Klageflut in Deutschland – kaum Präjudizien in der Schweiz
Rena Zulauf, Dr. iur., Rechtsanwältin, Zürich
I. Einleitung
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«In Scheidungsthemen ist Rechtsanwalt […] nach meiner Wahrnehmung bereit für seine Klientin zu lügen, den «Gegner» zu verleugnen und die Kinder leiden zu lassen […]». Dieser Satz stammt aus dem Google-Maps Eintrag einer Basler Anwaltskanzlei. Der Autor dieser Rezension zeichnete anonym – mit einem Pseudonym. Der auf Familienrecht spezialisierte Anwalt kennt seine Klientel und deren Gegenparteien. Schnell war klar, dass es sich beim Rezensenten um den Ex-Ehemann einer sich in Trennung befindenden Klientin handelt, welche die Dienste des Fachanwalts in Anspruch genommen hatte. Nachdem das zuständige Zivilgericht entschieden hatte, dass der Ehemann aus der gemeinsamen Liegenschaft ausziehen müsse, sah sich dieser veranlasst, die vorstehende Bewertung auf der Google-Maps Plattform der Kanzlei zu hinterlassen. Was ist in einer solchen Situation zu tun?
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Äusserungen – auch anonyme – auf Bewertungsplattformen geniessen grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit. Allerdings – und das ist das zentrale Problem in vorstehendem Beispiel: Der unglückliche Ex-Ehemann hat keine Dienstleistung des bewerteten Anwalts bzw. dessen Kanzlei in Anspruch genommen, sondern die Rezension benutzt, um seinem Ärger über den Verlauf seines Scheidungsverfahrens Luft zu machen.
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Man spricht bei solchen Bewertungen von sog. «Racherezensionen». Nutzerinnen und Nutzer erhalten den Eindruck, der Rezensent habe die Dienstleistungen des Anwalts in Anspruch genommen und sei damit nicht zufrieden gewesen. Dies hat nicht nur eine Wettbewerbsverzerrung zur Folge, die Rezension ist darüber hinaus schwer rufschädigend und kann zu einem Verlust der Klientschaft führen. Ein Dienstleister «lüge» für seien Klientin und «lasse Kinder leiden» sind happige Vorwürfe für einen auf Scheidungs- und Kindesrecht spezialisierten Anwalt.
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Frustrierte Gegenparteien liegen gerade bei emotional aufgeladenen Scheidungsverfahren gewissermassen in der Natur der Sache. Einem Gerichtsurteil ist inhärent, dass eine Partei den Prozess verliert. Wenn überhaupt, spricht das Unterliegen der Gegenpartei somit für und nicht etwa gegen die Leistungen des Anwalts. Nicht immer ist Dienstleistern, die mit Racherezensionen zu kämpfen haben, klar, wer hinter einer herabsetzenden anonymen Bewertung steckt. Entsprechend ist die Kontaktaufnahme und damit Konfrontation des Rezensenten mit seiner Negativ-Bewertung, aber auch die Einleitung von rechtlichen Schritten erschwert.
II. Hohe Hürden für Bewertete
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Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen (Art. 28 ZGB). Diese Regelung gilt gleichermassen für Google und andere Betreiberinnen von Bewertungsplattform, spätestens dann, wenn sie von einer persönlichkeitsverletzenden Bewertung Kenntnis erhalten.
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Pragmatiker mögen einwenden, Plattformenbetreiberinnen böten Meldetools für unliebsame Bewertungen an. In der Praxis ist der Weg über Melde-Links und E-Mails allerdings nicht selten langwierig, wenn nicht gar zermürbend. Auf Meldungen folgen regelmässig generisch abgefasste Standard-Antworten, die eine vernünftige Kommunikation mehr hindern als fördern. Eine echte Anhörung zum Problem findet oftmals nicht statt. Es ist dies einer der Gründe, weshalb zahlreiche Dienstleister irgendwann enerviert auf das Persönlichkeitsrecht spezialisierte Rechtsvertreterinnen und -vertreter aufsuchen.
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Das Problem der Racherezensionen und die Machtlosigkeit der Bewerteten ist weder neu noch auf die Anwaltsbranche beschränkt. Interessanterweise gibt es in der Schweiz dessen ungeachtet kaum Rechtsprechung zum Thema. Der Mangel an Präzedenzfällen erschwert das rechtliche Vorgehen gegen Plattformenbetreiberinnen zusätzlich.
III. Zahlreiche Klagen gegen Google in Deutschland
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Ganz anders präsentiert sich die Situation im vergleichsweise schon fast streitlustigen Deutschland. Im Gegensatz zur Schweiz herrscht dort eine regelrechte Klageflut, insbesondere gegen Google. So hat sich beispielsweise das Landesgericht München bereits mit der Frage befasst, ob eine negative Rezension der Gegenpartei eines Anwaltes rechtmässig sei (LG München, 20.11.2019, 11 O 7732/19). Das Gericht kam zum Schluss, als gegnerische Partei verfüge man über keine dienstleistungsbezogene Erfahrung, weshalb ein öffentliches Interesse an solchen Rezensionen zu verneinen und die herabsetzende Bewertung zu löschen sei. Die Zielgruppe von Onlinebewertungen interessierten sich in der Regel nicht für die Erfahrungen der Gegenparteien, sondern dafür, ob die Kanzlei aus Sicht ihrer Auftraggeber gute Arbeit leistet. Weitere Gerichte in Deutschland folgten diesen Erwägungen.
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Die üppige Rechtsprechung in Deutschland hat zudem dazu geführt, dass Google und andere Plattformenbetreiberinnen – anders als in der Schweiz – aktiv werden mussten. Meldungen von Racherezensionen lösen eine Prüfungspflicht seitens des Plattformbetreibers aus, konkret muss die Plattformenbetreiberin die Meldung dem Rezensenten weiterleiten. Bleibt eine Stellungnahme des Rezensenten aus oder ist diese unergiebig, hat die Plattformenbetreiberin die Bewertung zu löschen. Nimmt der Rezensent substantiiert Stellung, erhält der betroffene Dienstleister die Möglichkeit, zu replizieren. Anhand der Stellungnahmen hat sich die Plattformenbetreiberin ein Bild zu machen und eine Entscheidung zu treffen, die ein Zivilgericht im Falle einer Klage auf ihre Rechtmässigkeit überprüft (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. März 2016, VI ZR 34/15, Rz. 23 ff). Die Bewertung ist umgehend durch die Plattformenbetreiberin zu löschen, wenn diese im Zivilverfahren nicht mitwirkt.
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In einem aktuelleren Urteil (Aktenzeichen: VI ZR 64/24) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Februar 2025 über einen Fall zu entscheiden, in welchem Meta für ehrverletzende Inhalte auf der Plattform Facebook verklagt wurde. Konkret hatte eine Politikerin gegen Facebook geklagt, weil auf der Plattform ein ehrverletzendes Meme (im Internetjargon eine Kombination von Bild und Text, welche sich rasch und massenhaft über die sozialen Medien verbreitet) mit einem ihr fälschlicherweise zugeschriebenen Zitat verbreitet wurde. Die Politikerin hatte erfolgreich die Löschung des Memes verlangt, kurze Zeit später tauchten jedoch gleichartige Inhalte erneut auf. Die Klägerin vertrat die Auffassung, ihr stehe nebst eines Schmerzensgeldes von 10’000 Euro ein Unterlassungsanspruch gegenüber Meta hinsichtlich aller bis zur Rechtskraft des Urteils auf Facebook vorhandenen Memes zu, welche identisch oder «kerngleich» zum Ausgangs-Meme seien. Dies ohne dass die Klägerin die entsprechenden URL Meta mitteilen müsse, denn das sei ihr nicht möglich und nicht zumutbar. Der BGH musste sich folglich (nebst der geforderten Entschädigung) mit der Frage auseinandersetzen, ob Meta verpflichtet ist, auch sinngleiche Inhalte zu erkennen und zu entfernen, ohne dass die betroffene Person jede URL einzeln melden muss. Meta hält entgegen, als neutrale Hosting-Anbieterin hafte sie nur für konkret bezeichnete Beiträge.
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Leider hat der BGH die Antwort auf diese Frage ausgesetzt, um die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem mit Haftungsfragen von Plattformbetreibern verbundenen Fall (C-492/23) abzuwarten. Das zu erwartende Urteil des EuGH dürfte auch für die Schweiz von grossem Interesse sein.
IV. Schweiz quo vadis?
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Die aktuelle Rechtslage und die passive Rolle von Google und anderen Plattformenbetreiberinnen in der Schweiz ist aus Betroffenensicht unbefriedigend. Ein Blick in die Rechtsprechung des Nachbarlandes zeigt, dass es auch anders geht. Dem Vernehmen nach sind verschiedene Branchenverbände daran, das Problem zu adressieren. Schliesslich liegt es jedoch am Gesetzgeber, dem Wildwuchs zu begegnen und einen Weg zu definieren, welcher der Rache einen Riegel schiebt.
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Beim zuständigen Departement UVEK ist derzeit eine Vernehmlassungsvorlage in Ausarbeitung, welche die Plattformregulierung nach europäischem Vorbild anstrebt. Die Publikation des Entwurfs hätte eigentlich längst vorgelegt werden sollen und wurde zuletzt im April 2025 auf unbestimmte Zeit verschoben.

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