Unterlagen rund um die Crypto AG bleiben geheim

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Zwei Urteile des Bundesgerichts offenbaren: Behörden und Medienschaffende kämpfen mit ungleich langen Spiessen

Michael Schweizer, Dr. iur., Rechtsanwalt *

Résumé: Deux décisions similaires fondées sur des bases juridiques différentes : Dans les ârrets 1C_321/2021 und 1C_257/2022 de 7 juni 2023 le Tribunal fédéral estime que la confidentialité des documents concernant Crypto AG prévaut sur l’intérêt public du suivi de l’affaire. Au vu de la jurisprudence du Tribunal fédéral relative à l’art. 7 al. 1 let. d LTrans, ces décisions ne sont guère surprenantes. Mais l’argumentation traduit un déséquilibre. Alors que les autorités peuvent se contenter de généralités (en comparaison) dans la justification des risques, les médias doivent invalider ces vagues arguments de manière étayée. Si un préjudice aux relations internationales est invoqué, les médias auront beaucoup de mal à défendre leur accès aux documents. Toutefois, la décision encouragera d’autres procédures judiciaires sur la base de l’art. 7, al. 1 let. d LTrans. Les justiciables voudront concrétiser les limites de l’important pouvoir d’appréciation des autorités et en particulier les exigences en matière de probabilité des risques et leur justification. Sans quoi l’exception se transformera en règle, car les autorités invoqueront l’article de manière de plus en plus globale.

Zusammenfassung: Zwei gleichlautende Entscheide auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage: In den Urteilen 1C_321/2021 und 1C_257/2022 vom 7. Juni 2023 gewichtet das Bundesgericht das Interesse an der Geheimhaltung von Unterlagen rund um die Crypto AG stärker als das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung der Affäre. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ überraschen die Entscheide kaum. Die Begründung offenbart indes: Behörden und Medienschaffenden kämpfen mit ungleich langen Spiessen. Während sich die Behörden bei der Begründung der Risiken (vergleichsweise) mit Allgemeinplätzen begnügen können, sollen Medienschaffende deren vagen Argumente substantiiert entkräften. Steht also die Beeinträchtigung von Aussenbeziehungen im Raum, haben Medienschaffende im Streit um die Einsicht einen schweren Stand. Trotzdem werden die Entscheide weitere Rechtsverfahren zu Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ eher fördern. Rechtssuchende werden die Grenzen des weiten behördlichen Ermessensspielraums greifbarer machen wollen – insbesondere auch die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Risiken und deren Begründung. Ansonsten wandelt sich der Ausnahmetatbestand zur Regel, indem sich Behörden zunehmend pauschal darauf berufen.

1. Ausgangslage: Zwei Gesuche um Akteneinsicht, zwei Rechtsgrundlagen

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In Zusammenhang mit Recherchen und der Berichterstattung rund um die «Cryptoleaks-Affäre» bemüht sich eine SRF-Journalistin im Herbst 2019 sowie anfangs 2020 um Einsicht in verschiedene Akten.

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Einerseits ersucht sie das Bundesarchiv (BAR) um Einsicht in archivierte Akten der damaligen Bundespolizei. Die Akten stammen aus der polizeilichen Voruntersuchung, die im 1994 und 1995 wegen Verdacht auf Spionage gegen die ehemalige Crypto AG durchgeführt wurde. Das Einsichtsgesuch stützt sich auf das Bundesgesetz über die Archivierung (BGA).[1] Die Einsicht verfolgt namentlich das Ziel, die Ernsthaftigkeit der durchgeführten Befragungen zu analysieren. Es steht die Frage im Raum, ob die Untersuchung in Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze politisch beeinflusst wurde.

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Anderseits gelangt die Journalistin gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)[2] an die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV). Konkret verlangt sie Zugang zu einer ungeschwärzten Liste aller bei der SERV beantragten und bewilligten Projekte der Crypto AG zwischen 2007 und 2018 – und weiter zurück, falls die SERV über Daten ihrer Vorgängerin, der Exportrisikogarantie, verfügt. Konkret verlangt die Journalistin pro Projekt Angaben zum Exportland, Titel und Wert der Lieferung, Datum der versicherten Lieferung, Typ des Produkts.

2. Das Verfahren SERV (BGer 1C_321/2021 vom 7. Juni 2023)

a) EDÖB empfiehlt Einsicht, SERV und Gerichte verweigern sie

4

Die SERV verweigert den Zugang nach Anhörung der betroffenen Unternehmen B. AG und C. AG vollständig.[3] Danach strengt die Journalistin ein Schlichtungsverfahren beim EDÖB an. Dieses endet im Juni 2020 mit einer Empfehlung des EDÖB. Zusammenfassend stellt dieser fest, dass keine Ausnahmetatbestände hinreichend dargelegt seien. Er empfiehlt der SERV, der Journalistin Zugang zur Liste mit den versicherten Produkten zu gewähren, mit Firmennamen (Exporteur), Produkttyp, Käuferstaat, Auftragswert und Abschlussjahr der Versicherung.[4]

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Auf Ersuchen der betroffenen Unternehmen erlässt die SERV eine Verfügung. Sie verweigert den Zugang vollständig, unter anderem mit Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ. Demnach kann der Zugang zu amtlichen Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden, wenn durch seine Gewährung die aussenpolitischen Interessen oder die internationalen Beziehungen der Schweiz beeinträchtigt werden können.[5]

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Die dagegen erhobene Beschwerde der Journalistin wies das Bundesverwaltungsgericht im April 2021 ab.[6] Schliesslich gelangte sie an das Bundesgericht, das den Entscheid der Vorinstanz bestätigte.[7]

b) Zu Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ

7

Wie schon der Titel von Art. 7 BGÖ zum Ausdruck bringt, gehört Art. 7 Abs. 1 Bst. d zu den Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip. Die gesetzgeberische Prämisse war: Die Aussenbeziehungen zählen zu den sensitiven Bereichen staatlicher Tätigkeit. Deshalb hätten sämtliche Staaten, welche das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt haben, die Veröffentlichung von Auskünften oder Informationen eingeschränkt, welche die Wahrnehmung ihrer Interessen in auswärtigen Angelegenheiten stören.

8

Im Vordergrund stand die Informationsbeschaffung der Schweiz über das Ausland und die Wahrung der Vertraulichkeit als Voraussetzung erfolgreicher Verhandlungen und diplomatischer Demarchen, etwa diplomatische Schutzmassnahmen bei Entführungen von Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland. Auch könne die Schweiz aufgrund von Verträgen oder internationaler Praxis verpflichtet sein, Informationen geheim zu halten, welche ein ausländischer Staat oder eine internationale Organisation als vertraulich übergibt. Bei Verletzung dieser Grundsätze riskiere eine Behörde, dass wichtige Informationsquellen versiegen.

9

Leitgedanke ist der Schutz der Beziehungen zu anderen Staaten oder internationalen Organisationen. Diese können in einem weiteren Sinn auch Beziehungen der Schweiz zu halbprivaten oder privaten ausländischen Ansprechpartnern umfassen.[8] Das gesetzgeberische Anliegen ist nachvollziehbar. Die Materialien und der Gesetzeswortlaut zeigen aber: Die Intention ist äusserst weit gefasst.

c) Praxis des Bundesgerichts

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Ganz im Sinne der breit gefassten gesetzgeberischen Intention liest sich die bisherige Praxis des Bundesgerichts. Es können die aussenpolitischen Interessen der Schweiz beeinträchtigt sein, wenn ein anderer Staat zu veröffentlichende Daten zum Nachteil der Schweiz ausnützen könnte. Insbesondere sollen durch eine allfällige Publikation von Informationen die aktuellen und künftigen Verhandlungspositionen der Schweiz nicht geschwächt werden. Analoges gelte, wenn sich durch die Veröffentlichung bestimmter Daten die Beziehungen zu anderen Staaten oder internationalen Organisationen verschlechtern könnten. Immerhin muss die befürchtete Beeinträchtigung bei Offenlegung der Daten gemäss Bundesgericht erheblich sein, und es muss ein ernsthaftes Risiko für deren Eintritt bestehen. Diese Gefahr setze voraus, dass sich der Nachteil nach dem üblichen Lauf der Dinge und mit hoher Wahrscheinlichkeit ergebe[9].

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Das Bundesgericht musste sich schon in früheren Verfahren mit der Kritik auseinandersetzen, Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ räume den Behörden einen zu weiten Spielraum ein. Die Antwort des Bundegerichts: Das ist so gewollt. Es liege in der Natur von Entscheiden politischen und insbesondere aussenpolitischen Gehalts, «dass sie der justiziellen Kontrolle nur bedingt zugänglich sind, da sie gerade nicht allein auf rechtlichen, sondern zu einem grossen Teil auf politischen Kriterien beruhen.» Der gerichtliche Entscheid über die Anwendbarkeit von Art. 7 Bst. d BGÖ sei eine Rechtsfrage, «die über eine nicht unbedeutende aussenpolitische Komponente verfügt». Dem sei mit einer gewissen Zurückhaltung bei der Überprüfung des Exekutiventscheids durch die gerichtlichen Instanzen Rechnung zu tragen. Konkret beziehe sich die Zurückhaltung auf die politische Opportunität des Entscheides. Dafür erhalte die Exekutive aber keinen Freipass. Deren Entscheide müssten zumindest nachvollziehbar sein und sachlich; der Beurteilungsspielraum sei pflichtgemäss zu nutzen.[10]

d) Zum Entscheid des Bundesgerichts

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Auf die oben dargelegte Praxis stützt sich das Bundesgericht auch im hier besprochenen Urteil. Vor diesem Hintergrund überrascht der Entscheid nicht. Wer sich ein eigenes Bild über die konkreten Geheimhaltungsinteressen und deren Abwägung mit den öffentlichen Interessen an Aufarbeitung sucht, wird allerdings enttäuscht. Die Auseinandersetzung bleibt insofern oberflächlich, als das Bundesgericht sie bewusst auf einer übergeordneten Argumentationsebene führt.

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So argumentierte die Journalistin beispielsweise, die Informationen zum Produktetyp seien derart allgemein, dass das ins Ausland gelieferte Produkt nicht identifizierbar sei. Gleichzeitig enthielten vom SECO publizierte Statistiken zu erteilten Exportbewilligungen bereits Informationen zu Exportland, Produkttyp, Datum und Auftragswert. Die ersuchten Informationen seien also bereits weitestgehend bekannt. Zudem wäre selbst ein identifizierbares Produkt nicht per se geheimhaltungswürdig, da es keinen Rückschluss auf den individuellen Algorithmus pro Produkt erlaube. Die Überwindung von Sicherheitsbarrieren werde durch die verlangten Informationen nicht erleichtert.

14

Das Bundesgericht hält indes schon die Information für schützenswert, welcher Staat zu welchem Zeitpunkt und Auftragsvolumen Verschlüsselungstechnologie von welchem konkreten Anbieter erworben hat. Dies sei mit den Informationen gemäss SECO-Statistik nicht zu vergleichen. Die Frage der Identifizierbarkeit konkreter Produkte sei folglich irrelevant.

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Zudem gehe es auch nicht um den Schutz vor Überwindung von Sicherheitsbarrieren, sondern «um die internationalen Gepflogenheiten und die Staatenpraxis, wonach mit Geheimhaltungsinteressen anderer Staaten behaftete Informationen nicht öffentlich zugänglich gemacht würden.» Die betroffenen Empfängerländer hätten aufgrund von Geheimhaltungsinteressen kein Verständnis dafür, wenn die Schweiz Informationen über die von ihnen erworbene Verschlüsselungstechnik für abhörsichere Kommunikation an eine Journalistin weitergäbe. Tatsächlich verwies jedoch das Bundesverwaltungsgericht auf Praxis in Zusammenhang mit der Überwindung von Sicherheitsbarrieren. Demnach sei die Vermeidung der Streuung von Informationen zu Produktversionen ein legitimes Anliegen, um das Überwinden durch weite Kreise zu verhindern. Vielleicht ein Grund dafür, dass das Bundesgericht zusätzlich noch das Novenverbot bemüht: Die Journalistin habe nicht dargelegt, dass die Ausstattung mit einem geheimen, kundenspezifischen Algorithmus bereits in einem vorinstanzlichen Verfahren thematisiert worden wäre.

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Hätte dies etwas geändert? Kaum. Die übrigen Erwägungen des Bundesgerichts führen denn auch zum Kern der Argumentation: dem politischen Ermessenspielraum. Die Journalistin kritisierte wie schon der EDÖB, dass die SERV nicht plausibel habe darlegen können, inwiefern die Empfängerstaaten ein substanzielles Interesse an Vertraulichkeit ihrer Beziehungen mit der Krypto AG (aufgelöst), der B. AG (liquidiert) oder der C. AG haben, und inwiefern dies zu ernsthaften zwischenstaatlichen Verstimmungen führen würde. Zwar habe die SERV diplomatische Spannungen erwähnt. Diese beträfen aber die potenzielle Entsiegelung von Chiffriergeräten, die im Rahmen der (eingestellten) Untersuchungen durch die Bundesanwaltschaft bei der C. AG beschlagnahmt worden waren.

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Dem folgt das Bundesgericht nicht. Die Vorinstanz habe auf die internationalen Gepflogenheiten und die Staatenpraxis verwiesen, denen zufolge mit Geheimhaltungsinteressen anderer Staaten behaftete Informationen nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Offenlegung könne zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führen. Mit dieser «nachvollziehbaren Argumentation» habe sich die Journalistin nicht auseinandergesetzt. Dazu ist festzustellen: Sehr viel mehr als diesen generischen Hinweis auf die Staatenpraxis hat die Vorinstanz nicht erläutert.

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Das Bundesgericht stimmt zwar zu, dass die diplomatischen Spannungen nicht mit der potenziellen Offenlegung der streitgegenständlichen Informationen zusammenhängen. Die Spannungen rund um die Entsiegelung, die von Staatsvertretern als potenzielle Verletzung ihrer Souveränität beurteilt worden sei, deute aber darauf hin, «dass der Handel mit Verschlüsselungstechnologie im internationalen Kontext als sensibler Bereich wahrgenommen werde». Die Vorinstanz sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Offenlegung der Informationen die Beziehungen der Schweiz zu diesen Staaten ernsthaft beeinträchtigen könnte. Vielmehr würde die Offenlegung «konkret» «mit einiger Wahrscheinlichkeit» zu einem Vertrauensverlust gegenüber dem Umgang der Schweizer Behörden mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen ausländischer Staaten führen. Wie die betroffenen Empfängerstaaten reagieren würden, sei schwierig abzuschätzen. Ein «eindeutiger» Beweis könne daher nicht verlangt werden.

19

Diese Begrifflichkeiten des Bundesgerichts klingen mit Blick auf die praxisgemäss geforderte hohe Risikowahrscheinlichkeit fast schon schüchtern. Zudem verlangte die Journalistin keinen eindeutigen Beweis. Sie bemängelte, die Vorinstanz habe die Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend plausibel dargelegt. Mehr hat das Bundesgericht zur Plausibilität nicht beigetragen. Es genügt die übergeordnet begründete Schutzwürdigkeit der Informationen. Es genügt ein wenig substantiierter Hinweis auf Staatenpraxis. Es genügt ein Hinweis auf frühere diplomatische Spannungen in ähnlichem Zusammenhang. Die Überlegungen sind zwar im Grundsatz nachvollziehbar. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass Behörden in Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ pauschal argumentieren können, während Rechtssuchende deren Argumente substantiiert entkräften sollen.

3. Das Verfahren BAR (BGer 1C_257/2022 vom 7. Juni 2023)  

a) Einbezug des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB)

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Das Bundesarchiv überwies das Gesuch zuständigkeitshalber an den NDB zur Prüfung. Auf Basis des NDB-Entscheids wollte das BAR nur teilweise Einsicht gewähren. Auf Ersuchen der Journalistin erliess der NDB nach Gewährung des rechtlichen Gehörs im September 2020 eine anfechtbare Verfügung und verweigerte seinerseits die Einsicht in die restlichen Dossiers.

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Das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde der Journalistin im März 2022 ab. Es begründete die Abweisung im Wesentlichen mit gewichtigen öffentlichen Interessen. Namentlich könne die Gewährung des Zugangs die Beziehungen der Schweiz zu mehreren ausländischen Staaten dauerhaft beeinträchtigen. Der potenzielle Vertrauensverlust habe möglicherweise Implikationen auf die Sicherheit der Schweiz.[11] Das Bundesgericht bestätigte am gleichen Tag wie im SERV-Verfahren auch diesen Entscheid.[12]

b) Die rechtliche Ausgangslage

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Die streitgegenständlichen Dossiers unterstehen einer verlängerten Schutzfrist von 50 bzw. 80 Jahren. Gemäss Art. 13 Abs. 1 BGA können die abliefernden Stellen auf Antrag des Bundesarchivs bereits vor Ablauf der Schutzfrist die Einsichtnahme u.a. dann gewähren, wenn keine gesetzlichen Vorschriften (Bst. a) und keine überwiegenden schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen (Bst. b).

23

Die Vorinstanz vertrat die Position, eine Interessenabwägung sei unnötig. Der Verordnungsgeber habe in Art. 14 Abs. 3 VBGA[13] definiert, welche überwiegenden Geheimhaltungsinteressen eine Verlängerung der Schutzfrist erlaubten. Dazu gehört die Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz sowie der Beziehungen zu ausländischen Staaten und internationalen Organisationen. Lägen im konkreten Einzelfall solche Geheimhaltungsinteressen vor, sei automatisch auch die Voraussetzung der überwiegenden Geheimhaltungsgründe im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Bst. b BGA erfüllt.

c) Zum Entscheid des Bundesgerichts

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Kann also aufgrund der korrekt verlängerten Schutzfrist auf eine Interessenabwägung verzichtet werden? Diese Auffassung teilt das Bundesgericht nicht. Art. 13 Abs. 1 Bst. b BGA verlange im konkreten Fall eine Abwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen einerseits und den Einsichtsinteressen andererseits. Zwar lägen öffentliche Interessen vor, die im Sinne des BGA zu einer Verlängerung der Schutzfrist geführt haben. Das schliesse aber nicht von vornherein aus, dass zum Zeitpunkt der Anfrage ein überwiegendes Interesse an Einsicht vorliege. Eine Interessenabwägung erübrige sich nur, wenn der Einsicht gesetzliche Vorschriften gemäss Art. 13 Abs. 1 Bst. a BGA entgegenstünden.

25

Für das Bundesgericht ändert das jedoch nichts an der Rechtmässigkeit des vorinstanzlichen Entscheids. Die Vorinstanz habe «entgegen ihren eigenen Ausführungen» sehr wohl eine Interessenabwägung vorgenommen.

26

Auch in diesem Entscheid umschifft das Bundesgericht das Argument der Journalistin, zahlreiche Fakten im Zusammenhang mit der Crypto AG-Affäre seien aufgrund der medialen Aufarbeitung bereits publik. Es gehe nicht direkt um Informationen, die bereits bekannt seien, sondern um jene, die noch geheim seien. Dazu gehörten Informationen über oder von ausländischen Partnerdiensten, über involvierte Personen oder über jene Länder, die Chiffriergeräte von der Crypto AG bezogen haben.

27

Darüber hinaus verweist das Bundesgericht auf die oben in Ziff. 2 (Rn 10 f.) erwähnte Praxis zum Öffentlichkeitsgesetz. Die Behörde habe einen grossen Interpretationsspielraum bei der Beantwortung der Frage, ob die Bekanntgabe von Informationen die aussenpolitischen Interessen und internationalen Beziehungen der Schweiz gefährde. Diesen Leitgedanken wendet das Bundesgericht auch auf das Gesuch nach Archivierungsgesetz an. In gleicher Weise bedürfe es «gewisser Hypothesen bzw. der Annahme unerwünschter Szenarien», die als Folge der Veröffentlichung bestimmter Informationen eintreten könnten, um solche Gefahren zu beurteilen.

28

Aus Sicht des Bundesgerichts sei «nicht von der Hand zu weisen», dass bei Veröffentlichung dieser Informationen das Risiko eines Vertrauensverlustes seitens der Partnerdienste, aber auch seitens der Länder, welche Chiffriergeräte von der Crypto AG bezogen haben, erheblich wäre. Die Bekanntgabe der Informationen könne zu einer Beeinträchtigung der internationalen Beziehungen führen und Auswirkungen auf die Sicherheit haben, wenn die Schweiz von ausländischen Nachrichtendiensten als unsichere Partnerin betrachtet würde.

29

Die Erwägung überrascht angesichts der bisherigen Praxis nicht. Auch in diesem Entscheid fällt indes auf: Auf der einen Seite kritisiert das Bundesgericht die Journalistin, sie habe nicht aufzeigen können, «dass keine Geheimhaltungsinteressen an diesen Informationen bestehen». Umkehrt verteidigt es die Vorinstanz vor der Kritik, die Ausführungen zu den Geheimhaltungsgründen seien zu vage. Das liege in der Natur der Sache: «Bei zu vielen Details besteht das Risiko der indirekten Veröffentlichung der (geheim zu bleibenden) Akten; bei zu wenigen Details besteht das Risiko einer Verletzung der Begründungspflicht». Insgesamt genüge die Argumentation der Vorinstanz. In einem früheren Entscheid formulierte das Bundesgericht diese Ausgangslage noch mit etwas grösseren Anforderungen an die Begründung der Behörde.[14]

30

Etwas quer in der Landschaft steht der Hinweis auf die Arbeit der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation. Sie habe diesen Themenkomplex in Kenntnis aller verfügbarer Akten untersucht und einen Bericht darüber veröffentlicht. Zwar ersetze dieser die mediale Aufarbeitung des Themas nicht; er vermöge jedoch dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Aufklärung der Rolle der Bundespolizei in der Crypto-Affäre zumindest teilweise gerecht zu werden. Man darf vermuten, dass der Entscheid ohne die Arbeit der Delegation gleich ausgefallen wäre. Insofern hätte sich das Bundesgericht den halbherzigen Hinweis ersparen können. Die Journalistin wollte analysieren, ob die damaligen Voruntersuchungen unabhängig von politischem Einfluss und damit rechtsstaatlich unbedenklich abgelaufen sind. Die Analyse der Arbeit der Untersuchungsbehörden im Rahmen der politischen Oberaufsicht ersetzt die Aufarbeitung durch die Medien nicht, auch nicht teilweise. Das Argument steht vielmehr im Widerspruch zum Hinweis des Bundesgerichts, dass Medien in Bezug auf die behördliche Tätigkeit eine Kontrollfunktion wahrnehmen. Diese verfassungsrechtlich abgestützte Kontrollfunktion wird nicht dadurch obsolet, dass die Arbeit der einen Gewalt des Staates durch eine andere Gewalt aufgearbeitet wird.

4. Fazit

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Jüngst stellten Autoren einen Trend fest: Beim Konflikt zwischen Diskretions- und Transparenzanliegen stärkt das Bundesgericht die Transparenz und verpflichtet eidgenössische wie kantonale Vorinstanzen zur sorgfältigen Abwägung aller Interessen – ob es nun um amtliche Dokumente, Herausgabe von archivierten Akten oder Gerichtsurteile geht.[15]

32

Diese generelle Entwicklung ist durch die neuen Entscheide des Bundesgerichts nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie manifestieren aber eine ungleiche Länge der Spiesse, wenn Schweizer Behörden den Zugang zu amtlichen Dokumenten mit Verweis auf die Gefährdung von Aussenbeziehungen verweigern. Während sich die Behörden bei der Begründung der Risiken (vergleichsweise) mit Allgemeinplätzen begnügen können, sollen Medienschaffende die vagen Argumente substantiiert entkräften. In diesem Bereich haben Medienschaffende im Streitfall also einen schweren Stand.

33

Trotzdem oder gerade deshalb werden die beiden Entscheide weitere Rechtsverfahren zu Art. 7 Abs. 1 Bst. d BGÖ eher fördern. Rechtssuchende werden die Grenzen des weiten behördlichen Ermessensspielraums greifbarer machen wollen – insbesondere auch die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Risiken und deren Begründung. Ansonsten wandelt sich der Ausnahmetatbestand zur Regel, indem sich Behörden pauschal darauf berufen.

34

Weiter hat das Bundesgericht kürzlich einen vielbeachteten Entscheid gefällt. Es stärkte die Einsicht in das Bundesarchiv zu Forschungszwecken.[16] Die neuen Entscheide lassen nicht den Schluss zu, dass der damalige zugangsfreundliche Entscheid anders ausgefallen wäre, wenn der Zugang zum Bundesarchiv zum Zwecke der Veröffentlichung in Medien gefordert worden wäre anstatt zu Forschungszwecken. Im Archiventscheid ging es um den Schutz der Privatsphäre von Privatpersonen. Dem können Medien bei der Publikation ihrer Beiträge ebenso gut Rechnung tragen wie ein Doktorand bei der Publikation seiner Dissertation. Entsprechende Pflichten ergeben sich schon aus dem straf- und zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz.[17] In den Crypto AG-Entscheiden stehen dagegen staatliche Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen im Fokus. Es ist zu vermuten, dass das Bundesgericht wohl auch Forschenden den Zugang zu den Crypto AG-Akten weitgehend verwehrt hätte.


*  Dr. Michael Schweizer ist Inhaber der Schweizer recht AG in Bern und spezialisiert in Fragen des Medien- und Kommunikationsrechts.

Fussnoten:

  1. Bundesgesetz vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (BGA, SR 152.1).

  2. Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ, SR 152.3).

  3. Die frühere Crypto AG wurde im 2019 aufgelöst. Das internationale Geschäft übernahm das im 2018 neu gegründete Unternehmen C. AG – das nationale Geschäft ging an ein neues Schweizer Unternehmen. Aktiven und Passiven wurden sodann von der B. AG übernommen (https://en.wikipedia.org/wiki/Crypto_AG). Die B. AG befand sich während des Verfahrens in Liquidation. Es wurde im 2022 aus dem Handelsregister gelöscht, was zum Verlust der Parteistellung der B. AG vor Bundesgericht führte.

  4. Empfehlung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten EDÖB vom 11. Juni 2020.

  5. Das SERV begründete seine Abweisung unter anderem auch mit den Ausnahmetatbeständen Art. 7 Abs. 1 Bst. g (Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimisse) sowie Art. 7 Abs. 2 BGÖ (Schutz der Privatsphäre Dritter). Auch der Anwendungsbereich des BGÖ war ein Streitpunkt. Das Bundesverwaltungsgericht erwog, dass ein Teil der amtlichen Akten in zeitlicher Hinsicht nicht in den Anwendungsbereich fallen (Art. 23 BGÖ). Diese Akten habe das SERV von der Vorgängerin übernommen, ohne sie in irgendeiner Form zu bearbeiten. Die Liste mit Informationen aus dieser Zeit sei nur zum Zwecke des Schlichtungsverfahrens erstellt worden. Sie sei allein dadurch nicht als Dokument zu betrachten, das im Sinne von Art. 23 BGÖ nach Inkrafttreten des Gesetzes fertiggestellt wurde, BVGer A‑4494/2020 vom 20. April 2021, E. 3.3.

  6. BVGer A‑4494/2020 vom 20. April 2021.

  7. BGer 1C_321/2021 vom 7. Juni 2023.

  8. Botschaft zum Bundesgesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung vom 12. Februar 2003, BBl 2003 1963, S. 2010 f.

  9. BGE 142 II 313 S. 319, E. 4.2; BGer 1C_462/2018 vom 17. April 2019, E. 5.3 mit Hinweisen.

  10. BGE 142 II 313 S. 319 f., E. 4.3. Siehe auch auf Basis des Datenschutzgesetzes BGE 125 II 225 S. 228, E. 4 a mit Verweis auf den grossen Behördenspielraum bei der Beurteilung der Interessen im Bereich der Diplomatie.

  11. BVGer A-5348/2020 vom 16. März 2022.

  12. BGer 1C_257/2022 vom 7. Juni 2023.

  13. Verordnung zum Bundesgesetz über die Archivierung vom 8. September 1999 (VBGA, SR 152.11).

  14. Das Bundesgericht wies in BGer 1C_122/2015 vom 18. Mai 2016 E. 3.2.2 in grundsätzlicher Hinsicht auf die Bedeutung der Erläuterungen der Risiken hin, die mit einer Publikation bestimmter Informationen verbunden wäre: «Solches erscheint denn auch bis zu einem gewissen nützlichen Grad durchaus möglich, ohne dass dadurch unverzichtbare Geheimnisse verraten würden». Im konkreten Fall kritisierte es die zurückhaltenden bzw. fehlenden Vernehmlassungen des NDB als «nicht hilfreich».

  15. Siehe Lienhard /Tschannen /Tschentscher /Zeller, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2021 und 2022 (1/2), ZBJV 158/2022 S. 491 ff., 514 f.

  16. BGE 148 II 273.

  17. BGE 148 II 273, E. 6.5.5.

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