Medialex-Serie «Meine Diss»: Was AutorInnen heute über ihre Doktorarbeit von damals denken – Teil 6
Mischa Senn zu seiner 1998 erschienenen Dissertation «Satire und Persönlichkeitsschutz»
Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute in Ihrer Dissertation lesen?
Wenn ich hin und wieder etwas nachlesen muss, bin ich doch leicht erstaunt, wie verständlich das geschrieben ist – oder mir zumindest scheint…
Wie packten Sie damals die Doktorarbeit an?
Basierend aufgrund einer Seminararbeit und durch Anregung von Manfred Rehbinder entschied ich mich, die behandelten Themen als Diss vertieft zu untersuchen. Ich wollte das aber erst nach ein paar Jahren Praxiserfahrung angehen. Nachdem ich mich während den 5 Jahren nach dem Studium gedanklich mit den Themen ab und zu beschäftigt und Fälle gesammelt hatte, war ich dann soweit, dass ich sagen konnte: Ich habe eine Disposition im Kopf und einiges Material vorliegen. Ich nahm eine berufliche Auszeit von einem Jahr. Das Konzept ging auf, die Diss war in dieser Zeit abgeschlossen und abgenommen.
Wovon handelte Ihre Doktorarbeit?
Der Titel lautet Satire und Persönlichkeitsschutz. Nebst diesem Thema galt es auch die Fragen des Rezeptionsverständnisses des so genannten Durchschnittsrezipienten zu untersuchen, zumal das satirischen Prinzip u.a. mit dem Stilmittel der Ironie arbeitet, und die ja bekanntlich nicht von allen (so-)gleich verstanden wird.
Herausfordernd und zugleich reizvoll war die interdisziplinäre Breite des Themas; so musste und durfte ich mich in Teilaspekte aus der Literatur- und Kommunikationswissenschaft einarbeiten, um diese in den rechtlichen Kontext einfliessen zu lassen.
War Ihre Dissertation auch von Nutzen für die Rechtspraxis?
Ich denke schon. Zeichen dafür sind, dass sie sowohl in der Literatur (auch ausserrechtlichen) wie Rechtsprechung häufig zitiert wird und die Ansichten überwiegend geteilt werden. Das jüngste Beispiel ist vielleicht der «Vasella»-Entscheid (BGer 5A_553/2012 vom 14.4.2014), worin das Bundesgericht ziemlich genau der in der Diss vorgeschlagenen Methode folgt, und – was noch bemerkenswert ist – offenkundig auch nachvollzieht, was Satire ist und was ihr Zweck ist.
Hoch erfreut war ich über die Rezension des (damaligen) Vorsitzenden Richters am deutschen Bundesgerichtshof, Eike Ullmann, die mit dem Satz endete: «Die Arbeit (…) ist für die Rechtswissenschaft und die Praxis ein Gewinn.»
Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihre Diss nochmals schreiben würden?
Nicht viel. Die Überlegung war damals, ob man nur den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz oder auch noch den strafrechtlichen abhandeln soll. Was den Begriff anbelangt, hätte die Erweiterung auf strafrechtliche Aspekte nichts gebracht – ausser dass der Buchumfang deutlich grösser geworden wäre (nebst dem Aufwand). Rehbinder gab einen Umfang von max. ca. 150 Seiten vor, womit die Sache bereits geklärt war. Er vertrat abgesehen davon die Meinung, dass jedes Thema innerhalb dieses Umfang-Rahmens abgehandelt werden könne – was heutige Dissertanten wohl mit Wehmut zur Kenntnis nehmen…
Gibt es Merkmale, die Ihre Arbeit von damals von anderen abhebt?
Das Thema ist sicherlich etwas speziell und aufgrund der Interdisziplinarität vergleichsweise erratisch im sonstigen Feld rechtlicher Abhandlungen. Ansonsten bestand ein vertiefter Beitrag zu diesem Themenfeld in der Schweiz noch nicht.
Verraten Sie zum Schluss eine Anekdote oder ein Geheimnis im Zusammenhang mit ihrer Diss?
Sehr beeindruckt hat mich Manfred Rehbinder, sei es in seiner Verständnisgabe oder beispielsweise beim Zeitplan. Er hatte mir angegeben, wenn ich einen bestimmten Promotionstermin anpeile, müsse die Arbeit zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt abgegeben sein; er würde diesen dann übers Wochenende lesen – und genau so geschah es. Davon können andere Dissertanten nur träumen. Ich kenne eine Kollegin, die zwei Jahre warten musste, andere warteten über ein halbes!