Das Bezirksgericht Zürich befasst sich im Urteil GT200065-L mit einem Online-Kommentar
Viktor Györffy, lic.iur., Rechtsanwalt, Zürich
Anmerkungen:
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Die heutigen Formen von Informationsverbreitung über elektronische Kanäle lassen sich mit herkömmlichen Anschauungen medienrechtlicher Begriffe nicht ohne Weiteres fassen. Rein technisch besehen sind diese Kommunikationsmittel nicht unbedingt darauf angelegt, fix zuzuteilen, wer Kommunikationsabsender und wer -empfänger ist. Die Technologie und ihre Nutzung ist vielfältig und entwickelt sich rasch. Um damit Schritt zu halten, bedarf allenfalls es einer Weiterentwicklung der in Frage stehenden rechtlichen Begriffe. Das Urteil des Bezirksgerichts ist vor diesem Hintergrund sehr zu begrüssen.
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Zu beurteilen war folgender Fall: Zu einem auf der Website von «20 Minuten» publizierten Artikel mit dem Titel «Viele Frauen träumen vom Luxusleben» platzierte eine Person folgenden Kommentar:
«Kenne auch eine junge blonde die mit einem schönheitschirurgen aus Zürich zusammen ist. Er ist etwa 20 Jahre älter und sie behauptet immer, sie liebe ihn. Dabei zeigt sie auf IG immer wieder ihr Luxusleben. Eine richtige Famebitch, bzw. Golddigger, und der Arzt macht das noch mit. Peinlich!»
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In der Folge reichte eine Person Strafanzeige ein gegen Unbekannt wegen Ehrverletzung. Daraufhin verlangte die Staatsanwaltschaft von der Herausgeberin von «20 Minuten» per Editionsverfügung die Herausgabe von allfälligen Registrierungsinformationen und/oder gespeicherten lP-Adressen bezüglich dieses und eines weiteren Kommentars. Das Bezirksgericht Zürich hatte im Entsiegelungsverfahren zu entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft Zugang zu den entsprechenden Informationen erhält.
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Dies hängt davon ab, ob in Bezug auf die Person, welche den Kommentar geschrieben hat, Quellenschutz zur Anwendung gelangt. Gemäss Art. 172 Abs. 1 StPO können Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen, das Zeugnis über die Identität der Autorin oder des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern. Der Quellenschutz ist in Art. 28a StGB verankert, nach dessen Wortlaut sich der Quellenschutz auf die Vermittlung von Informationen beschränkt.
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Das Bezirksgericht hat entschieden, der Kommentar sei vom Quellenschutz erfasst. Es knüpft dabei an die Praxis des Bundesgerichts an. Nach dieser Praxis ist der Begriff der Information weit auszulegen. Zu den Informationen gehören nicht nur so genannt seriöse Botschaften, es können gleichermassen die Vermittlung von Belanglosigkeiten dazu zählen. Auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Ernsthaftigkeit kann es nicht ankommen. Ebenso unerheblich ist, ob die Information von allgemeinem und öffentlichem Interesse ist. Nicht vom Quellenschutz erfasst ist hingegen Unterhaltung, der von vornherein jegliche Botschaft abgeht. Zu einem Kommentar, welcher zu einem Beitrag in einem Blog des Schweizer Fernsehens erschien, hielt das Bundesgericht fest, Blog und Kommentar würden eine sich bedingende Einheit bilden und könnten nicht voneinander getrennt werden. Das Bundesgericht erachtete in diesem Fall die Anwendung des Quellenschutzes als gerechtfertigt (BGE 136 IV 145).
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Das Bezirksgericht erkennt in dem von ihm zu entscheidenden Fall, dass der Kommentar eine Botschaft im Sinne der Information enthält. Die Aussagen im Kommentar stünden zweifelsfrei im Zusammenhang mit dem publizierten Artikel auf der Website von «20 Minuten». Der Kommentar stelle somit eine redaktionelle Information dar und werde folglich vom Quellenschutz erfasst.
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Dies entspricht dem Ansatz, dass der Begriff der Information in diesem Zusammenhang weit auszulegen ist. Angesichts der eminenten Bedeutung des Quellenschutzes erscheint dies als richtig. Der Schutz journalistischer Quellen wird vom EGMR und vom Bundesgericht als Grundbedingung und Eckpfeiler der Medienfreiheit anerkannt. Die Praxis des EGMR stützt sich dabei auf die Freiheit der Meinungsäusserung, die Praxis des Bundesgerichts überdies auf das Redaktionsgeheimnis. Medienschaffende können ihre Aufgabe als Informationsvermittler und Wächter nur erfüllen, wenn sie die erforderliche Information von Dritten erhalten, insbesondere Hinweise auf Vorkommnisse von gesellschaftlichem Interesse, die sonst verborgen bleiben würden. Dies wiederum setzt voraus, dass die Informationsgeber darauf vertrauen können, dass ihr Name nicht preisgegeben wird. Eine Pflicht zur Preisgabe der anvertrauten Informationen könnte Informanten abschrecken (chilling effect) (vgl. zum Ganzen EGMR, 27.3.1996, Goodwin v. The United Kingdom (GC), 17488/90; BGE 140 IV 108).
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Informationen von Dritten können auf verschiedenste Weise zu Medienschaffenden gelangen. Die diesbezügliche Vielfalt nimmt mit den Möglichkeiten, welche die heutigen Kommunikationsmittel bieten, und durch die sich auflösenden Grenzen zwischen Informationsabsender und -empfänger weiter zu. Der Anwendungsbereich des Quellenschutzes ist dem entsprechend weit zu fassen. Der Ansatz, Kommentaren von Leserinnen und Lesern Quellenschutz zuzuerkennen, wenn diese Kommentare Information enthalten und wenn ein Zusammenhang mit dem Inhalt besteht, welcher von der Redaktion publiziert worden ist, erscheint als richtig.