1 Was Politiker zu erdulden und Fussballprofis zu beachten haben
Liebe Leserin, lieber Leser
Erstaunlicherweise hat ein Urteil aus Strassburg vom letzten Herbst in den hiesigen Medien kaum Beachtung gefunden, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit durch die Schweiz festgestellt hatte. Es ging um Äusserungen des Vereins gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) und dessen inzwischen verstorbenen Präsidenten Erwin Kessler, der in den Jahren 2006 und 2010 einen damaligen Staatsrat des Kantons Freiburg heftig angegriffen hatte.
Das Bundesgericht hatte vorinstanzliche Urteile, die eine Persönlichkeitsverletzung bejaht hatten, bestätigt. Der EGMR dagegen stellte einen Verstoss gegen Art. 10 EMRK fest. Die schweizerischen Gerichte hätten nicht berücksichtigt, dass für Politiker die Grenzen zulässiger Kritik weiter gesteckt seien als für einfache Privatpersonen. Rechtsanwalt Christoph Born, der den Entscheid im Beitrag «Ein Politiker muss sich mehr gefallen lassen als eine einfache Privatperson» bespricht, überzeugt die Begründung des EGMR nicht in allen Punkten.
Wieder einmal wirft «Medialex» einen Blick über die Grenzen. Die Beziehung des früheren deutschen Fussballnationalspielers Mats Hummels zu seiner Ehefrau und diversen Influencerinnen ist in Deutschland Gegenstand intensiver medialer Berichterstattung. Anlass genug, um zu hinterfragen, wann Sportler und Influencer ihren Persönlichkeitsschutz gefährden.
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zeichnen die deutschen Rechtsanwälte Malte Frank und Lucas Brost die Rechtslage in Deutschland, Österreich und auch in der Schweiz nach. Sie zeigen im Beitrag «Drei Engel für Mats» auf, wann eine sogenannte Selbstöffnung gegenüber den Medien und in sozialen Netzwerken die Gefahr begründet, sich nicht mehr auf den Privatsphärenschutz berufen zu können.
In Teil 7 der letztes Jahr gestarteten Serie «Meine Diss» wirft Sando Macciacchini, inzwischen Mitglied der Geschäftsleitung der TX Group AG, einen Blick zurück auf seine im Jahr 2000 erschienene Doktorarbeit, die das Spannungsfeld von Urheberrecht und Meinungsfreiheit am Beispiel der Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke in der Medienberichterstattung thematisierte. Im Interview mit dem Titel «’Eine Samba-Truppe, die alles zeigt, was sie hat’» erinnert er sich u.a. daran, wie er am Ende lieber auf die Bestnote verzichtete als seine Arbeit auf das vom Doktorvater verordnete Umfangsmaximum herunterzukürzen.
Wie üblich finden Sie unter «Aktuelle Entscheide» die Liste mit neu publizierten medienrechtlich relevanten Urteilen der Bundesgerichte, mit UBI-Entscheiden und den jüngsten Stellungnahmen des Presserats. Und «Neue Literatur» bietet Ihnen einen Überblick über neu erschienene wissenschaftliche Publikationen zum Medienrecht.
Der nächste Newsletter erscheint in der ersten Märzwoche 2023.
Gute Lektüre wünscht Ihnen
Simon Canonica
Redaktor «Medialex»