Der Grundsatz der Justizöffentlichkeit im Zivilprozess

D

Zur Tragweite des Grundsatzes nach dem Leitentscheid 146 I 30 des Bundesgerichts [1]

Dr. iur. Martina Patricia Steiner, Rechtsanwältin und Mediatorin
Dr. iur. Fabienne Bretscher

Résumé: Le Tribunal fédéral a récemment décidé, dans un arrêt de principe, que la justice civile peut exclure les médias pendant des procédures de conciliation. Son argument: les débats visant une conciliation ne s’orientent pas à la décision judiciaire du litige. Pour les autrices, cet arrêt est l’occasion d’analyser plus en détail la portée du principe fondamental de la publicité dans les différents stades de la procedure civile.

Zusammenfassung: Das Bundesgericht hält in einem kürzlich ergangenen Grundsatzentscheid fest, dass das Zivilgericht die Presse von Vergleichsverhandlungen ausschliessen darf. Begründet wird dies damit, dass Vergleichsgespräche nicht auf die gerichtliche Streitentscheidung ausgerichtet sind. Die Autorinnen nehmen den Entscheid zum Anlass, die Tragweite des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit im Zivilverfahren allgemein und spezifisch in den verschiedenen Verfahrensstadien genauer zu untersuchen und zu bestimmen.

Inhaltsübersicht

I. Einleitung     N 1

II. Grundsatz der Justizöffentlichkeit und Ausnahmen davon     N 2
     1. Tragweite des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit im Zivilverfahren    N 4
     2. Ausnahmen vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit im Zivilprozess     N 10
     3. Folgen einer Verletzung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit im Zivilprozess   N 21

III. Rechte der Öffentlichkeit in den einzelnen Verfahrensstadien des Zivilprozesses     N 25
      1.  Schlichtungsverfahren     N 26
      2. Hauptverfahren    
          A. Instruktionsverhandlungen     N 29
          B. Hauptverhandlung     N 36
          C. Urteilsberatung      N 42
          D. Urteilseröffnung und Entscheid     N 44

IV. Schlussbemerkungen     N 51

I. Einleitung

1

Letzthin hat das Bundesgericht entschieden, dass das Zivilgericht – sofern es sich bei diesem Verfahrensabschnitt an gewisse Rahmenbedingungen hält – der Presse die Teilnahme an von ihm geführten Vergleichsverhandlungen untersagen darf.[2] Dieser Entscheid bietet Gelegenheit, das Prinzip der Justizöffentlichkeit im Zivilprozess näher zu analysieren. Anhand des Bundesgerichtsentscheids wird in diesem Beitrag dargelegt, welche Rechte der Öffentlichkeit in den verschiedenen Verfahrensstadien des Zivilprozesses zukommen. Ausserdem wird aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen das Publikum und/oder die Presse von Verfahrensschritten ausgeschlossen werden dürfen.

II. Der Grundsatz der Justizöffentlichkeit und Ausnahmen davon

2

Das Grundrecht der Justizöffentlichkeit ist in Art. 30 Abs. 3 der Schweizer Bundesverfassung (BV) verankert. Diese Verfassungsnorm statuiert, dass Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich sind, das Gesetz jedoch Ausnahmen vorsehen kann. Auf internationaler Ebene ist der Grundsatz namentlich in Art. 6 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 14 Ziff. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) geregelt.

3

Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung stellt gemäss der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung „ein fundamentales Prinzip dar, das nicht nur für den einzelnen wichtig ist, sondern ebenso sehr als Voraussetzung für das Vertrauen in das Funktionieren der Justiz erscheint“.[3] Dementsprechend bezieht sich der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht nur auf die Parteiöffentlichkeit, sondern auch auf die Publikums- und Presseöffentlichkeit.[4] Träger dieses Grundrechts sind folglich auch verfahrensmässig nicht unmittelbar beteiligte Dritte und Medien.[5]

1. Tragweite des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit im Zivilverfahren

4

Die Garantie der Justizöffentlichkeit bezweckt, gerichtliche Verfahren transparent zu machen und bildet die Basis dafür, dass Dritte wie Parteien von der Verlässlichkeit der Gerichtsbarkeit überzeugt sind. In den Worten des Bundesgerichtes

„dient sie [damit] einerseits dem Schutze der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Andererseits ermöglicht die Justizöffentlichkeit auch nicht verfahrensbeteiligten Dritten nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird. Die Justizöffentlichkeit bedeutet eine Absage an jegliche Form der Kabinettsjustiz, will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen. Der Grundsatz ist von zentraler rechtsstaatlicher und demokratischer Bedeutung. Die demokratische Kontrolle durch die Rechtsgemeinschaft soll Spekulationen begegnen, die Justiz benachteilige oder privilegiere einzelne Prozessparteien ungebührlich oder Ermittlungen würden einseitig und rechtsstaatlich fragwürdig geführt.“[6]
5

Trotzdem gilt das Öffentlichkeitsprinzip, gleich wie die meisten anderen Grundrechte, nicht absolut. Vielmehr sind Einschränkungen möglich, sofern sie den Anforderungen von Art. 36 BV entsprechen. Nur so können die unterschiedlichen Ausrichtungen und teilweise gegenläufigen Interessen der verschiedenen Akteure (Parteien, Opfer und Geschädigte, interessierte Dritte und Medien) vereinbart und, falls erforderlich, priorisiert werden.

6

Eine Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit auf Zugang zum Verfahren und allfälligen entgegenstehenden Interessen, namentlich der Parteien, ist jedoch nicht immer erforderlich und Bedingung für eine Einschränkung des Grundsatzes. Denn vom Schutzbereich von Art. 30 Abs. 3 BV sind nur die gerichtlichen Verfahren[7] erfasst und auch dort gilt das Justizöffentlichkeitsprinzip, wie unter Punkt 3 dieses Beitrags noch gezeigt wird, nicht in allen Verfahrensabschnitten. Es ist daher jeweils vorfrageweise zu prüfen, ob die in Frage stehende Etappe der Öffentlichkeit überhaupt zugänglich ist.

7

Für das vorliegend interessierende Zivilverfahren wiederholt und konkretisiert Art. 54 ZPO den in der Verfassung garantierten Grundsatz der Justizöffentlichkeit wie folgt:

1 Verhandlungen und eine allfällige mündliche Eröffnung des Urteils sind öffentlich. Die Entscheide werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
2 Das kantonale Recht bestimmt, ob die Urteilsberatung öffentlich ist.
3 Die Öffentlichkeit kann ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn es das öffentliche Interesse oder das schutzwürdige Interesse einer beteiligten Person erfordert.
4 Die familienrechtlichen Verfahren sind nicht öffentlich.“
8

Damit stellt der Gesetzgeber klar, dass nur die Verhandlungen und eine allfällige mündliche Eröffnung des Urteils sowie die schriftlichen Entscheide der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen und schränkt somit die Transparenz der Tätigkeit des Gerichts ein. Zu den Verhandlungen im Sinne von Art. 54 Abs. 1 ZPO gehören sowohl die mündlichen Vorträge der Parteien als auch die Einvernahme von Zeugen oder die Befragung von Gutachtern im Rahmen des Beweisverfahrens. Die Eingaben der Parteien sowie schriftlich eingereichte Beweismittel (Urkunden, schriftliche Gutachten, schriftliche Auskünfte) sind nicht öffentlich, sondern werden nur den Parteien – im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs – zugänglich gemacht.[8] Es ist zudem allgemein anerkannt, dass der Grundsatz der Justizöffentlichkeit berechtigten Personen, insbesondere Medienschaffenden, keinen Anspruch auf Ton- und Bildaufnahmen von Verhandlungen gewährt.[9] Daraus folgt, dass sich der Grundsatz der Justizöffentlichkeit darin erschöpft, den interessierten Personen die Anwesenheit im Gerichtssaal sowie den Zugang zu schriftlichen Gerichtsentscheiden zu ermöglichen.

9

Ob auch die Urteilsberatung öffentlich ist, ist der Regelung der Kantone überlassen (siehe dazu unten III. Ziff.2 C). Klargestellt wird in Art. 54 Abs. 4 ZPO hingegen, dass familienrechtliche Verfahren vom Geltungsbereich des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit ausgenommen sind und die Öffentlichkeit diesbezüglich folglich kein Recht auf Zugang zum Verfahren hat. Ob ein Prozess von der in Art. 54 Abs. 4 ZPO vorgesehenen Ausnahme erfasst ist, entscheidet sich nicht nach der Verwandtschaft der Verfahrensparteien, sondern danach, ob es sich um eine Streitigkeit im Zusammenhang mit dem zweiten Teil des Zivilgesetzbuches (ZGB; Art. 90-456) handelt.[10] Von der Ausnahme vom Justizöffentlichkeitsprinzip erfasst sind auch Streitigkeiten aus dem Partnerschaftsgesetz.[11] Der Ausschluss erstreckt sich jedoch nur auf die Anwesenheit bei den Verhandlungen, nicht aber auf die Entscheide im Bereich des Familienrechts. Diese sind der Öffentlichkeit gemäss Art. 54 Abs. 1 ZPO – gegebenenfalls in anonymisierter Form – gleich wie Entscheide zu anderen Rechtsgebieten zugänglich zu machen.

2. Ausnahmen vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit im Zivilprozess

10

Wie bei jedem Grundrecht müssen Einschränkungen des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit den Anforderungen von Art. 36 BV genügen. Dies bedeutet, dass ein Ausschluss der Öffentlichkeit von einer vom Schutzbereich der Garantie erfassten Verfahrensetappe nur zulässig ist, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage basiert, durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und zudem verhältnismässig ist. Ferner darf die Einschränkung den Kerngehalt des Grundrechts nicht antasten.

11

Nebst Art. 36 BV zu beachten ist Art. 6 Ziff. 1 EMRK, gemäss welchem „Presse und Öffentlichkeit […] während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden [können], wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde“.[12]

12

Im Zivilverfahren stützt sich die Beurteilung der Rechtmässigkeit von Einschränkungen des Zugangs der Öffentlichkeit zu Verhandlungen und Entscheiden grundsätzlich auf Art. 54 Abs. 3 ZPO. Diese Bestimmung ist im Lichte der oberwähnten verfassungs- und völkerrechtlichen Schranken auszulegen. Da mit dieser Norm eine gesetzliche Grundlage für eine Beschränkung des Justizöffentlichkeitsprinzips besteht, ist vor allem bedeutsam, ob überwiegende öffentliche oder schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person den (teilweisen) Ausschluss der Öffentlichkeit vom fraglichen Verfahrensabschnitt erfordern.

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In der Praxis von besonderer Relevanz sind Einschränkungen zur Wahrung von schutzwürdigen Interessen der beteiligten Personen. Erfasst sind nicht nur die Interessen der Verfahrensparteien, sondern insbesondere auch diejenigen von am Zivilverfahren beteiligten Dritten wie Zeugen. Um einen Ausschluss vornehmen zu können, reicht jedoch nicht schon jede Befürchtung einer Beeinträchtigung von privaten Anliegen aus. Erforderlich sind gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vielmehr besonders gewichtige Gründe.[13] Ob solche vorliegen, muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden.

14

In Betracht fallen insbesondere der Schutz von Persönlichkeitsrechten und von besonders schützenswerten Personendaten. Dies ist namentlich bei Prozessen über Persönlichkeitsverletzungen und Haftpflichtprozessen mit Personenschäden von Belang. Das Gleiche gilt für arbeitsrechtliche Verfahren, soweit in diesen Leistung oder Persönlichkeit des Arbeitnehmers gewürdigt werden müssen.[14] Weiter kann die Öffentlichkeit unter Umständen von einer Beweisabnahme in einer privaten Umgebung ausgeschlossen werden. Das kann beispielsweise im Rahmen einer mietrechtlichen Mängelbeseitigungsklage oder einer Nachbarschaftsstreitigkeit wesentlich sein.[15]

15

Als schützenswertes privates Interesse berücksichtigt werden kann mitunter sodann der Schutz von Fabrikations- bzw. Geschäftsgeheimnissen. Solche Geheimnisse können speziell in immaterialgüterrechtlichen Streitigkeiten tangiert sein, sofern sich Fragen im Zusammenhang mit den erzielten Umsätzen und Gewinnen stellen. Auch bei Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftern einer Personen- oder Kapitalgesellschaft können schützenswerte Informationen über die Geschäftstätigkeit offengelegt werden müssen[16] und kann sich eine Einschränkung des Justizöffentlichkeitsprinzips daher rechtfertigen.

16

Auch Einschränkungen zur Wahrung öffentlicher Interessen sind in Zivilverfahren von Bedeutung. In Frage kommt beispielsweise der ungestörte Gang der Rechtspflege. Zu denken ist etwa an die Wahrung der Ordnung im Verhandlungssaal zur Gewährleistung eines geordneten Verhandlungsverlaufs oder das Erlangen einer wahrheitsgemässen Zeugenaussage. So kann sich ein Ausschluss der Öffentlichkeit während der Zeugenaussage z.B. rechtfertigen, wenn begründete Gefahr besteht, dass der Zeuge sonst befangen wäre.[17] Zu beachten ist jedoch, dass das Justizöffentlichkeitsprinzip zur Wahrung des öffentlichen Interesses der Rechtspflege nur „unter besonderen Umständen“ und „nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang“ eingeschränkt werden darf.[18] Im Einzelfall muss deshalb sorgfältig zwischen der drohenden Gefahr von Störungen einerseits und der Wichtigkeit des Öffentlichkeitsgrundsatzes andererseits abgewogen werden.

17

Ein (teilweiser) Ausschluss der Öffentlichkeit lässt sich zudem mit gesundheitspolitischen Gründen rechtfertigen. Im Zusammenhang mit dem Coronavirus gewann diese Thematik vor Kurzem an Bedeutung und wirken sich die Hygiene- und Abstandsempfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit und des Bundesrates einschränkend auf den Grundsatz der Justizöffentlichkeit aus. So können zur Zeit[19] gestützt auf das verfassungsunmittelbare Handeln des Bundesrates unter bestimmten Voraussetzungen Verhandlungen, Einvernahmen und Anhörungen mittels Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden. Die Öffentlichkeit darf dabei ausdrücklich und in Abweichung von Art. 54 ZPO – unter Ausnahme von akkreditierten Medienschaffenden – generell ausgeschlossen werden.[20] Der Kanton Zürich lässt darüber hinausgehend seit der Wiederaufnahme des Verhandlungsbetriebs grundsätzlich nur akkreditierte Medienschaffende zu diesen Terminen zu.[21] Schliesslich hat das Gericht in Ausnahmefällen, in Abweichung der ZPO, momentan die Möglichkeit, namentlich im ordentlichen und im vereinfachten Verfahren auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten und kann den Prozess schriftlich erledigen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Einsatz von Video- oder Telefonkonferenzen nicht möglich oder unzumutbar ist, Dringlichkeit besteht und keine wichtigen Gründe gegen den Verzicht sprechen.[22] Die im Kanton Zürich und vom Bundesrat getroffenen Massnahmen zeigen, dass trotz der gegenwärtigen ausserordentlichen Umstände für jeden Einzelfall den Umständen angepasste Mittel zur Erreichung des Ziels, d.h. der Einhaltung der Empfehlungen betreffend Hygiene und soziale Distanz und damit die Vermeidung von Ansteckungen, geprüft werden müssen.[23]

18

Selbst wenn öffentliche oder schützenswerte Interessen von beteiligten Personen tangiert sind, rechtfertigt dies mithin nicht ohne Weiteres einen (vollständigen oder teilweisen) Ausschluss der Öffentlichkeit vom Verfahren. Denn jede Einschränkung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit muss auch verhältnismässig sein. Das heisst, sie muss zur Wahrung des betroffenen Anliegens geeignet sein, nicht einschränkender sein als erforderlich und die betroffenen öffentlichen oder privaten Interessen müssen auch in einer Interessenabwägung dominieren.[24] Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit gemäss Art. 54 Abs. 3 ZPO auch nur teilweise von einem Verfahren ausgeschlossen werden kann, wie z.B. für bestimmte Zeugeneinvernahmen, die Persönlichkeitsrechte oder Geschäftsgeheimnisse betreffen.[25]

19

In der Praxis werden folgende Abstufungen der Verfahrensöffentlichkeit unterschieden: Publikumsöffentlichkeit, reine Parteiöffentlichkeit und Medienöffentlichkeit. Publikumsöffentlichkeit bedeutet, dass jede beliebige Person einer Gerichtsverhandlung beiwohnen, den Prozess verfolgen und von dessen Ausgang Kenntnis nehmen kann. Gegenstück zur Publikumsöffentlichkeit ist die reine Parteiöffentlichkeit, bei welcher jegliche Öffentlichkeit ausgeschlossen wird und nur die Verfahrensparteien, ihre Anwälte und allenfalls wenige Vertrauenspersonen zugelassen werden. Als Kompromiss zwischen der Publikumsöffentlichkeit und der reinen Parteiöffentlichkeit gilt die Medienöffentlichkeit. In einem solchen Fall sind als Zuschauer im Publikumsbereich einzig Journalistinnen und Journalisten zur Gerichtsverhandlung zugelassen.[26] Die Öffentlichkeit wird dann indirekt durch die Gerichtsberichterstattung informiert.[27] Unter Umständen können die Medien auch nur unter gewissen Auflagen und Bedingungen zur Verhandlung zugelassen werden.[28] So können sie beispielsweise verpflichtet werden, die Privatsphäre der Prozessbeteiligten in ihrer Berichterstattung zu wahren.

20

Werden auch die Medien von der Verhandlung ausgeschlossen, so ist in der Interessenabwägung nicht einzig und allein der Eingriff in den Grundsatz der Justizöffentlichkeit zu berücksichtigen, sondern auch die Grundrechte der betroffenen Journalisten, namentlich die Informations- und Medienfreiheit (Art. 16 Abs. 3 und Art. 17 BV).[29] Der Ausschluss von Gerichtsberichterstattern wird als besonders heikel erachtet, „da sie ihre Wächterfunktion nicht oder nur noch sehr beschränkt wahrnehmen können“.[30] Journalisten verfügen denn aufgrund des Justizöffentlichkeitsprinzips, der Medien- und der Informationsfreiheit über ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Überprüfung ihrer Nichtzulassung, welches allenfalls selbst nach Durchführung der Verhandlung besteht.[31]

3. Folgen einer Verletzung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit

21

Der Anspruch auf öffentliche Verhandlung ist gemäss der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung formeller Natur.[32] Dies bedeutet, dass die Verletzung des Anspruchs, sofern diese von den Parteien gerügt wird, zur Aufhebung des Urteils führt, unabhängig davon, ob das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn eine öffentliche Verhandlung stattgefunden hätte, oder ob es in der Sache rechtmässig ist.

22

In der Literatur wird u.E. zu Recht die Meinung vertreten, dass die Vorinstanz, die das Öffentlichkeitsprinzip verletzt hat, nach einer öffentlichen Verhandlung in derselben Sache kaum zu einem anderen Entscheid kommen wird und deshalb in einem ausstandsbegründenden Mass befangen ist. Es rechtfertige sich deshalb in der Regel, dass die Vorinstanz in einer anderen personellen Zusammensetzung über die Sache neu zu befinden hat.[33] Ferner wird auch argumentiert, die Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung könne durch Nachholen einer solchen durch die Rechtsmittelinstanz geheilt werden.[34] Dies ist jedoch u.E. nur dann zuzulassen, wenn die Sache vor der Rechtsmittelinstanz noch in gleichem Umfang wie vor der Vorinstanz streitig und ihre Kognition nicht beschränkt ist.

23

Setzen sich hingegen unbeteiligte Dritte oder Medienvertreter gegen eine Einschränkung der Verhandlungsöffentlichkeit zur Wehr, führt dies nicht zu einer Aufhebung des Urteils, sondern höchstens zu allfälligen Feststellungen.[35] Drittpersonen und Medienvertreter können einzig verlangen, zur Teilnahme an einer tatsächlich stattfindenden Verhandlung zugelassen zu werden und einen Ausschluss oder einschränkende Massnahmen anfechten.[36] Wird jedoch zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung ganz abgesehen, so steht ihnen gegen eine entsprechende Verfügung des Gerichts kein Rechtsmittel zu. Sie verfügen somit lediglich über ein „hinkendes“ Grundrecht, weshalb die prozessuale Stellung von Drittpersonen und Medienvertretern zur Durchsetzung des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit in der Lehre als „wenig wirkungsvoll“ erachtet wird.[37]

24

Auch eine Verletzung des Grundsatzes der öffentlichen Urteilseröffnung zieht nicht die Aufhebung des fraglichen Entscheids nach sich, sondern die Anordnung, für dessen Veröffentlichung bzw. für die öffentliche Zugänglichkeit nachträglich zu sorgen.[38]

III. Rechte der Öffentlichkeit in den einzelnen Verfahrensstadien des Zivilprozesses

25

Nachfolgend wird für die charakteristischen Stadien eines (erstinstanzlichen) Zivilverfahrens beleuchtet, inwiefern diese vom Schutzbereich des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit erfasst sind und unter welchen Bedingungen ein allfälliger Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit oder der Medien zulässig ist.

1. Schlichtungsverfahren

26

Art. 203 Abs. 3 Satz 1 ZPO statuiert klar, dass die Verhandlung im Schlichtungsverfahren nicht öffentlich ist. Damit soll gemäss Botschaft sichergestellt werden, dass sich die Parteien frei äussern können und eine gütliche Einigung gefördert werden.[39] Auch zum allenfalls schriftlich eingereichten Schlichtungsgesuch oder zu den Akten des Schlichtungsverfahrens besteht kein Zugang durch nicht am Verfahren beteiligte Dritte oder die Medien.

27

Nur vor den paritätischen Schlichtungsbehörden in Miet- und Pachtsachen sowie Gleichstellungsfragen ist der Grundsatz der reinen Parteiöffentlichkeit der Schlichtungsverhandlung gelockert. Diese Schlichtungsbehörden können die Öffentlichkeit ganz oder teilweise zu ihren Verhandlungen zulassen.[40] Dies deshalb, weil ein öffentliches Interesse daran bestehen kann, die Praxis dieser Spezialbehörden zu kennen.[41] Die paritätischen Schlichtungsbehörden haben somit im Einzelfall rechtzeitig vor dem zwingend durchzuführenden Termin[42] die Interessen der Prozessparteien mit denjenigen der Öffentlichkeit abzuwägen. Ob die Schlichtungsverhandlung öffentlich durchzuführen ist, sollte auch geprüft werden, wenn kein konkretes Begehren um Zulassung zur Schlichtungsverhandlung vorliegt. Der Grund dafür ist, dass zur Wahrung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit genügend früh und in geeigneter Form anzukündigen ist, wann und wo eine Verhandlung stattfindet, um eine Teilnahme daran überhaupt zu ermöglichen.[43] Wird ein überwiegendes öffentliches Interesse von der paritätischen Schlichtungsbehörde bejaht, hat sie die Öffentlichkeit deshalb in geeigneter Weise über die bevorstehende Verhandlung zu informieren.

28

Fraglich ist, ob das Justizöffentlichkeitprinzip zum Tragen kommt, wenn das Schlichtungsverfahren gemäss Art. 212 Abs. 1 ZPO vor der Schlichtungsbehörde ins Entscheidverfahren übergeht. In der Literatur besteht dazu Uneinigkeit. Tarkan Göksu argumentiert, der Gesetzgeber habe für das Schlichtungsverfahren die Interessenabwägung zwischen dem Erfolgszweck des Verfahrens und dem öffentlichen Informationsanspruch gleich selber in dem Sinn vorgenommen, dass kategorisch jede Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. Dies gelte angesichts des klaren Wortlauts von Art. 203 Abs. 3 ZPO auch dort, wo der Schlichtungsbehörde nach gescheitertem Einigungsversuch Entscheidkompetenz zukommt.[44] Thomas Sutter-Somm und Benedikt Seiler sowie Christoph Hurni hingegen widersprechen dieser Auslegung.[45] Das Bundesgericht hat sich, soweit ersichtlich, noch nicht zur Öffentlichkeit des Entscheidverfahrens vor der Schlichtungsbehörde geäussert. Um eine Verletzung dieses Grundsatzes zu vermeiden, sollte die Schlichtungsbehörde u.E. deshalb zumindest kurz überprüfen, ob ein Interesse der Öffentlichkeit am fraglichen Verfahren bestehen könnte. Dies dürfte angesichts der Tatsache, dass sich die Entscheidkompetenz auf vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 2000 Franken beschränkt, wohl eher selten der Fall sein. Der Zugang der Öffentlichkeit zum getroffenen Entscheid hingegen ist zweifellos vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit erfasst und ergibt sich direkt aus Art. 54 Abs. 1 ZPO.

2. Hauptverfahren

A. Instruktionsverhandlungen

29

Gemäss Art. 226 Abs. 1 ZPO kann das Gericht jederzeit Instruktionsverhandlungen durchführen. Diese können laut Art. 226 Abs. 2 ZPO verschiedenen Zwecken dienen, namentlich der freien Erörterung des Streitgegenstandes, der Ergänzung des Sachverhaltes, dem Versuch einer Einigung und der Vorbereitung der Hauptverhandlung.

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In der Lehre ist umstritten, ob Instruktionsverhandlungen grundsätzlich öffentlich sein müssen und somit in den Schutzbereich der Garantie der Justizöffentlichkeit fallen. Thomas Sutter-Somm und Benedikt Seiler argumentieren, Instruktionsverhandlungen seien „[v]om Sinn und Zweck der Verhandlung sowie von Art. 54 Abs. 1 ZPO her nicht öffentlich“. Die beiden Autoren setzen die Instruktionsverhandlung mit Beweiserhebungen ausserhalb des Gerichtssaals wie Einvernahmen von Zeugen an ihrem Aufenthaltsort gemäss Art. 170 Abs. 3 ZPO, Augenscheinsverhandlungen nach Art. 181 f. ZPO sowie direkten Prozesshandlungen des Gerichts in einem anderen Kanton gemäss Art. 195 ZPO gleich. All diese Tätigkeiten sollen ihrer Ansicht nach vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit ausgenommen sein.[46] Dahingegen argumentieren andere Autoren u.E. in überzeugender Weise differenzierter und befürworten eine abgestufte Auslegung von Art. 54 Abs. 1 ZPO: Gemäss Urs Schenker soll eine Instruktionsverhandlung nur so weit vom Öffentlichkeitsgrundsatz ausgenommen sein, als diese lediglich zur Führung von Vergleichsverhandlungen bzw. zur Erzielung einer gütlichen Einigung angesetzt wird. Diene die Instruktionsverhandlung demgegenüber der freien Erörterung des Streitgegenstandes, der Ergänzung des Sachverhalts oder der Vorbereitung der Hauptverhandlung, sei sie vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit erfasst und ein Ausschluss der Öffentlichkeit müsse den Anforderungen von Art. 54 Abs. 3 ZPO ebenso wie Art. 36 BV genügen.[47] Tarkan Göksu verneint zusätzlich die Möglichkeit, die Öffentlichkeit „bei Versöhnungsbemühungen vor dem urteilenden Gericht oder anlässlich einer Instruktionsverhandlung“ auszuschliessen, da es dafür an der gesetzlichen Grundlage fehle.[48]

31

Kürzlich hatte das Bundesgericht Gelegenheit, sich mit der Frage der Öffentlichkeit der zum Versuch der Einigung angesetzten Instruktionsverhandlung auseinanderzusetzen:[49] Es hielt fest, es sei in der Literatur anerkannt, dass der Grundsatz der Justizöffentlichkeit nicht in allen Verfahrensabschnitten gelte, sondern sich der Begriff der (Gerichts-)Verhandlung in Art. 30 Abs. 3 BV und Art. 54 Abs. 1 ZPO nur auf die Haupt- bzw. Parteiverhandlung im eigentlichen Erkenntnisverfahren beziehe, d.h. auf Verfahrensabschnitte, die Grundlage zur Erledigung der Streitsache durch einen Entscheid bilden.[50] Vergleichsgespräche jedoch haben gemäss Bundesgericht die einvernehmliche Beilegung des Streits zum Ziel. Dabei vermittle das Gericht zwischen den Parteien und dürfe, unter dem Vorbehalt der förmlichen Streitentscheidung, eine vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage zum Ausdruck bringen. Da das Verfahren aber, sofern die Gespräche erfolgreich seien, gerade ohne gerichtlichen Entscheid erledigt werde (Art. 241 ZPO), stehen Vergleichsgespräche grundsätzlich ausserhalb des Erkenntnisverfahrens. Sie gehören demnach nicht zur rechtsprechenden Tätigkeit des Gerichts und sind somit nicht vom Geltungsbereich des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit erfasst.[51] Folglich hat das Gericht grundsätzlich auch nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit gemäss Art. 54 Abs. 3 ZPO resp. Art. 36 BV erfüllt sind.

32

Bedingung dafür, dass Vergleichsgespräche nicht vom Schutzbereich des Justizöffentlichkeitsprinzips erfasst sind, ist allerdings, dass sich der Einigungsversuch unter gerichtlicher Leitung innerhalb des vom Bundesgericht festgelegten Rahmens abspielt: So darf das Gericht bei Vergleichsgesprächen nur mit Zurückhaltung und unter dem Vorbehalt der förmlichen Streitentscheidung eine vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage zum Ausdruck bringen.[52] Der Inhalt der Vergleichsgespräche darf zudem weder protokolliert noch einem allfälligen Entscheid des Gerichts zu Grunde gelegt werden. Ferner geht das Bundesgericht davon aus, dass nicht-öffentliche Vergleichsgespräche auf Freiwilligkeit beruhen und sie somit nur mit Einverständnis der Parteien stattfinden können.[53]

33

Da Vergleichsgespräche im Entscheidverfahren vom Gericht in jedem beliebigen Verfahrensstadium durchgeführt werden können und auch der Ablauf dieser Verhandlungen gesetzlich kaum geregelt ist, bestehen in der konkreten Ausgestaltung allerdings grosse Unterschiede. In der Praxis wird der gerichtliche Versuch der Einigung denn nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern auch von Gericht zu Gericht und selbst von Richterin zu Richterin anders gehandhabt.[54] Die Gerichte bewegen sich bei der Durchführung der Vergleichsgespräche nicht immer innerhalb der bundesgerichtlichen Vorgaben. So ergibt sich aus der Untersuchung von Mark Schweizer, dass Vergleichsverhandlungen an gewissen Gerichten zum einen gegen den Willen der Parteien durchgeführt werden und es zum anderen vorkommt, dass sich die Parteien auf die vom Gericht abgegebene Einschätzung im späteren Verfahren berufen dürfen.[55] Dementsprechend muss im Einzelfall analysiert werden, ob die Vergleichsgespräche tatsächlich nicht als „Schritt auf dem Weg zur gerichtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand“[56] zu qualifizieren sind. Andernfalls darf die Öffentlichkeit nur ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 54 Abs. 3 ZPO erfüllt sind.

34

Ausdrücklich offen liess das Bundesgericht in seinem Entscheid die Frage, ob es zulässig wäre, die Öffentlichkeit – über die Vergleichsgespräche hinaus – generell von Instruktionsverhandlungen auszuschliessen. Es merkte jedoch an, dass an solchen Terminen auch der Sachverhalt ergänzt oder die Hauptverhandlung vorbereitet werden kann und implizierte mithin, dass ein genereller Ausschluss der Öffentlichkeit ohne Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und denjenigen der Prozessparteien Recht verletzen könnte.[57] Damit hat sich das Bundesgericht (vorsichtig) in Richtung der von Urs Schenker und anderen Autoren vertretenen, differenzierenden Argumentation zur Öffentlichkeit von Instruktionsverhandlungen geäussert.

35

In Entsprechung geht es u.E. nicht an, Medien und Zuschauer ohne weitere Prüfung von Instruktionsverhandlungen, welche nicht bloss zum Versuch der Einigung angesetzt werden, auszuschliessen. Namentlich wenn diese Termine als zweite Gelegenheit zur unbeschränkten Äusserung dienen und danach die Novenschranke eintritt[58] oder wenn anlässlich der Instruktionsverhandlung Beweise abgenommen werden (bspw. Zeugeneinvernahmen), handelt es sich um Verfahrensetappen, die wesentlichen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung haben können. In diesen Fällen müsste das Gericht die betroffenen Interessen abwägen und eine Zulassung zu den formellen Teilen der Verhandlung grundsätzlich gestatten.

B. Hauptverhandlung

36

Die Hauptverhandlung ist vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit erfasst und Einschränkungen des Zugangs der Öffentlichkeit müssen somit den Anforderungen von Art. 54 Abs. 3 ZPO genügen. Allerdings ist eine mündliche Verhandlung nicht bei allen Verfahrensarten vorgesehen oder haben die Prozessparteien die Möglichkeit, die Durchführung der Hauptverhandlung abzulehnen. Im ordentlichen Verfahren etwa, das im Hauptstadium aus der mündlichen Hauptverhandlung besteht, können die Parteien gemäss Art. 233 ZPO durch übereinstimmende Willenserklärungen auf diesen Verfahrensschritt und damit die Garantie einer öffentlichen mündlichen Verhandlung verzichten. Zudem kann das Gericht nach Art. 223 Abs. 2 ZPO ohne Hauptverhandlung einen Endentscheid fällen, wenn die beklagte Partei auch innert Nachfrist keine Klageantwort einreicht und die Angelegenheit spruchreif ist. Im vereinfachten Verfahren gilt ähnliches und kann das Gericht bei Säumnis der beklagten Partei unter Umständen ebenfalls ohne mündliche Verhandlung entscheiden.[59] Ferner ist auch im vereinfachten Verfahren ein gemeinsamer Verzicht der Parteien auf eine mündliche Verhandlung möglich.[60] Im summarischen Verfahren schliesslich besteht eine offene Regelung, die es der richterlichen Prozessleitung erlaubt, auf die Durchführung einer Verhandlung zu verzichten, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt.[61] Eine mündliche Verhandlung ist in summarischen Familiensachen (Art. 273 ZPO), bei Konkursbegehren (Art. 168 SchKG), bei Gesuchen um Nachlassstundung (Art. 294 SchKG) sowie bei der Bestätigung des Nachlassvertrags (Art. 304 SchKG) vorgesehen. Abgesehen davon kann im summarischen Verfahren auf Grund der Akten entschieden werden.

37

Fraglich ist, inwiefern die Parteien über das Recht verfügen, eine öffentliche mündliche Verhandlung einzufordern, falls diese nicht gesetzlich vorgesehen ist oder das Gericht sich bei Wahlmöglichkeit gegen die Durchführung einer solchen entscheidet. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK besteht in Verfahren über zivilrechtliche Streitigkeiten ein Anspruch der Parteien auf eine öffentliche Verhandlung, sofern die Parteien nicht ausdrücklich oder stillschweigend darauf verzichtet haben.[62] Eine Ausnahme vom Grundsatz der öffentlichen Verhandlung ist gemäss der einschlägigen Rechtsprechung erlaubt, wenn eine Streitsache keine Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft, die nicht adäquat aufgrund der Akten oder schriftlichen Parteivorbringen gelöst werden können.[63] Bei der Annahme einer solchen Ausnahme ist die Rechtsprechung eher zurückhaltend.[64] Unter die Ausnahme fällt z.B. der Entscheid über die Verlegung der Kosten in einem gegenstandslos gewordenen Verfahren.[65] Bei Verfahren auf Erlass einer vorsorglichen Massnahme ist anhand der Auswirkungen der vorsorglichen Massnahme zu entscheiden, ob eine zivilrechtliche Streitigkeit vorliegt.[66] Ein Anspruch auf öffentliche Verhandlung besteht, wenn die vorsorgliche Massnahme die Hauptsache vorwegnimmt. Dies ist namentlich der Fall, wenn die vorsorgliche Massnahme mit dem Hauptanspruch identisch ist oder die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien für die Zeit des Prozesses unwiederbringlich regelt.[67] Kein Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung besteht in der Regel bei Sicherungsmassnahmen[68] und in Vollstreckungsverfahren, welchen „ein ordentliches, gerichtliches Verfahren vorausgegangen ist und in welchen nicht über die Begründetheit der zu vollstreckenden Forderung entschieden wird“.[69] Letzteres betrifft sowohl das Verfahren um Erteilung der definitiven Rechtsöffnung als auch das Vollstreckungsverfahren nach Art. 335 ff. ZPO.[70] Anders verhält es sich hingegen wohl im Verfahren um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung, wo die Parteien grundsätzlich Anspruch auf eine mündliche Verhandlung haben dürften.[71]

38

Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Prozessparteien in aller Regel ein Recht auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung haben und einem entsprechenden Antrag stattzugeben ist. Falls sich die Parteien nicht äussern, wird gemäss der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere dann ein – stillschweigender – Verzicht auf die Garantie der mündlichen Verhandlung angenommen, wenn kein Begehren um Durchführung einer solchen gestellt wird, obwohl das Gericht in der Regel nicht öffentlich verhandelt.[72] Bei Zweifeln, ob eine Partei eine öffentliche Verhandlung wünscht, ist das Gericht verpflichtet nachzufragen.[73]

39

Weiter bedeutsam ist, ob das Gericht aufgrund des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit eine Pflicht hat, eine mündliche und damit grundsätzlich öffentliche Verhandlung durchzuführen, sofern das Gesetz diese Möglichkeit bietet, um die Zugangsrechte der Öffentlichkeit zu wahren. In der Lehre wird vertreten, dass nur in Fällen, in welchen eine Verhandlung vorgesehen ist, diese auch öffentlich durchzuführen ist. Es bestehe folglich keine Pflicht, eine öffentliche und damit mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn das Gesetz nur die Schriftlichkeit des Verfahrens vorsehe.[74] Dort wo jedoch das Gericht zu entscheiden habe, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden soll, sei hingegen auch ein allfälliges Interesse der Öffentlichkeit an einer öffentlichen Verhandlung zu berücksichtigen.[75] Liegt es folglich im Ermessen des Gerichts zu bestimmen, ob es eine mündliche Verhandlung durchführen will oder nicht, so muss sein Beschluss gegen eine mündliche Verhandlung grundsätzlich den Anforderungen an einen Ausschluss der Öffentlichkeit gemäss Art. 54 Abs. 3 ZPO genügen. Das Gericht muss demnach prüfen, ob nicht ein die Interessen der Parteien überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer öffentlichen Verhandlung besteht. Dies gilt u.E. auch in Fällen, in welchen die Parteien übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten.

40

Wird eine mündliche Verhandlung durchgeführt, so ist sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit auch tatsächlich Zutritt zu diesem Verfahrensstadium hat. Dies bedingt, dass Verhandlungsräumlichkeiten für die Allgemeinheit leicht zugänglich sein und über ausreichend Platz verfügen müssen. Gewisse sitzungspolizeiliche Einschränkungen werden vom Bundesgericht zwar als zulässig erachtet. So ist etwa eine Ausweiskontrolle mit der Öffentlichkeit der Verhandlung vereinbar.[76] Wenn die Zuschauer aber befürchten müssen, dass die Daten aufbewahrt und zu anderen als sitzungspolizeilichen Zwecken verwendet werden könnten, kann die Registrierung der Personalien das Öffentlichkeitsprinzip verletzen, da die Zuschauer aus diesem Grund möglicherweise auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichten.[77] Die Zuschauer sodann sind gehalten, die Verhandlung nicht zu stören und sich an die Sitzungsdisziplin zu halten; andernfalls kann das Gericht sie gestützt auf Art. 128 Abs. 1 ZPO letztlich wieder von der Teilnahme ausschliessen.

41

Um der Öffentlichkeit den Zugang effektiv zu gewähren, ist zudem genügend früh und in geeigneter Form anzukündigen, wann und wo eine Verhandlung stattfindet.[78] In der Literatur wird argumentiert, dass eine lückenlose, systematische Information der Öffentlichkeit über die anstehenden Verhandlungen aus praktischen Gründen nicht verlangt werden könne, weshalb es in der Regel genüge, wenn interessierte Personen sich beim Gericht über kommende öffentliche Verhandlungen erkundigen könnten. In Angelegenheiten, in welchen das Gericht weiss oder vermutet, dass ein öffentliches Interesse besteht, könne sich aber auch die unmittelbare Benachrichtigung zumindest der für den betreffenden Ort massgebenden Medien rechtfertigen. Es sei deshalb empfehlenswert, wenn das Gericht auf seiner Internetseite über Verhandlungen, welche auf das Interesse der Öffentlichkeit stossen könnten, informiert.[79] Dem ist zuzustimmen.

C. Urteilsberatung

42

Art. 54 Abs. 2 ZPO überlässt die Regelung der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit der Urteilsberatung vollständig dem kantonalen Recht. Dies deshalb, weil darüber im Gesetzgebungsverfahren eine Kontroverse bestand, die vor allem darauf zurückzuführen war, dass die kantonalen Zivilprozessordnungen hierzu uneinheitliche Bestimmungen kannten.[80]

43

Soweit ersichtlich haben alle Kantone eine entsprechende Regelung erlassen. Mit Ausnahme der Kantone Bern und Basel-Landschaft,[81] wo Urteilsberatungen in Zivilverfahren grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich sind, haben sich die Kantone für einen Ausschluss dieser Verfahrensetappe vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit entschieden.[82] Daher ist die akademisch umstrittene Frage, was bei Fehlen einer kantonalen Regelung über die Öffentlichkeit der Urteilsberatung gelten soll, aktuell von geringer praktischer Bedeutung. Gleichwohl sei erwähnt, dass Tarkan Göksu gestützt auf den Wortlaut von Art. 54 Abs. 2 ZPO ableitet, dass der kantonale Gesetzgeber diesfalls keine öffentliche Urteilsberatung vorsehen wollte.[83] Thomas Sutter-Somm und Benedikt Seiler erachten es dahingegen berechtigterweise als zweifelhaft, dass der Formulierung in Art. 54 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Vermutung entnommen werden kann, zumal die Öffentlichkeit gemäss dem gesetzlichen Konzept die Regel und nicht die Ausnahme sein soll.[84]

D. Urteilseröffnung und Entscheid

44

Das Gericht kann seinen Entscheid mündlich oder schriftlich eröffnen.[85] Ein Anspruch auf mündliche Verkündung hingegen besteht nicht. Nach Ansicht des Bundesgerichtes bietet auch Art. 54 Abs. 1 ZPO keine Grundlage für ein solches Recht, da sich der Normtext nur auf die „allfällige“ mündliche Eröffnung bezieht.[86] Entscheidet sich das Gericht für eine mündliche Urteilsverkündung, so kann die Öffentlichkeit allerdings selbst dann nicht davon ausgeschlossen werden, wenn sie aus zureichenden Gründen bei einer allfälligen Parteiverhandlung nicht zugelassen war.[87] Dies deshalb, weil der Grundsatz der öffentlichen Urteilsverkündung – im Gegensatz zu demjenigen der öffentlichen Verhandlung – in Art. 6 Ziff. 1 EMRK keine Einschränkung erfährt. Daraus folgt, dass dem Gericht bei der Frage, ob eine allfällige mündliche Verkündung öffentlich erfolgen soll, kein Entscheidungsspielraum zusteht. Konsequenz davon ist ferner, dass die Parteien nicht gemeinsam auf eine öffentliche Urteilsverkündung verzichten können.[88]

45

Wenn keine öffentliche Verhandlung und mündliche Eröffnung stattfindet, erschöpft sich das Öffentlichkeitsgebot im Recht auf Einsicht in den schriftlichen Entscheid. Gemäss dem Bundesgericht reicht es diesfalls aus, wenn das Publikum „auf andere Weise (Publikation in Periodika oder auf Internet; Möglichkeit, den Urteilstext auf der Gerichtskanzlei zu verlangen oder einzusehen) die Gelegenheit hat, von den Urteilen Kenntnis zu nehmen“.[89] Dies gilt auch, wenn das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wurde. Die einzelnen Formen können resp. müssen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung miteinander kombiniert werden und sind in ihrer Gesamtheit am Verkündungs- und Transparenzgebot zu messen.[90] Massgebend ist, ob die Form der Bekanntgabe „die verfassungsrechtlich gebotene Kenntnisnahme gerichtlicher Urteile“ erlaubt.[91]

46

Ein spezifisches Interesse für die Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht erforderlich. Dennoch kommt dem Schutz der Persönlichkeit der Prozessbeteiligten unter Umständen mit zunehmender zeitlicher Distanz erhöhtes Gewicht zu (sog. Recht auf Vergessen),[92] weshalb die Interessen der Publikumsöffentlichkeit in den Hintergrund treten können und im konkreten Einzelfall gegebenenfalls doch konkret dargelegt werden müssen.[93] Das schutzwürdige Informationsinteresse der Medien ergibt sich dagegen nach Massgabe der einschlägigen bundesgerichtlichen Praxis ohne Weiteres bereits aus deren Kontrollfunktion.[94] Zudem vermag „[a]llein schon die mit der Justizöffentlichkeit verbundene Möglichkeit der Kontrolle der Justiz […] auch ohne weitere Begründung ein hinreichendes Einsichtsinteresse zu begründen“.[95]

47

Öffentlichen oder privaten Geheimhaltungsinteressen kann vor dem Hintergrund der umfassenden Einsichtsrechte der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen werden, dass Parteinamen und weitere Bezeichnungen oder gewisse Passagen, die auf die Identität der Parteien schliessen lassen, abgedeckt oder gelöscht werden.[96] Der Anspruch auf Kenntnisnahme des Entscheids steht in diesem Sinne unter dem Vorbehalt der Anonymisierung.[97] Ausserdem erstreckt er sich lediglich darauf, den vollständigen Text des (anonymisierten) Entscheids einzusehen oder sich gegen eine allfällige Gebühr eine Kopie erstellen zu lassen. Weitergehende Rechte, insbesondere auf Zustellung einer Kopie, existieren dagegen nicht.[98]

48

Unter Entscheiden im Sinne von Art. 54 Abs. 1 ZPO, welche der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind, sind Endurteile, die das Verfahren vor der angerufenen Instanz aus materiellen oder prozessualen Gründen beenden, zu verstehen. Erfasst sind des Weiteren Teilentscheide, mit denen über einen Teil des Streitgegenstands abschliessend befunden wird.[99] Der Anspruch auf Einsicht besteht auch hinsichtlich Entscheiden, die noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind oder aufgehoben wurden.[100] Weiter erstreckt sich der Anspruch rechtsprechungsgemäss auf den Sachverhalt, eine allfällige rechtliche Begründung und das Dispositiv.[101] Eingeschlossen ist zudem der Spruchkörper, dessen Mitglieder grundsätzlich nicht anonymisiert werden dürfen.[102]

49

Aus dem Sinn und Zweck von Art. 54 Abs. 1 ZPO soll sich gemäss Thomas Sutter-Somm und Benedikt Seiler ergeben, dass lediglich die vollständig ausgefertigten, mit schriftlicher Begründung versehenen Entscheide der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind. Wenn das Gericht seinen Entscheid ohne schriftliche Begründung eröffnet und keine Partei eine solche verlangt (siehe Art. 239 Abs. 1 und 2 ZPO), sei es nicht besonders sinnvoll, trotzdem das schriftliche Dispositiv ohne Begründung zu publizieren.[103]

50

Diese Auslegung von Art. 54 Abs. 1 ZPO verkennt u.E., dass in Fällen, in welchen von einer mündlichen und somit öffentlichen Urteilsverkündung abgesehen und der Entscheid durch Zustellung des Dispositivs an die Parteien eröffnet wird (Art. 239 Abs. 1 lit. b ZPO), die Öffentlichkeit vom Ausgang des Verfahrens nur durch Zugänglichmachen ebendieses Dispositivs erfahren kann. Ist das Dispositiv nicht einsehbar, so wird ein wichtiger Zweck des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit, nämlich die Information der Öffentlichkeit über den Verfahrensausgang, vereitelt.[104] Dies würde zu einer Aushöhlung des gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht einschränkbaren Grundsatzes der öffentlichen Urteilsverkündung führen. Hinzu kommt, dass nach geltendem Recht für die Berufung und die Beschwerde eine ausnahmslose Begründungspflicht gilt (Art. 318 Abs. 2 und Art. 327 Abs. 5 ZPO). Art. 239 Abs. 1 ZPO ist in diesem Bereich somit nicht anwendbar. Jedoch wird im Rahmen der geplanten Änderung der ZPO vorgeschlagen, der Rechtsmittelinstanz ebenfalls die Möglichkeit einer Eröffnung an die Parteien durch Zustellung des unbegründeten Dispositives zu verschaffen und Art. 318 Abs. 2 sowie Art. 327 Abs. 5 ZPO aufzuheben.[105] Das hätte zur Folge, dass Art. 239 Abs. 1 ZPO auch für Berufungs- und Beschwerdeentscheide gälte und Rechtsmittelentscheide demnach ebenfalls ohne schriftliche Begründung eröffnet werden könnten. Die Diskussion um den Zugang zu nur im Dispositiv eröffneten Entscheiden würde damit nochmals an Relevanz gewinnen und es ginge u.E. nicht an, diese Informationen über den Verfahrensausgang der Öffentlichkeit vorzuenthalten. So hält auch das Bundesgericht fest, dass sich der Anspruch auf Einsicht auf den Sachverhalt, eine allfällige rechtliche Begründung und das Dispositiv erstreckt. [106] Letzteres muss deshalb, selbst wenn der Entscheid nicht begründet wurde, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

IV. Schlussbemerkungen

51

Dieser Beitrag zeigt auf, dass in Bezug auf die Tragweite, den Schutzbereich und die zulässigen Einschränkungen des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit nachwievor Klärungsbedarf besteht. Mit seinem kürzlich ergangenen Leitentscheid hat das Bundesgericht eine Unsicherheit beseitigt und verdeutlicht, dass prinzipiell kein Anspruch der Öffentlichkeit auf Teilnahme an einer vom Zivilgericht geführten Vergleichsverhandlung besteht. Unbeantwortet gelassen hat das Bundesgericht jedoch die Frage, ob Instruktionsverhandlungen, die nicht bloss zum Versuch der gütlichen Einigung angesetzt werden, gleichermassen vom Schutzbereich des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit ausgeschlossen sind. In der Lehre wird dies kontrovers diskutiert. Gerichte tun vor diesem Hintergrund u.E. gut daran, auch bei solchen Instruktionsverhandlungen eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 54 Abs. 3 ZPO vorzunehmen.

52

In der Lehre ist sodann umstritten, ob das Entscheidverfahren vor der Schlichtungsbehörde vom Justizöffentlichkeitsprinzip erfasst ist. Auch hier ist es u.E. empfehlenswert, zumindest kurz zu überprüfen, ob ein Interesse der Öffentlichkeit am fraglichen Verfahren bestehen könnte. Gleiches gilt im Hauptverfahren zum einen dann, wenn es im Ermessen des Gerichts liegt, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, und zum anderen in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung vorgesehen wäre, aber die Parteien übereinstimmend darauf verzichten.

53

Schliesslich herrscht Uneinigkeit insbesondere darüber, ob die Öffentlichkeit Anspruch auf Zugang zu nur im Dispositiv schriftlich eröffneten Entscheiden hat. Dies ist u.E. zu bejahen, da gemäss der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowohl der Sachverhalt und die rechtliche Begründung wie auch das Dispositiv bekannt zu machen sind und die Öffentlichkeit andernfalls keine Kenntnis vom Verfahrensausgang erhält, was mit dem Justizöffentlichkeitsprinzip unvereinbar wäre.


Dr. iur. MARTINA PATRICIA STEINER, Rechtsanwältin und Mediatorin, Senior Associate bei Baker McKenzie Zurich.

Dr. iur. FABIENNE BRETSCHER, Anwaltsprüfungskandidatin und Interim Trainee Lawyer bei Baker McKenzie Zurich.


Fussnoten:

  1. Dieser Beitrag wurde erstmals in «Justice – Justiz – Giustizia» 2020/2, abrufbar unter <https://richterzeitung.weblaw.ch/rzissues/2020/2/der-grundsatz-der-ju_a9a9cb0709.html>, veröffentlicht und reflektiert den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung am 8. Juni 2020.

  2. BGE 146 I 30.

  3. Siehe z.B. BGE 122 V 47 E. 2c.

  4. Siehe z.B. BGE 120 V 1 E. 3b.

  5. Gerold Steinmann und Christoph Leuenberger, in: St. Galler Kommentar zur Schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich 2014, Art. 30 N. 6 (zit. St. Galler Kommentar BV-Autor).

  6. Siehe zum Ganzen z.B. BGE 139 I 129 E. 3.3.

  7. Siehe z.B. Jörg Paul Müller und Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2008, S. 966.

  8. Siehe zum Ganzen Urs Schenker, in: Baker McKenzie (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, Bern 2010, Art. 54 N. 2 (zit. SHK ZPO-Autor); vgl. auch Tarkan Göksu, in: Alexander Brunner, Dominik Gasser, Ivo Schwander (Hrsg.), Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich 2016, Art. 54 N. 8 (zit. DIKE Kommentar ZPO-Autor).

  9. Siehe z.B. Thomas Sutter-Somm und Benedikt Seiler, in: Thomas Sutter-Somm, Franz Hasenböhler, Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 54 N. 9b (zit. ZK ZPO-Autor).

  10. Siehe dazu ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 22.

  11. Ibid.

  12. Vgl. auch Art. 14 Ziff. 1 UNO-Pakt II.

  13. BGE 119 Ia 99 E. 4.a.

  14. Siehe zum Ganzen SHK ZPO-Schenker, Art. 54 N. 10.

  15. Siehe zum Ganzen Mascha Santschi Kallay, Externe Kommunikation der Gerichte: Rechtliche und praktische Aspekte der aktiven und reaktiven Medienarbeit der Judikative, Bern 2018, S. 134.

  16. SHK ZPO-Schenker, Art. 54 N. 11.

  17. Christoph Hurni, in: Berner Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, Bern 2012, Art. 54 N. 29 (zit. BK ZPO-Autor).

  18. Siehe Urteil des Bundesgerichts 1C_332/2008 vom 15. Dezember 2008, E. 3.1.

  19. Siehe zum Ganzen Verordnung über Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht), SR 272.81.

  20. Siehe Art. 2 Abs. 3 der COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht.

  21. Siehe Medienmitteilung des Obergerichts Zürich vom 17. April 2020, abrufbar unter <https://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/Medien/Medienmitteilungen/Obergericht/20200417_MM_Corona_Gerichtsbetrieb.pdf> (zuletzt besucht am 8. Juni 2020).

  22. Die exekutive Notverordnung ist (einstweilen) befristet bis zum 30. September 2020.

  23. Siehe auch Peter Hänni, Coronavirus und Medienfreiheit: Wie weit dürfen die verfassungsmässigen Rechte der Medienschaffenden in Notlagen beschränkt werden?, vom 2. April 2020, abrufbar unter <https://medialex.ch/2020/04/02/coronavirus-und-medienfreiheit/> (zuletzt besucht am 8. Juni 2020).

  24. Siehe dazu Giovanni Biaggini, in: Orell Füssli Kommentar zur Schweizer Bundesverfassung, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 36 N. 23.

  25. SHK ZPO-Schenker, Art. 54 N. 8.

  26. Siehe zum Ganzen Santschi Kallay (Fn. 14), S. 117 ff.

  27. Siehe DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 5.

  28. Siehe dazu ausdrücklich Art. 70 Abs. 3 der schweizerischen Strafprozessordnung (StPO); siehe auch BGE 137 I 209.

  29. Siehe dazu auch Andreas Meili, Medien im Spannungsfeld zwischen Justizöffentlichkeit und Persönlichkeitsschutz, in: Medialex 2017, S. 31 ff., insb. Rz. 3.

  30. Meili (Fn. 28), S. 38 Rz. 47.

  31. Siehe Urteil des Bundesgerichts 1B_349/2016 / 1B_350/2016 vom 22. Februar 2017, E. 2.1 (nicht publ. in BGE 143 I 194); Santschi Kallay (Fn. 14), S. 122.

  32. Siehe BGE 121 I 30 E. 5j.

  33. Siehe DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 10.

  34. Siehe BK ZPO-Hurni, Art. 54 N. 35.

  35. Santschi Kallay (Fn. 14), S. 125; St. Galler Kommentar BV-Steinmann/Leuenberger, Art. 30 N. 55.

  36. Siehe z.B. Urteil des Bundesgerichts 1C_332/2008 vom 15. Dezember 2008.

  37. St. Galler Kommentar BV-Steinmann/Leuenberger, Art. 30 N. 55.

  38. Siehe BGE 124 IV 234 E. 3e; Urteil des Bundesgerichts 1P.298/2006 vom 1. September 2006, E. 2.2; siehe auch Myriam A. Gehri, in: Basler Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2017, Art. 54 N. 17 (zit. BSK ZPO-Autor).

  39. Botschaft ZPO, BBl 2006 7221, 7331.

  40. Vgl. Art. 203 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

  41. Botschaft ZPO, BBl 2006 7221, 7331.

  42. Siehe Urteil des Bundesgerichts 4D_29/2016 vom 22. Juni 2016, E. 5.

  43. Müller/Schefer (Fn. 6), S. 970 f.; siehe dazu unten Punkt 3.2.2.

  44. Vgl. DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 28.

  45. ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 10; BK ZPO-Hurni, Art. 54 N. 11; BSK ZPO-Gehri, Art. 54 N. 12a.

  46. Zum Ganzen ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 11.

  47. SHK ZPO-Schenker, Art. 54 N. 3; siehe auch BK ZPO-Hurni, Art. 54 N. 10.

  48. DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 28.

  49. BGE 146 I 30; siehe dazu auch Martina Patricia Steiner und Fabienne Bretscher, Vergleichsgespräche nicht vom Grundsatz der Justizöffentlichkeit erfasst, in: dRSK, publiziert am 5. Dezember 2019.

  50. BGE 146 I 30, E. 2.3 mit Verweisen auf die einschlägige Literatur.

  51. Ibid., E. 2.4.

  52. Siehe z.B. BGE 134 I 238 E. 2.4.

  53. BGE 146 I 30, E. 2.4.

  54. Siehe für eine Übersicht Mark Schweizer, Praxis der Vergleichsverhandlung, in: Justice – Justiz – Giustizia 2018/4; für das Zürcher Handelsgericht siehe Philipp Haberbeck, Praktische Hinweise zur früheren Referentenaudienz bzw. heutigen Vergleichsverhandlung vor dem Handelsgericht Zürich, in: Jusletter 6. Januar 2014.

  55. Schweizer (Fn. 53), Rz. 6 und 9.

  56. BGE 146 I 30, E. 2.4.

  57. Ibid., E. 2.5.

  58. Siehe Martina Patricia Steiner und Fabienne Bretscher, Zweimalige unbeschränkte Äusserungsmöglichkeit und Novenschranke, in: dRSK, publiziert am 30. Mai 2018.

  59. Gestützt auf Art. 219 i.V.m. Art. 223 Abs. 2 ZPO; siehe DIKE Kommentar ZPO-Brunner/Steininger, Art. 245 N. 5.

  60. Siehe BGE 140 III 450 E. 3.2.

  61. Siehe Art. 256 Abs. 1 ZPO.

  62. Siehe BGE 127 I 44 E. 2a.

  63. Entscheid Nr. 42756/02 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Januar 2006, Luginbühl gegen Schweiz, E. A.1.

  64. Urteil des Bundesgerichts 5D_181/2011 vom 11. April 2012, E. 3.1.2.

  65. Urteil des Bundesgerichts 5A_208/2011 vom 24. Juni 2011, E. 5.2.

  66. Siehe Entscheid Nr. 17056/06 des EGMR vom 15. Oktober 2009, Micallef gegen Malta.

  67. DIKE Kommentar ZPO-Kaufmann, Art. 256 N. 12.

  68. ZK ZPO-Klingler, Art. 256 N. 1b.

  69. BGE 141 I 97 E. 5.1.

  70. Siehe BGE 141 I 97 E. 5.2; Urteil des Bundesgerichts 5D_192/2013 vom 30. April 2014, E. 4.3.2; ZK ZPO-Klingler, Art. 256 N. 1c; siehe dagegen die nun wohl überholte Praxis des Obergerichts des Kantons Zürich, Beschluss RT140006 vom 11. April 2014.

  71. Urteil des Bundesgerichts 5D_181/2011 vom 11. April 2012, E. 3.1.3; DIKE Kommentar ZPO-Kaufmann, Art. 256 N. 13; ZK ZPO-Klingler, Art. 256 N. 1c.

  72. Siehe BGE 127 I 44 E. 2e/aa.

  73. BGE 127 I 44 E. 2e/bb.

  74. Siehe DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 8.

  75. Ibid; siehe auch ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 10.

  76. Urteil des Bundesgerichts 1C_332/2008 vom 15. Dezember 2008, E. 3.6.

  77. Urteil des Bundesgerichts 1C_332/2008 vom 15. Dezember 2008, E. 3.7.3.

  78. Müller/Schefer (Fn. 6), S. 970 f.

  79. Siehe zum Ganzen DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 9.

  80. ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 5.

  81. Art. 16 Abs. 1 des Berner Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung (EG ZSJ); § 41 Abs. 1 lit. a des basellandschaftlichen Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG).

  82. Siehe für eine Übersicht über die kantonalen Regelungen ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 15.

  83. DIKE Kommentar ZPO-Göksu, Art. 54 N. 18.

  84. ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 15.

  85. Siehe Art. 239 Abs. 1 ZPO.

  86. BK ZPO-Hurni, Art. 54 N. 18; siehe auch BGE 122 V 47 E. 2c.

  87. Siehe BGE 124 IV 234 E. 3c; Urteil des Bundesgerichts 4P.74/2006 vom 19. Juni 2006, E. 8.4.1.

  88. BSK ZPO-Gehri, Art. 54 N. 15; ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 14.

  89. Urteil des Bundesgerichts 4P.74/2006 vom 19. Juni 2006, E. 8.4.1.

  90. Urteil des Bundesgerichts 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016, E. 3.6.

  91. Ibid., E. 3.5.1.

  92. Dies ist vor allem in Strafverfahren von Relevanz, wird vom Bundesgericht jedoch restriktiv angewandt; siehe Urteil des Bundesgerichts 1B_510/2017 vom 11. Juli 2018, E. 3.4.

  93. Müller/Schefer (Fn. 6), S. 977.

  94. BGE 137 I 16 E. 2.4.

  95. BGE 139 I 129 E. 3.6.

  96. Ausführlich dazu Urteil des Bundesgerichts 4P.74/2006 vom 19. Juni 2006, E. 8.4.2.

  97. BGE 139 I 129 E. 3.6.

  98. Siehe BGE 124 IV 234 E. 3e; Urteil des Bundesgerichts 1P.298/2006 vom 1. September 2006, E. 2.2.

  99. Zum Ganzen BK ZPO-Hurni, Art. 54 N. 17.

  100. Urteil des Bundesgerichts 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016, E. 3.6.

  101. BGE 139 I 129 E. 3.6; Urteil des Bundesgerichts 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016, E. 3.5.2.

  102. BGE 139 I 129 E. 3.6.

  103. ZK ZPO-Sutter-Somm/Seiler, Art. 54 N. 14.

  104. Siehe BSK ZPO-Gehri, Art. 54 N. 15.

  105. Siehe Botschaft Änderung ZPO, BBl 2020 2697, 2773 f.

  106. BGE 139 I 129 E. 3.6; Urteil des Bundesgerichts 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016, E. 3.5.2; siehe zur Kritik eines den Umfang des Anspruchs auf Urteilseinsicht verkennenden Urteils des Zürcher Obergerichts Dominique Strebel, Bundesrechtskonforme Regelung der Urteilseinsicht im Kanton Zürich, in: Medialex 2016, 110 ff.

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