Trump v. Twitter

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Zum Versuch des US-Präsidenten, die Freiheit von Social Media-Plattformen zu beschränken

Urs Saxer, Prof. Dr. iur, LL.M., Titularprofessor an der Universität Zürich, Rechtsanwalt, Zürich

Résumé: Le 28 mai, en réaction aux mises en garde de Twitter posées sur ses textes, le président américain Donald Trump a adopté une disposition présidentielle nommée «Executive Order on Preventing Online Censorship» («disposition exécutive pour prévenir la censure en ligne»). Selon ce texte, les plateformes de médias sociaux doivent être tenues responsables des textes qu’elles publient lorsqu’elles marquent des textes comme contenant des erreurs ou qu’elles en bloquent l’accès. Prof. Urs Saxer explique la nouvelle disposition, qui remet en question le principe de liberté de l’internet qui était en vigueur jusqu’ici aux Etats-Unis. Il se demande aussi quelles pourraient en être les conséquences pour les réseaux actifs globalement. Selon lui, la disposition présidentielle marque la tentative de l’homme le plus puissant des Etats-Unis de faire pression sur une infrastructure de diffusion de contenus centrale pour la communication publique.

Zusammenfassung: US-Präsident Trump erliess als Reaktion auf die Eingriffe der Plattform Twitter in seine Tweets am 28. Mai 2020 eine präsidiale Verfügung mit dem programmatischen Namen «Executive Order on Preventing Online Censorship». Social Media-Plattformen sollen für die veröffentlichen Inhalte verantwortlich gemacht werden können, sobald sie z.B. Falschmeldungen als solche markieren oder den Zugang sperren. Der Autor durchleuchtet die Verfügung, die den in den USA bisher gültigen Grundsatz der Freiheit des Internets in Frage stellt, und setzt sich mit den möglichen Folgen für globale Netzwerke auseinander. Für ihn stellt die Verordnung ein Druckversuch des mächtigsten Mannes der USA auf eine der zentralen Verbreitungsinfrastrukturen für die öffentliche Kommunikation dar.

1. Einleitung

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Hunderte von Tweets hat der US-amerikanische Präsident in der Zeit seiner Präsidentschaft bis jetzt über Twitter (@realDonaldTrump) abgesetzt. Darin hat er u.a. unzählige Personen blossgestellt und lächerlich gemacht, andere massiv angegriffen, offensichtliche Unwahrheiten verbreitet und ihm nicht wohlgesinnte Medien systematisch attackiert. Nun hat Twitter erstmals eingegriffen. So hat der Kurznachrichtendienst falsche Behauptungen des US-Präsidenten Donald Trump direkt unter dessen Tweet korrigiert. Es handelte sich um die Aussage, dass eine Briefwahl das Wahlresultat verfälschen werde. Kurze Zeit später wurde ein anderer Trump-Tweet vollständig ausgeblendet, weil er als gewaltverherrlichend qualifiziert wurde. Vorher hat Twitter nie interveniert mit dem Argument, die Aussagen des Präsidenten seien zwar oft regelwidrig aber relevant und sollten dem Publikum nicht vorenthalten werden. Auf diese Weise genoss der Präsident eine Art Immunität.

2. Die Richtlinien von Twitter

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Twitter hat zur Publikation von Inhalten ausführliche Richtlinien und Empfehlungen erlassen,[1] ist aber eher zurückhaltend mit Bezug auf Massnahmen gegen Account-Inhaber, welche diese Regeln verletzen.[2] Die Schliessung eines Accounts bildet die Ausnahme und ultima ratio. Ferner sehen die Regeln Ausnahmen im öffentlichen Interesse vor,[3] nämlich wenn Inhalte «direkt zum Verständnis oder zur Diskussion einer Angelegenheit beitragen, die die Öffentlichkeit betrifft.» Diese Ausnahme beschränken sich auf «Tweets von gewählten Vertretern und Regierungsbeamten, da ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, ihre Aktionen und Aussagen zu kennen und diskutieren zu können. Aus diesem Grund lassen wir in seltenen Fällen möglicherweise einen Tweet von einem gewählten Vertreter oder Regierungsbeamten stehen, der andernfalls entfernt würde. Stattdessen verbergen wir ihn hinter einem Hinweis, der den Kontext für den Regelverstoss erklärt.» Von dieser Ausnahme profitieren die Tweet-Tiraden Donald Trumps. Die Behandlung von dessen Tweets bewegt sich damit grundsätzlich im Rahmen der Richtlinien von Twitter. Andere Social Media wie z.B. Facebook, Instagram und YouTube haben – zumindest auf dem Papier – eher strengere Vorschriften. Man kann auf jeden Fall Twitter sicher nicht vorwerfen, eine übermässig strikte Praxis zu verfolgen.

3. Trumps Reaktion: Der Erlass des «Executive Order on Preventing Online Censorship»

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Trotzdem hat Twitter der Bannstrahl des Präsidenten ereilt: Trump erliess als Reaktion auf die Eingriffe der Plattform am 28. Mai 2020 den «Executive Order on Preventing Online Censorship».[4] Es ist nicht anzunehmen, dass die präsidiale Verfügung hastig innert zwei Tagen nach der ersten Intervention Twitters entworfen worden ist. Dazu hätte die Zeit nicht gereicht. Vielmehr gibt es seit längerem in der derzeitigen Administration sowie in rechtskonservativen Kreisen Vorbehalte gegenüber dem Verhalten von Social Media-Plattformen.[5] Die Interventionen von Twitter boten den willkommenen Anlass, um die wohl bereits weitgehend entworfene Verfügung aus der Schublade zu ziehen und formell zu erlassen. Deren Titel ist programmatisch. Die Eingriffe werden als politisch motivierte Zensur einer von Linksliberalen beherrschten Plattform qualifiziert. Trump macht sich in der Verfügung zum vehementen Verteidiger des First Amendments gegen die Macht der Internetkonzerne. So hält die Verfügung fest:

«Twitter, Facebook, Instagram, and YouTube wield immense, if not unprecedented, power to shape the interpretation of public events; to censor, delete, or disappear information; and to control what people see or do not see.

As President, I have made clear my commitment to free and open debate on the internet. Such debate is just as important online as it is in our universities, our town halls, and our homes. It is essential to sustaining our democracy.»
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An anderer Stelle wird in der Verfügung ausgeführt:

«In a country that has long cherished the freedom of expression, we cannot allow a limited number of online platforms to hand pick the speech that Americans may access and convey on the internet.  This practice is fundamentally un-American and anti-democratic.  When large, powerful social media companies censor opinions with which they disagree, they exercise a dangerous power.  They cease functioning as passive bulletin boards, and ought to be viewed and treated as content creators.»

Der letzte Satz enthüllt aus rechtlicher Sicht den springenden Punkt: Die Social Media-Plattformen sollen für die veröffentlichen Inhalte, welche ja immer Inhalte Dritter sind, verantwortlich gemacht werden können. Ob es Donald Trump damit ernst ist oder ob es sich um einen Warnschuss handelt, bleibe dahingestellt. Vielleicht ist es ein ernstgemeinter Warnschuss mit gewissen Konsequenzen, vielleicht auch mehr.

4. Freiheit des Internet: § 230 des Communication Decency Act 

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Tatsache ist auf jeden Fall, dass damit ein fundamentaler Grundsatz in Frage gestellt wird, welcher in den USA bis jetzt das rechtliche Regime des Internet und der Social Media-Plattformen bestimmt hat. Dieser Grundsatz findet sich im 1996 erlassenen Communication Decency Act.[6] Dessen § 230 lautet wie folgt:

«(c) Protection for “Good Samaritan” blocking and screening of offensive material 

(1) Treatment of publisher or speaker
No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.

(2) Civil liability
No provider or user of an interactive computer service shall be held liable on account of—

(A)
any action voluntarily taken in good faith to restrict access to or availability of material that the provider or user considers to be obscene, lewd, lascivious, filthy, excessively violent, harassing, or otherwise objectionable, whether or not such material is constitutionally protected; [..].»
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Das zentrale Prinzip ist mithin, dass Plattformen nicht für die über sie publizierten Inhalte verantwortlich gemacht werden können. Sie gelten nicht als deren Herausgeber, weil diese von Dritten hergestellt worden sind und soweit sich ihre Rolle darauf beschränkt, eine Verbreitungsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen ohne Inhalte redaktionell zu betreuen oder sonst zu kuratieren. Diese Regelung ist als Grundlage der Freiheit des Internet bezeichnet worden.[7] Die Plattformbetreiber sind aber berechtigt, freiwillig, aus eigenen Antrieb und in guten Treuen obszöne, übermässig gewalttätige, «schmutzige» oder anstössige Inhalte zu entfernen, auch wenn diese im Grundsatz verfassungsrechtlich geschützt sind, ohne dass sie sich dadurch zivilrechtlich verantwortlich machen. Mit dieser Bestimmung wollte der Kongress Plattformen u.a. vor Ehrverletzungsverfahren schützen und ihnen erlauben, für Minderjährige ungeeignete Inhalte sanktionslos zu entfernen.

5. Trumps neue Lesart von § 230

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Trumps Feldzug gegen Twitter und andere Internetgiganten steht nun gemäss seinen Tweets unter dem einfachen Motto: «REVOKE 230!». Auf diese Weise soll sich eine Verantwortung der Konzerne für die über die Plattformen publizierten Inhalte ergeben – so die Drohung von Trump. Liest man den Executive Order aber genauer, so geht es nicht darum, § 230 einfach aufzuheben. Denn damit würde sich wohl erst recht eine Verpflichtung dieser Plattformen ergeben, rechtswidrige Inhalte zu markieren oder zu beseitigen, also z.B. auch Tweets, womit der sonst oft emotionell und damit auch erratisch und im Eigeninteresse handelnde Präsident genau das Resultat herbeiführen würde, welches er eigentlich bekämpft. Vielmehr will er eine neue Lesart dieser Bestimmung, welche die dort verankerte, weitgehende Immunität der Plattformen vor Verfahren aufhebt, wenn diese aus anderen als den in § 230 (c) (2) (A) erwähnten Gründen eingreifen. Der Kernsatz lautet:

“When an interactive computer service provider removes or restricts access to content and its actions do not meet the criteria of subparagraph (c)(2)(A), it is engaged in editorial conduct.  It is the policy of the United States that such a provider should properly lose the limited liability shield of subparagraph (c)(2)(A) and be exposed to liability like any traditional editor and publisher that is not an online provider.”
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Mit anderen Worten: Wenn eine Plattform z.B. klare Falschmeldungen als solche markiert oder den Zugang sperrt, soll sie ihre privilegierte Behandlung als Plattform verlieren,[8] ebenso bei Eingriffen in politische Inhalte, weil dies nicht von Abschnitt (c) (2) (a) gedeckt ist. Es ist dies, was in der Verfügung als Zensur qualifiziert wird. Es geht aus ihrer Perspektive um sog. viewpoint-based speech restrictions. Die Folge dieser Interpretation von Abschnitt (c) (2) (a) wäre offensichtlich, dass Plattformen gleich wie Print- oder elektronische Medien zu behandeln wären und sich in weitaus stärkerem Mass rechtlich zu verantworten hätten. Mit der weitergehenden Kuratierung von Inhalten mutierte also die Plattform zum Medium. Eine solche Interpretation der Bestimmung lässt sich allerdings nicht ohne weiteres deren Wortlaut – auch in der US-amerikanischen Methodologie Ausgangspunkt einer juristischen Norminterpretation[9] – vereinbaren. Die Formulierung von Abs. (1) ist klar und unmissverständlich: Plattformen sind rechtlich keine Medien, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Abs. (2) (A) schliesst eine zivilrechtliche Haftung für gewisse Inhaltseingriffe aus, mehr nicht. Der Umkehrschluss in der Verfügung, wonach darüber hinausgehende Eingriffe eine Plattform zu einem Medium machen, ergibt sich keineswegs zwingend aus der Bestimmung. Vielmehr konkretisiert Abs. (2) eine der Konsequenzen aus Abs. (1). Es ist auch keineswegs so, dass mit einer Interpretation gemäss dem Verständnis der Verfügung es den Plattformbetreibern untersagt wäre, politische Inhalte von Netz zu nehmen. Nach der Praxis des U.S. Supreme Court sind Plattformen als private Akteure nicht an das First Amendment gebunden.[10] Eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Plattformen, wie sie auch in Europa zuweilen postuliert wird,[11] besteht also nicht. Damit bleibt offen, ob Private wirklich eine Art Zensurklage gegen die Social Media-Unternehmen erheben könnten. Wahrscheinlich ist die Verfügung diesbezüglich ein Papiertiger.

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Immerhin verpflichtet sie aber die Administration, bei der Handhabung von § 230 (c) von diesem engen Verständnis auszugehen. Darin zeigt sich, dass sie wie eine Verwaltungsverordnung wirkt. Ferner wird die Teil der Administration bildende nationale Telekommunikations- und Informationsbehörde (NTIA) angewiesen, bei der Federal Communications Commission (FCC), einer regierungsunabhängigen Behörde, um eine Regulierung zu ersuchen, welche die Bedeutung der Bestimmung im Sinne der präsidialen Verordnung umschreibt, wobei allerdings umstritten ist, ob die FCC diese Zuständigkeit überhaupt hat. Alle Verwaltungsstellen der Administration müssen sodann ihre Ausgaben für Werbung und Public Relation in den sozialen Medien zusammenstellen mit Blick darauf, den amerikanischen Steuerzahler vor der Finanzierung von Plattformen, welche angeblich die Meinungsfreiheit beschränken, zu schützen. Die Federal Trade Commission (FTC) wird aufgefordert zu untersuchen, ob das Handeln der Plattformen, insbesondere von Twitter das Wettbewerbsrecht verletzt. Schliesslich wird der Justizminister beauftragt, einen Gesetzgebungsvorschlag im Sinn der Verfügung auszuarbeiten.

6. Plattformen unter Druck

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Ganz offensichtlich sollen die Plattformen auf diese Weise unter Druck gesetzt werden. Ziel ist es, dass sie nur noch in engen Grenzen in die Inhalte eingreifen. In diesem Vorgehen des US-Präsidenten offenbart sich ein grundlegendes Problem der Plattformen. Diese wären ja mehr als froh, wenn sie sich auf die Rolle der reinen Plattform ohne jegliche Inhaltverantwortung zurückziehen können. Dies ist aber weder faktisch noch rechtlich möglich. Faktisch haben die Plattformen ein eigenes, auch ökonomisches Interesse daran, dass die verbreiteten Inhalte minimale Standards beachten und mit den Einstellungen des Mainstreams kompatibel bleiben. Ansonsten verlieren sie an Nutzern und damit an Attraktivität für die Werbewirtschaft.

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In vielen Ländern können sich die Plattformen sodann rechtlich nicht mit dem Argument der Verantwortung entziehen, sie seien nicht Urheber, sondern blosse Verbreiter der Inhalte. Auch in der Schweiz kann der Verbreiter z.B. für Persönlichkeitsverletzungen zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.[12] Dies hat zur Folge, dass die Plattformen als Teil ihrer Allgemeinen Bedingungen zum Teil sehr detaillierte Regulierungen erlassen haben, welche bestimmte Inhalte untersagen, deren Veröffentlichung mit Sanktionen belegen und Beschwerdeverfahren in Zusammenhang mit fragwürdigen Inhalten vorsehen. Diese Regelungen lehnen sich inhaltlich und terminologisch stark an das US-amerikanische Recht an, gehen aber über die in § 230 (c) (2) (A) erwähnten Gründe wesentlich hinaus. Sie sollen auch globale Standards reflektieren, welche die Rechtlage in möglichst vielen Staaten einfangen und das Risiko minimieren, dass die Plattformen in Rechtsverfahren verwickelt werden. Dies macht aus Sicht der Netzwerke und Plattformen durchaus Sinn: In gewissen Ländern sehen sie sich zuweilen drakonischen Strafen ausgesetzt, wenn sie inkriminierte Inhalte nicht entfernen. Auch das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz[13] sieht z.B. in § 4 (2) Geldbussen bis zu € 5 Mio. vor bei Fehlern im Umgang mit der in diesem Gesetz vorgesehene Beschwerdemöglichkeit gegen rechtwidrige Inhalte. In Zusammenhang mit der französischen Loi n° 2018-1202 du 22 décembre 2018 relative à la lutte contre la manipulation de l’information,[14] welche für drei Monate im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen geltende Regeln zur Bekämpfung einer unlauteren Einflussnahme der Öffentlichkeit aufstellt, hat Twitter z.B. eine besondere Umsetzungsregelung erlassen,[15] um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen.

7. Folgen für globale Netzwerke?

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Sollte sich Trump durchsetzen, müssten globale Netzwerke möglicherweise in den USA ihre Standards senken und ihre allgemein geltenden Selbstregulierungen in diesem Land ausser Kraft setzen oder modifizieren, was aber angesichts des Umstands, dass es sich bei den Netzwerken um globale Infrastrukturen handelt, wenig sinnvoll ist. Wenn sie dies nicht tun, steigen die Risiken von Rechtsverfahren angesichts der damit verbundenen Mitverantwortlichkeit für Inhalte Dritter auch in den USA erheblich. Generell offenbart sich darin ein allgemeines Problem der Plattformen: einerseits sind sie international kaum reguliert, und es fehlen globale materielle Standards mit Bezug auf den Umgang mit Inhalten, und anderseits sind sie überreguliert, weil für sie – zumindest theoretisch – jeweils die nationalen Rechtsordnungen, d.h. letztlich die Regelungen von rund 200 Staaten gelten.[16] In der politischen Wirklichkeit setzen sich allerdings oft die teilweise konfligierenden Standards der mächtigsten internationalen Akteure, nämlich der USA, der EU und von China durch. Das Vorgehen Trumps akzentuiert dieses Problem.

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Der Umstand allerdings, dass die Plattformen über die Veröffentlichung von Inhalten entscheiden können, bedarf einer genaueren Analyse. Insoweit spricht die Verfügung Trumps eine relevante Problemstellung an. Plattformen sind für die öffentliche Kommunikation zentrale Verbreitungsinfrastrukturen. Sie können eine Macht ausüben, welche der Macht des Zensors nahekommt. Als private Akteure sind sie nicht an rechtsstaatliche Standards gebunden. Sie könnten, wenn sie wollten, sehr einseitig gewisse politische Meinungen fördern und andere behindern, was sie aber in der Regel aus kommerziellen Gründen nicht tun. Sollten sie gesetzlich z.B. auf eine politische Neutralität verpflichtet werden? Damit verbinden sich komplexe regulatorische Fragestellungen, welche letztlich eng mit der allgemeinen Frage zusammenhängen, ob und wie Plattformen überhaupt geregelt werden können und sollen, auf welcher Ebene und mit welchen Instrumenten. Diese wichtigen politischen und rechtswissenschaftlichen Fragestellungen verdienen eine unbefangene Vertiefung.

8. Fazit

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Donald Trump hat unter dem Deckmantel des Schutzes vor Zensur den Weg einer Einschüchterung der Plattformen gewählt mit dem Ziel, dass er in Zukunft in seinen Veröffentlichungen von der Einhaltung minimaler inhaltlicher Standards unbehelligt bleibt. Dieser Druckversuch des mächtigsten Mannes im höchsten Staatsamt der USA auf für die öffentliche Kommunikation zentrale Verbreitungsinfrastrukturen wirft grundlegende Verfassungsfragen auf. Dass er dafür Teile der Administration und möglicherweise auch den Kongress einspannen will, macht die Sache nicht besser.

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Faktisch wird die Einschüchterung wohl Wirkungen zeitigen: twitter wird sich in Zukunft Interventionen in tweets des US-Präsidenten noch genauer überlegen. Demgegenüber ist fraglich, ob sich aus dem Executive Order rechtspolitische Konsequenzen ergeben: Der Kongress, namentlich das demokratisch beherrschte Repräsentantenhaus, wird kaum bereit sein, Plattformen plötzlich Medien gleichzustellen. Insoweit dürfte der Executive Order weitgehend ein Papiertiger bleiben.

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Indes, auch wenn er wirklich der falsche Absender ist, hat Trump ein relevantes Problem angesprochen, wenn er die Frage der Grenze einer Einflussnahme von Plattformen und sozialen Netzwerken auf die veröffentlichten Inhalte thematisiert. Dies hängt eng mit der Frage zusammen, wie diese Plattformen reguliert werden können und sollen und durch wen. Und dies bleibt ein unverändert aktuelles politisches und (rechts-)wissenschaftliches Thema, zu welchem Trump v. Twitter eine zum Nachdenken einladende Facette beigefügt hat.


Fussnoten:

  1. Vgl. https://help.twitter.com/de/rules-and-policies#twitter-rules

  2. Vgl. https://help.twitter.com/de/rules-and-policies/enforcement-options

  3. Vgl. https://help.twitter.com/de/rules-and-policies/public-interest

  4. https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/executive-order-preventing-online-censorship/

  5. Solche Vorbehalte gibt es allerdings schon seit längerem; vgl. die Nachweise bei Note, Section 230 as First Amendment Rule, 131 Harvard Law Review 2027 (2018).

  6. 47 U.S. Code § 230.

  7. Vgl. z.B. Jack M. Balkin, Old-School/New-School Speech Regulation, 127 Harvard Law Review 2296, 2313 (2014)

  8. Dies will der Präsident, der selber twittert: “Fake News is the enemy of people.”

  9. Vgl. z.B. Mark Greenberg, What Makes a Method of Legal Interpretation Correct? Legal Standards vs. Fundamental Determinants, 130 Harvard Law Review 105, 107 ff. (2017).

  10. Vgl. das Supreme Court Urteil vom 17. Juni 2019 i.S. Manhattan Community Access Corp. v. Halleck, No. 17-1702, 587 U.S. ___ (2019). Ähnlich wie in der Schweiz ergibt sich eine Grundrechtsbindung privater Akteure nur dann, wenn diese staatliche Funktionen wahrnehmen. Dies trifft auf einen Betreiber eines öffentlichen Kanals auf einem Kabelnetzsystem nicht zu.

  11. Vgl. die Hinweise für Deutschland bei Stefan Muckel, Wandel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft – Folgen für Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL 79 (2020) 276 f. m.N.

  12. Vgl. hierzu den ausführlichen Bericht des Bundesrates vom 11. Dezember 2015, Die zivilrechtloche Verantwortlichkeit von Providern, https://www.ejpd.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2015/2015-12-110/ber-br-d.pdf; vgl. als ein wichtiges Präjudiz BGer, 14. Januar 2013, 5A_792/2011, „Tribune de Genève“.

  13. Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) vom 1. September 2017, BGBl. I S. 3352

  14. JORF n° 0279 du 23 décembre 2018, texte n° 2.

  15. https://help.twitter.com/de/rules-and-policies/france-false-information.

  16. Praktisch allerdings ist es schwierig, eine Zuständigkeit für Verfahren gegen die Plattformen ausserhalb des Sitzstaates zu begründen.

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