Anliegen gutgeheissen – Beschwerde abgewiesen

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Gedanken des Beschwerdeführers zur Stellungnahme 73/2020 des Presserates

Christoph Schütz, Fotograf und Medienwissenschafter

Résumé: Est-ce qu’un journal local viole son obligation de vérité lorsqu’il écrit, dans un article repris d’un titre suprarégional ou d’une rédaction «mère», que «les recherches de ce journal ont confirmé que…»? De fait, ce ne sont pas ses propres recherches. Dans sa prise de position 73/2020, le Conseil suisse de la presse répond par la négative – l’obligation de vérité n’est pas violée. Il conseille toutefois aux médias qui reprennent des contenus d’autres titres de la même famille du groupe de médias de déclarer la source de l’article dans la ligne réservée au nom de la journaliste ou du journaliste. Le plaignant, et auteur de cette analyse, juge cette argumentation contradictoire, puisque le Conseil de la presse admet lui-même qu’une description précise des sources est nécessaire pour pouvoir déterminer la valeur d’une information.

Zusammenfassung: Verstösst eine Lokalzeitung gegen die Wahrheitspflicht, wenn sie in einem Bericht, den sie von einer überregionalen Zeitung oder einer Mantelredaktion bezogen hat, schreibt «Recherchen dieser Zeitung bestätigen dies», obwohl sie selber nicht recherchiert hat? In seiner Stellungnahme 73/2020 verneint dies der Presserat, empfiehlt aber Medien, die Mantelinhalte von verlagsexternen Lieferanten beziehen, die Herkunft dieser Artikel in der Autorenzeile zu deklarieren. Der Beschwerdeführer und Autor hält die Argumentation des Presserates für in sich widersprüchlich, sage dieser doch selber, dass eine genaue Bezeichnung von Quellen relevant sei, um den Stellenwert einer Information einschätzen zu können.

I. Sachverhalt

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Der Presserat hatte sich in seiner Stellungnahme 73/2020 mit folgender, vom Verfasser dieses Beitrags eingereichten Problematik auseinanderzusetzen: Dürfen Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des Tages-Anzeigers in ihren Artikeln folgende Formulierungen verwenden, wenn diese Artikel danach in Lokalzeitungen, z.B. in den Freiburger Nachrichten, publiziert werden:

  • „Recherchen dieser Zeitung bestätigen dies.“
  • „Wie diese Zeitung jedoch aus sicherer Quelle weiss,…“
  • „Im Gespräch mit dieser Zeitung“
  • „Das steht im Entwurf des Vorstosses, der dieser Zeitung vorliegt.“
  • „…sagt ein Betroffener gegenüber dieser Zeitung.“
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Argumentiert wurde in der Beschwerde, dass der Durchschnittsleser aufgrund solcher Formulierungen davon ausgehe, dass unter „dieser Zeitung“ die Redaktion z.B. der Freiburger Nachrichten verstanden würde, also eine Fehlinformation vorliege und somit Ziffer 1 der Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten (Wahrheitspflicht) verletzt sei. Die Wahrheitspflicht hätte auch für Informationen, wer welche Recherchearbeit geleistet hat, wem wichtige Dokumente vorliegen und mit Journalisten welcher Redaktion eine Auskunftsperson tatsächlich gesprochen hat, zu gelten.

II. Abweisung der Beschwerde und Empfehlung des Presserates

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Diese Ansicht hat der Presserat nicht geteilt. Er sah Ziffer 1 nicht als verletzt und hat die Beschwerde abgewiesen. Trotzdem hat er am Schluss seiner Stellungnahme folgende Empfehlung abgegeben: „Der Presserat empfiehlt daher Medien, welche Mantelinhalte von verlagsexternen Lieferanten beziehen, die Herkunft dieser Artikel direkt in der Autorenzeile zu deklarieren.“

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Damit wurde dem Anliegen des Beschwerdeführers nach Transparenz also dennoch Rechnung getragen, die Stellungnahme 73/2020 kann unter dem widersprüchlichen Titel „Anliegen gutgeheissen – Beschwerde abgewiesen,“ subsumiert werden. Genüsslich haben denn die Freiburger Nachrichten auch getitelt Presserat lehnt Beschwerde gegen die FN abum einige Tage später im Impressum lediglich aber immerhin jenen kleinen Hinweis zu platzieren, der gemäss Presserat nicht genügt, die nötige Transparenz zu schaffen: „Die in dieser Zeitung enthaltenen überregionalen Seiten Schweiz, Wirtschaft, Ausland und Letzte werden bei Tamedia eingekauft.“

III. In sich widersprüchliche Begründung

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Erstens war die Beschwerde primär gegen den Tages-Anzeiger gerichtet, der Presserat hat jedoch entschieden, diese richte sich «aufgrund der Herkunft der Artikel» gegen die Freiburger Nachrichten, und er hat auch nur von dort eine Stellungnahme eingeholt. Es ist unverständlich, weshalb jene Artikel, die von Tages-Anzeiger-Journalisten verfasst worden sind, trotzdem der Redaktion der Freiburger Nachrichten zugeschrieben werden und damit der eigentliche Adressat der Beschwerde, der Tages-Anzeiger, nicht zu einer Stellungnahme eingeladen worden ist. Immerhin ist die Vertreterin des Tages-Anzeigers im Presserat, Simone Rau, bei den Beratungen zu dieser Beschwerde in den Ausstand getreten.

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Zweitens schreibt der Presserat zur Wahrheitspflicht: «Aus Sicht des Presserates wäre die Wahrheitspflicht dann verletzt, wenn einzelne Elemente in den Artikeln nicht stimmen würden». Wenn die Freiburger Nachrichten in ihren Artikeln auf Dokumente verweisen, „die dieser Zeitung vorliegen“, diese Dokumente jedoch mitnichten in Freiburg, sondern auf einer Redaktion in Zürich oder München zu finden sind, wird die Leserschaft mit Fehlinformationen bedient, die Wahrheitspflicht ist also sehr wohl verletzt. Oder aber der Presserat erachtet sämtliche Hinweise, wer, wo, wem was gesagt hat, nicht als „Elemente in Artikeln“. Dass er aber auch das nicht gemeint haben dürfte, ergibt sich aus Punkt 3 seiner Begründung: „…eine genaue Bezeichnung von Quellen ist relevant, damit die Leserinnen und Leser den Stellenwert einer lnformation einschätzen können.“

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Drittens legt der Presserat in Ziffer 4 seiner Erwägungen dar, dass die implizite Behauptung der Redaktion der Freiburger Nachrichten, sie kenne die entsprechenden Quellen (weil sie die publizistische Verantwortung für die betreffenden Artikel übernimmt) kaum zutreffen kann. Gleichzeitig will der Presserat das Argument der Freiburger Nachrichten bezüglich der publizistischen Verantwortung «gewichten» – und tut dies,  indem er dann doch zum Schluss kommt, dass trotz Intransparenz bezüglich Quellenangaben und obwohl es gar nicht möglich (oder dann grobfahrlässig) ist, die publizistische Verantwortung für etwas zu übernehmen, das man gar nicht kennt, die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) nicht verletzt sei.

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Widersprüche gehören zum Leben, der Presserat sollte sie in seinen Entscheiden jedoch vermeiden, ansonst dieses Gremium in jene Bedeutungslosigkeit abzudriften droht, die unter anderen Markus Parzeller in medialex 03/2019 moniert hat und die offensichtlich wird, wenn man sich die Reaktionen auf die Stellungnahme 73/2020 ansieht: Die Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des Tages-Anzeigers verweisen in ihren Artikeln weiterhin unverblümt auf „diese Zeitung“, und keine einzige Zeitung, die diese Artikel übernimmt, ist bisher soweit ersichtlich (Stand 22.11.2020) der Empfehlung des Presserates nachgekommen und verweist in der Autorenzeile, aus welchem Verlagshaus der betreffende Artikel tatsächlich stammt.

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Besser macht es übrigens CH-Media, wie die Journalistin Monique Ryser im infosperber in einem Artikel vom 7. November 2020  aufgezeigt hat: „Im Gegensatz zu den Tamedia-Zeitungen hat der Verbund von CH-Media seit längerem eingeführt, immer die Bezeichnung «gegenüber CH-Media» zu verwenden.“

IV. Fazit

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Der Presserat hat mit seiner in sich widersprüchlichen und im Resultat verfehlten Begründung dafür gesorgt, dass nun diese mindestens so stark kritisiert werden muss, wie die intransparente Praxis des Tages-Anzeigers. Das ist schade und war nicht das Ziel dieser Beschwerde (www.unikator.org/Presserat_Beschwerde_73_2020.pdf).

 

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