Spezialbestimmungen, Schutz behördlicher Massnahmen sowie aussenpolitische Interessen im Fokus

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Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2022 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)

Daniel Ladanie-Kämpfer*, MLaw, Rechtsberater im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Bern
Annina Keller*, MLaw, Juristin bei der Universität Bern

Résumé: Si en 2022, la LTrans a fait l’objet de peu de jugements, il convient tout de même de se pencher sur quelques arrêts intéressants et importants. Les prétendues dispositions spéciales de la LTrans, cette fois dans le domaine d’application de la loi sur les douanes et de la loi sur la surveillance de la révision, se sont révélées toujours aussi controversées. En outre, deux arrêts ont porté sur la protection des intérêts de la Suisse en matière de politique extérieure ainsi que sur la protection de l’exécution de mesures concrètes prises par une autorité conformément à ses objectifs. Enfin, dans le contexte de la pandémie de Covid 19, un premier arrêt a été rendu concernant l’exception prévue à l’art. 7 al. 1 let. f LTrans (mise en danger des intérêts économiques ou monétaires de la Suisse) en relation avec l’acquisition de vaccins.

Zusammenfassung: Im Jahr 2022 ergingen zum BGÖ wenige, dafür wiederum interessante und wichtige Urteile. Erneut als umstritten erwiesen sich die angeblichen Spezialbestimmungen zum BGÖ, dieses Mal im Anwendungsbereich des Zollgesetzes und des Revisionsaufsichtsgesetzes. Weiter befassten sich zwei Entscheide mit dem Schutz aussenpolitischer Interessen der Schweiz sowie mit dem Schutz der zielkonformen Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen. Im Kontext der Covid-19-Pandemie erging schliesslich ein erstes Urteil zur Ausnahmebestimmung von Art. 7 Abs. 1 Bst. f BGÖ (Gefährdung der wirtschafts-, geld- und währungspolitischen Interessen der Schweiz) im Zusammenhang mit der Beschaffung von Impfstoffen.

 I. Einleitung

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Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über praxisrelevante Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) und des Bundesgerichts (BGer) zum Öffentlichkeitsgesetz vom vergangenen Jahr. Wie in den Vorjahren werden die Urteile anhand der geprüften Bestimmungen des BGÖ gruppiert und gegebenenfalls von den Autoren kurz kommentiert, weshalb einzelne Entscheide mehrmals erwähnt werden. Zwar ergingen im vergangenen Jahr vergleichsweise wenige Entscheide zum BGÖ, doch setzten diese einmal mehr wichtige und teilweise deutliche Signale im Hinblick auf die hohen Anforderungen bei der Anwendung von Ausnahmebestimmungen.

II. Zugangsmodalitäten (Art. 6 BGÖ)

a) Aircraft Support Optimisation Study beim Bundesamt für Rüstung armasuisse (BVGer A-2565/2020 vom 17. Januar 2022)
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Nachdem mehrere Medienschaffende unabhängig voneinander bei armasuisse Zugang zur Aircraft Support Optimisation Study (Studie) verlangt hatten, liess armasuisse mit Blick auf das offenkundig bestehende öffentliche Interesse einen 28-seitigen zusammenfassenden Bericht zur Studie («Management Summary AMOS») erstellen und den Gesuchstellenden mit einigen wenigen Schwärzungen zukommen. Gleichzeitig bot es den Gesuchstellenden ein Hintergrundgespräch an, da die Zusammenfassung nicht ohne Weiteres verständlich sei. Den Zugang zur Studie selber verweigerte armasuisse hingegen vollständig (siehe dazu weiter unten).

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Ein Medienschaffender war mit diesem Vorgehen von armasuisse nicht einverstanden und machte geltend, es sei nicht mit Sinn und Zweck des BGÖ vereinbar, wenn Behörden spezifische Publikationsvarianten anfertigen würden, anstatt Einsicht in das Originaldokument zu gewähren. Er anerkenne zwar die Bemühungen von armasuisse, dem BGÖ nach bestem Wissen und Gewissen zu entsprechen, indem es eigens eine Zusammenfassung habe erstellen lassen. Damit werde allerdings lediglich Scheintransparenz geschaffen. Es sei daher vom BVGer zu klären, ob dieses Vorgehen rechtmässig sei.

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Das BVGer konnte in der Publikation der Zusammenfassung, welche als Aktivinformation zu werten ist, keinen Widerspruch zu Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsprinzips erkennen. Die aktive und passive Informationstätigkeit von Behörden würden sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Folglich sei klar, dass mit einer blossen Publikation der Zusammenfassung dem Zugangsgesuch des Beschwerdeführenden nicht Genüge getan wäre. Davon sei armasuisse indes auch nicht ausgegangen. Vielmehr habe die Behörde das Zugangsgesuch in der angefochtenen Verfügung gemäss den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des BGÖ behandelt.

b) Anordnungsformulare für Überwachungsmassnahmen des Dienstes Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF (BVGer A-4521/2020 vom 29. März 2022)
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Der Verein «Digitale Gesellschaft» ersuchte beim Dienst ÜPF um Zustellung der (leeren) Formulare für die Anordnung von Überwachungsmassnahmen gemäss BÜPF[1] zuhanden der Anbieterinnen der entsprechenden Dienste. Dieses Ersuchen lehnte der Dienst ÜPF ab (siehe dazu weiter unten). Stattdessen schlug er dem Verein vor, vor Ort in Bern den Prozess bei solchen Anordnungen darzulegen und die Abläufe direkt im entsprechenden Verarbeitungssystem zu demonstrieren. Auf diesen Vorschlag ging der Verein nicht ein und hielt an seinem Zugangsgesuch fest, welches der Dienst ÜPF schliesslich mit Verfügung ablehnte.

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Im anschliessenden Beschwerdeverfahren vor BVGer war die Frage einer möglichen Einsichtnahme vor Ort nicht Verfahrensgegenstand. Gleichwohl erlaubte sich das BVGer den Hinweis, dass dieses Angebot, die Formulare beim Dienst ÜPF vor Ort einsehen zu können, nichts daran ändern würde, dass dem Gesuchsteller die Wahl zwischen der Einsichtnahme vor Ort und dem Erhalt einer Kopie des Dokuments zustehe (Art. 6 Abs. 2 BGÖ).

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Kommentar: Diese beiden Urteile zeigen anschaulich auf, dass den Behörden nebst dem Öffentlichkeitsgesetz noch weitere Mittel zur Verfügung stehen, um die Transparenz über ihre Tätigkeit fördern zu können. Zu Recht hält das BVGer fest, dass diese Alternativen stets nur als Ergänzung zum Zugangsanspruch nach Art. 6 Abs. 2 BGÖ zu verstehen sind, bei welchem die gesuchstellende Person grundsätzlich wählen kann, ob sie eine Kopie des Dokuments erhalten oder dieses vor Ort einsehen möchte. Gerade das Instrument von Hintergrundgesprächen oder zusätzlichen Erläuterungen zum Inhalt eines Dokuments bieten den Behörden die Gelegenheit, die Deutungshoheit über die herausgegebenen Informationen bestmöglich zu wahren. Will die Behörde anstelle des verlangten amtlichen Dokuments bloss eine Zusammenfassung abgeben oder durch eine andere Vorgehensweise dem Gesuch begegnen, empfiehlt es sich, ein solches Vorgehen vorab mit der gesuchstellenden Person zu vereinbaren.

III. Spezialbestimmungen anderer Bundesgesetze (Art. 4 BGÖ)

a) Angaben zu Goldimporten beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG (BVGer A-741/2019, A-743/2019, A-745/2019, A-746/2019 vom 16. März 2022)
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Im Dezember 2017 ersuchte eine Organisation bei der Eidg. Zollverwaltung EZV (heute Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG) um Zugang zu statistischen Angaben betreffend Goldimporte in die Schweiz. Konkret interessierte sich die Gesuchstellerin für die Herkunft und die Lieferanten der vier mengenmässig grössten goldimportierenden Unternehmen in der Schweiz (ohne Banken). Nachdem das BAZG dieses Zugangsgesuch zuerst ablehnend beantwortet hatte, verfügte es nach entsprechender Empfehlung des EDÖB den Zugang zu den verlangten Informationen. Gegen diese Verfügung erhoben die vier betroffenen goldimportierenden Unternehmen Beschwerde vor BVGer.

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Dort brachten diese u.a. vor, dass die verlangten Daten dem Steuergeheimnis nach Art. 74 MWSTG[2] unterliegen würden, da die strittigen Angaben im Rahmen der Erhebung der Einfuhrsteuer erhoben worden seien. Weiter dienten die Daten der Erstellung der Aussenhandelsstatistik, weshalb sie zusätzlich auch unter das Statistikgeheimnis gemäss Art. 14 Abs. 1 BStatG[3] fallen würden. Damit lägen Spezialbestimmungen nach Art. 4 BGÖ vor, welche dem Öffentlichkeitsgesetz vorgehen würden.

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Demgegenüber stellte sich das BAZG auf den Standpunkt, dass die verlangten Angaben nicht unter das Steuergeheimnis fielen, da es sich dabei weder um Daten über die Einfuhrsteuer noch um Zoll- oder Mehrwertsteuerveranlagungen handle. Die Daten würden zum Zweck der Überwachung und Kontrolle des Warenverkehrs über die Schweizer Grenze sowie zu Steuerzwecken – d.h. zur Erhebung von Zollabgaben und Mehrwertsteuer – erhoben. Das BAZG argumentierte weiter, dass das Steuergeheimnis die gleiche Tragweite habe wie das Amtsgeheimnis, welches keine Spezialbestimmung im Sinne von Art. 4 BGÖ darstelle. Da zudem nicht Zugang zu den Daten der Aussenhandelsstatistik als solche, sondern zu den Daten der Zollanmeldungen über die Einfuhr von Gold verlangt worden sei, könnten sich die betroffenen Unternehmen auch nicht auf das Statistikgeheimnis berufen.

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Zunächst hielt das BVGer fest, dass es sich bei Art. 74 Abs. 1 MWSTG um eine Spezialbestimmung im Sinne von Art. 4 BGÖ handle, welche dem Öffentlichkeitsgesetz vorgehe. Weiter führte das BVGer aus, dass sich aus der Stellungnahme des BAZG ergebe, dass sämtliche strittigen Informationen – welche im Informationssystem «e-dec» gespeichert seien – anlässlich der Zollanmeldung der Waren und insbesondere im Rahmen ihrer offiziellen Funktion als Veranlagungsbehörde für die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr gesammelt worden seien, ohne dass dabei eine Abgrenzung in Bezug auf die anderen damit verfolgten Zwecke vorgenommen werde. Gemäss Ziff. 1.2 des Anhangs 23 der Datenbearbeitungsverordnung für das BAZG[4] könnten die bei der Zollanmeldung erhobenen Personendaten auch zu Reporting- und Statistikzwecken sowie zur Planung der Kontrollen verwendet werden. Dies unterstreiche die Tatsache, dass die Daten in nicht unterscheidbarer Weise erhoben worden seien. Da diese Informationen zur Privatsphäre der betroffenen Goldimporteure gehörten und diese ein schutzwürdiges privates Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts hätten, würden die Angaben unter das Steuergeheimnis und folglich unter die Ausnahme nach Art. 4 Bst. a BGÖ fallen. Daran ändert laut BVGer auch der Umstand nichts, dass die Datenerhebung auch zum Zweck der Zollerhebung, die im Gegensatz zur Mehrwertsteuer kein Steuergeheimnis kennt, oder zu statistischen Zwecken erfolge, und dass sich die verlangten Daten unter Umständen für die Erhebung der Mehrwertsteuer gar nicht als relevant herausstellen würden. Das Steuergeheimnis stelle einen absoluten Schutz der fraglichen Informationen dar, unabhängig von anderen Zwecken, für die die Daten gesammelt worden seien.

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Hingegen komme das Statistikgeheimnis auf die vorliegend relevanten Daten nicht zur Anwendung, da die Daten bereits vorliegen und nicht ausschliesslich zu statistischen Zwecken erhoben worden seien.

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Aufgrund dieses Ergebnisses erübrigte sich die Prüfung der weiteren von den betroffenen Unternehmen vorgebrachten Ausnahmebestimmungen (Geschäftsgeheimnis und Schutz von Personendaten).

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Im Ergebnis hiess das BVGer die Beschwerde mit Verweis auf das Steuergeheimnis gut und hob die Verfügung des BAZG auf.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.

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Kommentar: Dieses Ergebnis vermag nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu überzeugen. Es ist mittlerweile unbestritten, dass es sich beim Steuergeheimnis um eine Spezialbestimmung im Sinne von Art. 4 Bst. a BGÖ handelt, die dem Öffentlichkeitsgesetz vorgeht. Entsprechend sind alle Informationen, die unter das Steuergeheimnis fallen, vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen. Nicht zugänglich sind im Steuerbereich lediglich diejenigen Informationen, die eine Identifikation der steuerpflichtigen Person erlauben. Hingegen ist das Steuerrecht nicht als gesamter Rechtsbereich vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen.[5]

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Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die verlangten Dokumente einen Bezug zur steuerpflichtigen Person zulassen, da die Gesuchstellerin explizit Zugang pro Unternehmen verlangt. Es liegt jedoch insofern eine spezielle Situation vor, als dass die verlangten Angaben nicht ausschliesslich zu Steuererhebungszwecken, sondern noch zu weiteren, zollrechtlichen Zwecken erhoben wurden. Indem sich das BVGer auf den Standpunkt stellt, dass dies irrelevant sei und das in Art. 74 Abs. 1 MWSTG verankerte Steuergeheimnis gleichsam über allem anderen stehe, berücksichtigt es diese zollspezifischen Umstände zu wenig. Spezialbestimmungen nach BGÖ sind vielmehr so auszulegen, dass dem Zweck des Öffentlichkeitsprinzips am besten entsprochen werden kann.[6] Es bleibt abzuwarten, ob das BGer diese Einschätzung des BVGer korrigieren wird.

b) Prüfungsbericht der RAB betreffend die Revisionstätigkeiten der KPMG AG für die PostAuto AG (BGer 1C_93/2021 vom 6. Mai 2022)
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Die Schweizerische Post AG sowie die PostAuto AG ersuchten die Eidg. Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) um Zugang zum Prüfungsbericht sowie den darin referenzierten Dokumenten über die Revisionstätigkeiten der KPMG für die PostAuto AG. Die RAB verweigerte den Zugang unter Hinweis auf den angeblichen spezialgesetzlichen Vorbehalt zum BGÖ gemäss Art. 19 Abs. 2 RAG[7], wonach sie die Öffentlichkeit nur über laufende und abgeschlossene Verfahren informiere, wenn dies aus Gründen überwiegender öffentlicher oder privater Interessen erforderlich sei.

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Nachdem das BVGer diese Haltung gestützt hatte[8], kam das BGer im Rahmen seiner Auslegung von Art. 19 Abs. 2 RAG zum gegenteiligen Schluss. So hielt es etwa fest, dass der Umstand des zeitlich nachgelagerten Erlasses des RAG im Verhältnis zum BGÖ nicht automatisch bedeute, dass es sich bei der fraglichen Bestimmung im RAG um eine gewollte Einschränkung der Information der Öffentlichkeit handle. Dies umso weniger, als dass der Botschaft des RAG keine entsprechende Koordination zwischen RAG und BGÖ zu entnehmen sei, was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung als Hinweis zu verstehen sei, dass der Geltungsbereich des BGÖ gerade nicht tangiert werden sollte. Auch ergebe sich aus der Botschaft kein Verbot, auf ein konkretes Zugangsgesuch hin weitergehende Informationen offenzulegen, sofern die Voraussetzungen des BGÖ erfüllt seien. Auch das Revisionsgeheimnis nach Art. 730b OR vermöge daran nichts zu ändern, denn dieses könne höchstens als Berufsgeheimnis i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ eine Zugangsbeschränkung bzw. -verweigerung rechtfertigen, habe jedoch nicht indirekt zur Folge, dass Art. 19 Abs. 2 RAG als Spezialbestimmung i.S.v. Art. 4 BGÖ zu qualifizieren sei.

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Kommentar: Die Auslegung von Art. 19 Abs. 2 RAG sowie das Ergebnis überzeugen. Zwar mag es auf den ersten Blick etwas erstaunen, dass das BVGer gleich bei mehreren Auslegungselementen zu einem gegenteiligen Zwischenergebnis im Vergleich zum BGer kam. Bei genauerer Betrachtung des vorinstanzlichen Urteils wird jedoch deutlich, dass sich das BVGer im Rahmen seiner Auslegung von Art. 19 Abs. 2 RAG teilweise zu Fragen geäussert hatte, welche eigentlich erst anlässlich der Prüfung von Ausnahmebestimmungen gemäss Art. 7 BGÖ zu beantworten gewesen wären. Die Korrektur durch das BGer ist daher zu begrüssen.

IV. Amtliche Dokumente (Art. 5 BGÖ)

Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) des Staatssekretariates für Migration SEM (BVGer A-2022/2021 vom 7. Juni 2022)
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Ein Rechtsanwalt ersuchte beim SEM u.a. um Zugang zum Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) im Zusammenhang mit Asylentscheiden betreffend Eritrea. Das SEM verweigerte den Zugang zum Dokument unter Verweis auf mehrere Ausnahmebestimmungen des BGÖ vollständig. Zwar machte es nicht geltend, das fragliche Dokument sei nicht als amtliches Dokument im Sinne des BGÖ zu betrachten, doch wies es anlässlich des Zugangsverfahrens sowie in seiner Verfügung darauf hin, dass es sich um ein internes Arbeitsinstrument handle, welches den Mitarbeitenden des SEM vorbehalten und in keiner Weise dazu gedacht sei, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

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Das BVGer prüfte das Vorliegen eines amtlichen Dokumentes in seinem Urteil von Amtes wegen und kam zum Schluss, dass es sich beim Dokument APPA um eine Art Richtschnur für die Tätigkeit des SEM im Rahmen von Asylverfahren betreffend Eritrea handle. Das Dokument richte sich an eine grosse Zahl von Mitarbeitenden des SEM und bezwecke eine gewisse Kohärenz bei der Behandlung von Asylgesuchen eritreischer Asylsuchender, weshalb es gerade nicht als einfaches persönliches Hilfsmittel zu verstehen sei. Damit gelte das zur Einsicht verlangte Dokument nicht als zum persönlichen Gebrauch bestimmt (Art. 5 Abs. 3 Bst. c BGÖ) und sei als amtliches Dokument im Sinne des BGÖ zu qualifizieren.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.

V. Zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen (Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ)

a) Anordnungsformulare für Überwachungsmassnahmen des Dienstes Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF (BVGer A-4521/2020 vom 29. März 2022)
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Im bereits erwähnten Verfahren betreffend Zugang zu den Formularen für die Anordnung von Überwachungsmassnahmen nach dem BÜPF stellte sich die Frage, ob eine Zugangsgewährung (und damit verbunden die Möglichkeit einer anschliessenden Veröffentlichung durch den Gesuchsteller) die zielkonforme Durchführung von konkreten behördlichen (Überwachungs-)Massnahmen im Sinne der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ beeinträchtigen könnte.

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Behörden, welche Überwachungsmassnahmen nach BÜPF anordnen möchten, verwenden für ihre Überwachungsanordnungen entweder einen Online-Zugriff auf das vom Dienst ÜPF betriebene Verarbeitungssystem oder die vorliegend in Frage stehenden Formulare, welche per Post oder Fax eingereicht werden können.

Nach Ansicht des Dienstes ÜPF würde es eine Offenlegung der leeren Formulare an einen unbekannten Empfängerkreis ermöglichen, dass unberechtigte Personen den Dienst ÜPF in Schädigungsabsicht mit gefälschten Anordnungen eindecken könnten. Dies würde beim Dienst ÜPF zu einem erheblichen Mehraufwand bei der Prüfung dieser Anordnungen führen und könnte daher die Durchführung von Überwachungsmassnahmen insb. in zeitlicher Hinsicht verzögern und damit gefährden. Daher sei der Zugang gestützt auf Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ zu verweigern. Zwar sei der Inhalt dieser Formulare den jeweiligen Verfahrensbeteiligten solcher Überwachungsmassnahmen aufgrund des Akteneinsichtsrechts bereits bekannt. Jedoch biete diese restriktive Bekanntgabe an einen begrenzten Personenkreis einen gewissen zusätzlichen präventiven Schutz vor möglichem Missbrauch.

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Das BVGer folgte dieser Argumentation nicht. Es hielt fest, dass die in den Formularen enthaltenen Informationen allgemein bekannt seien und sich die einzureichenden Angaben für die Überwachungsmassnahmen bereits aus den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ergeben würden. Mit Blick auf die Rechtsprechung und die Empfehlungspraxis des EDÖB sei zudem klar, dass sich die Beeinträchtigung grundsätzlich auf konkrete behördliche Massnahmen beziehen müsse, auch wenn dies nicht bedeute, dass ein individueller Einzelfall betroffen sein müsse. Im vorliegenden Fall befürchte der Dienst ÜPF eine Beeinträchtigung seiner internen Prozesse und damit eine Beeinträchtigung der Durchführung von Überwachungsmassnahmen als solche. Dies stelle keine konkrete behördliche Massnahme im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ dar. Doch selbst wenn von einer konkreten behördlichen Massnahme ausgegangen würde, wäre nicht dargetan, dass mit der Zugänglichmachung der Formulare mit hoher Wahrscheinlichkeit deren zielkonforme Durchführung beeinträchtigt wäre. Eine Gefahr des Missbrauchs infolge falsch ausgefüllter Formulare erscheine nicht sehr wahrscheinlich. Dies, weil im Moment nur noch drei Kantone diese Formulare benutzen würden. Zudem prüfe der Dienst ÜPF die Echtheit der eingehenden Formulare bereits heute. Weiter bräuchte es für wissentlich falsch ausgefüllte Formulare nähere Kenntnisse über die in Frage stehenden Kantone und deren Behörden. Ebenso seien Rückfragen bei der anordnenden kantonalen Behörde jederzeit möglich, selbst bei dringlichen Massnahmen, zumal diese wohl eher per Telefon erfolgen dürften und das Formular später nachgereicht würde. Damit habe der Dienst ÜPF nicht ausreichend darlegen können, dass durch die Offenlegung der verlangten Formulare der damit angestrebte Erfolg von Überwachungsmassnahmen ernsthaft beeinträchtigt wäre.

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Aufgrund dieser Erwägungen hiess das BVGer die Beschwerde gut und wies den Dienst ÜPF an, dem Gesuchsteller den Zugang zu den gewünschten Formularen vollumfänglich zu gewähren.

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Kommentar: Die Ausführungen des BVGer sind nachvollziehbar und überzeugend sowie im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung zu Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ, wonach sich die Beeinträchtigung grundsätzlich auf konkrete behördliche Massnahmen zu beziehen hat. Von der Ausnahmebestimmung nicht erfasst sind hingegen die Aufgabenerfüllung oder Aufsichtstätigkeit einer Behörde insgesamt.[9]

b) Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) des Staatssekretariates für Migration SEM (BVGer A-2022/2021 vom 7. Juni 2022)
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Im bereits erwähnten Urteil zum Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) im Zusammenhang mit Asylentscheiden betreffend Eritrea verweigerte das SEM den Zugang zum Dokument vollständig und stellte sich u.a. auf den Standpunkt, eine Offenlegung dieses Dokumentes würde seinen gesetzlichen Auftrag im Rahmen der Durchführung der Asylverfahren im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ erheblich beeinträchtigen, da es den Asylsuchenden als eine Art Leitfaden für das Asylverfahren im Hinblick auf die Darlegung der Fluchtgründe dienen könnte.

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Das BVGer folgte der Argumentation des SEM über weite Strecken nicht. Es stellte fest, dass die Informationen, Leitlinien und Einschätzungen im streitgegenständlichen Dokument zu einem Grossteil bereits öffentlich bekannt seien oder zumindest aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen abgeleitet werden könnten. Es erachtete die Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ deshalb nur für einige spezifischen Stellen im Dokument als erfüllt. Dies etwa in Bezug auf Fragen oder Abklärungen zur Person, zur ursprünglichen Herkunft, zu Zwangsheirat und zur Zumutbarkeit einer Rückführung bei unbegleiteten Minderjährigen. Demgegenüber gehe jedoch die Asylpraxis in Bezug auf Eritrea bereits klar aus den entsprechenden Entscheiden der ehemaligen Asylrekurskommission sowie den Entscheiden des BVGer hervor und sei demnach ebenfalls bereits öffentlich bekannt. Neben den ausdrücklich erwähnten Stellen im Dokument, welche nicht offenzulegen seien, erkannte das BVGer bezüglich der übrigen Inhalte des Dokuments kein ernsthaftes Risiko für eine Beeinträchtigung der ordnungsgemässen Durchführung der Asylverfahren durch das SEM. Dementsprechend hob es die Verfügung des SEM in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und verpflichtete dieses, dem Gesuchsteller unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes einen teilweisen (aber weitgehenden) Zugang zum verlangten Dokument zu gewähren.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.

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Kommentar: In diesem Urteil machte das BVGer einmal mehr deutlich, dass die Anwendbarkeit von Ausnahmebestimmungen des BGÖ – insbesondere bei einer vollständigen Zugangsverweigerung – nicht leichthin angenommen und mit generischen Argumenten gerechtfertigt werden kann. Vielmehr hielt es dem SEM in einer relativ aufwendig recherchierten Argumentationslinie zahlreiche Fakten und Quellen aus der Asylpraxis entgegen, die dessen Haltung teilweise widerlegten.

Als überraschend und im Rahmen von BGÖ-Urteilen eher selten erweist sich der Umstand, dass das BVGer die Verfügung des SEM nicht nur aufhob, sondern direkt reformatorisch abänderte, indem es die der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ unterliegenden Stellen im Dokument explizit auflistete und dem SEM zusammen mit dem Urteil eine Version des streitgegenständlichen Dokuments mit entsprechenden Hervorhebungen zukommen liess.

VI. Aussenpolitische Interessen und internationale Beziehungen der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ)

a) Aircraft Support Optimisation Study beim Bundesamt für Rüstung armasuisse (BVGer A-2565/2020 vom 17. Januar 2022)
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Im bereits erwähnten Gesuchsverfahren betreffend Zugang zur Aircraft Support Optimisation Study hatte armasuisse gegenüber dem Gesuchsteller die vollständige Zugangsverweigerung verfügt. Die

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Die Zugangsverweigerung zur Studie begründete armasuisse insbesondere damit, dass diese den Bestimmungen der USA zur Beschränkung des Exports rüstungsrelevanter Güter ins Ausland, den sog. ITAR-Richtlinien (International Traffic in Arms Regulations), unterliegen würde, und das U.S. Departement of State (US-DoS) auf Anfrage die Freigabe der Studie ausdrücklich abgelehnt habe. Die ITAR-Richtlinien würden die Verpflichtungen der USA unter dem Wassenaar Arrangement[10] ausführen, an welchem auch die Schweiz beteiligt sei. Eine Offenlegung der Studie ohne Zustimmung der USA berge das Risiko, die Beziehungen zu den USA, die sich unterdessen wieder normalisiert hätten, erneut und nachhaltig zu verschlechtern. Es bestehe demnach ein ernsthaftes und naheliegendes Risiko, dass bei einer Zugangsgewährung die aussenpolitischen Interessen und die internationalen Beziehungen der Schweiz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ erheblich beeinträchtigt würden.

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Das BVGer führte hierzu aus, dass es weder den internationalen Gepflogenheiten noch der Staatenpraxis entspreche, mit Geheimhaltungsinteressen anderer Staaten behaftete Informationen öffentlich zugänglich zu machen. Die Offenlegung von solchen Informationen könne zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führen. Zudem sei in diesem Fall zu beachten, dass das Exportkontrollregime des Wassenaar Arrangements der Wahrung der internationalen Sicherheit und Stabilität, mithin gewichtigen internationalen Interessen diene und die USA eine Publikation der betroffenen Studie in Anwendung ihrer ITAR-Richtlinien wiederholt in aller Deutlichkeit abgelehnt hätten. Daher sei anzunehmen, dass die USA kein Verständnis dafür aufbringen würden, sollte der Zugang zur Studie dennoch gewährt werden, zumal die Schweiz ebenfalls Teilnehmerstaat des Wassenaar Arrangements sei und sich damit zu dessen Zielen bekannt habe. Die politische Verlässlichkeit der Schweiz als Teilnehmerstaat des Wassenaar Arrangements könnte dadurch in Frage gestellt werden.

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Damit habe armasuisse das überwiegende Geheimhaltungsinteresse an der strittigen Studie in Anwendung der Ausnahmebestimmung von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ nachvollziehbar dargelegt. Unter den vorliegenden Umständen sei von einem ernsthaften und keinesfalls nur von einem entfernt denkbaren Risiko auszugehen, dass eine Veröffentlichung die aussenpolitischen Interessen und internationalen Beziehungen der Schweiz erheblich beeinträchtigen könnte. Im konkreten Fall sei es zudem auch nicht möglich, die Studie auszugsweise zugänglich zu machen, denn die USA hätten ausdrücklich an einer umfassenden Geheimhaltung der Studie festgehalten. Folglich wären die erwähnten Beeinträchtigungen für die Interessen der Schweiz auch bei einem teilweisen Zugang zu erwarten. Demnach habe armasuisse den Zugang zu Recht verweigert. Das BVGer wies die Beschwerde daher ab.

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Kommentar: Auch wenn es unbefriedigend erscheint, einem ausländischen Staat de facto ein Vetorecht gegen eine Offenlegung eines im Auftrag der Bundesverwaltung erstellten Dokuments einräumen zu müssen, blieb dem BVGer bei dieser Ausgangslage keine andere Möglichkeit, als die Anwendbarkeit dieser Ausnahmebestimmung zu bejahen. Es liegt auf der Hand, dass eine langjährige, historisch gewachsene Praxis im Umgang mit Informationen eines anderen Staates nicht leichthin umgestossen werden kann.

b) Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) des Staatssekretariates für Migration SEM (BVGer A-2022/2021 vom 7. Juni 2022)
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Im bereits erwähnten Urteil zum Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) im Zusammenhang mit Asylentscheiden betreffend Eritrea verweigerte das SEM den Zugang zum Dokument vollständig, indem es u.a. unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ erklärte, die Offenlegung des fraglichen Dokuments würde die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Eritrea im Bereich der Migration und Rückführung beeinträchtigen. Dies insbesondere deshalb, weil im Dokument mehrfach Kritik an der Situation in Eritrea und am Umgang mit Deserteuren, Armeedienstverweigerern und regierungskritischen Personen geäussert werde. Darüber hinaus gelte Eritrea seit einem Jahrzehnt als eines der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden in der Schweiz. Die entsprechend umfangreiche Diaspora in der Schweiz sei gut vernetzt, weshalb das streitgegenständliche Dokument mit grosser Wahrscheinlichkeit innert kurzer Zeit auch in Eritrea verbreitet werden würde. Schliesslich habe der EDÖB anlässlich eines anderen Schlichtungsverfahrens die teilweise Verweigerung des Zugangs zu einem Dienstreisebericht des SEM in Eritrea geschützt, weil dieser Bewertungen über Eritrea enthielt, die als offizielle Werturteile der Schweiz zu qualifizieren waren.

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Das BVGer widersprach dieser Argumentation. Es stellte fest, dass das fragliche Dokument im Wesentlichen die Asylpraxis in Bezug auf eritreische Asylsuchende beschreibe, wie sie bereits aus den Entscheiden der ehemaligen Asylrekurskommission und des BVGer hervorgehe. Diese Praxis, die bekanntermassen kritisch gegenüber der in Eritrea herrschenden Gegebenheiten sei, gelte somit grundsätzlich als öffentlich bekannt. Weiter verweise das Dokument verschiedentlich auf andere Berichte mit länderspezifischen Informationen, deren Hauptautor ebenfalls das SEM sei. Die offizielle, kritische Haltung des SEM gegenüber der eritreischen Regierung und der Situation in Eritrea könne etwa auch auf dessen Website unter der Rubrik «Häufig gestellte Fragen zu Eritrea»; «Wie ist die Lage in Eritrea nach Ansicht des SEM?» nachgelesen werden. Entsprechendes gehe überdies auch aus der öffentlich publizierten Antwort des EJPD auf das Schreiben des UNO-Hochkommissariates für Menschenrechte (OHCHR) aus dem Jahr 2019 zur Situation von eritreischen Asylsuchenden in der Schweiz hervor.

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Schliesslich wies das BVGer auf den Umstand hin, dass das SEM die Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ erst im Beschwerdeverfahren anrief, nicht hingegen in vorangegangenen Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB. Darin erkannte es einen Hinweis auf die Bedeutung, welche das SEM dieser Ausnahmebestimmung selbst beizumessen schien. Wäre das SEM tatsächlich von einer solchen Beeinträchtigung der aussenpolitischen Interessen und der internationalen Beziehungen der Schweiz ausgegangen, so hätte es diese Einrede bereits im Schlichtungsverfahren an erster Stelle vorgebracht. Auch vor diesem Hintergrund sei es dem SEM nicht gelungen, rechtsgenügend nachzuweisen, dass die Offenlegung des Dokuments APPA mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der aussenpolitischen Interessen und der internationalen Beziehungen der Schweiz führen würde.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.

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Kommentar: Mit diesem Urteil macht das BVGer deutlich, dass die übliche gerichtliche Zurückhaltung im Rahmen der Überprüfung aussenpolitischer Einschätzungen der Behörden anlässlich der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ tatsächlich nicht als Blankocheck verstanden werden darf. Vielmehr muss das Schadensrisiko für eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung glaubhaft dargelegt werden können.

Soweit ersichtlich hat das BVGer zudem zum ersten Mal in seiner BGÖ-Rechtsprechung die Legitimität der Anrufung einer Ausnahmebestimmung durch die Behörde unter Hinweis auf die Prozessgeschichte in Zweifel gezogen. Da dies nur in Ergänzung zur üblichen Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ geschah, ist nichts dagegen einzuwenden. Für sich alleine genommen dürfte hingegen der Umstand, dass eine Behörde erst anlässlich des Beschwerdeverfahrens eine (weitere) Ausnahmebestimmung anruft, nicht zu ihrem Nachteil ausgelegt werden.

VII. Gefährdung der wirtschafts-, geld- und währungspolitischen Interessen der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 Bst. f BGÖ)

Impfstoffverträge des Bundesamtes für Gesundheit BAG mit diversen Unternehmen während der COVID-19-Pandemie (BVGer A-3858/2021 vom 21. April 2022)
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Eine Interessenvertreterin verlangte beim BAG Zugang zu diversen Verträgen mit Moderna, Molecular Partners, AstraZeneca, Pfizer/Biontech, Curevac und Novavax für COVID-19-Impfstoffe. Das BAG schob den Zugang u.a. gestützt auf Art. 7 Abs. 1 Bst. f BGÖ bis zum Abschluss der Verhandlungen über die Beschaffung der Impfstoffe auf. Im darauffolgenden Schlichtungsverfahren vor dem EDÖB schützte dieser in seiner Empfehlung den Zugangsaufschub, woraufhin die Gesuchstellerin vom BAG eine Verfügung verlangte und gegen diese mit Beschwerde an das BVGer gelangte.

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In seinem Urteil kam das BVGer zum Schluss, dass der Zugangsaufschub bis zum Abschluss der Impfstoffbeschaffung (vom BAG selbst auf den 30. Juni 2022 festgelegt) gestützt auf Art. 7 Abs. 1 Bst. f BGÖ legitim erscheine. Dies deshalb, weil sich zum Zeitpunkt des Zugangsaufschubes durch das BAG der internationale Impfstoffmarkt noch nicht stabilisiert habe und die Nachfrage nach grossen Mengen an Impfstoffen das Angebot bei Weitem übersteige, weshalb jeder Staat versuchte, seine eigene Versorgung möglichst rasch abzusichern. Demnach habe das BAG also nicht riskieren können, dass durch eine Veröffentlichung der selbst ausgehandelten Bedingungen andere Länder die Möglichkeit erhielten, höhere Preise für den verfügbaren Impfstoff anzubieten, um sich damit die vorrangige Verfügbarkeit zu sichern. Insofern würde eine Offenlegung der verlangten Impfstoffverträge während der noch laufenden Impfstoffbeschaffung durchaus die wirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz beeinträchtigen.

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Weiter habe das Parlament in der Wintersession 2021 im Rahmen der Beratung der Revision des Covid-Gesetzes[11] gerade keine Einigung über eine grundsätzliche Pflicht zur Veröffentlichung von Impfstoffverträgen erzielt, sondern daran erinnert, dass sich das Recht auf Zugang zu diesen Verträgen nach dem BGÖ richte. Demnach sei den vom BAG angerufenen Ausnahmebestimmungen und der entsprechenden Risikoeinschätzung der Behörde bei einer Offenlegung Rechnung zu tragen. Nicht relevant sei zudem der Hinweis der Beschwerdeführerin, dass die EU Informationen über ihre eigenen Impfstoffverträge publiziere, denn in der Schweiz würden die Transparenzvorschriften der EU keine direkte Anwendung finden. Vielmehr beruhe das schweizerische Transparenzrecht gerade nicht auf denselben Grundsätzen wie jenes der EU, und auch die Position der Schweiz und der EU sowie ihre jeweilige Verhandlungsmacht auf dem Impfstoffmarkt sei keineswegs identisch.

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Da aus heutiger Sicht auf dem Impfstoffmarkt keine Versorgungsengpässe mehr bestünden und das Angebot die Nachfrage decken könne, nehme die Bedeutung der zunächst legitimen Begründung für den vorübergehenden Zugangsaufschub laut BVGer mit zunehmender Zeit ab. Das BAG habe verschiedentlich selbst festgehalten, dass es nach dem 30. Juni 2022 keinen Grund für einen weiteren Aufschub des Zugangs mehr sehe und zu diesem Zeitpunkt eine Anhörung nach Art. 11 BGÖ der betroffenen Unternehmen durchführen werde. Mit diesem Vorgehen habe das BAG demnach auch dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz Rechnung getragen.

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Da die vom BAG vorgebrachten Gründe für den Zugangsaufschub zum Zeitpunkt des Urteils gemäss BVGer immer noch relevant waren, sah es keinen Grund, die angefochtene Verfügung abzuändern. Es warf jedoch die Frage auf, ob der Zugangsaufschub in der Verfügung dahingehend modifiziert werden könnte, dass er explizit nur bis zum bereits vom BAG genannten Termin vom 30. Juni 2022 befristet werde. Es verwarf diese Idee jedoch sogleich wieder unter Hinweis darauf, dass das BGÖ die Behörde anlässlich eines Zugangsaufschubes nicht verpflichte, nach Wegfall der Aufschubgründe von sich aus auf das Gesuch zurückzukommen. Vielmehr habe die gesuchstellende Person jederzeit die Möglichkeit, ein neues Gesuch einzureichen.

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Kommentar: Ein vorübergehender Aufschub des Zugangs zu amtlichen Dokumenten bezweckt den Schutz zeitlich befristeter Geheimhaltungsinteressen. Je nach zeitlicher Perspektive für das Bestehen solcher vorübergehenden Geheimhaltungsinteressen muss sich eine gesuchstellende Person die Frage stellen, inwiefern ein Beschwerdeverfahren überhaupt zielführend sein kann. Im vorliegenden Fall wurden die zeitlich befristeten Geheimhaltungsgründe von der Behörde selbst auf einen relativ kurzen zeitlichen Rahmen beschränkt, welcher ein Beschwerdeverfahren nach der hier vertretenen Auffassung von vornherein als wenig aussichtsreich erscheinen liess.

VIII. Dokumente mit Personendaten / Anhörung betroffener Dritter (Art. 7 Abs. 2, Art. 9, Art. 11 BGÖ und Art. 19 Abs. 1bis DSG)

a) Prüfungsbericht der RAB betreffend die Revisionstätigkeiten der KPMG AG für die PostAuto AG (BGer 1C_93/2021 vom 6. Mai 2022)
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Im bereits erwähnten Fall des Prüfungsberichts der RAB rügte das BGer auch die unterlassene Prüfung durch das BVGer, ob der streitgegenständliche Bericht gemäss Art. 9 Abs. 1 BGÖ anonymisierbar gewesen wäre. Für die im Bericht enthaltenen Personendaten von natürlichen Personen bejahte es dies sogleich, während es eine Anonymisierung der im Bericht enthaltenen Personendaten der KPMG für nicht möglich erklärte. Schliesslich beurteilte es die vom BVGer vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 9 Abs. 2 BGÖ i.V.m. Art. 19 Abs. 1bis DSG als mangelhaft, da diese einerseits konzeptwidrige Elemente, wie etwa das Einsichtsinteresse der Gesuchstellerinnen, berücksichtigte und andererseits naheliegende und gewichtige öffentliche Einsichtsinteressen ausblendete oder zumindest falsch gewichtete. Im Ergebnis hob das BGer das vorinstanzliche Urteil vollumfänglich auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an das BVGer zurück.

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Kommentar: Das Urteil des BGer vermag zu überzeugen. Die Kritik an der unterlassenen Prüfung der Anonymisierbarkeit des streitgegenständlichen Berichts und an der mangelhaften Interessenabwägung durch die Vorinstanz ist schlüssig begründet und mit Blick auf die konzeptionelle Ausgestaltung des BGÖ korrekt hergeleitet. Dieses Urteil ist ein interessantes Beispiel dafür, wie eine konzeptwidrige und unsorgfältige Anwendung des BGÖ zu falschen Ergebnissen führen kann.

b) Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) des Staatssekretariates für Migration SEM (BVGer A-2022/2021 vom 7. Juni 2022)
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Im bereits erwähnten Urteil zum Dokument «APPA» (Asyl Praxis/Pratique en matière d’asile) im Zusammenhang mit Asylentscheiden betreffend Eritrea verweigerte das SEM den Zugang zum Dokument u.a. auch unter Hinweis auf den Schutz der Privatsphäre von im Dokument erwähnten Mitarbeitenden des SEM. Die Namen dieser Personen müssten vertraulich behandelt werden.

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Das BVGer stellte zunächst fest, dass das fragliche Dokument insbesondere die Namen jener SEM-Mitarbeitenden enthalte, die für die Leitung der jeweiligen Sektionen zuständig seien, sowie Namen und E-Mail-Adressen von Ansprechpersonen in der zuständigen Schweizer Vertretung im Ausland. Es wies unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung darauf hin, dass der im BGÖ vorgesehene Schutz der Privatsphäre für Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung nicht im gleichen Masse wie für private Dritte gelte. Soweit die Person in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe gehandelt habe, könne sie sich grundsätzlich nicht auf den Schutz ihrer Privatsphäre berufen. Ihre persönlichen Daten im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer öffentlichen Tätigkeit würden daher grundsätzlich nicht der gesetzlichen Anonymisierungsverpflichtung unterliegen.

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Im Ergebnis liess das Gericht eine Anonymisierung der SEM-Mitarbeitenden im Dokument aber dennoch zu, da der Gesuchsteller sich anlässlich seiner Beschwerdeschrift explizit mit einer Anonymisierung ebendieser Personendaten einverstanden erklärt hatte und eine solche ohne Weiteres umsetzbar war. Ergänzend wies das Gericht zudem auf die Praxis der ehemaligen Asylrekurskommission hin, wonach im Rahmen des Rechts auf Anhörung in Asylverfahren die Personendaten von Experten des SEM für die Herkunfts- und Dokumentenanalyse vertraulich behandelt worden seien, um Druckversuchen oder Vergeltungsmassnahmen vorzubeugen.

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Eine Beschwerde gegen dieses Urteil ist vor BGer hängig.

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Kommentar: Das Abstellen des BVGer auf die Anonymisierungspraxis der ehemaligen Asylrekurskommission betreffend Personendaten von Experten mit Spezialaufgaben im Asylverfahren belegt, dass Interessenabwägungen anlässlich der Bekanntgabe von Personendaten immer Einzelfallentscheide sind. Trotz der geltenden Praxis, wonach Daten von Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung, die in direktem Zusammenhang mit der Ausübung ihrer öffentlichen Aufgabe stehen, grundsätzlich nicht der Anonymisierungspflicht unterliegen, wurde in diesem Einzelfall ein überwiegendes privates Geheimhaltungsinteresse aufgrund möglicher negativer Beeinträchtigungen ihrer Privatsphäre anerkannt.


* Die Autorin (annina.keller@gmx.ch) und der Autor (danielkae@hotmail.com) vertreten in diesem Beitrag ihre persönliche Meinung.

Fussnoten:

  1. Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; SR 780.1).
  2. Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20).
  3. Bundesstatistikgesetz (BStatG; SR 431.01).
  4. Verordnung über die Bearbeitung von Personendaten im Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (Datenbearbeitungsverordnung für das BAZG, DBZV; SR 631.061).
  5. Einen guten Überblick über die Rechtsprechung zum Steuergeheimnis im Anwendungsgebiet des BGÖ bietet das Urteil BVGer A-6255/2018 vom 12. September 2019 E. 6.
  6. BGer 1C_299/2019 vom 7. April 2020 E. 5.3.
  7. Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren (Revisionsaufsichtsgesetz, RAG; SR 221.302).
  8. Vgl. dazu auch Daniel Ladanie-Kämpfer, Annina Keller, Überblick über praxisrelevante Entscheide des Jahres 2020 zum Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), medialex 03/2021, 8. April 2021.
  9. BGE 144 II 77 E. 4.2 f.
  10. https://www.wassenaar.org/.
  11. Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102).
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