Internes Kopieren: Warum zahlen – und wieviel?

I

Die Vergütungen für interne Nutzungen von geschützten Werken in Organisationen sollen ab 2023 klarer und einfacher werden

Philip Kübler, Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M., Direktor von ProLitteris, Schweizerische Genossenschaft für Urheberrechte an Literatur und Kunst

Résumé: Les auteurs ont la propriété intellectuelle sur leurs œuvres. Si les utilisations ne sont pas autorisées par les ayants droit, elles sont interdites. La loi sur le droit d’auteur (LDA) prévoit des exceptions à cette règle. Si l’on copie dans une organisation, par exemple à titre professionnel, celle-ci doit verser une redevance forfaitaire. Pour des raisons pratiques, cette redevance ne dépend pas de copies spécifiques, mais de la quantité statistique de copies. Tous les auteurs, éditeurs et autres ayants droit en Suisse et à l’étranger doivent accepter ces copies. Ils sont toutefois rémunérés par l’intermédiaire de ProLitteris et d’autres sociétés de gestion. La base est constituée par les tarifs communs 8 et 9 qui sont approuvés et contrôlés. Les tribunaux ont confirmé ces règles à plusieurs reprises au cours des dernières années. Désormais, les tarifs vont devenir encore plus simples et plus clairs pour la période à partir de 2023. Le nombre d’employés restera le facteur décisif, mais d’autres calculs plus compliqués seront remis en question. Les prix de l’utilisation dans les organisations en Suisse et au Liechtenstein vont être réglementé de manière aussi uniforme et transparente que possible.

Zusammenfassung: Urheber und Urheberinnen haben das geistige Eigentum an Ihren Werken. Werden Nutzungen von den Rechteinhabern nicht erlaubt, so sind sie verboten. Von dieser Regel macht das Urheberrechtsgesetz (URG) ein paar Ausnahmen. Eine solche betrifft das Kopieren, analog und digital. Kopiert man in einer Organisation, zum Beispiel beruflich, so muss die Organisation eine pauschale Vergütung zahlen. Aus praktischen Gründen hängt diese Vergütung nicht von konkreten Vervielfältigungen ab, sondern von der statistischen Menge an Kopien. Alle Autorinnen, Verlage und sonstigen Rechteinhaber im In- und Ausland müssen sich dieses Kopieren gefallen lassen. Sie werden aber via ProLitteris und andere Verwertungsgesellschaften entschädigt. Basis sind die genehmigten und beaufsichtigten Gemeinsamen Tarife 8 und 9. Die Gerichte haben diese Regeln in den letzten Jahren mehrfach bestätigt. Nun sollen die Tarife für die Zeit ab 2023 noch einfacher und klarer werden. Weiterhin soll es auf die Anzahl Mitarbeitende ankommen, aber andere, kompliziertere Berechnungen werden infrage gestellt. Die Preise für Nutzungen in Organisationen in der Schweiz und in Liechtenstein sollen möglichst einheitlich und transparent geregelt werden.

Inhaltsübersicht

I. Urheberrechte und Gemeinsame Tarife       Rn 1
II. Privater, schulischer und betrieblicher Eigengebrauch     6
III. Die Vorteile von Vergütungen über Verwertungsgesellschaften     11
IV. Seit rund 25 Jahren bewährte Gemeinsame Tarife 8 und 9      15
V. Rechtliche Klärungen zum betriebsinternen Kopieren in der Schweiz     22
VI. Bevorstehende Revision der Gemeinsamen Tarife 8 und 9      28


 

I. Urheberrechte und Gemeinsame Tarife

1

Der Ausgangspunkt im geistigen Eigentum ist das umfassende Bestimmungsrecht der Urheberinnen und Urheber. Nach Art. 10 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (URG) haben sie als originäre Rechteinhaber das ausschliessliche Recht zu entscheiden, ob, wann und wie ein Werk verwendet wird. Will man bestimmte Nutzungen erlauben, überträgt man Rechte oder räumt Lizenzen ein.

2

In einigen Fällen übernimmt das Gesetz diese Erlaubnis. Die Lizenz ist dann keine vertragliche, sondern eine gesetzliche. Diese Nutzungsfreiheiten, zum Beispiel das Kopieren oder Aufführen von Werken im Unterricht, sollen gewährleistet sein. Das URG ersetzt hier das Bestimmungsrecht der Urheberinnen und Urheber durch einen Vergütungsanspruch. Über Verwertungsgesellschaften kommen Autorinnen, Künstler und Komponisten, Verlage, Musik- und Filmproduzenten, Wissenschaftlerinnen, Interpreten und Sendeunternehmen zu Geld dafür, dass ihnen wegen der gesetzlichen Lizenz Verkäufe oder Lizenzen entgehen können. Für die Abwicklung der Entschädigungen wird in der Praxis eine einzige Verwertungsgesellschaft zuständig erklärt. Sie vertritt sämtliche Werkkategorien: Text, Bild, Musik, Film, Bühne, Leistungsschutz (Produktion von Ton- und Tonbildträgern und Interpretation von Werken sowie Rechte der Sendeunternehmen). Entsprechend spricht man von Gemeinsamen Tarifen (GT) der Verwertungsgesellschaften in der Schweiz (Art. 47 URG).

3

Ein Beispiel ist das unkontrollierbare interne Kopieren in der Administration eines Unternehmens oder einer ähnlichen Organisation: der betriebliche Eigengebrauch. Die gesetzliche Lizenz hat den Vorteil der Rechtssicherheit und der Diskretion – man muss niemandem mitteilen, was kopiert wird. Ein Tarif vereinheitlicht erlaubte Nutzungen und erspart den Unternehmen und Verwaltungsbehörden Aufwand, ebenso den Rechteinhabern.

4

Das Gesetz stellt formelle und inhaltliche Anforderungen an die Erstellung und Umsetzung von Tarifen. Die Tarife werden von einer Schiedskommission genehmigt (ESchK), und die Geschäftsführung steht unter Aufsicht einer Behörde des Bundes (Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum, IGE). Einmal verabschiedet, sind die Tarife verbindlich (Art. 59 Abs. 3 URG).

5

Insgesamt gibt es 14 Gemeinsame Tarife bzw. Tarifgruppen. Die Nutzungen betreffen das Weitersenden (GT 1 und 2b), die Hintergrundmusik und das vergleichbare Wahrnehmbarmachen (GT 3a, 3b und 3c), die Leerträgervergütung (GT 4 und 4i), das Vermieten (GT 5) inkl. Verleihen in Liechtenstein, die Nutzungen in Schulen (GT 7) und in Organisationen (GT 8 und 9), die Nutzungen für Menschen mit Behinderungen (GT 10), die Archivwerke von Sendeunternehmen (GT 11), das zeitversetzte Radio und Fernsehen (GT 12), die verwaisten Werke (GT 13) und, geplant ab 2022, Vergütungen für Video on demand (GT 14).

II. Privater, schulischer und betrieblicher Eigengebrauch

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Wenden wir uns den Kopiervergütungen zu. Das Gesetz erlaubt den Eigengebrauch in drei Bereichen. Sie werden nach dem Nutzerkreis und dem Zweck unterschieden. Die drei Nutzungen lösen in unterschiedlicher Form Vergütungen aus und sind in separaten Tarifen geregelt.

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Persönlicher Eigengebrauch: Solange man Inhalte aus Büchern, Zeitungen und Internet für sich und eng verbundene Freunde und Verwandte nutzt (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG), besteht keine Vergütungspflicht. Haushalte und Konsumenten sind aber indirekt wirtschaftlich betroffen, indem die Importeure von Speichermedien eine Vergütung schulden (Gemeinsame Tarife 4). Dank dieser Regelung kommt der private Eigengebrauch ohne Masseninkasso aus.

8

Schulischer Eigengebrauch: Für schulische Nutzungen nach Art. 19 Abs. 1 lit. b URG gilt der Gemeinsame Tarif 7. Der Text wurde in den Verhandlungen zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzerverbänden für die Geltungsdauer ab 2022 vereinfacht. Die Vergütungen bleiben weitgehend gleich wie bisher.[1] Gestützt auf Art. 60 Abs. 3 URG sind die Vergütungen im Unterricht tariflich begünstigt.

9

Betrieblicher Eigengebrauch: Das Thema dieses Beitrags ist der dritte Bereich des Eigengebrauchs. Für Unternehmen, Verwaltungsbehörden und andere Nutzende sind gestützt auf die Schrankenbestimmung in Art. 19 Abs. 1 lit. c URG die Gemeinsamen Tarife 8 und 9 anwendbar. Jede Organisation darf zwecks interner Information und Dokumentation Kopien aus Büchern, Zeitungen und anderen Quellen herstellen. Nicht erlaubt sind vollständige oder weitgehend vollständige Kopien von Werkexemplaren, die man im Handel erhält.

10

Die gezahlten Vergütungen betreffen vorwiegend Texte und Bilder. Sie kommen sämtlichen Rechteinhabern zugute, darunter Medienschaffenden und Medienverlagen, aber auch Wissenschaftlerinnen, Künstlern, Musikerinnen und Schriftstellern. Die Verwertungsgesellschaften richten sich nach statistischen Erhebungen und Schätzungen zur Nutzung. Für den Bereich Text und Bild führt ProLitteris jährlich drei Verteilungen durch: die Verteilung Print für gedruckte Werke, die Verteilung Online für Werke im Internet und die Verteilung Broadcast für Werke in Radio und Fernsehen.[2]

III. Die Vorteile von Vergütungen über Verwertungsgesellschaften

11

Das schweizerische System, das eine gesetzliche Lizenz mit einem Vergütungsanspruch der Rechteinhaber verbindet, bedeutet gegenüber ausländischen Modellen eine Vereinfachung für alle Beteiligten. Ohne die gesetzliche Schrankenbestimmung mit Vergütungsanspruch (Art. 19 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 URG) müssten Unternehmen, Verwaltungsbehörden und andere Organisationen zur Vermeidung einer Rechtsverletzung die Verlage, Urheberinnen und Leistungsschutzberechtigten anfragen, bevor sie für sich und andere Betriebsangehörige eine Zeitungsseite, einen Zeitschriftenartikel, ein Buchkapitel oder eine Video- oder Audiodatei vervielfältigen.

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Dank der gesetzlichen Lizenz darf jede Organisation Kopien aus veröffentlichten Werkexemplaren erstellen. Die Nutzungsfreiheit ist weit, aber doch beschränkt. Zum Nutzerkreis gehören nur Angehörige der Organisation, und die Kopien dürfen ausschliesslich zur internen Information und Dokumentation gemacht, gespeichert, verbreitet und zugänglich gemacht werden. In ihren Auskünften muss ProLitteris diese Grenzen oft erläutern: Nicht intern sind aussenstehende Personen mit eigenem Betrieb, zum Beispiel Lieferanten oder Kunden einer Organisation. Man darf wohl vereinzelte Berater als «intern» behandeln, die für ein Projekt in betriebliche Geschäftsprozesse eingebunden werden.

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Organisationen dürfen Dienstleister einsetzen, die – oder deren Geräte – das Kopieren übernehmen (Art. 19 Abs. 2 URG). Diese Dienstleister gehören nicht zum internen Kreis. Ihre Kopierberechtigung leitet sich aus der internen Nutzung in der Person ihrer Kundinnen und Kunden ab. Die Tarife unterscheiden Bibliotheken, Copyshops, Dokumentenlieferdienste und Medienbeobachtungsdienste.

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Auch diese Dritten sind vergütungspflichtig für die relevanten Vervielfältigungen oder, so die gesetzliche Vorgabe, nach Massgabe des Ertrags, der im Zusammenhang mit dem Vervielfältigen steht (Art. 20 Abs. 2 und Art. 60 Abs. 1 lit. a URG). Damit die Tätigkeit der Dienstleister im Rahmen des Eigengebrauchs bleibt, sind der interne Nutzerkreis und der Informations- und Dokumentationszweck eines konkreten Kunden zu beachten. Vorratskopien sind von der gesetzlichen Lizenz nicht abgedeckt.

IV. Seit 25 Jahren bewährte Gemeinsame Tarife 8 und 9

15

Als geschäftsführende Verwertungsgesellschaft vertritt ProLitteris im Bereich des schulischen und des betrieblichen Eigengebrauchs alle fünf Verwertungsgesellschaften. ProLitteris ist somit zuständig für sämtliche Urheber- und Leistungsschutzrechte in der Schweiz und Liechtenstein. Für Unternehmen, Verwaltungsbehörden und Dritte sind die seit 1995 (analoges Kopieren, GT 8) und 2004 (digitales Kopieren, GT 9) geltenden «Kopiertarife» massgebend.

16

Die GT 8 und 9 schliessen zwei Lücken, welche durch die Gegenausnahmen in Art. 19 Abs. 3 URG entstehen, soweit Werke der bildenden Kunst (Buchstabe b) und Musiknoten (Buchstabe c) betroffen sind. Auch solche Werke dürfen im gegebenen Rahmen in Organisationen und Schulen kopiert werden; die Privatkopie nach Art. 19 Abs. 1 lit. a URG ist bereits von Gesetzes wegen erlaubt. Unerlaubt bleibt ausserhalb des persönlichen Eigengebrauchs aber – d.h. für Betriebe und im Unterricht – die vollständige oder weitgehend vollständige Vervielfältigung im Handel erhältlicher Werkexemplare (Buchstabe a).[3]

17

Die 2020 in Kraft getretene URG-Revision hat den Eigengebrauch und die betreffenden Tarife unberührt gelassen. Eine Auswirkung auf die GT 8 und 9 hat immerhin der erweiterte Schutz sämtlicher Fotografien, die ab 1970 hergestellt wurden und die Menge des geschützten Materials ausweiten (neuer Art. 2 Abs. 3bis URG)[4]. Daneben wird sich auch die vom Gesetzgeber anvisierte automatische Datenverarbeitung bemerkbar machen (Art. 51 Abs. 1 URG).

18

Das Inkasso verursacht trotz klarer Rechtslage einen erheblichen Aufwand. Im Vordergrund stehen zunehmend IT-Entwicklungen, während sich der Personalaufwand vor allem im Kundendienst, im wiederholten Nachfassen oder rechtlichen Vorgehen gegenüber Nutzern und in der Weiterentwicklung der Arbeitsinstrumente niederschlägt. Zum Kopieren geeignete Geräte sind in Betrieben weit verbreitet. Manchem Benutzer ist gar nicht bewusst, dass Rechte von Urhebern betroffen sind, wenn ein fremder Text aus einer Zeitung, einer Zeitschrift, aus einem Buch oder einer Website kopiert wird.

19

Digitalkopien entstehen zum Beispiel in Form eines Scans oder Downloads, einer Umwandlung ins Format PDF, als Snipping oder Copy-Paste oder über den Versand per E-Mail. Praktisch jede Organisation nutzt interne Informationen aus relevanten Quellen, sei es zur Führung und Administration, zur fachlichen Unterstützung der Produktion und des Vertriebs oder für Funktionen wie die betriebliche Qualitätssicherung und Weiterbildung, die Konkurrenz- und Medienbeobachtung. Die Studien in den Tarifverfahren zeigen, dass in allen Branchen in einem gewissen Umfang urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigt werden.

20

ProLitteris erläutert die Auskunfts- und Vergütungspflicht und die Berechnungsweise gegenüber allen Nutzern, die sie ausfindig macht oder die sich bei der Verwertungsgesellschaft melden. Eine Öffentlichkeitsarbeit oder gar Imagekampagne hat sich ProLitteris bisher nicht geleistet. Wie alle Kosten wären auch diese von den Rechteinhabern zu tragen. Umso wichtiger sind präzise Auskünfte auf der Website und im Kundendienst und die gelegentliche Medienberichterstattung zum betrieblichen Eigengebrauch.[5]

21

Von bisher 670 Gerichtsverfahren, die ProLitteris seit 2015 gegen säumige Nutzer einleitete, gingen 631 zugunsten der Verwertungsgesellschaft aus. Die abgewiesenen Klagen betrafen fehlende Nachweise der zugestellten Meldeformulare aus weit zurückliegenden Jahren, und in vereinzelten Fällen drängte es sich auf, das Verfahren abzuschreiben (z.B. Konkurse). ProLitteris überträgt das rechtliche Inkasso an externe Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und das Einfordern von Prozessentschädigungen an ein Inkassounternehmen. Prozesse sind aufwändig für die Rechteinhaber, und sie sind für die Beklagten teuer, denn nach einem Gerichtsurteil kommen Gerichtskosten und Parteientschädigungen hinzu.

V. Rechtliche Klärungen zum betriebsinternen Kopieren in der Schweiz

22

Wann kommen die Kopiervergütungen vor Gericht? Das rechtliche Inkasso war bisher nur im Sektor Unternehmen notwendig – gegenüber Verwaltungsstellen und Kopierdienstleistern musste noch nie der Gerichtsweg beschritten werden.

23

Für kleine Unternehmen betragen die Forderungen z.B. rund CHF 50 oder 100 im Jahr. Der Durchschnitt pro Vollzeitstelle liegt bei einigen Schweizer Franken. Wenn ein Unternehmen wiederholt Auskünfte verweigert oder nach mehreren Mahnungen eine korrekt eingeforderte Zahlung verweigert, bleibt der Verwertungsgesellschaft nichts anderes übrig, als eine Betreibung oder zivilrechtliche Klage einzuleiten. Die Gleichbehandlung der Nutzenden ist zwingend (Art. 45 Abs. 2 URG).

24

Die Kopiervergütungen der Unternehmen können auf Fragen oder Widerstand stossen, wenn jemand mit dem Urheberrecht nicht vertraut ist oder die für das Inkasso zuständige Gesellschaft nicht kennt. Es kommt vor, dass die zivilrechtlichen Forderungen von ProLitteris mit einer staatlichen Steuer oder mit der Abgabe für Radio und Fernsehen (Radio- und TV-Gesetz) verwechselt werden.

25

Einige Unternehmen, die ein Formular von ProLitteris ausfüllen müssen, unterschätzen das Kopierverhalten ihres Personals. Sie gehen davon aus, dass bei ihnen nichts Geschütztes kopiert wird. Doch die im Tarifverfahren massgebenden Statistiken zeigen ein anderes Bild. ProLitteris hat die Bewilligung und den Auftrag, die Vergütungspflicht durchzusetzen.[6]

26

In den letzten Jahren liessen sich Fragen klären, die im Zuge des rechtlichen Inkassos von ProLitteris vor Gericht kamen. Früher hatte sich das Bundesgericht vor allem mit den Grenzen des betrieblichen Eigengebrauchs beschäftigt (Art. 19 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 URG). Bestätigt wurden die Zulässigkeit der Arbeit von Medienbeobachtungsdiensten (BGE 133 III 473) und die Berechtigung von Dokumentenlieferdiensten, Werke und Teile aus Sammelwerken (z.B. wissenschaftlichen Journals) zu vervielfältigen und gezielt an einen zum Eigengebrauch berechtigten Kunden weiterzuleiten (BGE 140 III 616). Mit diesem Urteil wurde geklärt, dass neben dem Vervielfältigen auch das interne Verbreiten und das interne Zugänglichmachen erfasst sind, z.B. per E-Mail oder in einem Intranet.

27

In jüngerer Zeit festigte das Bundesgericht die formellen Regeln. Das Gericht klärte die Verbindlichkeit der Tarife und die Auskunftspflicht der Nutzenden. Die Konsequenz ist, dass sich das Schweigen und Verweigern nicht lohnt. Das Bundesgericht bezeichnete die Pflicht der Betriebe, ein Formular auszufüllen, als zulässige Konkretisierung der in Art. 51 URG statuierten Auskunftspflicht.[7] Ebenso bestätigte das Bundesgericht das Einschätzungsverfahren gegenüber unkooperativen Nutzern: Einschätzungen gelten nach 30-tägigem Schweigen des Nutzers als anerkannt.[8] Exemplarisch sind auch Urteile des Kantonsgerichts Luzern und des Handelsgerichts Zürich: Als vergütungspflichtige Nutzer gelten unter anderem Rechtsanwälte und Notare, d.h. Vertreter freier Berufe, wobei es keine Rolle spielt, ob ein Anwalt selbständig tätig oder angestellt ist.[9]

VI. Bevorstehende Revision der Gemeinsamen Tarife 8 und 9

28

Die beschriebene Basis der Tarife und Vergütungen ist somit gesichert. Die Grundlage für eine zeitgemässe Revision der Tarife ist gefestigt. Die GT 8 und 9 sind über rund 20 Jahre umgesetzt und erweitert worden, blieben aber im Gesamten unverändert.

29

Seit Anfang 2021 werden nun die Tarife für die Zeit ab 2023 zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzerverbänden verhandelt. Die bisherige Regelung besteht aus 7 Tariftexten mit insgesamt 100 Textseiten. Diese Regelungsfülle belastet das Masseninkasso. Inhaltliche Fragen kommen hinzu. Digitalkopien werden nach Papiermengen kalkuliert, obwohl sie gerade ein Substitut der Papierkopien sind und weit mehr geschützte Werke betreffen. Für Unternehmen differenzieren die Tarife 41 Branchen, zum Teil ohne Übereinstimmung mit der regelmässig dafür eingeholten sozialwissenschaftlichen Studie, und enthalten für jede Branche ab unterschiedlicher Stellenzahl einen Systemwechsel von KMU (Vergütung nach Stellenzahl in Stufen mit nicht nachvollziehbarer Degression) zu Grossbetrieben (Vergütung nach Anzahl Kopien). Die so notwendige Deklaration der effektiven Papierkopien ist ein aufwändiger und fehleranfälliger Vorgang. Uneinheitlich sind auch die Vergütungen von Dienstleistern wie Bibliotheken, Copyshops und Medienbeobachtungsdiensten, deren Berechtigung sich auf Art. 19 Abs. 2 URG stützt. Hier sind neben dem Bruttoertrag auch Mitarbeiterzahlen, Kopiemengen und Gerätetypen massgebend. Schliesslich kommen separate Vergütungen der Organisationen je für digitale und analoge Medienspiegel hinzu, mit detaillierten Bedingungen, Berechnungen und Meldepflichten.

30

An der Rechtmässigkeit der bisherigen Vergütungen besteht kein Zweifel. Sie wurden in der Vergangenheit mehrfach verhandelt (durch Verwertungsgesellschaften und Nutzerverbände), genehmigt (durch die Eidgenössische Schiedskommission, ESchK), zivilgerichtlich geprüft (Gerichte der Kantone und Bundesgericht) und in der Geschäftsführung beaufsichtigt (Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum, IGE).

31

Für die Zukunft aber drängen sich neue Tariftexte auf. Statt mehreren hundert Tarifseiten mit zahlreichen Tabellen und Formeln sollte ein rechtlich klarer und praktisch verständlicher Tarif von rund 12 Seiten entstehen. Grundsätzlich müssen alle Organisationen in der Schweiz und in Liechtenstein für ihre internen Nutzungen eine nachvollziehbare Vergütung pro Stelle zahlen. Die Freigrenzen für Kleinbetriebe sind zu überprüfen und nach Branchengruppen zu vereinheitlichen. Auf nach Ermessen festgesetzte Bandbreiten und Abstufungen der Betriebsgrössen und auf die Kopiemenge für Grossbetriebe lässt sich verzichten, sobald eine Vergütung pro Stelle und Branche angemessen geregelt ist.

32

Die anstehende Revision des Tariftextes und des Vergütungsmodells ist zunächst unabhängig von der Vergütungshöhe. Aus den sozialwissenschaftlichen Studien, die regelmässig eingeholt und aufdatiert werden, resultieren für die Verwaltung und die Wirtschaft tendenziell sinkende Papierkopien pro Jahr und Vollzeitstelle und eine im Vergleich viel höhere Anzahl Digitalkopien.

33

Wenn die GT 8 und 9 für die Zeit ab 2023 die Vergütungspflicht gleichmässiger, verständlicher und nachvollziehbarer regeln, so werden sie auch besser mit Art. 19 und Art. 20, Art. 46 ff. und Art. 60 URG und mit den vorliegenden statistischen Nutzungsdaten übereinstimmen. Klare Regeln werden nicht zuletzt ein erleichtertes Deklarieren und Abrechnen ermöglichen (Art. 51 Abs. 1 URG). Dazu könnten ein Onlineportal und Standarddaten wie die UID (Unternehmens-Identifikations-Nummer) verbindlich erklärt werden, weil dies die Erhebung und die Berechnung zum Vorteil aller Beteiligten vereinfacht.

34

Soweit sich Elemente des Vergütungssystems ändern, sind abweichende Vergütungen für einzelne Nutzende unvermeidlich. Eine einheitliche Vergütung pro Stelle und Jahr ist besser abgestützt. Aber sie ist im konkreten Vorher-Nachher-Vergleich nicht neutral. Denn die bisherigen Tarife enthalten sprunghafte Abstufungen und setzen für Grossunternehmen individuelle Schätzungen und Berechnungen voraus. Die Verwertungsgesellschaften gehen davon aus, dass die jährliche Vergütung pro Stelle einige Franken betragen und maximal im niedrigen zweistelligen Bereich liegen wird (also z.B. 5, 10 oder 20 Franken). Somit bleiben die Vergütungen weiterhin moderat und betragen für die meisten Betriebe weiterhin einige Dutzend oder einige Hundert Franken im Jahr, für grössere Betriebe sind es wie bisher einige Tausend und für Grosskonzerne einige Zehntausend Franken.

35

Ob wesentliche Erhöhungen im Einzelfall abgefedert werden können (z.B. vorübergehende Deckelung), ist ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen. Soweit aus Gründen der Gleichbehandlung die bisherigen Freigrenzen für bestimmte Branchen reduziert werden, resultiert eine Ausdehnung des Nutzerkreises. Dies deshalb, weil bisher kleine Betriebe bestimmter Branchen ausgenommen waren, in der Annahme, ein Inkasso für Beträge unter rund 30 Franken sei ineffizient. Bisher zahlen z.B. Notariate und Telekomunternehmen ab 1 Stelle, Personalberater ab 4, Freizeitbetriebe ab 5, Versicherungen ab 6 Stellen und Transportunternehmen ab 10 Stellen.

36

Die Verwertungsgesellschaften verhandeln jeweils mit dem Dachverband der Urheberrechts- und Nachbarrechtsnutzer (DUN), mit dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) und mit anderen Verbänden. Der von ProLitteris bis spätestens Frühling 2022 einzureichende Tarif soll ab 2023 gelten und wird vorher durch die zuständige Instanz (Eidgenössische Schiedskommission ESchK) und durch den Preisüberwacher geprüft. Wirtschaftsverbände werden im Tarifverfahren durch die genannten Dachverbände vertreten, namentlich durch den DUN und den SGV. An diese oder an ProLitteris kann sich wenden, wer Input in die Verhandlungen einbringen oder sich über den Stand orientieren möchte. Für die Beteiligung am Tarifverfahren ist die Massgeblichkeit eines Verbandes gemäss Art. 46 Abs. 2 URG ausschlaggebend.


Fussnoten:

  1. Die Genehmigung des neuen Gemeinsamen Tarifs 7 durch die Eidgenössische Schiedskommission (ESchK) steht noch aus. Eine vereinfachte Darstellung der Regeln und ein Merkblatt für schulische Nutzungen ist unter www.fair-kopieren.ch abrufbar.

  2. Die Verteilung der mit den Gemeinsamen Tarifen eingenommenen Vergütungen wird anhand von Kennzahlen auf der gemeinsamen Website der Verwertungsgesellschaften transparent gemacht, www.swisscopyright.ch.

  3. Das Bundesgericht hat diese Gegenausnahme in BGE 140 III 616 einschränkend präzisiert. Unter den Begriff des Werkexemplars im Sinne von Art. 19 Abs. 3 lit. a URG fallen demnach die Zeitung oder die Zeitschrift, die als Kopiervorlage herangezogen wird, nicht aber das einzelne darin enthalten Werk, selbst wenn dieses (d.h. der in einem Werkexemplar enthaltene Beitrag) auch einzeln angeboten werden, z.B. über ein Onlinearchiv. Entsprechend können z.B. wissenschaftliche Verlage einer Bibliothek nicht verbieten, im Rahmen des Eigengebrauchs von Bibliotheksbenutzern auf Anfrage hin einzelne Artikel aus Zeitschriften oder Sammelbänden zu vervielfältigen und dem Besteller per Post oder elektronisch zuzustellen.

  4. Zu den Auswirkungen des erweiterten Fotografienschutzes auf die Kollektivverwertung: Philip Kübler, Erweiterte Urheberrechte für Fotografien, Medialex 02/2021, 4. März 2021, https://doi.org/10.52480/ml.1.

  5. Die Kopiervergütungen der Betriebe erschienen in den folgenden Medien: SRF vom 08.01.2019 https://www.srf.ch/news/schweiz/mehrere-hundert-klagen-pro-litteris-setzt-urheberrecht-vor-gericht-durch; Limmattaler Zeitung vom 23.05.2019 https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/unternehmen-halten-prolitteris-rechnungen-fur-bettelbriefe-und-schmeissen-sie-weg-dann-werden-sie-vor-gericht-gezogen-ld.1365730; NZZ vom 24.05.2019 https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-bettelbriefe-der-pro-litteris-haben-es-in-sich-ld.1483186?reduced=true; 20min vom 15.10.2021 https://www.20min.ch/fr/story/en-voyant-la-lettre-jai-cru-a-une-arnaque-802736306712.

  6. Die Bewilligung des Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) an ProLitteris, zuletzt vom 27.09.2017 mit Geltung bis 31.12.2022, und für die anderen Verwertungsgesellschaften, sind unter www.ige.ch abrufbar. Das IGE stellt auf seiner Website weitere Auskünfte zur Verfügung.

  7. Bundesgerichtsentscheid 4A_382/2019 vom 11.12.2019,

  8. Bundesgerichtsentscheide vom 17.04.2020: Entscheid 4A_39/2020  und Entscheid 4A_41/2020, .

  9. Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 14.11.2016, abrufbar unter https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/lgve/Ajax?EnId=10554. Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 01.02.2016, abrufbar unter https://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/HG150137-O7.pdf. Zum Ganzen auch Christoph Gasser, Bundesgerichtsurteile vom 17. April 2020 zum urheberrechtlichen Massengeschäft, sic! 9|2020, 475.

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