Damian K. Graf, Prof. Dr. iur., LL.M., Staatsanwalt, Zürich[1]
I. Der Geheimnisverrat und die Strafbarkeit von Journalistinnen und Journalisten
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Unterstützt durch altruistisch motivierte Whistleblower, Hinweisgeber mit persönlicher Agenda oder durch Veröffentlichungen im Darknet, decken Medien regelmässig tatsächliche oder vermeintliche Missstände in Politik, öffentlichem Sektor und Privatwirtschaft auf.
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Soweit die Informantinnen und Informanten, welche die Medien mit Informationen versorgen, einer Geheimhaltungsverpflichtung unterstehen – zu denken ist namentlich an das Amtsgeheimnis (Art. 320 StGB), das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB), das Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnis (Art. 162 StGB) sowie das Bankgeheimnis (Art. 47 BankG) –, machen sie sich dadurch prima vista strafbar. Ein Rechtfertigungsgrund für die Weitergabe lässt sich kaum erfolgreich anführen: Die Schweiz kennt keinen spezifischen gesetzlichen Hinweisgeberschutz – letztmals hat der Gesetzgeber im Jahr 2020 auf eine entsprechende Regelung verzichtet[2] – und die Rechtsprechung zum übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der «Wahrung berechtigter Interessen» ist aus Rücksicht auf die eingegangene Geheimhaltungsverpflichtung (und mangels demokratischer Legitimation dieses Rechtfertigungsgrunds) restriktiv[3]. Der schweizerische Gesetzgeber wurde allerdings teilweise durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überholt, der Whistleblower unter gewissen Umständen straffrei ausgehen lässt, was der EGMR Art. 10 EMRK zu entnehmen glaubt[4]. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, bedarf jedenfalls einer umfassenden Sachverhaltsermittlung. Entsprechend gerechtfertigt ist die Aufnahme eines Strafverfahrens, sei es von Amtes wegen (Art. 320 StGB) oder gestützt auf einen Strafantrag der verletzten Person (Art. 160 und Art. 321 StGB, Art. 47 BankG).
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In Ausnahmefällen können auch Journalistinnen und Journalisten infolge ihrer beruflichen Tätigkeit selbst strafrechtlichen Risiken ausgesetzt sein:
- Art. 47 Abs. 1 lit. c BankG stellt die Weitergabe von Informationen, die unter das Bankgeheimnis fallen, unter Strafe. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die journalistische Tätigkeit ist unlängst im Fall Lukas Hässig / Inside Paradeplatz ins Blickfeld gerückt[5].
- Art. 160 Abs. 2 StGB stellt unter Strafe, wer verratene Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse «für sich oder einen anderen ausnützt». Darunter kann auch die mediale Berichterstattung fallen, zumal wenn sie dem wirtschaftlichen Vorteil des Publikationsmediums und/oder der Journalistin oder des Journalisten dient[6].
- Art. 293 StGB («Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen») zielt darauf ab, die ungerechtfertigte Veröffentlichung von geheim erklärten behördlichen Informationen zu unterbinden[7].
- Dagegen ist die Furcht vor einer Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 i.V.m. Art. 24 StGB) seit dem EGMR-Urteil i.S. Dammann gegen die Schweiz weitgehend ausgeräumt[8]. Das ist sachgerecht, denn Medienschaffende, die bei Behörden (auch hartnäckig) um Auskunft ersuchen, dürfen davon ausgehen, dass Amtsgeheimnisträgerinnen und -träger sowie deren Hilfspersonen allein jene Informationen weitergeben, deren Offenlegung auf einer gesetzlichen Grundlage beruht (bspw. auf Art. 74 StPO oder dem Öffentlichkeitsprinzip)[9].
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Die direkte Kriminalisierung von Journalistinnen und Journalisten – sowie weiterer an der Veröffentlichung beteiligter Hilfspersonen – ist angesichts der hervorragenden Stellung der Medienfreiheit (Art. 17 BV, Art. 10 EMRK, Art. 19 f. UNO-Pakt II) und der zentralen Kontrollfunktion der Medien fragwürdig. Erhalten Medienschaffende geheime Informationen und überwiegt das Interesse an deren Veröffentlichung, so wäre es verfehlt, die nicht einer vertraglichen oder gesetzlichen Geheimhaltungsverpflichtung unterliegenden Briefträger der nach Aussen getragenen Nachricht zu bestrafen. Es gilt dies gesetzgeberisch so strikt wie möglich umzusetzen – durch Abschaffung von Art. 293 StGB und Art. 47 Abs. 1 lit. c BankG oder durch die Einführung eines besonderen Rechtfertigungsgrunds für Medienschaffende.
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De lege lata sind die einschlägigen Straftatbestände, soweit sie im Einzelfall auf Medienschaffende zur Anwendung gelangen sollen, jedenfalls eng auszulegen. An die Strafbarkeit sind hohe Anforderungen zu stellen – gerade auch im Lichte von Art. 10 Abs. 2 EMRK, der verlangt, im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Einschränkung der Medienfreiheit «in einer demokratischen Gesellschaft notwendig» ist. Je gewichtiger das Veröffentlichungsinteresse, desto weniger kann von Journalistinnen und Journalisten verlangt werden, tatenlos auf der Information sitzen zu bleiben. Art. 293 Abs. 3 StGB trägt diesem Grundsatz zumindest teilweise Rechnung, indem er postuliert: «Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.» Das gilt es mutatis mutandis auch bei den anderen Geheimnisverratsdelikten zu berücksichtigen. Die im Bundeshaus diskutierte Ausweitung der Strafbarkeit auf die Veröffentlichung geheimer Daten, die von Dritten illegal beschafft wurden[10], würde die rechtsstaatlich wichtige Funktion von Medien zusätzlich untergraben.
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Dass Medienschaffende nicht kriminalisiert werden sollen, wenn sie aus einem legitimen Veröffentlichungsinteresse heraus geheime Informationen publizieren, bedeutet nicht, dass auch die Geheimnisverräter straffrei ausgehen sollten. Es besteht ein gewichtiges privates wie öffentliches Interesse daran, dass Amts-, Berufs-, Geschäfts-, Fabrikations- und Bankgeheimnisse gewahrt bleiben[11]. Diese strafrechtlichen Schutzbestimmungen sichern das Vertrauen in institutionelle Integrität, wirtschaftliche Fairness und individuelle Vertraulichkeit. Davon darf und soll nicht abgewichen werden. Gerade in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Welt ist der strafrechtliche Geheimnisschutz nicht obsolet, sondern notwendiger denn je.
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Dann aber muss auch das Strafprozessrecht so ausgestaltet sein, dass Geheimnisverletzungsdelikte effektiv verfolgt und geahndet werden können. Daran fehlt es derzeit, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird.
II. Der Quellenschutz und dessen Auswirkungen auf die Verfolgung von Geheimnisverletzungen
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Stellen Sie sich die folgenden zwei Sachverhalte vor:
Fall 1: Ein vertraulicher Kommissionsbericht findet den Weg in die Medien. In der Folge erstattet die betroffene Kommission Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB) gegen unbekannte Täterschaft (oder die Strafverfolgungsbehörde wird von Amtes wegen tätig). Prima vista kommen über zwanzig Personen als potentielle Täter in Betracht, die den Bericht nachweislich erhalten haben (darunter Kommissionsmitglieder und Bundesbeamte)[12].
Fall 2: Ein Geschäftsführer leitet am Tag seiner fristlosen Kündigung verschiedene heikle Geschäftsdokumente an seine private E-Mail-Adresse weiter. Einige Wochen später erscheint in einem Medium ein kritischer Bericht über geschäftsinterne Vorgänge. Das Unternehmen erstattet Strafantrag gegen den Geschäftsführer wegen des Verdachts auf Verletzung des Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 StGB).
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Im Fall 2 besteht eine auffällige zeitliche Koinzidenz zwischen der Weiterleitung geschützter Informationen und der späteren Publikation, was einen hinreichenden, wenn nicht gar dringenden Tatverdacht gegen den Geschäftsführer begründet. Für einen Schuldspruch dürfte dieser Umstand derweil noch nicht ausreichen. Im Fall 1 liegt unstreitig ein Tatverdacht gegen unbekannte Täterschaft vor – irgendjemand muss das Amtsgeheimnis ja verletzt haben. Weitere Anhaltspunkte zur Eingrenzung des möglichen Täterkreises bestehen indes nicht.
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Wie lassen sich derartige Fälle von Geheimnisverrat an Medienschaffende mit den Instrumenten der Strafprozessordnung überhaupt verfolgen?
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Zunächst ist an Personalbeweise zu denken, also an die Einvernahme der möglicherweise involvierten Personen:
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- Der Geschäftsführer kann als beschuldigte Person von seinem Mitwirkungsverweigerungsrecht (Art. 113 Abs. 1 StPO) Gebrauch machen. Dasselbe gilt für die Empfänger des Kommissionsberichts, die allesamt nicht als beschuldigte Personen ausgeschlossen werden können und daher im Verfahren vorerst als sogenannte beschuldigtenähnliche Auskunftspersonen zu behandeln sind (Art. 178 lit. d StPO; zu ihrem Aussageverweigerungsrecht Art. 180 Abs. 1 StPO). Bei einem grösseren Personenkreis wie im Fall 1 (siehe Rn. 8) wird zur Ressourcenschonung mitunter ein schriftlicher Bericht der betroffenen Personen eingeholt (Art. 145 StPO). Ihre Mitwirkung ist in jedem Fall freiwillig, und eine verweigerte Aussage oder Stellungnahme darf selbstredend nicht zur Konstruktion eines Tatverdachts gegen die betreffende Person herangezogen werden.
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- Dass der Geheimnisverräter seine Tat von sich aus zugibt, ist recht selten. Entsprechend rücken der Medienschaffende und dessen Hilfspersonen als potentielle Zeugen (Art. 162 ff. StPO) in den Fokus. Diese Ermittlungsschiene bleibt jedoch in der Regel ebenfalls ohne Erfolg. Denn Art. 172 Abs. 1 StPO gewährt «Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre[n] Hilfspersonen» ein Zeugnisverweigerungsrecht. Sie können sich somit grundsätzlich einer Mitwirkung im Strafverfahren entziehen, um ihre journalistische Tätigkeit und insbesondere den Schutz ihrer Quellen zu wahren. Dieses Recht ist zwar nicht absolut: Nach Art. 172 Abs. 2 StPO besteht eine Aussagepflicht, wenn das Zeugnis notwendig ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten (lit. a), oder wenn die Aussage für die Aufklärung einer besonders schweren Straftat unerlässlich ist (lit. b). Der in Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO enthaltene – abschliessende – Deliktskatalog beschränkt sich derzeit auf Tötungsdelikte, Verbrechen, die mit Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren bedroht sind, sowie ausgewählte schwere Straftaten (u.a. Sexualstraftaten, kriminelle Organisation, Geldwäscherei, Korruption, qualifizierte Betäubungsmitteldelikte). Geheimnisverratsdelikte sucht man dort vergebens. Folglich können sowohl die Medienschaffenden, die den Artikel zu den geheimen Informationen veröffentlicht haben, als auch alle Personen, die sie dabei unterstützt haben, die Aussage und Mitwirkung im Strafverfahren verweigern. In der Praxis machen sie von diesem Recht in aller Regel Gebrauch (und teilen dies oftmals bereits im Vorfeld mit, sodass zur Schonung der Ressourcen aller Beteiligten mitunter auf die Durchführung einer Einvernahme verzichtet wird).
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Führen Personalbeweise nicht weiter, rücken Sachbeweise, allen voran Aufzeichnungen in digitaler oder physischer Form, in den Vordergrund:
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- Zunächst können etwaige Auszüge aus Originaldokumenten, die von Medienschaffenden veröffentlicht wurden, zur Eruierung der Täterschaft ausgewertet werden[13]. Auch Logdaten – also Informationen darüber, welche Mitarbeitenden wann auf die betreffenden elektronischen Dokumente zugegriffen haben – können ein gewichtiges Indiz darstellen. Fehlen solche Daten oder ist die Beweislage noch zu schwach, stellt sich die Frage, ob und bejahendenfalls auf welchem Weg eine allfällige Kommunikation zwischen der Täterschaft und dem Medienschaffenden sichergestellt werden kann.
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- Beim Medium oder bei den Journalistinnen und Journalisten ist nichts zu holen: Können sich diese Personen auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 172 StPO berufen, so geniessen sie nach Art 264 Abs. 1 lit. c StPO denselben Schutz vor Sicherstellung, Durchsuchung und Beschlagnahme von Kommunikationsinhalten zwischen ihnen und ihren Quellen – vorausgesetzt, die Medienschaffenden sind nicht ihrerseits (mit-)beschuldigt.
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- Diese Kommunikation darf auch nicht bei allfälligen identifizierten Quellen – wie im Fall 2 (siehe vorne Rn. 8) beim Geschäftsführer – sichergestellt werden. Nach Art. 264 Abs. 1 StPO gilt das Beschlagnahmeverbot «ungeachtet des Ortes, wo [die Aufzeichnungen] sich befinden». In BGE 140 IV 108, dem bekannten «Blocher-Entscheid» im Zusammenhang mit der Affäre um den früheren Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, hat das Bundesgericht diesen Grundsatz konsequent angewandt: Der Schutz greift nicht nur, wenn die Dokumente unmittelbar bei der Journalistin oder dem Journalisten sichergestellt werden sollen. Auch eine als Quelle oder Informantin verdächtigte Person kann sich auf das Beschlagnahmeverbot berufen, sofern sich entsprechende Aufzeichnungen in ihrem Besitz befinden. Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil zur «Corona-Leaks»-Affäre bestätigt und dabei klargestellt, dass auch Leitungsorgane von Medienunternehmen in den Schutzbereich des Zeugnisverweigerungsrechts nach Art. 172 StPO einbezogen sind[14]. Zudem hat es festgehalten, dass Anhaltspunkte auf ein etwaiges rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht ausreichen, um das Beschlagnahmeverbot zu durchbrechen – wobei ohnehin nicht recht einzusehen ist, inwieweit ein gesetzlich ausdrücklich vorgesehenes Beschlagnahmeverbot überhaupt rechtsmissbräuchlich angerufen werden kann. Selbst wenn beim beschuldigten Geschäftsführer im Fall 2 eine Hausdurchsuchung durchgeführt und dessen EDV-Geräte sicherstellt oder mittels Editionsverfügung (Art. 265 StPO) bei einem Provider auf dessen E-Mail-Account zugegriffen wird, darf die für das Verfahren zentrale Kommunikation, auf deren Auffindung die Zwangsmassnahme abzielt, gar nicht verwertet werden. Verlangt die mutmassliche Quelle die Siegelung (Art 248 StPO) und beruft sie sich dabei auf den Quellenschutz, ist im Entsiegelungsverfahren damit die gesamte direkte Kommunikation mit dem Medienschaffenden auszusondern[15]. Die Speichergeräte des Geschäftsführers sind daher nur in geringem Ausmass untersuchungsrelevant. So könnte (aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden) etwa «gehofft» werden, dass der Geschäftsführer die Kommunikation mit dem Journalisten gegenüber einem unbeteiligten Dritten offengelegt, die Tat in Nachrichten gegenüber einer anderen Person (etwa der Ehefrau) eingestanden oder bereits vor der Publikation nach entsprechenden Medienartikeln gegoogelt hat. Ob die geringe Aussicht, auf solche Zufälligkeiten zu stossen, angesichts der angespannten Ressourcensituation der Strafverfolgungsbehörden eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen vermag, erscheint fraglich.
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- Schliesslich könnte die Staatsanwaltschaft versucht sein, mittels Verbindungsdaten einen Zusammenhang zwischen den Telefonanschlüssen oder E-Mail-Adressen einer bestimmten Person oder Personengruppe und jenen involvierter Journalistinnen und Journalisten bzw. Medien herzustellen. Art. 273 StPO erlaubt grundsätzlich die rückwirkende Erhebung solcher Verbindungsdaten, wobei hierfür eine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht erforderlich ist (Art. 274 StPO)[16]. Bei Lichte betrachtet ist der Quellenschutz in aller Konsequenz auch bei der rückwirkenden Erhebung von Randdaten zu berücksichtigen[17], denn bereits der blosse Umstand, dass überhaupt ein Kontakt zwischen einem Informanten und einem Medienschaffenden stattgefunden hat, fällt unter den Quellenschutz (vergleichbar mit dem Umstand, dass jemand einen Anwalt mandatiert hat)[18].
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Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Die strafrechtliche Verfolgung von Geheimnisverletzungsdelikten stösst auf erhebliche praktische Hürden, die sich aus dem Quellenschutz ergeben. Ob und wann eine wegen eines Geheimnisverrats beschuldigte Person mit Medienschaffenden in Kontakt stand und was Gegenstand dieser Kommunikation war, darf im Strafverfahren nicht verwertet werden. Genau jene Kommunikation also, die einer verdächtigen Person nachgewiesen werden müsste, unterliegt dem Beschlagnahmeverbot nach Art. 264 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 172 StPO.
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Die Offenbarung von Geheimnissen an Journalistinnen und Journalisten ist heute also faktisch straflos – wenn auch nur indirekt über das Prozessrecht, weil keine diesbezüglichen Beweiserhebungen zulässig sind.
III. Reformbedarf beim Quellenschutz
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Als Folge der aktuellen Rechtslage und Rechtsprechung lassen sich Strafverfahren wegen Geheimnisverrats im medialen Kontext kaum erfolgsversprechend führen. Gleichwohl besteht eine gesetzliche Pflicht zur Verfolgung solcher Delikte, sei es von Amtes wegen oder auf ausdrücklichen Strafantrag hin, weshalb entsprechende Strafverfahren trotz geringer Erfolgsaussichten eingeleitet und durchgeführt werden müssen. Dies bindet Ressourcen, die andernorts sinnvoller eingesetzt wären. Zugleich beeinträchtigt die aktuelle Ausgestaltung die generalpräventive Wirkung der Geheimnisverletzungsdelikte erheblich – allen voran Art. 320 StGB, der im Interesse eines funktionierenden Behördenbetriebs und zum Schutz parlamentarischer Kommissionsarbeit einen hohen Stellenwert geniesst.
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Inwieweit dieser Zustand geändert werden soll, ist eine rechtspolitische Abwägungsfrage zwischen dem Schutz der Vertraulichkeit und der Medienfreiheit.
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Denkbar wäre eine Erweiterung des Deliktskatalogs in Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO (Ausnahmen vom journalistischen Quellenschutz) um die Geheimnisverratstatbestände. Das würde bedeuten, dass das Zeugnisverweigerungsrecht und in der Konsequenz auch das Beschlagnahmeverbot für solche Delikte nicht mehr greifen würde. Eine solche Ausweitung würde allerdings tief in die Schutzsphäre von Medienschaffenden eingreifen und könnte in Konflikt mit Art. 10 EMRK stehen. Darüber hinaus würde eine solche Erweiterung ein systematisches Ungleichgewicht schaffen, da die übrigen Katalogtaten ausschliesslich besonders schwere Straftaten betreffen, während es sich bei den Geheimnisverletzungsdelikten lediglich um Vergehen handelt.
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Ein alternativer Regelungsansatz, der die Schutzposition von Medienschaffenden nicht beeinträchtigen würde, bestünde in der Verwirklichung einer Sphärentheorie bei den Beschlagnahmeverboten, nämlich darin, den Zusatz «ungeachtet des Ortes, wo [die Aufzeichnungen] sich befinden» in Art. 264 Abs. 1 StPO zu streichen. Damit bliebe das Beschlagnahmeverbot für Unterlagen, die sich im Gewahrsam von Journalistinnen und Journalisten oder ihrer Hilfspersonen bzw. der Redaktion befinden, weiterhin umfassend bestehen. Zugleich wären Aufzeichnungen, die sich im Besitz tatverdächtiger Personen befinden, vor den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr geschützt.
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Dies würde es ermöglichen, Aufzeichnungen bei tatverdächtigen Personen – wie dem Geschäftsführer im Fall 2 (siehe vorne Rn. 8) – sicherzustellen und gezielt nach Hinweisen auf die untersuchte Geheimnisverletzung zu durchsuchen, ohne dabei die eigentliche journalistische Freiheit bzw. die Sphäre der Medienschaffenden zu tangieren. An den praktischen Problemen des Falls 1 (siehe vorne Rn. 8) würde die hier vorgeschlagene Sphärentheorie dagegen nichts ändern. Hier scheitert es an der auch in anderen Kontexten bekannten grundlegenden Schwierigkeit der Identifikation unbekannter Täterschaft.
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Der vorgeschlagene Lösungsansatz käme der rechtlichen Situation gleich, wie sie in Deutschland gilt: Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 der deutschen Strafprozessordnung ist die Beschlagnahme von Aufzeichnungen und Gegenständen nur insoweit unzulässig, als sich die Aufzeichnungen «im Gewahrsam dieser Personen [d.h. der Medienschaffenden] oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden»[19].
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Eine entsprechende Regelung würde sicherstellen, dass der strafprozessuale Quellenschutz die journalistische Tätigkeit weiterhin umfassend schützt, nicht jedoch die Täterschaft hinter einer Geheimnisverletzung. Die Medienfreiheit bliebe durch diese Präzisierung unberührt, würde jedenfalls nicht über Gebühr tangiert.
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Soll dagegen am umfassenden Quellenschutz festgehalten werden, wäre es letztlich ehrlicher, wenn der Gesetzgeber Farbe bekennt und die Weitergabe geschützter Informationen an Medienschaffende ausdrücklich von der Strafbarkeit ausnimmt – um zu verhindern, dass weiterhin Alibiuntersuchungen eingeleitet werden, die mit grosser Wahrscheinlichkeit ohnehin sistiert oder eingestellt werden müssen.[20]
Fussnoten:
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Damian K. Graf, Prof. Dr. iur., LL.M., Staatsanwalt / Abteilungsleiter bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Titularprofessor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Zürich. Der Autor äussert seine persönliche Meinung. ↑
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Vgl. AB 2020 N 135 ff. ↑
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BGE 114 IV 44, E. 3b; BGer, 6B_305/2011 v. 12.12.2011, E. 4.1 f. ↑
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EGMR, 14277/04 v. 12.2.2008, Guja c. Moldawien; EGMR, 21884/18 vom 14.2.2023, Halet c. Luxemburg. ↑
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Vgl. Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich, GT250161 v. 2.7.2025 i.S. Lukas Hässig / Inside Paradeplatz (nicht amtlich veröffentlicht, jedoch durch ein Medium im Internet publiziert). ↑
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Vgl. P. Nobel/R.H. Weber, Medienrecht, Bern 2021, Rz. 100. ↑
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Dazu unlängst M. Jean-Richard-dit-Bressel, Das öffentliche Geheimhaltungsinteresse im Widerstreit mit dem Veröffentlichungsinteresse, medialex 01/25, 3.2.2025. ↑
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EGMR, 77551/01 v. 25.4.2006, Dammann c. Schweiz; anders noch BGE 127 IV 122, E. 2b/bb. ↑
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D.K. Graf/A. Vonwil, in: Graf (Hrsg.), Annotierter Kommentar StGB, 2. Aufl., Bern 2025, Art. 320 N 14; TPF 2018 68, E. 4.3.1. ↑
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Postulat 23.4322 («Handhabung der weiteren Verwendung illegal erworbener Daten») vom 17.10.2023, am 20.12.2023 an den Bundesrat überwiesen. ↑
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Siehe bereits den biblischen Leitsatz in Sir 27, 16: «Wer Geheimnisse verrät, bricht die Treue und findet keinen Freund mehr nach seinem Herzen». ↑
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Ausgeklammert wird nachfolgend die weitere, diffizile Thematik der relativen Immunität gemäss Art. 17 ParlG; der Entscheid über die Aufhebung der Immunität scheint in der Praxis mehr politischen denn rechtlichen Überlegungen zu folgen. ↑
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Beispielhaft sei der Fall eines NSA-Mitarbeiters aus dem Jahr 2017 erwähnt: Er übergab der Plattform «The Intercept» ein klassifiziertes Dokument. Die Identifikation des Informanten gelang offenbar, weil er das Dokument zuvor ausgedruckt hatte – und das vom Medium veröffentlichte Dokument anhand sogenannter «Printer Tracking Dots» ihm zugeordnet werden konnte. ↑
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BGer vom 31.1.2025, 7B_733/2024. Dazu auch S. Canonica, Hoher Stellenwert für den Quellenschutz, medialex 02/25, 7.3.2025. ↑
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Unklar ist, ob die Ausführungen der betroffenen beschuldigten Person im Entsiegelungsverfahren – dahingehend, dass sich dem Quellenschutz unterliegende Aufzeichnungen unter den sichergestellten Daten befinden – ihrerseits als Beweismittel im Strafverfahren verwertet werden können (im Sinne von: «Die beschuldigte Person hat ja selbst eingeräumt, mit dem Medium bzw. dem Journalisten in Kontakt gestanden zu sein»). Dabei handelt es sich jedoch nicht um freiwillige Zugeständnisse. Vielmehr trifft sie im Entsiegelungsverfahren eine strenge Substantiierungsobliegenheit. Es erschiene unbillig, wenn solche Angaben später zu ihrem Nachteil verwendet werden dürften. ↑
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Fraglich ist, ob bei der Erhebung bei einer anderen Behörde ein Aktenbeizug i.S.v. Art. 194 Abs. 2 StPO oder eine Anordnung nach Art. 273 StPO der korrekte prozessuale Weg darstellt (offengelassen in BGer vom 29.11.2016, 1B_26/2016, E. 4.4, worin das Bundesgericht die Erhebung derjenigen Telefonanschlüsse und E-Mail-Adressen von Mitarbeitenden und Studierenden der Universität Zürich, die in Kontakt mit bestimmten Telefonanschlüssen sowie E-Mail-Adressen von Journalistinnen und Journalisten bzw. Medien gestanden waren, als unverhältnismässig qualifizierte). ↑
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Zur Aussonderungspflicht siehe Art. 271 Abs. 3 StPO; vgl. ferner auch V. Györffy, Quellenschutz im Strafprozess, medialex 2016, S. 79 ff.; nicht thematisiert in BGer vom 29.11.2016, 1B_26/2016, E. 4.4. ↑
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Tendenziell BGer vom 30.8.2013, 1B_251/2013, E. 5.4 («[…] Art. 270 f. StPO auch bei Untersuchungsmassnahmen nach Art. 273 StPO sachgerecht mitzuberücksichtigen»); kritisch Th. Hansjakob/U. Pajarola, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Schulthess Kommentar, 4. Aufl., Zürich 2020, Art. 273 N 84. ↑
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S.a. § 157 Abs. 1 Ziff. 4 (und § 157 Abs. 2 e contrario) der österreichischen Strafprozessordnung; vgl. auch The Law Library of Congress, Journalist Shield Laws in OECD Jurisdictions, September 2021, S. 2: «Shield rules in most of the surveyed jurisdictions are tailored to protect the confidentiality of the news source, and thus, the protections from disclosure also extend to documents, data, and other materials that are in the possession of the journalist or other protected persons that might reveal the identity of the source» (Hervorhebung durch den Verfasser). ↑
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Bereits D.K. Graf, Praxishandbuch zur Siegelung, Bern 2022, Rz. 677. ↑