Ein Sieg für das Redaktionsgeheimnis

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Strassburg rügt im Urteil (Requête no 35449/14) die Schweiz wegen verweigerten Quellenschutzes

Dr. Matthias Schwaibold, Rechtsanwalt, Zürich

Résumé: Dans un arrêt de chambre rendu à l’unanimité, la Cour européenne des droits de l’homme reproche à la Suisse la violation de l’art. 10 CEDH. Une journaliste a été contrainte de témoigner et ainsi empêchée de se prévaloir du secret de rédaction. Le tribunal fédéral avait, contrairement à la cour d’appel de Bâle-Ville, conclue à ce que le traffic de drogue décrit serait un délit figurant dans la liste des exceptions au secret de rédactions selon l’art. 172 al. 2 lettre b. CPP; il a de ce fait donné suite à la requête du ministère public: Celui-ci voulait que la journaliste dévoile le nom d’un trafficant de drogues décrit par elle dans un article de journal. La CEDH a cependant souligné qu’il faut à chaque fois procéder concrètement à une pesée des intérêts et vérifier que l’intérêt public exige la levée du secret du journaliste. Arrivant à une conclusion négative en l’espèce, il y a eu violation de la CEDH.

Zusammenfassung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt in einem Kammerentscheid einstimmig die Schweiz: Sie habe Art. 10 EMRK verletzt, indem einer Journalistin die Berufung auf das Redaktionsgeheimnis versagt worden war und sie zur Zeugenaussage verpflichtet wurde. Das Bundesgericht hatte – entgegen dem Basler Appellationsgericht – im beschriebenen Drogenhandel eine «Katalogtat» im Sinne von Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO gesehen und deshalb den Antrag der Staatsanwaltschaft gestützt. Diese wollte von der Journalistin den Namen eines von ihr in einem Zeitungsartikel porträtierten Drogenhändlers. Der EGMR befand dagegen, dass in jedem Einzelfall konkret eine Interessenabwägung vorgenommen und geprüft werden müsse, ob das öffentliche Interesse eine Aufhebung des Redaktionsgeheimnisses gebiete. Das wurde vorliegend verneint, womit ein Verstoss gegen die EMRK vorliegt.

Anmerkungen:

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Den Patrioten, der nicht nur seine Heimat liebt, sondern auch ihr Rechtssystem, muss jede Niederlage in Strassburg grämen. Ein wenig ironisch angereichertes Pathos sei als Einstieg erlaubt, und etwas ernsthafter sei nachgetragen: Es ist eine unnötige, ärgerliche Niederlage mehr, welche die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sich eingehandelt hat. Wir haben es, verglichen mit der Bevölkerung in vielen anderen Staaten des Geltungsbereichs der EMRK, weiterhin mit Luxusproblemen zu tun. Gerade deshalb ist es ein unnötiger Luxus, wegen Verstosses gegen die EMRK gerügt zu werden. Während andernorts und in seiner Wirksamkeit wohl häufig vergeblich ernsthafte rechtsstaatliche Probleme und krass menschenrechtswidrige Haftbedingungen und Strafverfahren herrschen, müssen wir uns nur, aber immerhin, mit vergleichsweise lässlichen Sünden von Strafverfolgern und Gerichten befassen.

2

Es ist dennoch gut, dass der EMGR sich auch mit Sorgfalt diesen Anwendungs- und Auslegungsfragen widmet, und noch höher ist es unserer Schweizer Richterin, Helen Keller, anzurechnen, dass sich gegen die Schweiz gestimmt hat. Die Einstimmigkeit der Verurteilung zeigt doch, dass die siebenköpfige Kammer die Dinge eindeutig einschätzt. Freuen kann sich auch das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, dessen Entscheidung auf diesem Weg als die richtige bestätigt wird, und dass der Unterzeichnete sechs Jahre nach seinem kritischen Aufsatz in forum poenale 3/2014, S. 130 ff. mit dem Strassburger Urteil zufrieden ist, sei ihm nachgesehen.

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Worum ging es? Eine Journalistin besucht einen Drogenhändler bei sich zuhause; er schildert seine Tätigkeit und verkauft während des Gesprächs auftauchenden Besuchern die von ihnen nachgefragte Ware. Der Mann handelt ausschliesslich mit weichen Drogen. Die Journalistin veröffentlicht ihre Erkenntnisse in der «Basler Zeitung» vom 9. Oktober 2012. Im Artikel ist selbstredend ihr Gesprächspartner anonymisiert.

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Daraufhin eröffnet die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung und verlangt von der Artikelverfasserin im Rahmen einer Zeugeneinvernahme, dass sie die Identität des Drogenhändlers bekanntgebe. Mit der Staatsanwaltschaft, aber entgegen dem Appellationsgericht (Urteil vom 24. Juni 2013), verneint das Bundesgericht den Quellenschutz (Urteil vom 31. Januar 2014, 1B_293/2013). Bekanntlich versagt das verfassungsmässig garantierte Redaktionsgeheimnis (Art. 17 Abs. 3 BV) bei den sogenannten «Katalogtaten». In deren eher langen Liste gemäss Art. 172 Abs. 2 lit. b. StPO figuriert der qualifizierte (gewerbsmässige) Drogenhandel gemäss Art. 19 Ziffer 2 BetmG. Eine Katalogtat sei vorliegend gegeben, denn gemäss der vom Bundesgericht entwickelten – und von ihm seinerzeit auch zitierten – Praxis kann man dieses Delikt auch beim Handel mit weichen Drogen begehen, sofern nur grosser Umsatz (CHF 100’000) oder erheblicher Gewinn (CHF 10’000) erzielt werden. Da der Drogenhändler gemäss den im Artikel erwähnten eigenen Angaben jährlich 12’000 CHF Gewinn erzielt und seit 10 Jahren im Geschäft ist, war jedenfalls der zweite Schwellenwert erreicht. Die mechanische Subsumption – 12’000 Franken während 10 Jahren sind über 100’000 Franken Verdienst -führte zur Annahme einer Katalogtat und folglich dem Ausschluss des Zeugnisverweigerungsrechts.

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Diese Betrachtungsweise liess sich durch kein Präjudiz und schon gar nicht durch eine Lehrmeinung stützen; darauf habe ich in meinem erwähnten Aufsatz nachdrücklich hingewiesen, genau so darauf, dass unter Berücksichtigung der einschlägigen Lehre und Praxis das Bundesgericht den Quellenschutz hätte gewähren müssen. Es nicht getan zu haben, stellte eine Verletzung von Art. 10 EMRK dar.

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Vor dem Strassburger Gericht bestritt die Schweiz (zurecht) nicht, dass es sich bei der Zeugnispflicht um einen Eingriff in ein Grundrecht gemäss EMRK handelt, es aber auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe. Die Strafverfolgungsinteressen seien vorrangig, und der Gesetzgeber habe eine zulässige Interessenabwägung vorgenommen.

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Strassburg sieht es anders: Der EGMR hält sich nicht mit der Frage auf, ob die Subsumption unter den «schweren Fall» qua Rechenoperation, wie sie vorliegend nötig gewesen war, zulässig sei oder nicht. Er bezweifelt weder, dass der Eingriff auf gesetzlicher Grundlage beruht noch dass er einen legitimen Zweck verfolgt. Aber er geht, sozusagen mit der «Lupe», an die Verhältnismässigkeitsprüfung im Einzelfall: Es reiche gerade nicht, dass ein Eingriff auf gesetzlicher Grundlage beruht und die Zweckverfolgung den Eingriff im Grundsatz rechtfertigt. Vielmehr muss im konkreten Einzelfalls die Frage geprüft und entschieden werden, ob der vorgesehene Eingriff tatsächlich notwendig ist und ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht.

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Mit anderen Worten genügt die vom Gesetzgeber abstrakt getroffene Abgrenzung bzw. Interessenabwägung gerade nicht; dem Quellenschutz kommt eine derart hohe Bedeutung zu, dass in jedem Fall, in dem er aufgehoben werden soll, die dafür angeführten öffentlichen Interessen deutlich überwiegen müssen, und diese Interessenabwägung eben nicht schon die sein kann, die der Gesetzgeber bei Schaffung der Eingriffsnorm vorgenommen hat, sondern eine jeweils einzelfallbezogene. Wenn es einen «impératif prépondérant d’intérêt public» verlangt, setzt es die Latte rhetorisch und argumentativ so hoch als möglich an, und deshalb ist dann nicht einfach jeder Fall von qualifiziertem Drogenhandel einfach über den Leisten der Katalogtat zu schlagen.

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Im Ergebnis ist der Entscheid zu begrüssen, er bestätigt allerdings bloss, was das Bundesgericht schon vor 6 Jahren selbst hätte ahnen können und müssen: Eine EMRK-konforme Interessenabwägung muss sehr viel weiter und tiefer gehen. Auch die vom Gesetzgeber angerufenen öffentlichen Interessen sind nicht immer überwiegend, selbst wenn sie grundsätzlich als überwiegende erscheinen.

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Das Urteil ist eine erfreuliche Stärkung des Redaktionsgeheimnisses in einem eigentlich nicht eben spektakulären Fall: Es ging im Artikel nicht um die Aufklärung eines Skandals oder die Aufdeckung eines wohlbehüteten Staatsgeheimnisses. Es ging nur um einen Einblick in den arbeitsteiligen, westeuropäischen Drogenhandel auf der Stufe des Endverkäufers. Gegen einen solchen Drogenhändler ein Strafverfahren führen zu können, ist unter desm Gesichtspunkt von Art. 10 EMRK aber nichts, was die Verpflichtung zur Zeugenaussage und damit das Redaktionsgeheimnis aufheben kann.

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Diese Peinlichkeit hätte das Bundesgericht unserem Land wirklich ersparen können: Nicht umsonst gibt sich die Lehre hierzulande Mühe, die einschlägige Rechtsprechung zu analysieren und zu kommentieren, um daraus die richtigen Folgerungen zu ziehen. Die lagen schon 2014 eigentlich auf der Hand.

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