Wäre der Fall «luca» in der Schweiz möglich?

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Zugriff auf Apps zur Erfassung von Kontaktdaten im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgungsinteresse und Quellenschutz

Jascha Schneider-Marfels, Dr. iur., Rechtsanwalt, und Sandra Schmitt, MLaw, Rechtsanwältin, Basel

Résumé: Dans le cadre de la lutte contre la pandémie de Covid-19, les restaurateurs ont utilisé diverses applis pour saisir les données de leurs clientes et clients, comme la loi les y obligeait. En Allemagne, une de ces applis, nommée «Luca», a fait l’objet de polémiques. Questions centrales: les autorités de poursuite pénale peuvent-elles utiliser ces données et que se passe-t-il lorsque des journalistes rencontrent des informateurs dans un restaurant? Est-ce que la protection des sources est garantie? Ces questions se posent en Suisse également. Les auteurs de l’analyse qui suit, Jascha Schneider et Sandra Schmitt, ne pensent pas que l’art. 246 CPP forme une base légale suffisante pour légitimer l’accès à des données si sensibles. Un travail de clarification et de réglementation est nécessaire. Concernant la protection des sources, il faut, selon eux, une interdiction de séquestration de documents pour que le secret rédactionnel ne soit pas vidé de son sens.

Zusammenfassung: Im Rahmen der Bekämpfung von COVID-19 gelangen Apps zum Einsatz, mit denen z.B. Gastronomen die Kontaktdaten ihrer Gäste erfassen. In Deutschland ist derzeit das Handy-Programm «luca“ Gegenstand der öffentlichen Debatte. Es stellt sich die Frage, ob  Strafverfolgungsbehörden so erhobene Daten einfordern dürfen und wie z.B. mit dem Quellenschutz für Medienschaffende, die sich mit Informanten in einem Restaurant treffen, umzugehen wäre. Jascha Schneider und Sandra Schmitt zweifeln, ob Art. 246 StPO als gesetzliche Grundlage ausreicht, um eine Beschaffung derart sensibler Daten zu legitimieren. Es bestehe Klärungs- und Regelungsbedarf. In Bezug auf den Quellenschutz sei von einem Beschlagnahmeverbot auszugehen, um das Redaktionsgeheimnis nicht auszuhebeln.

 I. Apps zur Erfassung von Kontaktdaten

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Im Rahmen der Bekämpfung von COVID-19 gelangen in der Schweiz diverse Apps zum Einsatz, welche z.B. Gastronomen dazu dienen, die Kontaktdaten ihrer Gäste zu erfassen, oder solche, die den Benutzer warnen, wenn er sich längere Zeit in der Nähe einer an COVID-19 erkrankten Person aufgehalten hat. Auch in Deutschland werden solche Handy-Programme eingesetzt. Im Fokus steht derzeit „luca“.

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Bei „luca“ handelt es sich um eine App, welche vom deutschen Staat mitfinanziert wurde und insbesondere in der Gastronomie bei der Erhebung der Kontaktdaten zum Einsatz gelangt.[1] Gemäss Recherchen eines deutschen Medienunternehmens hat die Polizei in Mainz bei Ermittlungen zu einem Sturz mit Todesfolge auf Daten der „luca“-App zugegriffen.[2] Vor zwei Jahren verwendete ein deutsches Gericht Sprachdaten eines Echo-Geräts („Alexa“), um einen Mann zu überführen, der seine Ex-Freundin beim Sex erwürgt hatte. Die entsprechenden Daten bzw. Aufzeichnungen hatte „Amazon“ freiwillig herausgegeben.[3]

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In der Schweiz ist ein Fall bekannt, bei welchem die Auswertung der Kontaktdaten zumindest zur Diskussion stand. Am frühen Morgen des 29. Oktober 2021 wurde eine junge Frau in Basel nach einem Clubbesuch Opfer eines Sexualdelikts.[4] Die Medien warfen in der Folge die Frage auf, ob die Staatsanwaltschaft die gestützt auf die COVID-19-Verordnung erhobenen Daten einfordern würde, um das Verbrechen aufzuklären. Eine aktuelle Anfrage der Autoren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft blieb ohne konkretes Ergebnis, ob eine solche Beweismittelerhebung in diesem Fall erfolgt ist.

II. Beschlagnahme als Eingriff in Grundrechte?

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Tatsache ist, dass insbesondere im Rahmen des Contact-Tracing zunehmend Daten gesammelt werden, welche für Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung von Verbrechen durchaus von Interesse sein könnten. Diese Thematik dürfte allgemein betrachtet im Rahmen der strafrechtlichen Beweiserhebung in einer Cloud in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Es stellt sich die Frage, ob und falls ja, unter welchen Umständen in der Schweiz ein Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörde auf solche Daten denkbar ist und wie mit allfälligen Zeugnisverweigerungsrechten wie z.B. dem Quellenschutz eines Journalisten in einer solchen Situation umzugehen wäre. Dabei muss in erster Linie zwischen digitalen Sprachaufzeichnungen („Alexa“) und blossen Kontaktdaten („luca“) unterschieden werden.

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In jedem Fall stellt die Beschlagnahmung von Daten einen Eingriff in die Grundrechte des Dateninhabers sowie jener Personen dar, über welche Daten erhoben werden. Die Daten enthalten potenziell private und geschäftliche Geheimnisse, insbesondere in Bezug auf den Aufenthaltsort. Ihre Durchsuchung dringt damit schwerwiegend in die Privatsphäre der betroffenen Personen und allfälliger Dritter ein, sodass sie besonders schonend durchzuführen ist. Dementsprechend besteht ein Bedarf nach erhöhtem Rechtsschutz.[5] Auf der anderen Seite steht das Strafverfolgungsinteresse, d.h. das Interesse des Staates bzw. der Allgemeinheit an der Aufklärung einer Straftat zwecks Durchsetzung der Rechtsordnung. Dieses öffentliche Interesse kollidiert indes u.U. mit den Bestrebungen des Staates, die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, weil das Vertrauen der Bevölkerung in solche Apps wohl schwinden dürfte, sollten die Datenbeschlagnahmung nicht sehr restriktiv erfolgen.

III. Taugt Art. 246 StPO als gesetzliche Grundlage?

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Grundsätzlich ist die Beschlagnahmung von Daten gestützt auf Art. 246 StPO zulässig, wenn die entsprechenden Voraussetzungen für Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 197 Abs. 1 StPO kumulativ erfüllt sind. Demzufolge muss eine gesetzliche Grundlage bestehen, ein hinreichender Tatverdacht vorliegen, die damit angestrebten Ziele können nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden und die Bedeutung der Straftat muss die Zwangsmassnahme rechtfertigen.[6] Zwangsmassnahmen sind auch gegen nicht beschuldigte Personen möglich (Art. 197 Abs. 2 StPO), wobei diese besonders zurückhaltend einzusetzen sind.[7]7

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Insbesondere in Bezug auf das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage ist fraglich, ob der Generaltatbestand von Art. 246 StPO als gesetzliche Grundlage ausreicht, um eine Beschaffung derart sensibler Daten zu legitimieren. Immerhin sind solche Daten vergleichbar sensibel wie Bewegungsdaten, welche sich durch eine Handy-Ortung ergeben (zu den Randdaten vgl. Art. 273 StPO[8]). Hinzukommen wohl praktische Rechtsprobleme, wie z.B. die Datenspeicherung auf einem ausländischen Server und die damit verbundene Frage des anwendbaren Rechts. Nicht ausser Acht zu lassen sind die Nutzungsbedingungen der entsprechenden Apps, welche die Weitergabe der Daten (z.B. an Behörden) durchaus regeln können. Schliesslich dürften auch technische Hindernisse bzw. die Ausgestaltung des Datenschutzes für Ermittler eine Hürde bilden: Gemäss Auskunft des BAG soll mittels der COVID-APP nicht rekonstruiert werden können, mit welcher Person man Kontakt gehabt hat.[9]

IV. Datenerhebung versus Quellenschutz

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Äusserst problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, wie mit Zeugnisverweigerungsrechten umzugehen ist, z.B. dem Quellenschutz eines Journalisten[10]. Es wäre stossend, wenn der Quellenschutz mittels der Erhebung von derartigen Daten umgangen werden dürfte, um z.B. die Identität eines dem Quellenschutz unterstehenden Informanten zu ermitteln. Denkbar wäre, dass sich Journalist und Informant in einer Kaffeebar getroffen haben, wo sie ihre Kontaktdaten angeben mussten. Alles spricht in solchen Fällen für ein Beschlagnahmeverbot (Art. 264 StPO).[11]

V. Fazit

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Es besteht somit erheblicher Klärungs- und allenfalls Regelungsbedarf. Die Rechtsklage ist nicht eindeutig und es existiert in der Schweiz aktuell, soweit bekannt, kein Präzedenzfall. Unter diesen Umständen dürften derzeit wohl derartige Daten von den Behörden nur mit äusserster Zurückhaltung eingefordert und verwendet werden – auch damit das Vertrauen der Bevölkerung in derartige Apps nicht zu sehr erschüttert wird. Aus der Sicht des Konsumentenschutzes müsste die mögliche Weitergabe von Daten an Behörden aus Transparenzgründen mindestens in den Datenschutzbedingungen erwähnt werden. In Bezug auf den Quellenschutz ist schliesslich von einem Beschlagnahmeverbot auszugehen, um das Redaktionsgeheimnis nicht auszuhebeln.


Fussnoten:

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Luca_(App), letztmals abgerufen am 24. Januar 2022, 09:32 Uhr.

  2. https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/polizei-ermittelt-ohne-rechtsgrundlage-mit-daten-aus-luca-app-100.html, letztmals abgerufen am 24. Januar 2022, 09:32 Uhr.

  3. https://t3n.de/news/alexa-aufnahmen-taeter-amazon-echo-1346525/; https://webhosting.de/totschlag-deutsches-gericht-nutzt-echo-aufnahmen-als-beweis/; https://www.spiegel.de/netzwelt/web/amazon-wenn-behoerden-nutzerdaten-verlangen-alexa-verschaff-mir-ein-alibi-a-ccb3890d-3df4-4f33-bc02-101d4400e546, alle Links letztmals abgerufen am 24. Januar 2022, 09:32 Uhr.

  4. https://www.20min.ch/story/nach-vergewaltigung-sind-fotos-und-kontaktdaten-des-taeters-bekannt-760348630413, letztmals abgerufen am 20. Januar 2022, 08:44 Uhr.

  5. Vgl. Zimmerlin, in SK, Kommentar zur Schweizerische Straffprozessordnung, N 2 ff. zu Art. 196; Keller, in SK, Kommentar zur Schweizerische Straffprozessordnung, N 2 ff. zu Art. 246.

  6. Vgl. Thormann/Brechbühl, in BSK StPO/JStPO, N 1 ff zu Art. 246; Weber in BSK StPO/JStPO, N 1 ff. zu Art. 197.

  7. Vgl. Weber in BSK StPO/JStPO, N 14 ff. zu Art. 197; BGE 141 IV 87 E. 1.3.1 S. 90; 137 IV 122 E. 3.2 S. 126 f.

  8. Vgl. Jean-Richard-dit-Bressel, in BSK StPO/JStPO, N 1 ff zu Art. 273; Urteil des BGer 1B_394/2017 vom 17. Januar 2018, E. 5.5 mit weiteren Hinweisen.

  9. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/swisscovid-app-und-contact-tracing.html#-1591033202, letztmals abgerufen am 24. Januar 2022, 09:32 Uhr.

  10. Vgl. Viktor Györffy, Quellenschutz im Strafverfahren, medialex, 6/16.

  11. Statt vieler: BGE 140 IV 108, E. 6.2.

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