das BVGer[38], wobei es die streitigen Schwärzungen gestützt auf Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ in etwa zur Hälfte guthiess und zur Hälfte ablehnte. Im Ergebnis hob es die Verfügung der PostCom auf und verpflichtete diese zu einer teilweisen Zugangsgewährung zum Expertengutachten i.S. seiner Erwägungen.
9. Zusicherung der Geheimhaltung durch die Behörde (Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ)
a) Diverse Dokumente des NDB im Zusammenhang mit der internen Arbeitsgruppe DIMMI
(BVGer A-535/2022 vom 18. Januar 2024)
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Im bereits besprochenen Urteil betreffend Unterlagen der internen Meldestelle stützte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seine Zugangsverweigerung zu den beiden anonym eingegangenen Schreiben auch auf die erfolgte Geheimhaltungszusicherung. Die Verwaltung sei auf vertraulich agierende Anlauf- und Meldestellen angewiesen, um auf Probleme und Missstände aufmerksam zu werden, ohne dass dabei die meldenden Personen mit der Offenlegung ihrer Meldung rechnen müssten. Den Mitarbeitenden sei die Geheimhaltung der im Postfach der Meldestelle deponierten Eingaben unmissverständlich und auf unbestimmte Dauer zugesichert worden. Die Vertraulichkeitszusicherung sei demnach gleich zu behandeln, wie wenn sie auf ausdrückliches Verlangen der Mitarbeitenden erfolgt wäre.
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Das BVGer hielt zunächst fest, dass die Bestimmung zwar grundsätzlich voraussetze, dass die Zusicherung der Geheimhaltung ausdrücklich verlangt und ebenso ausdrücklich abgegeben werde. Eine stillschweigende Vertraulichkeitsabrede sei jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dürfe aber nur mit grösster Zurückhaltung angenommen werden. Immerhin müssten diesfalls sowohl das Begehren als auch die Zusicherung eindeutig sein. Sowohl die Ausgestaltung der Meldestelle mit anonym nutzbarem Postfach als auch die NDB-interne Information an alle Mitarbeitenden über diese Möglichkeit zur Meldung von Vorkommnissen lasse auf ein legitimes Vertrauen der Mitarbeitenden schliessen, dass deren Meldungen tatsächlich vertraulich bleiben würden. Machten Mitarbeitende denn auch von der Nutzung der anonymen Meldung im Briefkasten der Meldestelle Gebrauch, so erscheine offensichtlich, dass sie mit diesem Vorgehen stillschweigend Vertraulichkeit verlangen würden. Die Geheimhaltungszusicherung sei den Mitarbeitenden zwar im Voraus erteilt worden, was nach Lehre und Empfehlungspraxis des EDÖB grundsätzlich nicht möglich sei, doch handle es sich vorliegend um eine spezielle Konstellation, in der die Beurteilung anders ausfallen müsse. Da die Mitarbeitenden, welche anonym eine Meldung machen wollten, gar keine Möglichkeit hätten, explizit im Voraus um eine Geheimhaltungszusicherung zu ersuchen, ohne sich dabei zu erkennen zu geben, würde durch dieses Erfordernis das Funktionieren eines anonymen Postfachs der Meldestelle beeinträchtigt. Im Ergebnis handle es sich demnach um eine gesetzmässige Zusicherung der Geheimhaltung i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Bst. BGÖ durch den NDB.
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Kommentar: Die Herleitung des BVGer über die Annahme einer rechtmässigen Geheimhaltungszusicherung überzeugt. Zwar hat die Prüfung über deren Voraussetzungen im Hinblick auf ein allfälliges Unterlaufen von Sinn und Zweck des BGÖ in der Tat streng zu erfolgen, doch erweist sich der Einsatz einer Art Whistleblowing-Stelle im Hinblick auf die Handhabung der Vertraulichkeit offensichtlich als Spezialfall, der mit Blick auf das zweckorientierte Funktionieren dieses Meldeinstruments eine etwas grosszügigere Anwendung dieser Ausnahmebestimmung rechtfertigt. Weshalb sich das BVGer allerdings im Hinblick auf die besondere Konstellation einer anonym nutzbaren internen Meldestelle nur bei der Prüfung der legitimen Zusicherung der Vertraulichkeit nach Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ grosszügig zeigte, nicht jedoch bei der Prüfung einer Beeinträchtigung konkreter behördlicher Massnahmen nach Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ (vgl. dazu Ziffer 5 Bst. b oben), erschliesst sich nicht ohne Weiteres.
b) Verträge und Evaluationsunterlagen des SEM betr. Betreuungsdienstleistungen in Bundesasylzentren
(BVGer A-1460/2022 vom 4. Juli 2024)
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Im bereits erörterten Verfahren betreffend die Unterlagen zu Betreuungsdienstleistungen zweier Unternehmen in Asylunterkünften des Bundes berief sich eines der betroffenen Unternehmen (Beschwerdegegnerin) auf eine Vertraulichkeitszusicherung seitens des SEM i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ. Dabei stellte es sich auf den Standpunkt, die geschwärzten Informationen in den offengelegten Rahmen- und Objektverträgen (Arbeitsstundenansätze, Anzahl der Leistungsstunden pro Monat sowie effektive Kosten pro Monat) bildeten nicht nur Bestandteil eines abgeschlossenen Ausschreibungsverfahrens, sondern seien Teil eines gültigen, in Ausführung stehenden Vertrags zwischen ihm und dem SEM. Dabei handle es sich um Informationen, die es dem SEM im Rahmen der Ausschreibung freiwillig, das heisst ohne gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung, mitgeteilt habe. Auch seien ihm im Rahmen der allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bundes für Dienstleistungsaufträge, welche integraler Bestandteil des Vertrages bildeten, Vertraulichkeit zugesichert worden.
72
Diese Auffassung teilte das BVGer nicht. Es erinnerte an die drei kumulativ erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmebestimmung, die da lauten: Mitteilung der Informationen durch eine Privatperson, Freiwilligkeit der Informationsmitteilung ohne gesetzliche oder vertragliche Pflicht und schliesslich ein ausdrückliches Vertraulichkeitsbegehren der mitteilenden Person an die Behörde. Da die Informationslieferung des betroffenen Unternehmens im Hinblick auf einen Vertragsschluss anlässlich der ausgeschriebenen Dienstleistung erfolgte, verneinte das BVGer bereits die Freiwilligkeit der Informationslieferung. Aber auch in Bezug auf das explizite Vertraulichkeitsbegehren sah es die Voraussetzungen als nicht gegeben, da die Vertraulichkeit von der Informationslieferantin explizit verlangt und von der Behörde explizit zugesichert werden müsse. Eine generelle Zusicherung der Geheimhaltung im Rahmen von allgemeinen Geschäftsbedingungen sei hingegen nicht statthaft, zumal die vom betroffenen Unternehmen (Beschwerdegegnerin) angerufenen allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bundes für Dienstleistungsverträge ohnehin einen Vorbehalt bezüglich zwingender gesetzlicher Offenlegungspflichten, wie namentlich jene nach BGÖ und BöB, enthalten würden und daher keine Grundlage für die behauptete Geheimhaltungszusicherung bilden könnten.
73
Kommentar: Mit diesem Entscheid macht das BVGer deutlich, dass sich die Voraussetzung der freiwilligen Mitteilung der streitigen Informationen an die Behörde ohne gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung auch auf die vorvertragliche Verhandlungsphase erstreckt. Im Umkehrschluss könnte daraus geschlossen werden, dass sich ein Unternehmen dann auf die Freiwilligkeit der Informationslieferung berufen dürfte, wenn es anlässlich eines Vergabeverfahrens nicht berücksichtigt wird und folglich in kein vertragliches Verhältnis zur Behörde eintritt. Ob das tatsächlich funktionieren würde, darf bezweifelt werden. Allerdings bildet die Freiwilligkeit der Informationsmitteilung nur eine von drei kumulativ zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzungen und genügt demnach für eine Anwendung der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ für sich alleine genommen nicht aus.
10. Dokumente mit Personendaten / Anhörung betroffener Dritter (Art. 7 Abs. 2, Art. 9, Art. 11 BGÖ und Art. 36 Abs. 3 Bst. b DSG)
a) Diverse Dokumente des NDB im Zusammenhang mit der internen Arbeitsgruppe DIMMI
(BVGer A-535/2022 vom 18. Januar 2024)
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Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) begründete die Zugangsverweigerung zu den verlangten Dokumenten der internen Meldestelle auch mit dem Hinweis, dass diese nicht anonymisiert werden könnten. Gerade für andere Mitarbeitende wäre es nach Bekanntwerden der Meldungen mit grosser Wahrscheinlichkeit möglich, die mutmasslichen Verfasserinnen oder Verfasser zu identifizieren, da aufgrund der jeweiligen Konstellationen und Sachverhalte nur wenige Personen in Frage kämen. Die privaten Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Personen seien gewichtig und würden die öffentlichen Interessen am Zugang deutlich überwiegen, da die Anonymität und die Vermeidung möglicher Konsequenzen für die Betroffenen und deren berufliche Existenz elementar sein könnten. Der Zugang müsse daher gemäss Art. 9 Abs. 2 altBGÖ i.V.m. Art. 19 altDSG verweigert werden.[39]
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Das BVGer unterschied hier für die insgesamt betroffenen Dokumente zwischen Meldungen, die anonymisierbar und jenen, die tatsächlich nicht anonymisierbar sind. In Bezug auf jene, die nicht anonymisierbar sind, bestätigte es, dass bei einer Offenlegung der Meldungen die Gefahr bestünde, dass die Mitarbeitenden nicht mehr auf die Geheimhaltung dieses Kommunikationskanals vertrauten und aus Angst vor persönlichen Konsequenzen davon absehen würden, weitere Missstände und Probleme zu melden. Müssten sie damit rechnen, dass die gemeldeten Umstände und ihre Identität öffentlich bekannt würden und entfiele damit die Vertraulichkeit als Grundlage für Meldungen insgesamt, so werde auch die Funktionsfähigkeit der Meldestelle grundlegend beeinträchtigt und mit ihr die Möglichkeit der Mitarbeitenden, ihre Meinung frei und ohne Angst vor Konsequenzen zu äussern. Die privaten Geheimhaltungsinteressen der Mitarbeitenden würden damit erheblich beeinträchtigt. Zudem liege die vertrauliche Anlaufstelle aber auch im öffentlichen Interesse am guten Funktionieren des NDB. Sie diene letztlich auch der Verwirklichung der mit dem BGÖ verfolgten Ziele der Transparenz der Verwaltung und der wirksamen Kontrolle der Behörden. Im Ergebnis bestehe für die nicht anonymisierbaren Dokumente der Meldestelle kein überwiegendes öffentliches Interesse und die Zugangsverweigerung sei demnach rechtmässig erfolgt. Zu einem anderen Schluss kam das BVGer in Bezug auf die grundsätzlich anonymisierbaren Dokumente (E-Mail an die Geschäftsleitung und deren entsprechende Antwort), bei welchen der NDB durch das Auslassen der Prüfung einer Anonymisierungsmöglichkeit den Verhältnismässigkeitsgrundsatz verletzt habe, weshalb die Sache in diesem Punkt zur Neubeurteilung an den NDB zurückgewiesen wurde.
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Kommentar: Dieses Ergebnis überzeugt und ist im Hinblick auf die überwiegenden Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen (Vertrauensschutz) in Bezug auf die nicht anonymisierbaren Dokumente nicht zuletzt deshalb unausweichlich, weil andernfalls ein Widerspruch zur Herleitung der Anwendbarkeit der ebenfalls geprüften Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ (Zusicherung der Vertraulichkeit durch die Behörde, vgl. Ziffer 9 Bst. a oben) entstehen würde.
b) Informationen beim BAG zu Medikamenten ausserhalb der sog. Spezialitätenliste
(TAF A-1722/2022 du 21 février 2024)
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Im bereits besprochenen Verfahren betreffend die beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) von Krankenkassen übermittelten Daten über die Vergütung von Arzneimitteln ausserhalb der Spezialitätenliste stützte dieses die Zugangsverweigerung auch auf die Ausnahmebestimmung zum Schutz der Privatsphäre Dritter, indem es darlegte, dass eine Bekanntgabe der Namen der Krankenkassen in Kombination mit weiteren Daten in den zur Einsicht verlangten Auflistungen insgesamt personenbezogene Daten darstellen würden, welche das Risiko eines Eingriffs in die Privatsphäre oder gar eines Imageschadens für die Krankenkassen mit sich bringen könnten. Eine Offenlegung käme einer eigentlichen Rangliste der Krankenkassen gleich, welche jedoch auf der Grundlage unvollständiger und uneinheitlicher Daten basieren würde. Demgegenüber wiege das aktuelle Interesse der Gesuchstellerin an der Überprüfung der Angaben zu den Kostenübernahmen aufgrund der bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitperiode (2017-2019) sowie aufgrund eines in der Zwischenzeit extern in Auftrag gegebenen und publizierten Evaluationsberichts, welcher die Schwächen der diesbezüglichen Bestimmungen thematisierte, nicht mehr schwer.
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Das BVGer kam anlässlich seiner diesbezüglichen Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis. So beurteilte es das vermeintliche Risiko für eine Rufschädigung der Krankenkassen aufgrund der möglichen Erstellung einer Rangliste für nicht überzeugend. So vermöge der Einwand über uneinheitliche oder statistisch nicht repräsentativer Daten, die ein falsches Bild zeichnen könnten, das Recht auf Zugang nicht einzuschränken. Ebenso dürfe der vermeintliche Zweck, den die gesuchstellende Person mit ihrem Gesuch verfolge, nicht berücksichtigt werden. Weiter sei das Risiko von Kritik an einzelnen Betroffenen oder allfälliger negativer Berichterstattung kein ausreichender Grund für eine Zugangsverweigerung. Schliesslich müssten die Geheimhaltungsinteressen der privatrechtlichen Krankenkassen, welche öffentliche Aufgaben erfüllen, in Bezug auf ihre eigenen personenbezogenen Daten grundsätzlich in den Hintergrund rücken. Das ergebe sich auch anhand der Relativierung des Schutzes der Daten von juristischen Personen im zwischenzeitlich totalrevidierten DSG. Demgegenüber wiege das öffentliche Interesse am Zugang zu den verlangten Informationen zur Kostenübernahme von Medikamenten ausserhalb der Spezialitätenliste schwer. Neben dem allgemeinen Interesse der Öffentlichkeit an der Verwaltungstätigkeit ergebe sich vorliegend ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit gemäss Art. 6 Abs. 2 Bst. a und b VBGÖ einerseits aufgrund der festgestellten Unterschiede in der Handhabung der Kostengutsprache zulasten der Versicherten sowie andererseits aufgrund des Schutzes der öffentlichen Gesundheit (Polizeigüterschutz). Im Ergebnis würden damit deutlich die öffentlichen Zugangsinteressen überwiegen, weshalb die verlangten Daten, insbesondere die Namen der Krankenkassen, nicht einzuschwärzen seien. Es hob die Verfügung des BAG demnach auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurück, wobei die betroffenen Krankassen noch gemäss Art. 11 BGÖ anzuhören seien.
c) Auszug aus dem Betriebs- und Unternehmungsregister (BUR) des BFS
(BVGer A-4708/2022 vom 29. Februar 2024)
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Die bereits erörterte Zugangsverweigerung des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu Angaben aus dem Betriebs- und Unternehmensregister wurde auch mit dem Hinweis auf Art. 10 Abs. 3 BURV begründet, wonach eine Bearbeitung der Daten nach den Bestimmungen des DSG zu erfolgen habe und demnach durch Einwilligung der Betroffenen, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt sein müsse. An entsprechenden Einwilligungen sowie an einer gesetzlichen Grundlage fehle es offensichtlich und ob ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse vorliege, könne im BGÖ-Verfahren mangels Erfordernisses eines Interessennachweises nicht geprüft werden. Ein nicht begründeter Zugang gemäss BGÖ auf die BUR-Daten sei daher ausgeschlossen.
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Diese Argumentation fand beim BVGer kein Gehör. Zunächst stellte es klar, dass sich das BFS bezüglich des Datenschutzes zu Unrecht auf Art. 10 Abs. 3 BURV abstütze, da für diese Fragestellung Art. 9 Abs. 2 altBGÖ i.V.m. Art. 19 Abs. 1 bis altDSG als Scharnier zwischen BGÖ und DSG einschlägig seien.[40] Da eine Anonymisierung aufgrund der Formulierung des Zugangsgesuches ausser Betracht falle, sei der Zugang nach Art. 19 Abs. 1 bis altDSG zu prüfen, wonach Bundesorgane gestützt auf das BGÖ auch Personendaten bekannt geben dürfen, wenn die betreffenden Personendaten im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben stehen und an deren Bekanntgabe ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Der Zusammenhang mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe ergebe sich bereits aus der Qualifikation der verlangten Liste als amtliches Dokument i.S.d. Gesetzes. Anlässlich der Interessenabwägung zwischen den öffentlichen Einsichts- und den privaten Geheimhaltungsinteressen sei zu beachten, dass die Schutzbedürftigkeit von Personendaten bei juristischen Personen naturgemäss geringer als bei natürlichen Personen ausfalle. Das öffentliche Interesse am Zugang ergebe sich bereits aus der gesetzlich vorgesehenen Relativierung des Statistikgeheimnisses im Rahmen der BUR-Daten gemäss Art. 10 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 BStsG und Art. 10 BURV sowie aus der öffentlichen Zugänglichkeit von Daten des UID- und Handelsregisters. Im Hinblick auf die privaten Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Unternehmen sei hingegen nicht ersichtlich, inwiefern diesen im Falle der Herausgabe der verlangten Liste mehr als eine geringfügige oder bloss unangenehme Konsequenz entstehen könnte. Jedoch habe sich das BFS mit den anlässlich der Interessenabwägung potentiell relevanten Argumenten und deren Abwägung nicht ausreichend auseinandergesetzt. Im Ergebnis hob das BVGer die Verfügung des BFS auf, wies die Sache zur Neubeurteilung an das BFS zurück und hielt fest, dass das BFS anlässlich der vorzunehmenden Interessenabwägung ausnahmsweise auf eine Anhörung sämtlicher in der Schweiz registrierten Firmen verzichten dürfe, da ein solches Vorgehen gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts[41] offensichtlich unverhältnismässig erschiene.
11. Schlichtungsverfahren
Rechtsnatur eines Nichteintretensentscheids des EDÖB auf einen Schlichtungsantrag gegen ein privates Unternehmen, welches nicht vom persönlichen Geltungsbereich des BGÖ erfasst wird
(TAF-631/2024 du 20 août 2024)
81
Ein Journalist ersuchte ein privates Energieversorgungsunternehmen gestützt auf das BGÖ um Angaben betreffend den tatsächlichen Preisdruck auf dem Strommarkt im Hinblick auf die Festsetzung der Stromtarife im Monopolbereich. Das Unternehmen verweigerte die Beantwortung seiner Fragen unter Hinweis darauf, dass es als privates Unternehmen nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des BGÖ erfasst werde. Nach Einreichung eines Schlichtungsantrages teilte der EDÖB dem Journalisten mit einfachem Schreiben mit, dass er aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit des BGÖ auf private Unternehmen ohne Verfügungskompetenz nicht auf den Schlichtungsantrag eintreten könne. Dagegen gelangte der Gesuchsteller mit Beschwerde an das BVGer.
82
Das BVGer hielt nach ausführlicher Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung fest, dass es sich bei einem Nichteintretensentscheid des EDÖB auf einen Schlichtungsantrag nicht um eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VwVG[42] handle, da dem EDÖB im Zugangs- und Schlichtungsverfahren keine Verfügungskompetenz zukomme. Demnach könne es seinerseits nicht auf die gegen den Nichteintretensentscheid des EDÖB erhobene Beschwerde eintreten. Im Sinne eines Obiter Dictum hielt es ergänzend fest, dass der EDÖB in einer solchen Konstellation sein Nichteintreten auf einen Schlichtungsantrag statt mit einem Nichteintretensentscheid mittels einer ohnehin nicht rechtsverbindlichen Empfehlung gemäss Art. 14 BGÖ mitteilen könnte. Dies würde nach Ansicht des BVGer eher dem Willen des Gesetzgebers in Bezug auf die gesetzliche Verfahrensregelung entsprechen und zudem beim Gesuchsteller nicht den Eindruck erwecken, ein solcher Nichteintretensentscheid könne selbständig angefochten werden. Schliesslich erörterte das BVGer in seinem Entscheid gegenüber dem nicht anwaltlich vertretenen Journalisten ausführlich, weshalb das mit dem Zugangsgesuch angesprochene Energieversorgungsunternehmen nicht vom persönlichen Geltungsbereich des BGÖ erfasst werde, weshalb der EDÖB zu Recht nicht auf den Schlichtungsantrag eingetreten sei.
83
Kommentar: Ob der EDÖB gegenüber der gesuchstellenden Person ein Nichteintreten auf einen Schlichtungsantrag mangels Anwendbarkeit des BGÖ tatsächlich eher in Form einer Empfehlung statt mittels eines Nichteintretensentscheides mitteilen sollte, ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht ganz so klar, wie es das BVGer darstellt. Eine Empfehlung des EDÖB hat ihre gesetzliche Grundlage in Art. 14 BGÖ. Sofern das BGÖ in einem konkreten Fall, wie vorliegend, offensichtlich nicht zur Anwendung gelangt, würde eine Empfehlung des EDÖB über dessen Nichteintreten ebenso einer gesetzlichen Grundlage entbehren, wie ein Nichteintretensentscheid des EDÖB in Form einer Verfügung nach VwVG.
* Der Autor (danielkae@hotmail.com) vertritt in diesem Beitrag seine persönliche Meinung.
Fussnoten:
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Die Pronovo AG ist die akkreditierte Zertifizierungsstelle für die Erfassung von Herkunftsnachweisen und die Abwicklung der Förderprogramme für erneuerbare Energien des Bundes. ↑
- BGE 142 II 268 E. 4.2.5.2 sowie BGE 148 II 92 E. 5.1.2. ↑
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Verordnung über die Förderung der Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien (Energieförderungsverordnung, EnFV; SR 730.03). ↑
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Siehe dazu Daniel Ladanie-Kämpfer, Erneut Spezialbestimmungen und der Schutz aussenpolitischer Interessen im Fokus – Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2023 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), in: medialex 03/24, 10. April 2024, Ziff. II. a. ↑
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BGE 147 I 47. ↑
-
Schweizerische Strafprozessordnung (Strafprozessordnung, StPO; SR 312.0). ↑
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Siehe der Vollständigkeit halber zu Art. 4 BGÖ auch den Kommentar zum Urteil des BGer 1C_346/2023 vom 16. Dezember 2024 in Ziffer 7 hiernach. ↑
-
Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG; SR 121). ↑
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Anders noch der EDÖB in seiner diesbezüglichen Empfehlung vom 25. Januar 2022, Relations commerciales avec NSO Group, Ziff. 21, in welcher er festhielt, dass das BGÖ für den vorliegenden Fall Anwendung finden würde, da es dem fedpol nicht gelungen sei aufzuzeigen, inwiefern Art. 67 NDG als das BGÖ ausschliessende Spezialbestimmung auch für Behörden ausserhalb des NDB Anwendung finde. ↑
-
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1). ↑
-
Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10). ↑
-
Verordnung über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102). ↑
-
Der Sachverhalt und die Prozessgeschichte zu diesem Urteil werden in vorliegendem Beitrag stark vereinfacht dargestellt, da diese aufgrund zahlreicher Verfahrensbeteiligter und damit zusammenhängend verschiedener verfahrensrechtlicher Fragestellungen und Etappen einer Kurzzusammenfassung nicht zugänglich sind. ↑
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BVGE 2014/42. ↑
-
Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20). ↑
-
NOGA = Nomenclature générale des activités économiques = Allgemeine Systematik der Wirtschaftszweige. ↑
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Bundesstatistikgesetz (BstatG; SR 431.01). ↑
-
Verordnung über das Betriebs- und Unternehmensregister (BURV; SR 431.903). ↑
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Siehe auch BVGer A-741/2019, A-743/2019, A-745/2019, A-746/2019 vom 16. März 2022.↑
-
Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB; 172.056.1). ↑
-
Verordnung vom 11. Dezember 1995 über das öffentliche Beschaffungswesen (altVöB; SR 172.056.11). ↑
-
Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (altBöB; SR 172.056.1). ↑
-
Siehe dazu Das Urteil des BGer 1C_50/2015 E. 3.2. ↑
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Aufgrund der Komplexität des diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts sowie der Vielzahl der in diesem Verfahren gestellten Rechtsbegehren beschränkt sich die vorliegende Zusammenfassung auf die aus der BGÖ-Perspektive relevantesten Fragestellungen. ↑
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Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB; SR 210). ↑
-
Zivilstandsverordnung (ZStV, SR 211.112.2). ↑
-
Die Arbeitsgruppe DIMMI ist eine Art interne Whistleblowing-Stelle. Der Name DIMMI stammt vom italienischen «sag (es) mir». ↑
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Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsverordnung, VBGÖ; SR 152.31). ↑
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vgl. etwa auch das Urteil A-3577/2022 vom 26 September 2023 in vergleichbarer Angelegenheit. ↑
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Urteile des BGer 1C_514/2023 vom 4. März 2024 E. 4.2 und 4A_550/2018 vom 29. Mai 2019 E. 4.2. ↑
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Verordnung über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes (Statistikerhebungsverordnung; SR 431.012.1). ↑
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In Bezug auf eine weitere durch die Beschwerdeführerinnen vorgeschlagene mögliche Vorgehensweise zur Erstellung einer statistischen Auswertung zur Nichtigerklärung von (erleichterten) Einbürgerungen einschliesslich deren Erstreckung beziehungsweise Nichterstreckung auf Kinder stellte das BVGer hingegen fest, dass sich das BJ hierzu nicht geäussert habe, weshalb der diesbezügliche rechtserhebliche Sachverhalt nicht vollständig erstellt und die Sache in diesem Umfang zur Prüfung und Beurteilung an das BJ zurückzuweisen sei. ↑
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BGE 142 II 313 E. 4.3; Urteil 1C_462/2018 vom 17. April 2019 E. 5.4. ↑
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Da sich der Sachverhalt noch auf die Zeit vor Inkrafttreten des totalrevidierten DSG am 1. September 2023 sowie des in diesem Rahmen angepassten BGÖ bezog, wurde auf die altrechtlichen Bestimmungen verwiesen. ↑
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Vgl. BGE 144 II 91 E. 3.1, BGE 142 II 268 E. 5.2.2.1 m.w.H. sowie Urteile des BGer 1C_222/2018 vom 21. März 2019 E. 5.2.1 und 1C_665/2017 vom 16. Januar 2019 E. 3.3). ↑
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Postgesetz (PG; SR 783.0). ↑
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In derselben Angelegenheit erging ausserdem ein weiteres Urteil des BVGer: TAF A-758/2024 du 9 octobre 2024, auf welches in vorliegendem Beitrag aufgrund der engen Verwandtschaft mit oben referenziertem Urteil nicht separat eingegangen wird. ↑
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Eine Zusammenfassung dieser Detailprüfung würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen. Ausserdem musste das BVGer in seinen Erwägungen aus naheliegenden Gründen darauf verzichten, die streitigen Textstellen inhaltlich wiederzugeben, weshalb seine dazugehörigen Ausführungen generisch bleiben mussten. ↑
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Da sich der Sachverhalt noch auf die Zeit vor Inkrafttreten des totalrevidierten DSG am 1. September 2023 sowie des in diesem Rahmen angepassten BGÖ bezog, war die Prüfung des Zugangs nach den altrechtlichen Bestimmungen vorzunehmen. ↑
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Da sich der Sachverhalt noch auf die Zeit vor Inkrafttreten des totalrevidierten DSG am 1. September 2023 sowie des in diesem Rahmen angepassten BGÖ bezog, wurde auf die altrechtlichen Bestimmungen verwiesen. ↑
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Siehe hierzu das Urteil des BGer 1C_50/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 6.3. ↑
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Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021). ↑