Schreibverbote zum Zwecke des Gesundheitsschutzes

S

Rechtliche Grundlagen und ihre Grenzen am Beispiel der Berichterstattung über Ozempic & Co.

Markus Prazeller, Advokat, Partner Kanzlei «Wagner Prazeller Hug», Basel

Résumé: Swissmedic, l’Institut suisse des produits thérapeutiques, a ordonné à plusieurs médias suisses de supprimer certains articles publié à propos le médicament amigrissant Ozempic. Cette décision a suscité l’incompréhension des journalistes. Les reportages sur les produits médicaux font partie de la mission principale des médias. Même si un produit est l’objet même d’un reportage, cela ne signifie pas que la contribution journalistique est synonyme de publicité pour le grand public. C’est pourtant l’argument de Swissmedic. Selon l’auteur de l’analyse, la communication journalistique ne relève pas de la notion de publicité dans le droit des produits thérapeutiques. En règle générale, les journalistes n’ont pas l’intention de promouvoir la vente des médicaments qu’ils décrivent. Une interdiction de reportage constitue une atteinte grave à la liberté de la presse. Dans le domaine des médicaments en particulier, on trouve dans les médias sociaux et sur les sites Internet une multitude d’allégations qui ne peuvent souvent pas être vérifiées les consommateurs et les consommatrices. La suppression de certains articles de presse ne permet pas de remédier à cette situation. Au contraire, une couverture médiatique professionnelle contribuera à l’information du public et, par conséquent, aux intérêts de la santé publique.

Zusammenfassung: Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic hat mehrere Schweizer Medien angewiesen, ausgewählte Artikel über das Schlankheitsmedikament Ozempic zu löschen. Dies hat bei Medienschaffenden Unverständnis ausgelöst. (Unabhängige) Berichterstattung über medizinische Produkte gehört zur Kernaufgabe der Medien. Selbst wenn ein Präparat im Zentrum einer Berichterstattung steht, kann nicht vorschnell auf das Vorliegen von Publikumswerbung geschlossen werden, wie Swissmedic dies tut. Nach Auffassung des Autors fällt die journalistische Kommunikation nicht unter den Werbebegriff des Heilmittelrechts. Journalistinnen und Journalisten fehlt es in der Regel an der Absicht, durch ihre Berichterstattung den Absatz der von ihnen beschriebenen Arzneimittel zu fördern. Ein Berichterstattungsverbot stellt einen schweren Eingriff in die Medienfreiheit dar. Gerade im Bereich von Arzneimitteln finden sich in den sozialen Medien und auf Webseiten eine Vielzahl von Behauptungen, die von den Konsumentinnen und Konsumenten oftmals nicht verifiziert und eingeordnet werden können. Die Löschung einzelner Medienartikel vermag diesen Missstand nicht zu beheben. Im Gegenteil dürfte eine verantwortungsvolle Medienberichterstattung zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen und damit den gesundheitspolitischen Interessen Rechnung tragen.

I. Ausgangslage

1

Gross war die Empörung bei Medienschaffenden, als kürzlich ruchbar wurde, dass das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic, eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes[1], mehrere Schweizer Medien mittels Verfügung angewiesen hatte, ausgewählte Artikel über das Medikament Ozempic zu löschen.[2]

2

Swissmedic, zuständig für die Zulassung von Medikamenten, habe das Tätigkeitsfeld erweitert und agiere nun als «Medienpolizistin», was «mehr als fragwürdig» sei, kritisierte etwa die «Handelszeitung». Auch der Presserat, das Selbstregulierungsorgan der Schweizer Medienbranche, das mit dem Journalisten-Kodex und den dazugehörigen Richtlinien Good-Practice-Vorgaben zur journalistischen Arbeit herausgibt, reagierte in einer ersten Stellungnahme mit Unverständnis. Das Vorgehen von Swissmedic wirke aus journalistischer Sicht befremdlich, liess die Geschäftsführerin des Presserates gegenüber den Publikationen von «CH Media» verlauten.

3

Adressat der Swissmedic-Verfügungen waren nach derzeitigen Erkenntnissen die TX Group, die NZZ und Ringier. Neben der Löschung einzelner Artikel wurde den Verlagen auch jede weitere Veröffentlichung dieser Artikel verboten, jeweils unter Androhung einer Busse von bis zu 50’000 Franken. Swissmedic stellt sich auf den Standpunkt, die Artikel würden (unzulässige) Werbebotschaften für rezeptpflichtige Medikamente enthalten, was nach den Bestimmungen der Heilmittelgesetzgebung unzulässig sei.

4

Ziel des behördlichen Eingriffes in die redaktionelle Freiheit der Verlage waren Berichterstattungen über Präparate zur Behandlung von Fettleibigkeit, darunter insbesondere das Präparat Ozempic des dänischen Pharmaunternehmens Novo Nordisk Pharma. Ozempic und ähnliche Produkte wie Wegovy, Saxenda und Mounjaro, zuweilen auch als «Abnehmspritze» bezeichnet, erfreuen sich seit einigen Jahren unter Prominenten grosser Beliebtheit, um Übergewichtigkeit zu behandeln. Die Wirkung der Präparate basiert auf sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die den körpereigenen Ausstoss von Insulin und Glucagon hemmen und für ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl sorgen. Ozempic und vergleichbare Präparate werden zur Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit eingesetzt, verringern aber offenbar auch das Risiko von weiteren (Folge-)Erkrankungen wie etwa Demenz oder Herzerkrankungen, wie durch eine kürzlich im Magazin «Nature Medicine» veröffentlichte Studie belegt wird. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung auf, dass der Einsatz von GLP-1-Medikamenten das Risiko für Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse erhöht.[3]

5

In den positiven Effekten ist der Grund dafür zu sehen, dass GLP-1-Medikamente mittlerweile, vor allem im Internet auf zweifelhaften Plattformen, als «Lifestyle-Präparate» angepriesen werden, mit welchen, ohne grosse Einschränkungen für die konsumierende Person, das eigene Übergewicht bekämpft werden kann. Das Problem: Ozempic ist in der Schweiz zur Behandlung von Diabetes Typ 2 indiziert; für eine Anwendung zur Gewichtsreduktion ist das Medikament nicht zugelassen.[4] Zudem handelt es sich bei Ozempic, Wegovy und Co. um Präparate, die in der Schweiz nur gegen ein ärztliches Rezept erhältlich sind. Nach Ansicht von Swissmedic entstehe durch die inkriminierte Berichterstattung über GLP-1-Medikamente in Schweizer Medien ein falsches Bild über die Arzneimittel, dem Swissmedic mit dem gegenständlichen Publikationsverbot entgegenzutreten habe.

6

Nachfolgend wird aufgezeigt, auf welche Rechtsgrundlagen sich Swissmedic stützt und es wird untersucht, ob unter Bezugnahme auf die Bestimmungen zum Verbot von Publikumswerbung ein Eingriff in die redaktionelle Freiheit der Verlage gerechtfertigt ist.

II. Rechtliches

1. Grundlagen und verfassungsmässiger Rahmen

7

Unter dem Begriff der Werbung sind Handlungen zu verstehen, mit denen eine gewünschte Werbebotschaft verbreitet werden soll. David/Reutter definieren Werbung als die «Gesamtheit der Massnahmen», die darauf gerichtet sind, «den Adressaten zu einem bestimmten Denken, Verhalten oder Handeln zu veranlassen».[5] Dieser Definition ist ein subjektives Element inhärent, nämlich die Absicht, einen Dritten mittels der gewählten Massnahmen zu beeinflussen.[6]

8

Nach den Richtlinien der Schweizerischen Lauterkeitskommission (SLK), dem Selbstregulierungsorgan der Schweizer Werbebranche, wird Werbung unter dem Oberbegriff der kommerziellen Kommunikation subsumiert, unter den auch Kommunikationsmassnahmen wie Influencing, Native Advertising, Direktmarketing, Sponsoring, Verkaufsförderung und Öffentlichkeitsarbeit fallen.[7] Auch bei der SLK-Definition kommt der Absicht der Werbetreibenden eine zentrale Rolle zu, indem SLK-Grundsatz Nr. A.3 ausführt, dass der «Hauptzweck» von kommerzieller Kommunikation im «Abschlusses eines Rechtsgeschäftes oder seiner Verhinderung» zu sehen ist, was auch durch den Begriff der kommerziellen Kommunikation selbst verdeutlicht wird.[8]

9

Damit ist kommerzielle Kommunikation von Journalismus abzugrenzen. Journalistische Kommunikation verfolgt – oft im Gegensatz zu den Verlagen, die solche Kommunikation ermöglichen – direkt keine kommerziellen Interessen. Qualitativer Journalismus hat zum Ziel, Themen zu sammeln, auszuwählen, zu prüfen, einzuordnen und zu veröffentlichen, sodass sich das Publikum über gesellschaftliche Vorgänge informieren, und sich eine Meinung bilden kann.[9] Darauf gründet auch die Wächter- und Mittlerfunktion der Medien, ihre Rolle als «public watchdog», die sich auf sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens bezieht.[10]

10

Das Recht auf kommerzielle Kommunikation leitet sich insbesondere aus der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV)[11] ab. Sie gibt der Einzelnen das Recht, für die eigene wirtschaftliche Tätigkeit zu werben.[12] Demgegenüber leitet sich das Recht auf journalistische Kommunikation in der Schweiz namentlich aus der Medienfreiheit in Art. 17 BV ab.

11

Die Bestimmungen zur Werbung für Arzneimittel, um die es vorliegend geht, stellen eine Einschränkung der Grundrechte der Wirtschaftsfreiheit dar[13] und haben daher den verfassungsmässigen Voraussetzungen zur Einschränkung zu genügen. So haben sie sich gemäss Art. 36 BV auf eine gesetzliche Grundlage zu stützen, sie müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und überdies verhältnismässig sein. Ratio legis der Werbebeschränkungen ist der Gesundheitsschutz[14], was nach Auffassung des Bundesgerichts auch den Schutz der ärztlichen Fachperson vor Druckversuche von Patientinnen und Patienten umfasst, ein beworbenes Präparat zu verschreiben.[15]

12

Während in Bezug auf Werbeeinschränkungen im Bereich des Heilmittelrechts und ihrer Verfassungsmässigkeit Einigkeit besteht, stellt sich m.E. die Frage, ob das Heilmittelgesetz (HMG)[16] eine genügende rechtliche Grundlage zur Beschränkung der Medienfreiheit darstellt. Wie ausgeführt, dient das HMG als Grundlage zur Beschränkung von Werbung, also von Massnahmen, welche die Absatzförderung zum Ziel haben. Journalismus fällt nicht unter diese Kategorie (vgl. dazu auch die Ausführungen unter 2.2.2 hiernach).

2. Heilmittelgesetz und Arzneimittel-Werbeverordnung

13

Der Umgang mit Medizinprodukten und Arzneimitteln wird in der Schweiz durch das HMG reguliert. Nach seiner Zweckbestimmung gewährleistet das Gesetz, zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden (Art. 1 Abs. 1 HMG). Darüber hinaus soll es dazu beitragen, dass die in Verkehr gebrachten Heilmittel ihrem Zweck entsprechend und massvoll verwendet werden (Art. 1 Abs. 2 lit. b HMG). Vor dem Hintergrund dieser Zweckbestimmung sind auch die Regeln zu den Werbebeschränkungen zu lesen, die im 5. Abschnitt des Gesetzes festgeschrieben sind.

14

Der Bundesrat hat gestützt auf seine Verordnungskompetenz in Art. 31 Abs. 2 und 3 HMG die Verordnung über die Arzneimittelwerbung (AWV)[17] erlassen, welche die Grundsatz-Bestimmungen zur Werbung im HMG präzisiert und ergänzt. Die AWV regelt die Fach- und Publikumswerbung für Arzneimittel der Human- und Veterinärmedizin und gilt sinngemäss auch für die Werbung für Transplantationsprodukte (Art. 1 AWV).

A. Arzneimittelwerbung

15

Art. 2 lit. a AWV definiert den Begriff der Arzneimittelwerbung und damit auch den sachlichen Anwendungsbereich der Werbebeschränkungen. Dabei geht die AWV von einem sehr weiten Werbebegriff aus, indem sie sämtliche Massnahmen «zur Information, Marktbearbeitung und Schaffung von Anreizen» darunter subsumiert, die zum Ziel haben, «die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf, den Verbrauch oder die Anwendung von Arzneimitteln zu fördern». [18] Es fällt auf, dass auch an dieser Stelle an die oben beschriebene Definition von kommerzieller Kommunikation angeknüpft wird, indem auf den Absatzförderungszweck abgestellt wird, was sich letztlich im Abschluss (oder der Verhinderung) eines Rechtsgeschäftes manifestiert. Damit ist auch im Arzneimittelrecht vom klassischen Werbebegriff auszugehen.[19]

16

Das HMG und die ausführende Arzneimittel-Werbeverordnung sehen, je nach Werbeform (dazu sogleich), diverse Werbebeschränkungen vor. Eine Einschränkung erfährt die Werbung für Arzneimittel zudem – insbesondere in privatrechtlicher Hinsicht – durch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das Abwehransprüche gegen unlautere Werbemethoden einräumt. Daneben gelten weitere Beschränkungen, die sich aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen ergeben.[20]

a. Fachwerbung
17

Art. 31 Abs. 1 HMG definiert die im Zusammenhang mit Arzneimitteln[21] zulässige Werbung. Grundsätzlich zulässig ist zunächst die Werbung für alle Arten von Arzneimitteln, sofern sie sich ausschliesslich an Personen richtet, die diese Arzneimittel verschreiben oder abgeben (Art. 31 Abs. 1 lit. a HMG). Damit statuiert der Gesetzgeber den Grundsatz der freien Fachwerbung[22], bringt jedoch gleichzeitig zum Ausdruck, dass der Kreis der angesprochenen Adressaten zulässiger Fachwerbung sehr eng gefasst ist.[23] Dies wird verdeutlicht durch Art. 2 lit. c AWV, der Fachwerbung – etwas schwerfällig formuliert – als Arzneimittelwerbung definiert, die sich «an zur Verschreibung, Abgabe oder zur eigenverantwortlichen beruflichen Anwendung von Arzneimitteln berechtigte Fachpersonen richtet».

18

Als Adressaten von Fachwerbung nennt die Arzneimittel-Werbeverordnung – neben weiteren – Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker sowie Drogistinnen und Drogisten (Art. 3 AWV). Als Kriterium zur Abgrenzung der Fachwerbung von (eingeschränkt zulässiger) Publikumswerbung (dazu sogleich) dient demnach die durch die Werbung angesprochene Zielgruppe.

b. Publikumswerbung
19

Als zweite Werbekategorie neben der Fachwerbung nennt das Gesetz die «Publikumswerbung» und definiert diese als «Arzneimittelwerbung, welche sich an das Publikum richtet» (Art. 2 lit. b AWV). Diese Umschreibung ist sprachlich freilich nicht sehr präzis, da es gerade Wesensmerkmal sämtlicher Werbung ist, sich an ein bzw. ihr «Publikum» zu richten.[24] Es ist daher sinnvoll, den Begriff der Publikumswerbung in Abgrenzung zur Fachwerbung zu definieren.[25] Dies drängt sich auch deshalb auf, weil Arzneimittelwerbung nach Systematik des Heilmittelgesetzes und der Arzneimittel-Werbeverordnung in (nur) zwei Arten von Werbung unterteilt wird: Fachwerbung und Publikumswerbung (vgl. Art. 2 AWV). Bei der Publikumswerbung handelt es sich um eine Auffangbegrifflichkeit; sämtliche Werbung, welche die Voraussetzungen der Fachwerbung nicht erfüllt, unterfällt dieser Kategorie.[26]

20

Während das Heilmittelgesetz Fachwerbung uneingeschränkt zulässt, wird die Zulässigkeit von Publikumswerbung auf «nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel» beschränkt (Art. 31 Abs. 1 lit. b HMG). Ist nicht bloss ein Fachpublikum Zielgruppe der Werbung, darf mit anderen Worten nicht für rezeptpflichtige Medikamente geworben werden. Publikumswerbung für nicht rezeptpflichtige Präparate, auch OTC-Produkte[27] genannt, ist hingegen im Grundsatz erlaubt.

21

Selbstredend erfährt auch die freie Publikumswerbung diverse Einschränkungen durch die Heilmittelgesetzgebung, die sich hauptsächlich aus der Arzneimittel-Werbeverordnung ergeben, auf die jedoch vorliegend nicht weiter einzugehen ist.

B. Werbefreie Information

22

Den Definitionen von Publikums- und Fachwerbung ist gemein, dass sie an den Begriff der Arzneimittelwerbung anknüpfen. Das bedeutet, dass nur dann eine durch das Heilmittelrecht regulierte Fach- oder Publikumswerbung vorliegt, wenn die Voraussetzungen der Arzneimittelwerbung erfüllt sind. Entscheidendes Kriterium ist dabei die Zielsetzung der werbenden Person, mit der Massnahme die Abgabe und die Anwendung eines Arzneimittels zu fördern, mithin eine Absatzförderung zu bewirken. Abzustellen ist damit nach der hier vertretenen Auffassung auf ein subjektives Kriterium der werbenden Person, nämlich ihre Absicht, dem Absatz des Medikaments zu fördern.[28] Obschon der Begriff der Absicht nicht ausdrücklich im Gesetzestext erwähnt ist, ergibt er sich m.E. aus dem Tatbestandsmerkmal der Zielsetzung, die wesensnotwendig eine subjektive Komponente aufweist.

23

Das Bundesgericht äussert sich hingegen eher kritisch zur Absatzförderungsabsicht als taugliches Abgrenzungskriterium. Entscheidend für die Beurteilung sei in erster Linie, wie das Publikum objektiv angesprochen wird.[29] In Bezug auf den zu beurteilenden Einzelfall – Beschwerdeführerin war ein grosses Pharmaunternehmen – hielt es fest, dass die Frage, wie es sich mit dem Merkmal der Absicht verhalte, offenbleiben könne, da es «offensichtlich» sei, dass die Beschwerdeführerin als gewinnorientierte Pharmaunternehmung die fragliche Informationsmassnahme auch die Absicht verfolgt habe, den Absatz des fraglichen Präparats zu fördern.[30] Bei der Beurteilung, ob eine Medienberichterstattung als Publikumswerbung zu definieren ist, drängt sich m.E. eine differenzierte Beantwortung der Frage der Absatzförderungsabsicht auf. In aller Regel dürfte es den nach Massgabe der anerkannten Berufsregeln handelnden Journalistinnen und Journalisten an einer Absatzförderungsabsicht fehlen, was letztlich dazu führt, dass der entsprechende redaktionelle Beitrag nicht unter den Werbebegriff subsumiert werden kann.[31]

24

Fehlt es hingegen an der (Absicht zur) Absatzförderung, liegt eine werbefreie Information vor, auf welche die Werbebeschränkungen des Heilmittelrechts nicht anwendbar sind.[32] In Lehre und Rechtsprechung wird im Zusammenhang mit dem Begriff der werbefreien Information zuweilen auf Art. 1 Abs. 2 lit. c AWV verwiesen, wonach Informationen allgemeiner Art über die Gesundheit oder über Krankheiten vom Geltungsbereich der AWV ausgenommen sind, sofern sich diese Informationen weder direkt noch indirekt auf bestimmte Arzneimittel beziehen. Diese Definition in der AWV greift jedoch zu kurz. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist nicht die (fehlende) Bezugnahme auf ein bestimmtes (oder bestimmbares[33]) Arzneimittel, sondern die Frage, ob eine Absatzförderung beabsichtigt ist bzw. vorliegt. Es ist durchaus denkbar und möglich, dass im Rahmen einer Informationsmassnahme zwar ein Heilmittel namentlich genannt wird oder bestimmbar ist, die Voraussetzungen der Arzneimittelwerbung jedoch nicht erfüllt sind. Diese Auffassung vertritt auch das Bundesgericht, das ausdrücklich festhält, dass aufgrund der Erwähnung des Arzneimittels alleine nicht auf den Werbecharakter der Informationsmassnahme geschlossen werden kann.[34]

25

Dass nicht jede namentliche Nennung eines Präparats zur Annahme führen kann, es liege eine Publikumswerbung vor, zeigt sich exemplarisch an der (unabhängigen) Medienberichterstattung über medizinische Produkte. Gerade wenn – wie vorliegend – ein grosses öffentliches Interesse an einem bestimmten Arzneimittel besteht, gehört es m.E. mitunter zur Kernaufgabe der Medien, dieses Medikament zu benennen und über dieses zu berichten. Selbst wenn das entsprechende Präparat im Zentrum der Berichterstattung steht, kann daraus unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 2 lit. c AWV nicht vorschnell auf das Vorliegen von Publikumswerbung geschlossen werden.

26

Ein entsprechender Reflex könnte sich aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts ergeben, das bei der Beurteilung, ob eine Massnahme Werbung oder blosse Information sei, einen strengen Massstab anlegt.[35] Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Gerichte bei der Beurteilung von Werbebeschränkungen des Heilmittelrechts vornehmlich mit Informationsmassnahmen zu beschäftigen haben, die von den Zulassungsinhaberinnen der Arzneimittel initiiert sind. Letztere haben ein genuines Interesse daran, die Wahrnehmung und den Absatz ihrer Produkte zu fördern. Medienunternehmen hingegen agieren unabhängig von partikulären Brancheninteressen, sie haben sich vielmehr am öffentlichen Informationsinteresse zu orientieren. Auf diese medienspezifische Interessenslage ist bei der Beurteilung der Gesamtumstände angemessen Rücksicht zu nehmen.

27

Eine Abgrenzung zwischen Publikumswerbung und redaktionellen Beiträgen nimmt im Übrigen auch die AWV selbst vor, indem sie vorschreibt, dass (zulässige) Publikumswerbung als solche erkennbar sein muss und von redaktionellen Beiträgen deutlich zu trennen ist (Art. 16 Abs. 3 AWV). Daraus ist e contrario zu schliessen, dass redaktionelle bzw. journalistische Beiträge gerade nicht von den Werbebeschränkungen erfasst sind bzw. eine eigene Informationskategorie darstellen. Aus der entsprechenden Regelung der AWV lässt sich hingegen nicht folgern, dass redaktionelle Beiträge nur bei nicht verschreibungspflichtigen Präparaten zulässig wären. Artikel 16 Absatz 3 AWV bietet keine ausreichende rechtliche Grundlage, um redaktionelle Beiträge über verschreibungspflichtige Medikamente zu verbieten.

C. Sanktionskompetenz von Swissmedic

28

Das Heilmittelinstitut Swissmedic kann gestützt auf Art. 66 HMG Verwaltungsmassnahmen ergreifen und insbesondere die Verwendung «unzulässige[r] Werbemittel» verbieten. Darüber hinaus sieht das HMG diverse Strafbestimmungen vor, mit welchen der Durchsetzung der HMG-Bestimmungen Nachachtung verschafft werden kann (Art. 86 ff. HMG). So sind beispielsweise Verwaltungsmassnahmen nach Art. 87 Abs. 1 lit. g HMG strafbewehrt; entsprechende Verstösse können mit einer Busse von bis zum 50’000 Franken sanktioniert werden.

29

Im Fall der gegenständlichen Berichterstattung hat Swissmedic Verwaltungsmassnahmen ausgesprochen und die betreffenden Medien angewiesen, die beanstandeten Medienberichte, in denen sie eine unzulässige Publikumswerbung erblickt, von ihren Webseiten zu löschen und jede weitere Veröffentlichung zu unterlassen.

III. Fazit

30

Swissmedic sieht in Medienartikeln mehrerer Schweizer Verlage eine unzulässige Publikumswerbung. In den Artikeln werde für das verschreibungspflichtige und in der Schweiz «nur» zur Behandlung von Diabetes zugelassene Präparat Ozempic geworben, womit gegen Art. 31 Abs. 1 lit. b HMG verstossen würde. Die Bestimmung verbietet Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel.

31

Nach der vorliegenden Auffassung sind zumindest Zweifel angebracht, ob die journalistische Kommunikation unter den Werbebegriff des Heilmittelrechts zu subsumieren ist. Journalistinnen und Journalisten fehlt es in der Regel an der Absicht, durch ihre Berichterstattung den Absatz der von ihnen beschriebenen Arzneimittel zu fördern. Und auch die Medienunternehmen als Herausgeber der Medienartikel verfolgen im Gegensatz zu den Zulassungsinhaberinnen in Bezug auf die beschriebenen Arzneimittel regelmässig keine wirtschaftlichen Interessen, weshalb nicht leichtfertig auf ein entsprechendes Absatzförderungsinteresse geschlossen werden kann. Selbst unter Berücksichtigung der Auffassung, das Kriterium der Absatzförderung sei für die Abgrenzung zwischen Werbung und werbefreier Kommunikation unerheblich, erscheint es vor dem Hintergrund der Medienfreiheit und des Gesetzeswortlautes in Art. 31 Abs. 1 lit. a HMG i.V.m. Art. 2 lit. a AWV nicht sachgerecht, journalistische Beiträge unter den Begriff der Werbung zu subsumieren.

32

Unter dem Gesichtspunkt der Absatzförderung ist zudem zu berücksichtigen, dass gerade in Bezug auf eine Berichterstattung über die Off-Label-Anwendung eines Medikaments – vorliegend geht es um die gewichtsreduzierende Wirkung von Diabetes-Präparaten – ein Werbeeffekt faktisch gar nicht eintreten kann, da das Präparat in der Schweiz für den beschriebenen Zweck nicht zugelassen ist und damit auch nicht verkauft wird.

33

Problematisch erscheint zudem der Umstand, dass Swissmedic im Zusammenhang mit den gegenständlichen Berichterstattungsverboten offensichtlich aufgrund einer Meldung von Dritten tätig geworden ist. Ob gegen ein Medium verfügt wird, hängt damit offenbar von der Willkür von (interessierten) Dritten ab und beurteilt sich mithin nicht nach Massgabe des Gleichbehandlungsgebotes.

34

Das Vorgehen von Swissmedic legt den Schluss nahe, dem Heilmittelinstitut fehle das Verständnis für journalistische Abläufe und die Funktion der Medien. Geübt und gewohnt im Umgang mit Werbemassnahmen durch die Zulassungsinhaberinnen, verkennt Swissmedic offensichtlich, dass in Bezug auf die journalistische Berichterstattung andere Interessen zu berücksichtigen und zu gewichten sind. Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten wird durch die verfassungsmässige Medienfreiheit in Art. 17 BV geschützt – Einschränkungen der Berichterstattungsfreiheit durch Löschungsaufforderungen und Schreibverbote dürfen nicht vorschnell verfügt werden und müssen insbesondere geeignet, erforderlich und zumutbar sein, um die infragestehenden öffentlichen Interessen zu verwirklichen.[36]

35

Ob das von Swissmedic verfügte Berichterstattungsverbot gerechtfertigt ist, ist m.E. fraglich. Ein Berichterstattungsverbot stellt einen schweren Eingriff in die Medienfreiheit dar. Gerade im Bereich von Arzneimitteln finden sich in den sozialen Medien und auf Webseiten eine Vielzahl von Informationen und Behauptungen, die von den Konsumentinnen und Konsumenten oftmals nicht verifiziert und eingeordnet werden können. Die Löschung einzelner Schweizer Medienartikel vermag diesen Missstand weder zu beheben, noch ist sie geeignet, den Missbrauch von Arzneimittel zu verhindern oder die Ärzteschaft vor Druckversuchen ihrer Klientel zu schützen. Ganz im Gegenteil dürfte eine verantwortungsvolle Medienberichterstattung, in der auch positive Aspekte von medizinischen Präparaten berücksichtigt werden – auch dies gehört zur redaktionellen Freiheit –, zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen und damit den gesundheitspolitischen Interessen Rechnung tragen.

36

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass der journalistischen Berichterstattung über Arzneimittel keine Grenzen gesetzt sind. Auch Medienschaffende haben sich an die Rechtsordnung zu halten. Auf privatrechtlicher Ebene bietet insbesondere das UWG eine erprobte und effektive Handhabe gegen täuschende und irreführende Berichterstattung. Die Verantwortung liegt aber auch bei den Medien selbst. Sie haben sicherzustellen, dass Berichterstattung über sensible Inhalte sorgfältig und verantwortungsvoll erfolgt – eine Verantwortung, die von den Branchenorganisationen durchaus ernst genommen wird, wie beispielsweise ein Blick auf die Selbstregulierung bezüglich der Suizidberichterstattung belegt. In diesem Bereich haben sich allgemeingültige und praxisnahe Branchenstandards etabliert.[37] Es wäre zu begrüssen, wenn etwa der Presserat auch bezüglich Arzneimittel Handlungsempfehlungen erlässt.


Fussnoten:

  1. Art. 68 Abs. 2 HMG.

  2. Pirskanen/Teufelberger/Graf, Swissmedic verbietet fast jede Berichterstattung zu Abnehmspritzen, in: 20 minuten online, 14. Januar 2025, abrufbar unter https://www.20min.ch/story/ozempic-co-swissmedic-verbietet-fast-jede-berichterstattung-zu-abnehmspritzen-103257474 (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2025).

  3. Xie/Choi/Al-Aly, Glucagon-l Mapping the effectiveness and risks of GLP-1 receptor agonists, in: Nature Medicine, 14. Juni 2024, abrufbar unter https://www.nature.com/articles/s41591-024-03412-w (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2025).

  4. Swissmedic, Zulassungsinformationen zum Medikament Ozempic, abrufbar unter https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/authorisations/new-medicines/semaglutidum.html (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2025).

  5. David/Reutter, Schweizerisches Werberecht, 3. Auflage, N. 10.

  6. Vgl. aber die Kritik der Lehre und die Rechtsprechung des Bundesgerichts unter Ziff. 2.2.2.

  7. SLK-Grundsatz Nr. A.3 Abs. 2 betreffend Begriff und Formen der kommerziellen Kommunikation.

  8. SLK-Grundsatz Nr. A.3 Abs. 1 betreffend Begriff und Formen der kommerziellen Kommunikation.

  9. So etwa der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in seinem Grundlagenpapier zur Medienkompetenz, abrufbar unter https://www.ndr.de/ratgeber/medienkompetenz/wiegehtjournalismus110.pdf (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2025).

  10. Urteil (des EGMR) Bladet Tromsø und Stensaas gegen Norwegen vom 20. Mai 1999; Urteil (des EGMR) Observer und Guardian gegen Vereinigtes Königreich vom 26. November 1991.

  11. Das Bundesgericht leitet die Werbefreiheit in seiner jüngeren Rechtsprechung neben der Wirtschaftsfreiheit auch aus der Meinungsäusserungsfreiheit, vgl. BGE 139 II 173 E. 5.1; 125 I 417 E. 3b.

  12. BGE 144 I 281 E. 7.2; 139 II 173 E. 5.1.

  13. Urteil (des Bundesgerichts) 2A.787/2006 vom 13. Juni 2007 E. 3.

  14. BGE 141 II 66 E. 3.3.5; BSK HMG-Jaisli/Schumacher-Bausch, Vor Art. 31-32, N. 2.

  15. BGE 133 IV 222 E. 3.1.

  16. Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 15. Dezember 2000, SR 812.21.

  17. Verordnung über die Arzneimittelwerbung (Arzneimittel-Werbeverordnung, AWV) vom 17. Oktober 2001, SR 812.212.5.

  18. Diese Verordnungskompetenz leitet sich aus Art. 4 Abs. 2 HMG ab, der den Bundesrat ermächtigt, die im HMG verwendeten Begriffe näher ausführen kann.

  19. Donauer/Markiewicz, Ein Überblick zur Arzneimittel-Werberegulierung, in: Jusletter 3. Mai 2021, Rn. 14.

  20. Art. 10 Abs. 2 lit. b und Art. 12 Abs. 4 RTVG.

  21. Art. 31 HMG bezieht sich nur auf Arzneimittel; die Beschränkung von Werbung für Medizinprodukte ist in Art. 69 der Medizinprodukteverordnung geregelt.

  22. Vgl. Begriffsdefinition in Art. 2 lit c AWV.

  23. BSK HMG-Jaisli/Schumacher-Bausch, Art. 31, N. 23.

  24. Vgl. Botschaft zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 1. März 1999, BBl 1999 III 3518, wo Publikumswerbung – etwas präziser – als Werbung bezeichnet wird, die sich an die Öffentlichkeit wendet. So auch Eggenberger Stöckli, Arzneimittel-Werbeverordnung, Art. 2, N. 26.

  25. BSK HMG-Jaisli/Schumacher-Bausch, Art. 31, N. 31.

  26. Im Ergebnis so auch Eggenberger Stöckli, Arzneimittel-Werbeverordnung, Art. 2, N. 27.

  27. BSK HMG-Jaisli/Schumacher-Bausch, Art. 31, N. 30.

  28. So auch Eggenberger Stöckli, Arzneimittel-Werbeverordnung, Art. 2, N. 24.

  29. Urteil (des Bundesgerichts) 2A.63/2006 vom 10. August 2006 E. 3.7.2.

  30. Urteil (des Bundesgerichts) 2A.63/2006 vom 10. August 2006 E. 3.7.3.

  31. Vgl. Donauer/Markiewicz, Ein Überblick zur Arzneimittel-Werberegulierung, in: Jusletter 3. Mai 2021, Rn. 16, die für eine situative Berücksichtigung der Voraussetzungen der Absatzförderung plädieren.

  32. Vgl. BSK HMG-Jaisli/Schumacher-Bausch, Art. 31, N. 21b, die in Bezug auf Arzneimittelwerbung durch Pharmaunternehmen zu Recht darauf hinweisen, das Kriterium der Absatzförderung führe zu Abgrenzungsschwierigkeiten, weil den Unternehmen stets eine Absatzförderungsabsicht unterstellt werden könne.

  33. Urteil (des Bundesgerichts) 5C.260/2006 vom 10. August 2006 E. 3.6.4.

  34. Urteil des Bundesgerichts 2C.93/2008 vom 1. Oktober 2008 E. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 2A.787/2006 vom 13. Juni 2007 E. 5.

  35. Urteil (des Bundesgerichts) 5C.260/2006 vom 10. August 2006 E. 3.6.4.

  36. Kiener/Kälin/Wyttenbach, Grundrechte, 4. Auflage, Rn. 403, 408, 418.

  37. Vgl. Richtlinie 7.9 des Presserates betreffend Suizidberichterstattung.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
image_print

Kommentar schreiben

5 × 1 =

Über uns

Medialex ist die schweizerische Fachzeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht. Sie erscheint als Newsletter im Monatsrhythmus (10x jährlich), open access, und enthält Untersuchungen und Brennpunkte zu medienrechtlichen Themen, aktuelle Urteile mit Anmerkungen, Hinweise auf neue medien- und kommunikationsrechtliche Urteile, UBI-Entscheide und Presseratsstellungnahmen sowie auf neue wissenschaftliche Publikationen und Entwicklungen in der Rechtsetzung.

Vernetzen