Medialex-Serie «Meine Diss»: Was AutorInnen heute über ihre Doktorarbeit von damals denken – Teil 3
Jascha Schneider-Marfels zu seiner Dissertation aus dem Jahr 2004: «Die Rundfunkgebühr in der Schweiz»
Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute in Ihrer Dissertation lesen?
Sie ist brandaktuell. Ich habe damals über die Rundfunkgebühr geschrieben und die These aufgestellt, dass wir in der Schweiz für den Service Public zu viel bezahlen. Eine der Erkenntnisse bestand darin, eine Reduktion der Radio- und Fernsehgebühren zu fordern, damit mehr Raum für Wettbewerb entstehen kann. Ich habe in diesem Zusammenhang das Problem der Quersubventionierungen im Internetbereich wissenschaftlich untersucht und eine klare Beschränkung des Leistungsauftrags der SRG aus der Verfassung hergeleitet. Die Arbeit setzt sich zudem den «Service Public Régional» auseinander, d.h. den Leistungsauftrag, den die privaten Veranstalter. Folgerichtig wird in der Diss die Regionaljournale im Radio gefordert, weil die Privatradios diesen Informationsauftrag bereits erfüllen. Schliesslich setzt sich die Publikation auch mit den ausländischen Werbefenster auseinander, die als medienpolitischer Fehlgriff bezeichnet werden, der unserem Land erhebliche Gelder entzieht, die wir für den Service Public benötigen könnten.
Da schwingt sehr viel Medienpolitik mit. Was ist aus Ihren Thesen geworden?
Ich habe in meiner Diss die Rundfunkordnung wissenschaftlich aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, als es damals üblich war. Mein Doktorvater Rolf H. Weber war in diesem Bereich ein Vorreiter. Er wurde leider vom BAKOM im Rahmen der RTVG-Revision in den 90er-Jahren totgeschwiegen, weil seine Forderungen nach einer Produzentenfinanzierung das Schweizer Mediensystem revolutioniert hätten. Aber: Es hat eine gewisse Wirkung gezeigt, über diese Themenbereiche zu schreiben und die Diskussion mitzugestalten. Die Rundfunkgebühr wurde seither auf CHF 365 pro Jahr und Haushalt gesenkt. Zudem hat die Schweiz im Rahmen der No-Billag-Initiative einen breiten Diskurs über den Service Public geführt. Mit CH-Media haben wir heute im Radio- und TV-Bereich einen Konkurrenten zur SRG in der Schweiz. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die SRG zurückgebunden wurde, was mehr Wettbewerb zulässt. Schliesslich hat auch der Leistungsauftrag, den die regionalen Sender erbringen, unterdessen eine breite Akzeptanz gefunden und ist nicht mehr wegzudenken. Viele meiner Thesen haben sich also bewahrheitet, aber manches ist immer noch im Argen.
Sie sprechen sicher die «SRG-Halbierungsinitiative» an, die wohl dem Sinn und Geist ihrer Dissertation entspricht?
Der Staat soll nur solche Aufgaben wahrnehmen, die Private nicht erfüllen können. Was ich vor 20 Jahren gefordert habe, hatte damals unter liberalen Gesichtspunkten seine Berechtigung und liess sich sehr gut mit dem Subsidiaritätsprinzip begründen. Heute haben wir eine völlig neue Situation. Auf den Redaktionen herrscht aus finanziellen Gründen Ressourcenmangel. Als Ausdruck von «Endgame Strategien» werden Jungspunde als Chefredaktoren installiert, die aus einer anderen Generation stammen. Für sie ist nicht das öffentliche Interesse, sondern die Anzahl Klicks und Likes das Mass der Dinge sind, also das Interesse der Öffentlichkeit. Oder provokativ ausgedrückt: Pure Neugier und Sensationslust. Diese Journalisten stammen aus einer Generation, im welcher der Algorithmus entscheidet, was wichtig, relevant ist und nach oben gespült wird. Wahrheit, Ethik, Moral und Verantwortungsbewusstsein sind dabei bekanntlich nur sehr untergeordnete Parameter. Sie positionieren ihre Redaktion im Spannungsfeld zwischen «Trollen» und «Cancel-Culture». Der Journalismus verliert dadurch an Gehalt und Qualität, was unsere direkte Demokratie gefährdet. Es ist kaum noch rentabel, Redaktionen genügend zu bestücken und Ressourcen in Recherche, Qualität und soliden Journalismus zu investieren. Ich mache den Verlegern überhaupt keinen Vorwurf. Es ist nicht ihre Aufgabe, ein verlustträchtiges Geschäftsmodell zu betreiben. Aber: Die SRG mit einer Halbierung der Gebühren faktisch zu zerschlagen, käme für mich nur dann in Frage, wenn parallel ein Konzept bestünde, wie Qualitätsjournalismus künftig finanziert werden kann. Davon sind die Initianten dieser Initiative aber weit entfernt, weshalb ich diesem Ansinnen zurzeit sehr skeptisch gegenüberstehe und nicht wünsche, dass meine Dissertation für deren Propaganda missbraucht wird.
War Ihre Dissertation auch von konkretem Nutzen für die Rechtspraxis?
Das Bundesgericht hat in BGE 141 II 182 entschieden, dass – entgegen der damaligen Praxis – die Rundfunkgebühr nicht der Mehrwertsteuer unterliegt. Bei der dafür relevanten Frage der Rechtsnatur der Radio- und Fernsehempfangsgebühr hat das Bundesgericht sich auf meine Dissertation gestützt. Dieser Teil meiner Arbeit war eher formeller Natur. An die Mehrwertsteuer hatte ich damals selbst nicht gedacht. Selbstverständlich fühlt man sich «gebauchpinselt», wenn das Bundesgericht die eigene Ansicht teilt.
Wie packten Sie damals die Doktorarbeit an?
Ich arbeitete als Journalist selber beim Rundfunk in Basel und habe die Arbeit neben dieser beruflichen Tätigkeit verfasst. Das bedeutete sehr viel Nacht- und Wochenendarbeit. Mein Hauptproblem war, dass es keine Literatur zu diesem Thema gab und mir die SRG nicht wohlgesonnen war, weil ich als Feind betrachtet wurde. Ich stamme aus einer Musikerfamilie und habe den Niedergang des Radioorchesters in Basel erlebt. Der Kulturauftrag hat die SRG damals immer weniger interessiert. Armin Walpen wollte «keinen Service ohne Public» und kopierte die Privaten nach dem Credo «More of the same». Diesem Gebaren, welches meiner Meinung nach nicht dem Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Anbieters entspricht, wollte ich wissenschaftlich entgegenhalten. Ich bin urliberal. Aus meiner Sicht hat Walpen mit diesem Kurs den Untergang der SRG eingeleitet. Er wäre besser beraten gewesen, weniger Früchte vom giftigen «Entertainment-Baum» zu verspeisen. Medien und speziell Unterhaltung in den Medien sind eigentlich keine Staatsaufgabe. Heute habe ich ein entspannteres Verhältnis zur SRG. Ich arbeite im Rahmen meiner Tätigkeit für TeleSuisse insbesondere im Urheberbereich gerne mit der SRG zusammen und erlebe deren Protagonisten als hochprofessionell und integer.
Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihre Diss nochmals schreiben würden?
Zehn Jahre später publizieren. Ich war mit meinen Thesen in der Schweiz der Zeit voraus. Der öffentliche Diskurs und die politischen Verhältnisse waren noch nicht so weit, um über diese Themen diskutieren zu können. Diese Debatte hat erst später richtig Fahrt aufgenommen.
Gibt es Merkmale, die Ihre Arbeit von damals von anderen abhebt?
Ich wollte mit einer wissenschaftlichen Arbeit einen Beitrag zur Veränderung und Verbesserung leisten. Es ging mir nicht darum, einfach ein Thema zu bearbeiten und möglichst viele Quellen einzubauen. Ich strebte eine Neuordnung der Medienlandschaft an, weil ich meine Thesen für richtig hielt. Damals hätte ein Zeitfenster bestanden, alternative Wege für Qualitätsjournalismus zu schaffen, z.B. mittels der Produzentenfinanzierung, die sehr einfach in die digitale Welt übertragbar wäre.
Verraten Sie zum Schluss eine Anekdote oder ein Geheimnis im Zusammenhang mit ihrer Diss!
Meine Dissertation hat damals in bürgerlichen Kreisen sehr viel Anklang gefunden. Der damalige FDP-Ständerat Thomas Pfisterer hat meinen Vorschlag, dass die SRG in ihren Büchern zwischen Leistungsauftrag und weiteren Aktivitäten unterscheiden muss, in die damalige parlamentarische Beratung zum RTVG eingebracht. Die FDP hat mich sogar zum Hearing ins Bundeshaus eingeladen. Ich war schon am Bahnhof, als man mich anrief und sagte: «Du musst nicht kommen. Wir haben es begriffen. Wir setzen uns ein, dass es ins Gesetz kommt.» Art. 36 Abs. 2 RTVG, der diese getrennte Buchhaltung vorschreibt, ist bis heute in Kraft.