Geschäftsgeheimnisse und Personendaten bleiben im Fokus

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Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2021 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)

Daniel Ladanie-Kämpfer*, MLaw, Jurist beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Bern
Annina Keller*, MLaw, Juristin beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten EDÖB, Bern

Résumé: La jurisprudence relative à la LTrans au cours de l’année écoulée n’a pas apporté de nouveaux éléments déterminants. Les tribunaux se sont majoritairement penchés sur les problématiques habituelles telles que les secrets d’affaires et les données personnelles. Ils sont restés fidèles à leur approche stricte en ce qui concerne l’application des dispositions d’exception et ont ainsi régulièrement contribué à faire prévaloir l’intérêt public à la transparence. Les tribunaux ont continué à poser des exigences élevées en ce qui concerne la revendication d’intérêts privés au maintien du secret par des tiers concernés, en particulier lorsqu’il s’agissait d’entreprises. En revanche, un arrêt du TAF relatif à la réserve de dispositions spéciales, dans lequel une loi fédérale est qualifiée de lex specialis par rapport à la LTrans, s’est une fois de plus révélé peu convaincant. Le TAF semble ainsi vouloir maintenir sa position généreuse à l’égard des éventuelles dispositions spéciales prévues à l’art. 4 LTrans.

Zusammenfassung: Die Rechtsprechung zum BGÖ im vergangenen Jahr brachte keine wegweisenden neuen Erkenntnisse. Die Gerichte befassten sich mehrheitlich mit den üblichen Problemfeldern wie Geschäftsgeheimnisse und Personendaten. Dabei blieben sie ihrer strengen Handhabung in Bezug auf die Anwendbarkeit von Ausnahmebestimmungen weitgehend treu und verhalfen damit dem öffentlichen Interesse an Transparenz regelmässig zum Durchbruch. Weiterhin hohe Anforderungen stellten die Gerichte an die Geltendmachung privater Geheimhaltungsinteressen von betroffenen Dritten, insbesondere wenn es sich dabei um Unternehmen handelte. Als insgesamt nicht überzeugend erwies sich hingegen einmal mehr ein Entscheid des BVGer zum Vorbehalt von Spezialbestimmungen, in welchem es ein Bundesgesetz insgesamt als lex specialis zum BGÖ qualifizierte. Damit scheint das BVGer seine grosszügige Haltung in Bezug auf mögliche Spezialbestimmungen nach Art. 4 BGÖ beibehalten zu wollen.

I. Einleitung

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Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick über praxisrelevante Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) und des Bundesgerichts (BGer) zum Öffentlichkeitsgesetz vom vergangenen Jahr liefern. Die Urteile werden anhand der geprüften Bestimmungen des BGÖ gruppiert und gegebenenfalls von den Autoren kurz kommentiert, weshalb einzelne Entscheide mehrmals zu besprechen sind. Vergleichsweise häufig zu klären waren Fragen zu vermeintlichen Geschäftsgeheimnissen, zu Vertraulichkeitsabreden zwischen der Verwaltung und Dritten sowie zur Offenlegung von Personendaten.

II. Persönlicher Geltungsbereich des Gesetzes (Art. 2 BGÖ)

Dokumente aus gemeinsamem Tarifgenehmigungsverfahren der Eidg. Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK): BGer 1C_333/2020 vom 22. Oktober 2021
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Zu beurteilen war der Zugang zu Gesuchsunterlagen der ESchK betreffend den «Gemeinsamen Tarif 7 (GT 7), Schulische Nutzung». Die ESchK hatte den GT 7 zuvor genehmigt. Die ESchK verweigerte den Zugang mit der Begründung, sie falle als richterliche Behörde nicht in den persönlichen Geltungsbereich des BGÖ. Nachdem der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) im Schlichtungsverfahren die Empfehlung erlassen hatte, dass die ESchK den Zugang nach den Bestimmungen des BGÖ prüfen solle, da sie als Einheit der dezentralen Bundesverwaltung in den persönlichen Geltungsbereich des BGÖ falle, erliess die ESchK eine Verfügung, in welcher sie den Zugang abermals ablehnte. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie im Rahmen der Tarifprüfung eine richterliche Tätigkeit ausübe, weshalb das Tarifgenehmigungsverfahren nicht in den sachlichen Geltungsbereich des BGÖ falle.

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In Bestätigung des vorangegangenen Entscheids des BVGer[1], hielt das BGer fest, dass nach Art. 7a Abs. 1 Bst. a der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV; SR 172.010.1) ausserparlamentarische Kommissionen ausdrücklich zur dezentralen Bundesverwaltung gehörten. In Anhang 2 seien die ausserparlamentarischen Kommissionen abschliessend aufgelistet (Art. 8 Abs. 2 RVOV), wobei die ESchK als marktorientierte ausserparlamentarische Kommission Teil dieser Liste sei und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zugeordnet werde (Anhang 2 Ziff. 2 RVOV). Hinweise, wonach die ESchK der Judikative zugeteilt sei, fänden sich hingegen nicht im Bundesrecht, insbesondere existierten keine spezialgesetzlichen Verfahrensnormen zur Einsicht, wie dies bei den richterlichen Behörden auf Bundesebene der Fall sei. Daraus ergebe sich, dass die EschK als ausserparlamentarische Kommission zur dezentralen Bundesverwaltung gehöre und damit in den persönlichen Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes gemäss Art. 2 Abs. 1 Bst. a BGÖ falle. Diese administrative Zuteilung zur Bundesverwaltung bedeute jedoch noch nicht, dass vorliegend auch der sachliche Geltungsbereich des BGÖ gegeben sei.

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Für die bundesgerichtlichen Erwägungen in Bezug auf die Frage des sachlichen Geltungsbereichs wird auf nachfolgende Ziffer 2 verwiesen.

III. Sachlicher Geltungsbereich des Gesetzes (Art. 3 BGÖ)

Dokumente aus gemeinsamem Tarifgenehmigungsverfahren der ESchK:
BGer 1C_333/2020 vom 22. Oktober 2021
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Im soeben erwähnten Urteil betreffend den Zugang zu den Gesuchsunterlagen zum Tarifgenehmigungsverfahren durch die ESchK zum «Gemeinsamen Tarif 7 (GT 7), Schulische Nutzung» war weiter die Frage zu beantworten, ob die ESchK im Tarifgenehmigungsverfahren eine Rechtsprechungsfunktion wahrnimmt und damit vom sachlichen Geltungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Bst. a BGÖ ausgenommen ist.

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Gemäss BGer geht es im Tarifgenehmigungsverfahren um einen der Rechtssicherheit dienenden, sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Werkschaffenden und anderen Schutzberechtigten. Das Verfahren sei auf eine möglichst einvernehmliche Aushandlung von Tarifen zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Nutzerverbänden ausgerichtet und solle sowohl den Nutzerinnen und Nutzern als auch den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern Schutz vor Missbräuchen der monopolartigen Stellung der Verwertungsgesellschaften bieten. Die vorliegend interessierenden Dokumente stammten aus einem konkreten Tarifgenehmigungsverfahren, in welchem der Schiedskommission ein Einigungstarif vorgelegt und keine Drittanträge gestellt worden seien. Weiter sei weder eine Sitzung noch eine Anhörung der Parteien durchgeführt und die Behandlung des Antrages um Genehmigung des Tarifs auf dem Zirkulationsweg erledigt worden. Da sich die beiden Parteien bereits vorgängig auf einen Tarif geeinigt hätten, habe die Schiedskommission im vorliegenden Tarifgenehmigungsverfahren keine Streitentscheidungsfunktion, sondern vielmehr eine reine Genehmigungsfunktion wahrgenommen. Im Ergebnis habe die ESchK in diesem konkreten Tarifgenehmigungsverfahren betreffend den Gemeinsamen Tarif GT 7 keine Rechtsprechungsfunktion innegehabt. Als erstinstanzliches Verwaltungsverfahren unterliege das vorliegend betroffene Tarifgenehmigungsverfahren somit dem sachlichen Geltungsbereich des BGÖ.

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Kommentar: Im Unterschied zum vorangegangenen Urteil des BVGer leitet das Urteil des BGer die Unterstellung der ESchK und ihres Tarifgenehmigungsverfahrens unter den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des BGÖ rechtlich sauber und getrennt voneinander her. Damit bringt der Entscheid zwar einige Klarheit, lässt jedoch bedauerlicherweise offen, wie es sich mit der Funktion der ESchK und deren Unterstellung unter das BGÖ in einem Tarifgenehmigungsverfahren verhielte, in welchem sich die Parteien nicht vorgängig auf einen Tarif einigen konnten oder in welchem Drittanträge gestellt werden.

 

IV. Zeitlicher Geltungsbereich des Gesetzes (Art. 23 BGÖ)

Liste aller bei der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (SERV) beantragten und bewilligten Projekte der Firma «Crypto AG» bzw. «Crypto International AG»: BVGer A-4494/2020 vom 20. April 2021
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Eine Journalistin hatte die SERV um Zugang zu einer Liste aller bei ihr beantragten und bewilligten Projekte der Firma «Crypto AG» für den Zeitraum 2007 bis und mit 2018 sowie den entsprechenden Daten ihrer Vorgängerin, der Exportrisikogarantie (ERG), ersucht. Weiter wünschte sie eine Liste gleichen Inhalts für die Firma «Crypto International AG» für den Zeitraum ab 2018. Die SERV verweigerte den Zugang zu diesen beiden Listen nach Anhörung der betroffenen Firmen vollständig. Nach erfolglosem Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB empfahl dieser mangels rechtsgenüglicher Substantiierung der Anwendbarkeit von Ausnahmebestimmungen die Offenlegung der beiden verlangten Listen. In der daraufhin von den beiden betroffenen Firmen verlangten Verfügung lehnte die SERV den Zugang zu den beiden Listen ab. In Bezug auf Daten aus der Zeit vor 2006 lehnte sie den Zugang gestützt auf den fehlenden zeitlichen Geltungsbereich des BGÖ ab. Im Hinblick auf die Dokumente, welche nach 2006 erstellt oder aktualisiert worden waren, verfügte sie eine vollständige Zugangsverweigerung gestützt auf verschiedene Ausnahmebestimmungen. Gegen diese Verfügung erhob die Journalistin Beschwerde vor dem BVGer.

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Das BVGer bestätigte in seinem Urteil, dass die Liste mit den Daten der ERG nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich des BGÖ fällt. Soweit diese Liste einzig im Hinblick auf den Schlichtungsversuch vor dem EDÖB erstellt worden sei, könne diese nicht als ein Dokument betrachtet werden, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes fertiggestellt worden sei. Dies würde dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widersprechen, den zeitlichen Geltungsbereich des BGÖ einzuschränken. Die durch die Vorinstanz unter Hinweis auf Art. 23 BGÖ verfügte Zugangsverweigerung sei somit rechtmässig.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor dem BGer hängig.

V. Spezialbestimmungen anderer Bundesgesetze (Art. 4 BGÖ)

Sicherheitstechnische Dokumente betreffend das Kernkraftwerk Beznau:
BVGer A-5133/2019 vom 24. November 2021
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Strittig war die Frage des Zugangs zu Dokumenten des ENSI über die Betriebssicherheit eines Reaktordruckbehälters des Kernkraftwerks Beznau. Mit Blick auf Art. 4 BGÖ machten das ENSI und die Betreiberin des betroffenen Kernkraftwerks geltend, dass ein grosser Teil der Dokumente mit einer Exportkontrollnummer versehen sei und deshalb unter die Güterkontrollgesetzgebung[2] falle, welche sie zur Geheimhaltung verpflichten würde. Es handle sich bei der Güterkontrollgesetzgebung um eine Spezialgesetzgebung, weshalb die entsprechenden Dokumente nicht in den Anwendungsbereich des BGÖ fielen.

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Das BVGer stimmte dieser Auffassung zu. Das Güterkontrollgesetz bezwecke die Verhinderung einer unkontrollierten oder ungewollten Verbreitung von doppelt verwendbaren Gütern, besonderen militärischen sowie strategischen Gütern[3]. Die vom Zugangsgesuch betroffenen und mit einer Exportkontrollnummer versehenen Dokumente und die darin enthaltenen Informationen stellten «Güter» im Sinne des Güterkontrollgesetzes dar. Die Gewährung des Zugangs würde deren unkontrollierte Verbreitung unter nicht weiter überblickbaren Personenkreisen bedeuten und damit einer «Ausfuhr» im Sinne des Gesetzes entsprechen. Damit habe die Vorinstanz nachvollziehbar begründet, dass den enthaltenen Informationen ein Geheimhaltungscharakter zukomme und diese infolge der vergebenen Exportkontrollnummern aufgrund des Güterkontrollgesetzes als lex specialis vor dem unbeschränkten Zugang zu schützen seien, selbst wenn das Güterkontrollgesetz keine expliziten Geheimhaltungsvorbehalte nenne. Allerdings stehe fest, dass durch eine gesetzliche Spezialbestimmung nicht das BGÖ an sich der Anwendung entzogen werde, sondern dass die spezielle Regelung den allgemeinen Bestimmungen des BGÖ einzig in ihrem eingegrenzten Wirkungsbereich vorgehen würde. Der Gedanke der grundsätzlichen Zugänglichkeit von amtlichen Dokumenten bleibe folglich auch angesichts spezialgesetzlicher Bestimmungen bestehen.

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Im Ergebnis hob das BVGer die Verfügung des ENSI aber wegen Verletzung der Begründungspflicht auf und wies die Sache zum erneuten Entscheid an die Behörde zurück (vgl. unten bei Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ).

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Kommentar: Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Argumentation des BVGer hinsichtlich des Güterkontrollgesetzes als lex spezialis zum BGÖ nicht gefolgt werden. Art. 4 BGÖ sieht vor, dass spezielle Bestimmungen anderer Bundesgesetze dem BGÖ vorgehen, soweit sie bestimmte Informationen als geheim bezeichnen (besondere Geheimhaltungsbestimmungen, Bst. a) oder vom BGÖ abweichende Voraussetzungen für den Zugang zu bestimmten Informationen vorsehen (besondere Zugangsvorschriften, Bst. b). Beides ist im vorliegend zur Diskussion stehenden Güterkontrollgesetz nicht der Fall, wie das BVGer selbst festhält. Weder enthält das Gesetz eine besondere Geheimhaltungsbestimmung noch eine besondere, vom BGÖ abweichende Zugangsvorschrift, und ebenso wenig kann eine solche aus den Vorschriften abgeleitet werden. Überdies verfolgen die beiden Gesetze unterschiedliche Zielsetzungen. Mit den im Güterkontrollgesetz vorgesehenen Kontrollmassnahmen (namentlich Bewilligungs- und Meldepflichten) soll die unkontrollierte Verbreitung von heiklen Gütern verhindert werden. Das BGÖ hingegen bezweckt die Schaffung von Transparenz über die Tätigkeit der Verwaltung mittels Zugang zu amtlichen Informationen. Das Güterkontrollgesetz, welches wie erwähnt keine spezifische Informationsregelung enthält, integral als Spezialbestimmung zum BGÖ zu bezeichnen, lässt sich nicht mit den Vorgaben von Art. 4 BGÖ sowie dem Sinn und Zweck des BGÖ insgesamt vereinbaren. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass die in den Dokumenten enthaltenen Informationen, welche vom Güterkontrollgesetz erfasst werden, uneingeschränkt zugänglich sind. Vielmehr sind die aus dem Gesetz und den internationalen Verpflichtungen folgenden berechtigten Geheimhaltungsinteressen im Rahmen der Ausnahmebestimmungen des BGÖ zu berücksichtigen.

 

VI. Amtliches Dokument (Art. 5 BGÖ)

Rechtsgutachten für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (STENFO) über die Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin oder deren Eigentümer: BVGer A-1096/2020 vom 19. Januar 2021
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Ein Journalist hatte beim Bundesamt für Energie (BFE) den Zugang zu einem Rechtsgutachten mit dem Titel «Risikobeurteilung der Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin oder deren Eigentümer für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds» verlangt. Nach Durchführung einer Anhörung bei den betroffenen Kraftwerksbetreiberinnen lehnte der vom BFE für zuständig erklärte STENFO das Gesuch u.a. unter Verweis auf darin enthaltene Geschäftsgeheimnisse vollumfänglich ab. Im daraufhin vom Gesuchsteller beantragten Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB kam dieser in seiner Empfehlung zum Schluss, dass am verlangten Dokument ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe, weshalb es vollumfänglich zugänglich zu machen sei. Mit darauffolgender Verfügung sah der STENFO die Gewährung des Zugangs zum verlangten Dokument unter Einschwärzung von Geschäftsgeheimnissen vor, wies hingegen das Eventualbegehren der gesuchsgegnerischen Kernkraftwerkbetreiberinnen um Berichtigung des Dokuments ab.

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Gegen diese Verfügung erhoben insgesamt acht Kraftwerksbetreiberinnen Beschwerde vor dem BVGer und beantragten die Verweigerung des Zugangs zum verlangten Rechtsgutachten. Unter Anderem behaupteten die Beschwerdeführerinnen, dass es sich beim streitgegenständlichen Dokument nicht um ein amtliches Dokument im Sinne des Gesetzes handle, da dessen amtlicher Charakter nicht gegeben sei. Dies deshalb, weil der STENFO unrechtmässig an die im Rechtsgutachten verwendeten Informationen gelangt sei.

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Das BVGer widersprach dieser Auffassung und stellte klar, dass die gesetzliche Definition des amtlichen Dokuments nicht zwischen recht- und unrechtmässig erlangten Informationen unterscheide. Relevant sei einzig, ob sich das Dokument im Besitz einer Behörde befinde. Dabei würden auch private Dokumente vom Anwendungsbereich des BGÖ erfasst, sofern sie für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe nötig seien. Auch dass es sich bei der Erstellung des Rechtsgutachtens um eine öffentliche Aufgabe des STENFO handle, leitete das BVGer unter Hinweis auf dessen gesetzliche Aufgaben ohne Weiteres her.

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Kommentar: Die klare Haltung des BVGer hinsichtlich der Frage über das recht- oder unrechtmässige Verfügen von Informationen der Verwaltung ist zu begrüssen. Sie erweist sich auch mit Blick auf den Umstand als gerechtfertigt, dass im Rahmen der Prüfung über das Vorliegen eines amtlichen Dokuments im Sinne des Gesetzes rechtlich ebenfalls unerheblich bleiben muss, ob der konkrete Dokumenteninhalt korrekt ist oder nicht. Einzige Ausnahme bildet hier der datenschutzrechtliche Berichtigungsanspruch im Falle von nachweislich falschen Personendaten (Art. 25bis des Bundesgesetzes über den Datenschutz [DSG, SR 235.1]).

 

VII. Aussenpolitische Interessen und internationalen Beziehungen der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ)

Liste aller bei der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (SERV) beantragten und bewilligten Projekte der Firma «Crypto AG» bzw. «Crypto International AG»:
BVGer A-4494/2020 vom 20. April 2021
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Im bereits erwähnten Urteil betreffend Listen der beantragten und bewilligten Projekte bei der SERV war u.a. zu prüfen, ob die Offenlegung der verlangten Listen eine Beeinträchtigung der aussenpolitischen Interessen und der internationalen Beziehungen der Schweiz zur Folge haben könnte.

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Das BVGer erwog, dass es weder den internationalen Gepflogenheiten noch der Staatenpraxis entspreche, mit Geheimhaltungsinteressen anderer Staaten behaftete Informationen öffentlich zugänglich zu machen. Die Offenlegung von Informationen über von Drittstaaten erworbene Verschlüsselungstechnik für abhörsichere Kommunikation könne demnach zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führen. Konkret sei die Information, welcher Staat zu welchem Zeitpunkt und Auftragsvolumen Verschlüsselungstechnologie von welchem konkreten Anbieter erworben habe, nicht mit den bereits öffentlich verfügbaren Information des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zur Erteilung von Exportbewilligungen zu vergleichen. Letztere enthielten keine Angaben zu den Anbietern und erlaubten auch keine Rückschlüsse darauf, wann der Erwerb einer neuen Produktversion oder der Aktualisierung bereits vorhandener Technologie gegolten habe.

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Es sei damit zu rechnen, dass die aus den Listen konkret hervorgehenden fünf Empfängerländer aufgrund von Geheimhaltungsinteressen kein Verständnis dafür haben würden, wenn die Schweiz Informationen über die von ihnen erworbene Verschlüsselungstechnik für abhörsichere Kommunikation an eine Journalistin weitergäbe. Aufgrund der bereits erfolgten Demarchen sei davon auszugehen, dass eine Veröffentlichung als unfreundlicher Akt der Schweiz gegenüber den fünf Empfängerländern verstanden werden könnte und geeignet wäre, auf diplomatischer Ebene Verstimmungen auszulösen. Die entsprechende Ausnahmebestimmung sei demnach zu Recht angerufen worden. Auch ein milderes Mittel, etwa die Anonymisierung oder teilweise Einschwärzung der Liste, falle mit Blick auf die Geheimhaltungsinteressen der Empfängerstaaten ausser Betracht.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor dem BGer hängig.

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Kommentar: Da sich die eidgenössischen Gerichte bei der Überprüfung von Entscheiden mit vorwiegend aussenpolitischer Komponente selbst eine gewisse Zurückhaltung bei deren rechtlicher Überprüfung auferlegen, bleibt abzuwarten, ob das BGer der Einschätzung des BVGer folgen wird. Nach der hier vertretenen Auffassung erweist sich die Haltung des BVGer in vorliegendem Fall insgesamt jedenfalls als sachlich nachvollziehbar und überzeugend.

 

VIII. Dokumente mit Berufs- oder Geschäftsgeheimnissen (Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ)

a) Rechtsgutachten für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (STENFO) über die Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin oder deren Eigentümer: BVGer A-1096/2020 vom 19. Januar 2021
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Im bereits erwähnten Urteil zum STENFO verlangten die Beschwerdeführerinnen eine über die vom STENFO verfügten Einschwärzungen hinausgehende integrale Zugangsverweigerung zum streitgegenständlichen Rechtsgutachten mit Verweis auf darin enthaltene Geschäftsgeheimnisse der Kraftwerksbetreiberinnen.

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Das BVGer gelangte zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerinnen nicht rechtsgenüglich aufzuzeigen vermochten, inwiefern über die bereits vorgenommenen Schwärzungen hinausgehend objektiv berechtigte Geheimhaltungsinteressen bestünden, welche das gewichtige öffentliche Interesse an der transparenten Rechenschaft ihrer Tätigkeit zu überwiegen vermöchten. Das besondere Gewicht des öffentlichen Einsichtsinteresses leitete das BVGer mitunter daraus ab, dass es sich bei den Kraftwerksbetreiberinnen nicht um «normale» Private handle, sondern um Trägerinnen öffentlicher Aufgaben. Diese Aufgaben seien in mehrfacher Hinsicht bewilligungspflichtig, weshalb sie diese nicht primär gestützt auf den grundrechtlich geschützten Bereich der Wirtschaftsfreiheit ausübten, sondern sich ihre Rechtsstellung vielmehr aus dem gesetzlich geregelten Verwaltungsrechtsverhältnis ableite. Dementsprechend schützte das BVGer die verfügte Offenlegung des Rechtsgutachtens mit den vorgesehenen Einschwärzungen.

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Weiter waren die Beschwerdeführerinnen der Auffassung, der Zugang zu dem von einer externen Anwaltskanzlei verfassten Rechtsgutachten sei auch unter dem Gesichtspunkt des anwaltlichen Berufsgeheimnisses zu verweigern, da der Schutz des Berufsgeheimnisses dem Zugangsanspruch nach BGÖ vorgehe.

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Dieser Haltung widersprach das BVGer ebenfalls, indem es festhielt, dass das Anwaltsgeheimnis in sachlicher Hinsicht allein die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Klientin und Anwalt schütze. Mitteilungen, welche ein Anwalt namens und im Auftrag seiner Klientschaft an einen Dritten (Gericht, Behörde, Gegenpartei etc.) mache, dürfe der Dritte im gleichen Umfang verwenden, wie wenn sie ihm vom Klienten direkt erteilt worden wären. Derart mitgeteilte Informationen unterstünden gerade nicht dem Anwaltsgeheimnis. Dieses sei vielmehr auf Fälle anwendbar, in denen ein Berufsgeheimnisträger durch gesetzlichen oder behördlichen Zwang veranlasst werde, der Behörde eine dem Berufsgeheimnis unterliegende Information mitzuteilen. Das Anwaltsgeheimnis stehe demnach einer Zugangsgewährung vorliegend nicht entgegen.

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Kommentar: Zwar sind die Erwägungen des BVGer zum Gewicht des öffentlichen Einsichtsinteresses durchaus nachvollziehbar und überzeugend, doch deuten sie zumindest an, dass es sich veranlasst sah, mit Blick auf die Frage über das Vorhandensein von Geschäftsgeheimnissen eine Interessenabwägung vorzunehmen, wo nach der gesetzlichen Konzeption des BGÖ lediglich eine Schadensrisikoprüfung angezeigt gewesen wäre. Unabhängig vom konkreten öffentlichen Einsichtsinteresse hätte demnach alleine die nicht rechtsgenügliche Substantiierung der Behauptung angeblich im Dokument vorhandener Geschäftsgeheimnisse bereits ausgereicht, um für eine Zugangsgewährung zu entscheiden.

b) Abschlussbericht der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zur Überprüfung der Sicherheit von Wickelkommoden nach dem Produktesicherheitsgesetz: BVGer A-2734/2020 vom 2. August 2021
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In seinem Urteil 1C_299/2019 vom 7. April 2020 hatte sich das BGer bereits mit der Frage allfälliger spezialgesetzlicher Transparenzregeln zu befassen[4], welche einem Zugang zum Abschlussbericht der bfu entgegenstehen könnten. Entgegen dem vorinstanzlichen Urteil des BVGer A-5623/2017 vom 2. Mai 2019 verneinte es dies und wies die Sache zum neuen Entscheid an das BVGer zurück. Im neuerlichen Entscheid des BVGer war nun noch die Frage zu klären, ob die Verweigerung des Zugangs zu den im Bericht eingeschwärzten Informationen betreffend risikobehafteter Wickelkommoden u.a. auf die Ausnahmebestimmung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abgestützt werden kann.

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Das BVGer gelangte zum Schluss, dass es sich bei den Produktbezeichnungen und Produktbildern der mangelhaften Wickelkommoden nicht um Geschäftsgeheimnisse im Sinne der Ausnahmebestimmung handle. Die im Bericht festgestellten Mängel seien bereits offengelegt worden. Der mögliche Rückschluss auf einzelne Beschwerdegegnerinnen als deren Inverkehrbringer vermöge für sich allein nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs zu führen. Vielmehr gründe ein allfälliger Umsatzrückgang auf den Mängeln der Wickelkommoden selbst. Zwar könnten die geltend gemachten drohenden Schäden für die Inverkehrbringer der mangelhaften Wickelkommoden unangenehm sein, doch seien sie nicht als Beeinträchtigung im Sinne der Ausnahmebestimmung anzusehen, weshalb diese nicht zur Anwendung gelange.

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Kommentar: Bei den durch die bfu festgestellten Mängeln der betroffenen Wickelkommoden handelt es sich um Informationen, welche von aussen (durch das Vollzugsorgan) erkannt und festgehalten wurden. Mit Blick auf das Erfordernis des objektiv berechtigten Geheimhaltungsinteresses des Geheimnisherrn wäre es nach der hier vertretenen Auffassung nicht begründbar, diese Informationen als geschäftsinterne Geheimnisse zu qualifizieren und diese unter den Schutz der Ausnahmebestimmung zu stellen. Vereinfacht gesagt, können von aussen festgestellte Qualitätsmängel eines sich auf dem Markt erhältlichen Produktes nicht als objektiv schützenswerte Geschäftsgeheimnisse qualifiziert werden. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil zu begrüssen.

c) Sicherheitstechnische Dokumente betreffend das Kernkraftwerk Beznau:
BVGer A-5133/2019 vom 24. November 2021
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Mit Urteil A-1432/2016 vom 5. April 2017[5] hatte das BVGer eine Verfügung des ENSI betreffend eine teilweise Zugangsverweigerung zu Dokumenten im Umfang von knapp 1000 Seiten über die Betriebssicherheit eines Reaktordruckbehälters des Kernkraftwerks Beznau aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurückgewiesen. Unter anderem hatte das BVGer das ENSI angewiesen, für jede Textpassage, für welche es den Zugang einzuschränken oder zu verweigern beabsichtigte, darzulegen, weshalb es einen Ausnahmetatbestand als erfüllt ansah.

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Im Nachgang zu diesem Urteil hörte das ENSI die betroffene Kernkraftwerksbetreiberin an und verfügte anschliessend erneut. Es verweigerte den Zugang einerseits zu Dokumenten, die güterkontrollrechtlich relevant und mit einer Exportkontrollnummer gekennzeichnet waren, und andererseits zu Dokumenten mit Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnissen sowie Personendaten.

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Gegen diese Verfügung erhob die Gesuchstellerin abermals Beschwerde vor BVGer. Sie rügte insbesondere, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, indem das ENSI den verbindlichen Anweisungen des BVGer, eine Begründung zur Verweigerung des Zugangs zu den einzelnen Textpassagen abzugeben, nicht gefolgt sei und sich wiederum auf eine pauschale Begründung beschränkt habe.

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Dieser Haltung ist das BVGer im Wesentlichen gefolgt. Mit dem durch die Vorinstanz gewählten Vorgehen seien die Anordnungen des BVGer nicht erfüllt worden. Indem die Vorinstanz die Verweigerung des Zugangs im erneuten Entscheid einzig durch die Berufung auf güterkontrollrechtliche Bestimmungen (vgl. oben zu Art. 4 BGÖ) und eine einzige, inhaltlich pauschal und sehr weit gefasste Kategorie begründen wolle, habe sie ihre Begründungspflicht verletzt. In Unkenntnis der verschiedenen Arten von Fabrikations- und Geschäftsgeheimnissen sei es der Gesuchstellerin nicht möglich gewesen, den Entscheid in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterzuziehen.

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Im Ergebnis hob das BVGer die angefochtene Verfügung aufgrund des formellen Mangels abermals auf und wies die Sache erneut zum Entscheid an das ENSI zurück.

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Kommentar: Es ist bemerkenswert, dass eine Behörde im selben Zugangsverfahren vom BVGer zwei Mal wegen Verletzung der Begründungspflicht und damit des rechtlichen Gehörs, einer verfassungsmässigen Verfahrensgarantie, gerügt wird. Besonders stossend ist eine solche wiederholte Verletzung der Begründungspflicht auch deshalb, weil dadurch das Zugangsverfahren unnötigerweise in die Länge gezogen wurde und die verlangten Informationen währenddessen bedeutend an Aktualität eingebüsst haben. So datiert das Zugangsgesuch in diesem konkreten Fall aus dem Jahr 2015.

IX. Vertraulichkeitszusicherungen (Art. 7 Abs. 1 Bst.h BGÖ)

a) Dokumente betreffend einen unberechtigten Zugriff auf Kundendaten bei Swisscom: BGer 1C_500/2020 vom 11. März 2021
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Dieser Fall betraf ein Zugangsgesuch beim EDÖB zu Dokumenten im Zusammenhang mit einem unberechtigten Zugriff auf Kundendaten bei Swisscom. Der EDÖB hatte entschieden, einen teilweisen Zugang zu gewähren, wogegen sich die Swisscom als betroffene Dritte vor BVGer wehrte. Sie argumentierte u.a. damit, dass ihr der EDÖB im Rahmen seiner Beratungstätigkeit eine Vertraulichkeitszusicherung im Sinne der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ abgegeben habe.

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Mit Urteil A-2564/2018 vom 5. August 2020[6] hatte das BVGer die Beschwerde in diesem Punkt abgewiesen. Dagegen erhob die Swisscom Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor BGer und berief sich wiederum auf Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ sowie auf den Grundsatz von Treu und Glauben nach Art. 9 der Bundesverfassung (BV; SR 101).

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Im bundesgerichtlichen Verfahren war nunmehr unbestritten, dass die Informationen von einer Privatperson im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Beratungstätigkeit freiwillig an den EDÖB übermittelt wurden. Strittig blieb einzig die Frage, ob der EDÖB deren Geheimhaltung im Sinne der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ zugesichert hatte.

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Beide Parteien waren sich einig, dass der EDÖB mündlich eine vertrauliche Behandlung der übermittelten Informationen zugesichert hatte. Der EDÖB stellte sich im gesamten Verfahren jedoch auf den Standpunkt, er habe sich damit lediglich auf sein Amtsgeheimnis berufen, das seit dem Inkrafttreten des BGÖ nur in Bezug auf solche Informationen gelte, die aufgrund von Ausnahmebestimmungen nicht zugänglich seien. Die Swisscom hingegen war der Ansicht, dass die Zusicherung des EDÖB, sein Amtsgeheimnis zu wahren, eine Vertraulichkeitszusicherung im Sinne des BGÖ darstelle. Da das Amtsgeheimnis von Gesetzes wegen (ohne Notwendigkeit einer zusätzlichen Zusicherung) bestehe, könne es sich bei der Zusicherung der Vertraulichkeit durch den EDÖB nur um eine Geheimhaltungszusicherung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ handeln.

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Eine solche Ausnahme liegt gemäss Auffassung des BGer im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Das Gericht betonte, dass eine derartige Auslegung nicht nur dem Zweck und der Bedeutung des BGÖ, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde. Während das Amtsgeheimnis von Gesetzes wegen bestehe und seine Aufhebung die Ausnahme darstelle, müsse die Geheimhaltungszusicherung im Sinne des BGÖ im Gegenteil von Fall zu Fall und in Abweichung vom Grundsatz der Öffentlichkeit gewährt werden. Wenn die Verwaltung systematisch Geheimhaltungszusicherungen erteilen könnte, würde sie sich letztlich ihrer Pflicht entziehen, der Öffentlichkeit Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen und damit das BGÖ seiner Substanz berauben. Auch könne aus dem Vorhandensein einzelner Hinweise in der Korrespondenz zwischen der Swisscom und dem EDÖB über den vertraulichen Charakter der ausgetauschten Informationen nicht auf eine stillschweigende Zusicherung der Geheimhaltung geschlossen werden. Schliesslich läge auch kein schriftlicher Nachweis einer Geheimhaltungszusicherung vor. Zwar sehe der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Bst. h BGÖ keine bestimmte Form dafür vor. Aus Beweisgründen empfehle sich jedoch die schriftliche Form, was den zuständigen Personen bei der Swisscom hätte bewusst sein müssen. Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben könne die Swisscom nichts zu ihren Gunsten ableiten, da nicht dargetan sei, welcher Schaden dem Unternehmen durch die Gewährung des Zugangs entstehen würde.

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Im Ergebnis bestätigte das BGer das vorinstanzliche Urteil und gelangte zum Schluss, dass der EDÖB der Swisscom keine Vertraulichkeit zugesichert hat, die einen Zugang gemäss Öffentlichkeitsgesetz ausschliessen würde.

b) Abschlussbericht der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zur Überprüfung der Sicherheit von Wickelkommoden nach dem Produktesicherheitsgesetz: BVGer A-2734/2020 vom 2. August 2021
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Im bereits erwähnten Urteil betreffend die Offenlegung des Abschlussberichts zu den überprüften Wickelkommoden durch die bfu stellte sich eine der Inverkehrbringerinnen auf den Standpunkt, ihr sei in Bezug auf die Informationen zu ihrem Produkt seitens der bfu die Geheimhaltung zugesichert worden. Die bfu ihrerseits wies darauf hin, dass trotz der Mitwirkungs- und Auskunftspflicht gemäss Art. 11 des Produktesicherheitsgesetzes (PrSG) ein erheblich grösserer Verwaltungsaufwand bei nicht kooperativen Inverkehrbringern zu bedenken sei, welcher sich durch eine vertrauliche Behandlung der herausgegebenen Unterlagen vermeiden liesse.

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Das BVGer hielt fest, dass der Zugang zu einem amtlichen Dokument grundsätzlich nicht vom Willen eines Dritten abhängen dürfe. Vorliegend sei das Kriterium der freiwilligen Mitteilung nicht gegeben.

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Zunächst treffe alle Inverkehrbringer eine Meldepflicht gegenüber dem zuständigen Vollzugsorgan, bei Verdacht auf eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit bei Verwendung eines ihrer Produkte. Weiter müsse jeder Inverkehrbringer den Nachweis der Erfüllung der Anforderungen nach dem Produktesicherheitsgesetz und die dafür erforderlichen technischen Unterlagen sowie die Konformitätserklärung beibringen können. Die Inverkehrbringer treffe somit eine Mitwirkungs- und Auskunftspflicht, welche eine unentgeltliche Erteilung aller erforderlichen Auskünfte sowie die Herausgabe der erforderlichen Nachweise und Unterlagen umfasse. Diese Mitwirkungs- und Informationspflicht schliesse eine Anwendung der Ausnahmebestimmung zum Schutz von Vertraulichkeitszusicherungen für freiwillig erteilte Informationen aus. Ebenso wenig rechtfertige ein von der bfu vorgebrachter erhöhter Verwaltungsaufwand aufgrund eines potenziell rechtswidrigen Verhaltens der meldepflichtigen Unternehmen eine Zugangsbeschränkung. Ein solches Verhalten sei weder zu erwarten noch verdiene es rechtlichen Schutz.

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Kommentar: Mit diesen beiden Urteilen bestätigen und schärfen die beiden Bundesgerichte die bereits in vorangegangenen Jahren entwickelte Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung betreffend die Zusicherung der Geheimhaltung für von Dritten der Behörde freiwillig mitgeteilte Informationen. Aus dieser mehrfach bestätigten Rechtsprechung kann ganz grundsätzlich abgeleitet werden, dass die Zusicherung der Geheimhaltung in Bereichen, in denen beaufsichtigte Dritte Informations- und Mitwirkungspflichten gegenüber ihrer gesetzlichen Aufsichtsbehörde haben, nicht zum Tragen kommt. Und selbst bei freiwillig übermittelten Informationen ist die Ausnahmebestimmung nur in Einzelfällen und in der Regel nur mit schriftlichem Nachweis denkbar. Auch eine stillschweigend abgegebene Geheimhaltungszusicherung scheint vor diesem Hintergrund kaum möglich zu sein.

 

X. Dokumente mit Personendaten / Anhörung betroffener Dritter (Art. 7 Abs. 2, Art. 9, Art. 11 BGÖ und Art. 19 Abs. 1bis DSG)

a) Rechtsgutachten für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (STENFO) über die Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin oder deren Eigentümer: BVGer A-1096/2020 vom 19. Januar 2021

48

Im bereits erwähnten Urteil zum STENFO vertraten die Beschwerdeführerinnen die Haltung, die Ausführungen im Rechtsgutachten enthielten besonders sensible Personendaten, sowie diverse falsche, ungenaue oder unvollständige Tatsachendarstellungen wie auch unzutreffende Schlussfolgerungen. Das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Berichtigung unrichtiger Personendaten sei absoluter und uneingeschränkter Natur und es bestehe sodann kein öffentliches Interesse am Zugang zu falschen Personendaten.

49

Dazu hielt das BVGer fest, dass das streitgegenständliche Rechtsgutachten einerseits Personendaten der Beschwerdeführerinnen (Kraftwerksbetreiberinnen) und andererseits Personendaten der Verfasser des Dokuments enthalte. Da es für deren Bekanntgabe keine explizite Rechtsgrundlage zu geben scheine, sei eine Bekanntgabe gestützt auf Art. 19 Abs. 1bis DSG zu prüfen. Dabei ergebe sich das Erfordernis des Bezuges zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe bereits aus der Definition des amtlichen Dokuments. Zudem bestehe an der Bekanntgabe der betroffenen Personendaten ein überwiegendes öffentliches Interesse. Ein solches resultiere in Bezug auf die Personendaten der Beschwerdeführerinnen bereits aufgrund ihrer besonderen Stellung mit Blick auf die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben, welche per se im öffentlichen Interesse seien. Für die Bekanntgabe der Personendaten der Verfasser des Gutachtens verwies das BVGer auf die gängige Praxis, wonach sich Ersteller von Gutachten im Auftrag der Verwaltung bereits aus Gründen der Überprüfbarkeit von Interessenbindungen sowie ihrer fachlichen Qualifikationen und Erfahrungen gefallen lassen müssten, dass ihre Personendaten bekanntgegeben würden. Dementsprechend sei der Zugang zum nachgesuchten Dokument nicht über die angefochtene Verfügung hinaus einzuschränken und zusätzliche Schwärzungen und Löschungen seien abzuweisen.

50

Weiter brachten die Beschwerdeführerinnen vor, dass der Abschnitt des Rechtsgutachtens betreffend die Rechtsfolgen eines spezifischen Insolvenzfalles in gewissen Passagen unzutreffende Ausführungen enthalte und teilweise auf Informationen basiere, die nicht öffentlich bekannt seien, weshalb diese Textstellen zu schwärzen oder eventualiter zu streichen bzw. zu berichtigen seien.

51

Hinsichtlich eines datenschutzrechtlichen Berichtigungsanspruches von Textstellen hielt das BVGer fest, dass es sich beim Rechtsgutachten in weiten Teilen um ein Werturteil bzw. eine streitbare Meinungsäusserung handle. Vor diesem Hintergrund falle eine umfassende inhaltliche Überprüfung der im Rechtsgutachten getroffenen Aussagen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ausser Betracht.

52

Kommentar: Die relativ strenge Praxis des BVGer im Hinblick auf den datenschutzrechtlichen Berichtigungsanspruch im BGÖ-Verfahren (Art. 25 und 25bis DSG) ist nach der hier vertretenen Auffassung zu begrüssen. Eine zu grosszügige Anwendung dieses Anspruches könnte dazu führen, dass die inhaltliche Richtigkeit von Personendaten in einem amtlichen Dokument die Transparenzzielsetzung des BGÖ in den Hintergrund drängt und den Anspruch auf Zugang erschweren könnte. Auch bestünde das Risiko, dass alleine aus taktischen Gründen in jedem BGÖ-Verfahren mit betroffenen Dritten gleichzeitig ein datenschutzrechtliches Berichtigungsverfahren angestrengt würde, sei es einzig, um den Zugang in zeitlicher Hinsicht hinauszuzögern.

b) Dokumente betreffend einen unberechtigten Zugriff auf Kundendaten bei Swisscom: BGer 1C_500/2020 vom 11. März 2021
53

Der Zugang zu den erwähnten Dokumenten beim EDÖB betreffend einen «Datenvorfall» bei der Swisscom war auch unter dem Blickwinkel der darin enthaltenen Personendaten zu beurteilen. So berief sich das Unternehmen auf den Schutz seiner Privatsphäre nach Art. 7 Abs. 2 BGÖ und machte geltend, die von der Vorinstanz vorgenommene Interessenabwägung widerspreche dem Zweck des BGÖ. Demnach diene der Zugang zu den verlangten Dokumenten nicht öffentlichen Interessen. Vielmehr ziele das Zugangsgesuch darauf ab, in die Privatsphäre des Unternehmens einzudringen, was nicht Sinn und Zweck des BGÖ entspreche.

54

Nach Ansicht des BGer legte die Swisscom damit allerdings nicht dar, welchen Eingriff in ihre Privatsphäre als Unternehmen der Zugang zu den strittigen Dokumenten mit sich bringen würde. So habe sich das Unternehmen darauf beschränkt, zwischen dem öffentlichen Interesse an der Kenntnis des Datenverlusts einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Kenntnis der konkreten Beratungstätigkeit des EDÖB andererseits zu unterscheiden. Zudem stellte das BGer klar, dass eine Person, die gestützt auf Art. 6 BGÖ Einsicht in amtliche Dokumente nehmen wolle, weder ein besonderes Interesse darlegen noch ihr Begehren begründen müsse.

55

Im Ergebnis wurde die Beschwerde der Swisscom abgewiesen und der Zugang zu den strittigen Dokumenten gemäss dem vorinstanzlichen Urteil bestätigt.

c) Dokumente des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) betreffend die Wahl und Zusammenstellung der Leitungsgruppe des Forschungsprogramms «Lebensende»: BVGer A-4595/2020 vom 4. Mai 2021
56

Auf Anweisung des BGer[7], welches eine Beschwerde gegen das Urteil des BVGer A-6160/2018 vom 4. November 2019[8] guthiess, musste sich das BVGer nochmals mit dem Zugangsgesuch eines Vereins zu Dokumenten des SNF-Forschungsprogramms 67 «Lebensende» (NFP 67) befassen. Als Streitgegenstand verblieben die Dokumente betreffend die Zusammenstellung und Wahl der Leitungsgruppe des NFP 67. Nach den verbindlichen Anweisungen des BGer sind die Dokumente zur Wahl der Leitungsgruppe als Dokumente zu qualifizieren, die unmittelbar das Verfahren auf Entscheid über ein Beitragsgesuch betreffen, womit sie gemäss Art. 2 Abs. 1 Bst. b BGÖ dem Öffentlichkeitsgesetz unterstehen.[9]

57

Konkret ging es um Protokollauszüge und Wahlanträge, welche die Personaldossiers mit Lebensläufen und Publikationslisten der zur Wahl vorgeschlagenen Leitungsgruppenmitglieder beinhalteten. Hinsichtlich der Lebensläufe der Forscher gelangte das BVGer zur Auffassung, dass es sich dabei um Persönlichkeitsprofile im Sinne von Art. 3 Bst. d DSG handle, weshalb die Daten als besonders schutzwürdig zu qualifizieren seien. Sie könnten deshalb nicht offengelegt werden.

58

Hingegen könnten die den Lebensläufen der einzelnen Forscher angefügten Publikationslisten ohne Weiteres zugänglich gemacht werden, soweit die betreffenden Forscher an besagtem Forschungsprojekt mitgewirkt und deren Namen in diesem Zusammenhang bereits öffentlich bekannt seien. Eine Anonymisierung der Namen von nicht gewählten Kandidatinnen oder Kandidaten erübrige sich, da alle vorgeschlagenen Personen gewählt worden seien.

59

Zusammengefasst habe der SNF den Zugang zu den Lebensläufen der Forschenden zu Recht verweigert. Im Übrigen sei jedoch der Zugang zu den Publikationslisten zu gewähren.

60

Kommentar: Dem BVGer ist insoweit zuzustimmen, dass Lebensläufe in der Regel Persönlichkeitsprofile im Sinne von Art. 3 Bst. d DSG darstellen und damit bei einer Interessenabwägung auf Seiten der betroffenen Personen gewichtige Geheimhaltungsinteressen bestehen können. Allerdings ergibt sich das Persönlichkeitsprofil lediglich mit Blick auf den Lebenslauf insgesamt. Somit hätte das BVGer auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit zumindest einen teilweisen Zugang zu den Lebensläufen der Leitungsgruppenmitglieder, beispielsweise zu den beruflichen Tätigkeiten und den Mitgliedschaften in Vereinen, prüfen müssen. Dies umso mehr, als sich Personen in besonderen Beziehungen zur Verwaltung weitergehende Eingriffe in ihre Privatsphäre gefallen lassen müssen.

d) Abschlussbericht zur Überprüfung der Sicherheit von Wickelkommoden nach dem Produktesicherheitsgesetz: BVGer A-2734/2020 vom 2. August 2021
61

Im bereits erwähnten Urteil betreffend die Offenlegung des Abschlussberichts zu den überprüften Wickelkommoden stellte sich eine Inverkehrbringerin auf den Standpunkt, die Verweigerung des Zugangs zu den im Abschlussbericht eingeschwärzten Produktebezeichnungen und Produktbilder rechtfertige sich in Anwendung der Ausnahmebestimmung zum Schutz ihrer Privatsphäre.

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Dazu hielt das BVGer fest, dass sich aus der Kombination dieser beiden Informationen und einer einfachen Recherche herausfinden lasse, ob ein Unternehmen Herstellerin oder zumindest Inverkehrbringerin der mangelhaften Wickelkommoden sei. Demnach handle es sich bei diesen Informationen um Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes, welche – da das Gesuch auf die Offenlegung dieser Informationen abziele – nicht anonymisierbar seien. Als Voraussetzung für eine Bekanntgabe dieser Personendaten verlange Art. 19 Abs. 1bis DSG u.a., dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an deren Bekanntgabe bestehe.

63

Nach dem BVGer ist eine wirksame Berichterstattung über die Kontrolltätigkeit der bfu erst in geeigneter Weise möglich, wenn offengelegt werde, welche Wickelkommoden aus welchen Gründen von ihr als mangelhaft beurteilt worden seien. Da die bfu im Rahmen eines öffentlichen Auftrags zur Marktüberwachung ausserberuflich verwendeter Produkte gemäss Produktesicherheitsgesetz tätig sei und in dieser Funktion Wickelkommoden auf ihre Sicherheit überprüft habe, bestehe ein besonderes Informationsinteresse an den Ergebnissen. Die Gesuchstellerin übe als Medienschaffende eine Wächterfunktion aus und trage mit ihrer Berichterstattung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei. Schliesslich finanziere sich die bfu zu einem grossen Teil durch einen Zuschlag auf der Prämie der Nichtberufsunfallversicherung, dessen Höhe der Bundesrat festlege, woraus eine gewisse Staatsnähe resultiere. Zwar lasse der Zugang zu den beantragten Informationen über die Produktbezeichnungen und Produktbilder möglicherweise einen Rückschluss auf die betroffenen Inverkehrbringerinnen zu, doch handle es sich hierbei lediglich um Stammdaten und nicht um sensible Informationen, die im gleichen Markt tätige Konkurrentinnen bevorteilen würden. Die fehlende Aktualität der angeforderten Informationen sowie der Umstand, dass einige der betroffenen Inverkehrbringerinnen nicht mehr existieren oder sich in Liquidation befinden würden, liessen ebenfalls eher bescheidene Auswirkungen einer Bekanntgabe vermuten.

64

Darüberhinausgehende Image- bzw. wirtschaftliche Schäden müssten von den Inverkehrbringerinnen zudem konkret substantiiert werden, wobei bloss kurzfristig unangenehme Folgen in Form einer vorübergehend allenfalls höheren Medienpräsenz für die Verweigerung des Zugangs ohnehin nicht ausreichen würden. Im Ergebnis falle die Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses an der Gewährung des Zugangs aus.

XI. Verfahrensrechtliche Fragen (Art. 15 BGÖ)

Rechtsgutachten für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (STENFO) über die Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin oder deren Eigentümer: BVGer A-1096/2020 vom 19. Januar 2021
65

Im bereits erwähnten Urteil zum STENFO beantragten die Beschwerdeführerinnen mitunter die Abschreibung des Beschwerdeverfahrens mangels Vorliegen eines aktuellen und praktischen Einsichtsinteresses des Zugangsgesuchstellers am streitgegenständlichen Dokument. Dies deshalb, weil dieser in seiner mittlerweile erschienenen medialen Berichterstattung zu diesem Thema habe verlauten lassen, er habe das brisante Dokument bereits auf anderem Wege erhalten. Der Zugangsgesuchsteller seinerseits bestätigte demgegenüber sein Rechtsschutzinteresse und wies darauf hin, er habe lediglich eine achtseitige Zusammenfassung des verlangten Dokuments zugespielt erhalten. Er verlange hingegen nach wie vor Einsicht in das vollständige Dokument.

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Zunächst hielt das BVGer fest, dass es sich bei der Weitergabe der achtseitigen Zusammenfassung des verlangten Dokuments an den Journalisten womöglich um eine Amtsgeheimnisverletzung handle, wofür das Straf- bzw. Strafprozessrecht allerdings keine Ausnahme vom Grundsatz des journalistischen Quellenschutzes vorsehe. Den Beschwerdegegner treffe im Verfahren vor dem BVGer somit keine Editionspflicht hinsichtlich der ihm zugespielten Zusammenfassung. Daher könne das Gericht nicht abschliessend feststellen, ob der Beschwerdegegner tatsächlich nicht über das streitgegenständliche Dokument in seiner Originalversion verfüge. Hingegen könnten bei Gutheissung der Beschwerde die Beschwerdeführerinnen eine weitergehende Offenlegung des Gutachtens verhindern. Zudem liege es in deren Interesse, dass der journalistisch tätige Beschwerdegegner nicht über sämtliche Inhalte des Gutachtens verfüge, weil so verhindert werden könne, dass weitere Einzelheiten zur Ausfallhaftung öffentlich bekannt würden. Dies sei zumindest solange anzunehmen, als dass nicht mit Bestimmtheit erstellt sei, dass der Beschwerdegegner nicht bereits über das vollständige Dokument verfüge. Im Ergebnis könne demnach bereits nicht davon ausgegangen werden, dass das Rechtsschutzinteresse auf der Seite der Beschwerdeführerinnen dahingefallen sei.

67

Kommentar: Das BVGer folgte dem Antrag der Beschwerdeführerinnen um Abschreibung des Verfahrens nicht, indem es bei ihnen selbst ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse feststellte. Bei der Frage des aktuellen und praktischen Rechtsschutzinteresses einer gesuchstellenden Person wäre nach der hier vertretenen Auffassung den Besonderheiten der gesetzlichen Konzeption des BGÖ Rechnung zu tragen, welche weder einen Identitäts- noch einen Interessennachweis kennt. So kann eine gesuchstellende Person ihr Zugangsgesuch bei der Behörde auch anonym oder durch einen «Strohmann» einreichen. Auf der Seite der gesuchstellenden Person ist demnach gewissermassen das Rechtsschutzinteresse der Öffentlichkeit zu prüfen, für welche die gesuchstellende Person stellvertretend steht.


* Die Autorin (annina.keller@gmx.ch) und der Autor (danielkae@hotmail.com) vertreten in diesem Beitrag ihre persönliche Meinung.


 


Fussnoten:

  1. Urteil des BVGer A-816/2019 vom 9. April 2020.

  2. Bundesgesetz über die Kontrolle zivil und militärisch verwendeter Güter, besonderer militärischer Güter sowie strategischer Güter (Güterkontrollgesetz, GKG; SR 946.202) und die dazugehörige Güterkontrollverordnung (GKV; SR 946.202.1).

  3. Art. 1 f. GKG.

  4. Vgl. dazu bereits Daniel Kämpfer, Öffentlichkeitsprinzip: Hintertür Spezialbestimmungen? medialex 01/2019, 1. Okt. 2019; Daniel Kämpfer, Annina Keller, Überblick über praxisrelevante Entscheide der Jahre 2018 und 2019 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), medialex 02/2020, 4. März 2020, Rz. 10; Daniel Ladanie-Kämpfer, Annina Keller, Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2020 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), medialex 03/2021, 8. April 2021, Rz. 13.

  5. Vgl. auch Annina Keller/Daniel Kämpfer, Öffentlichkeitsgesetz: Gerichte stärken das Recht auf Zugang zu Verwaltungsakten, in: Medialex 03/2018, Rz. 10 ff.

  6. Vgl. auch Daniel Ladanie-Kämpfer und Annina Keller, Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2020 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), medialex 03/2021, 8. April 2021, Rz. 42 ff.

  7. Urteil BGer 1C_643/2019 vom 21. August 2020.

  8. Vgl. Daniel Kämpfer, Annina Keller, Überblick über praxisrelevante Entscheide der Jahre 2018 und 2019 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), medialex 02/2020, 4. März 2020, Rz. 13

  9. Urteil BGer 1C_643/2019 vom 21. August 2020 E. 3.5.

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