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Das Öffentlichkeitsprinzip in Vergabeverfahren und ein Strassburger Urteil zum Recht auf Vergessen

Liebe Leserin, lieber Leser

Das Öffentlichkeitsprinzip trägt wesentlich dazu bei, dass die Medien die Tätigkeit der öffentlichen Hand überwachen und damit ihr «Wächteramt» wahrnehmen können. Der Staat zieht für die Erfüllung vieler öffentlicher Aufgaben Dritte bei, indem er ihnen Aufträge vergibt. In ihrer Untersuchung «Das Öffentlichkeitsprinzip bei Vergabeverfahren» stellt Rechtsanwältin Anna Katharina Burri fest, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit bei Vergabeverfahren generell gilt, es jedoch Ausnahmen gibt. Die Einsicht kann unter Umständen ganz oder teilweise verweigert oder verzögert werden, wenn z.B. Geschäftsgeheimnisse von Anbieterinnen oder öffentliche Interessen im Zusammenhang mit einer noch nicht abgeschlossenen Beschaffungssituation einer Einsicht entgegenstehen.

Im zweiten Beitrag geht es um das Recht auf Vergessen. Ausgehend vom Urteil der Grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR Hurbain gegen Belgien vom 4. Juli 2023 fasst LL.M. Dario Haux unter dem Titel «Vergessen dürfen? Erinnern müssen?» die bisherige Entwicklung des Rechts auf Vergessenwerden zusammen, analysiert das Urteil und setzt sich mit dessen möglichen Auswirkungen auf die Pressefreiheit auseinander.

Um den Jahreswechsel gaben aus medienrechtlicher Sicht übrigens zwei erstinstanzliche Urteile zu reden:

  • Das Basler Zivilgericht beurteilte Ende Jahr ein von Nationalrat Andreas Glarner (SVP/AG) aufgeschaltetes Fake-Video mit Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne/BS) als Persönlichkeitsverletzung. Glarner hatte das mittels Künstlicher Intelligenz erzeugte Video 2022 – kurz vor den nationalen Wahlen – auf X sowie auf Instagram veröffentlicht. Darin rief die grüne Nationalrätin dazu auf, die SVP zu wählen und türkische Straftäter auszuschaffen. Glarner wurden die Gerichtskosten und eine Parteientschädigung an die grüne Nationalrätin auferlegt, insgesamt rund 4000 Franken. Das Urteil ist rechtskräftig. «Medialex» kann den Entscheid Urteil aber nicht näher besprechen, da beide Parteien auf eine Begründung verzichtet haben.
  • Im Januar bestätigte das Bezirksgericht Zürich einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft und verurteilte eine Journalistin der Plattform kath.ch wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätze à 120 Franken. Die Journalistin habe in einem Artikel den Eindruck erweckt, ein deutscher Manager sei antidemokratisch und antisemitisch, aber als Beweis nur eine Quelle genannt. Das habe nicht genügt, um dem Mann diese Gesinnung zu unterstellen. Ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung anerkannte der Richter zwar, doch hätte man dazu den Manager nicht als «Staatsfeind» und Antisemiten zu bezeichnen brauchen. Die Journalistin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Wie üblich finden Sie unter «Aktuelle Entscheide» die Liste mit neu publizierten medienrechtlich relevanten Urteilen der Bundesgerichte, mit UBI-Entscheiden und den jüngsten Stellungnahmen des Presserats. Und «Neue Literatur» bietet Ihnen einen Überblick über neu erschienene wissenschaftliche Publikationen zum Medienrecht.

Der nächste Newsletter erscheint Anfang März 2024.

Simon Canonica
Redaktor «Medialex»

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