Vergessen dürfen? Erinnern müssen?

V

Die Grosse Kammer des EGMR zum Recht auf Vergessenwerden

Dario Haux, Dr. iur., LL.M., Zürich

Résumé: En principe, le «droit à l’oubli» comprend le droit d’un individu, fondé sur le droit de la personnalité, à ce que certaines informations rendues accessibles au public soient – sous certaines conditions – effacées, rectifiées ou anonymisées. La notion de «droit à l’oubli», basé sur l’art. 8 CEDH, et ses conditions d’application ont fait l’objet de nombreuses concrétisations jurisprudentielles ces dernières années. La présente contribution retrace l’histoire du «droit à l’oubli» et, à l’occasion de l’arrêt de la Grande Chambre de la CEDH (57292/16, Hurbain c. Belgique) du 4 juillet 2023 – dans lequel la Cour renforce et élargit les conditions d’exercice de ce droit-, examine, entre autres, les potentielles répercussions sur la liberté de la presse. L’auteur conclut en esquissant de nouvelles pistes de réflexion.

Zusammenfassung: Das «Recht auf Vergessenwerden» umfasst dem Grunde nach den persönlichkeitsrechtlich geprägten Anspruch eines Individuums, öffentlich einsehbare Informationen unter bestimmten Voraussetzungen löschen, berichtigen oder anonymisieren zu lassen. Ausgehend von Art. 8 EMRK haben die Konzeption als solche ebenso wie die notwendigen Voraussetzungen in den vergangenen Jahren jedoch zahlreiche Konkretisierungen erfahren. Anlässlich des Urteils der Grossen Kammer des EGMR (57292/16, Hurbain gegen Belgien) vom 4. Juli 2023, in dem der Gerichtshof die Voraussetzungen für die Bejahung des Anspruchs festigt und weiter ausbaut, fasst der Beitrag die bisherige Entwicklung des Rechts auf Vergessenwerden zusammen, analysiert das aktuelle Urteil und setzt sich u.a. mit möglichen Auswirkungen auf die Pressefreiheit auseinander. Er schliesst mit einem Fazit und Ausblick.

Inhaltsübersicht

I. Einleitung   

II. Bestehende Rechtsprechung zum «Recht auf Vergessenwerden»   
1. In der Schweiz
2. In Deutschland
3. Auf europäischer Ebene
a) EuGH
b) EGMR

III. Das aktuelle Urteil: Hurbain gegen Belgien
1. Der Sachverhalt und der bisherige Verfahrensverlauf
2. Die beteiligten Akteure
a) Der Antragssteller Hurbain
b) Die belgische Regierung
c) Die Drittbeteiligten G. und Article 19
3. Die Erwägungen des Gerichts
a) Der Umfang des Art. 10 EMRK
b) Der Umfang des Art. 8 EMRK
c) Die relevanten Kriterien
4. Kritik

IV. Schluss


Die Erstpublikation dieses Artikels von Dario Haux erfolgte in der Open-Access-Zeitschrift sui generis, Jahrgang 2023, S. 211 ff.

I. Einleitung

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Diskussionen rund um den sachgemässen Umgang mit dem Erinnern und Vergessen, Andenken und Hinterfragen, Erhalten und Verändern sind aktueller denn je.[1] Wie sollen wir uns woran erinnern? Warum wollen wir, dass etwas vergessen wird? Und wer entscheidet darüber? Die Betroffenen? Neben Fragen nach dem «Warum» des Bewahrens der Vergangenheit und dem «Wer» oder «Was», stellen sich im Zeitalter neuer Technologien Fragen nach dem «Wie» bzw. «Wo».[2] Angesprochen wird damit die Frage nach dem passenden Format sowie der Einbettung in spezifische Kontexte und Institutionen. Im Rahmen dieses Prozesses von der Auswahl, über die inhaltliche Beschreibung und institutionelle Zuteilung bis hin zur tatsächlichen Aufbewahrung stellen sich zahlreiche Fragen, welche sowohl soziale und ethische als auch vielfältige rechtliche Bereiche betreffen.

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Aktuell lassen sich einige dieser Fragestellungen anhand eines Urteils des EGMR[3] aufzeigen, das am 4. Juli 2023 publiziert wurde.[4] Der Gerichtshof behandelt darin u.a. Fragen betreffend die Anonymisierung eines online einsehbaren Zeitungsartikels über einen Unfall mit Todesfolge aus den 90er-Jahren sowie Möglichkeiten der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, Ausprägungen der Pressefreiheit und den Faktor Zeit.[5] Überwiegt das öffentliche Interesse am Zugang zu korrekten Informationen? Kann eine betroffene Person auf Vergessen hoffen, etwa durch Rehabilitation und Zeitablauf? Wer partizipiert an diesem Prozess? Und warum?

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Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen spielt vor allem das sog. «Recht auf Vergessenwerden» eine zentrale Rolle. Dessen Ausprägungen führen immer wieder zu Diskussionen.[6] Dem Grunde nach handelt es sich um den persönlichkeitsrechtlich geprägten Anspruch eines Individuums, online einsehbare Informationen löschen, berichtigen oder anonymisieren zu lassen. Das Recht soll also dazu dienen, bestimmte Spuren zu löschen, um sie der Auffindbarkeit durch Dritte zu entziehen.[7] Diesem Interesse bzw. Anspruch stehen dabei oftmals die Freiheit auf Meinungsäusserung bzw. die Pressefreiheit gegenüber.

II. Bestehende Rechtsprechung zum «Recht auf Vergessenwerden»

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Die Konzeption des Rechts auf Vergessenwerden («right to be forgotten»)[8] geht auf die Jahre um 2010 zurück.[9] In diesem Zeitraum wurde die Idee in Frankreich aufgebracht[10] und im Anschluss daran sowohl in den Institutionen der Europäischen Union[11] als auch in der Schweiz diskutiert.[12] Seitdem wird das Recht bisweilen missverständlich als «Recht auf Vergessen» oder plakativ als «Internet-Grundrecht im europäischen Recht»[13] bezeichnet. Dem Grunde nach handelt es sich jedoch um eine Ausprägung des Art. 8 EMRK,[14] dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, und nicht um ein eigenständiges Recht als solches. Der Schutzumfang bestimmt sich entsprechend aus einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit sowie dem Recht auf Achtung des Privatlebens und der Informationsfreiheit.[15] Das Recht auf Vergessenwerden dient vor allem dazu, das Auffinden von personenbezogenen Daten zu erschweren oder gar zu verhindern.[16]

1. In der Schweiz

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Während es im Jahr 2004 noch hiess, dass es im «Zeitalter des Computers» kein Vergessen gäbe,[17] lässt sich das Recht auf Vergessenwerden in der Schweiz heutzutage vor allem[18] auf der Grundlage des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes geltend machen[19] – kumulativ zu anderen Ansprüchen.[20] Eingebettet ist es in den Anwendungsbereich von Art. 28 ZGB[21], nach dem die betroffene Person gegen jede Person vorgehen kann, die an der Verletzung ihr Persönlichkeitsrechte mitwirkt.[22] Gemäss Art. 28 Abs. 2 ZGB liegt eine Widerrechtlichkeit jedoch nur dann vor, sofern die Verletzung nicht durch die Einwilligung der Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder aber durch Gesetz gerechtfertigt ist.[23] Vor allem aus der Meinungs- und Informationsfreiheit ergibt sich jedoch regelmässig ein überwiegendes Interesse am Festhalten der Informationen. Ist dies der Fall, so ist die Persönlichkeitsverletzung gerechtfertigt. Mögliche Ansprüche auf Löschung, Anonymisierung oder Anpassung entfallen dann.[24]

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Die Judikative anerkennt das Bestehen des Rechts auf Vergessenwerden[25] und begründet dies u.a. mit den Gefahren einer «Pranger-Wirkung», die dem Ziel der Resozialisierung entgegenstünde.[26] Bei Jugendlichen wird zudem auf Art. 7 und Art. 10 Abs. 2 BV[27] verwiesen, denen zufolge der eigene Lebensentwurf so gestaltet werden soll, wie es den eigenen Bedürfnissen entspricht.[28] Gleichzeitig weisen Richter:innen darauf hin, dass das Recht auf Vergessenwerden nicht allgemein oder absolut besteht.[29] Die Interessen der betroffenen Person sind vielmehr im Einzelfall etwa mit der Meinungs- und Informationsfreiheit abzuwiegen.

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Die Wissenschaft fragt angesichts der rapiden Fortentwicklung neuer Technologien im Allgemeinen und Speichertechnologien im Besonderen zudem, ob Suchmaschinenanbieter in Zukunft öfters dazu verpflichtet werden Links zu entfernen oder Suchergebnisse anzupassen.[30] Dafür spricht, dass mehr und mehr Informationen aufbewahrt werden und sich Personen dessen auch zunehmend bewusst sind. Das Interesse dieser Personen, gewisse Inhalte löschen zu lassen, kollidiert jedoch regelmässig mit dem öffentlichen Anliegen an der «allgemeinen Geschichtsschreibung».[31]

2. In Deutschland

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Die Konzeption des Rechts auf Vergessenwerden wurde in Deutschland vor allem durch zwei Entscheidungen des BVerfG[32] geprägt. In beiden Fällen spielten Ansprüche auf Löschung von Inhalten oder Verlinkungen auf der Grundlage von §§ 823 und 1004 BGB[33] analog eine zentrale Rolle.[34]

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Dem ersten Beschluss vom 6. November 2019[35] liegt ein Mordfall aus dem Jahr 1981 zugrunde,[36] über den ein Nachrichtenmagazin berichtet hatte.[37] Die entsprechenden Artikel wurden später in einem Online-Archiv bereitgestellt und waren ohne Zugangsbarrieren auffindbar. Der Beschwerdeführer versuchte dies nach seiner Entlassung aus der Haft zu unterbinden. Er störte sich u.a. daran, dass sein Familienname in der Berichterstattung genannt wurde. Während das Landgericht Hamburg den Unterlassungsanspruch aufgrund der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts bejahte[38] und auch die Berufung vor dem OLG[39] ohne Erfolg blieb,[40] wandte sich die Beklagte mit der Revision an den BGH[41]. Am 13. November 2012 entschieden die Richter:innen das Urteil des OLG aufzuheben, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen.[42] Das Öffentlichkeitsinteresse wurde somit im Ergebnis dem Interesse des Täters, in Ruhe gelassen zu werden, vorgezogen.[43]

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Der Beschwerdeführer wandte sich daraufhin an das BVerfG und machte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG[44]) geltend.[45] Im anschliessenden Beschluss betonte das Gericht, dass Straftätern eine gewisse «Prägekraft für das Selbstverständnis des Gemeinwesens» zukäme.[46] So sei das Persönlichkeitsrecht «kein Rechtstitel gegen ein Erinnern in historischer Verantwortung.»[47] Presseunternehmen käme demgegenüber die wichtige Aufgabe zu, diesen Einblick zu ermöglichen.[48] Zu berücksichtigen sei jedoch, dass der Beschwerdeführer die Öffentlichkeit nicht gesucht habe und dass der Artikel ohne Bezahlschranke öffentlich einsehbar gewesen sei.[49] Das Gericht betonte zudem, dass indem die Artikel dauerhaft verfügbar seien, sich die Bedeutung im Verlauf der Zeit verändern könne. Der Rechtsordnung käme somit eine schützende Aufgabe zu, um zu verhindern, «dass sich eine Person frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen unbegrenzt vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen» müsse.[50] Anders sei die «Chance zum Neubeginn in Freiheit» kaum umzusetzen.[51] Die Richter:innen betonten in diesem Zusammenhang, dass «[d]ie Möglichkeit des Vergessens […] zur Zeitlichkeit der Freiheit» gehöre.[52] Doch obschon das Gericht die Bedeutung der Selbstbestimmung und deren Schutzbedürftigkeit betonte,[53] kam es zum Schluss, dass daraus nicht das Recht folge, «alle früheren personenbezogenen Informationen, die im Rahmen von Kommunikationsprozessen ausgetauscht wurden, aus dem Internet löschen zu lassen».[54] Diese Aspekte seien vom BGH umfassender zu berücksichtigen.

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Der am selben Tag publizierte Beschluss «Recht auf Vergessen II»[55] ist vor allem im Hinblick auf die Verantwortung von Suchmaschinenbetreiber:innen zentral.[56] Hintergrund war ein Fernsehbeitrag, in dem einer Geschäftsführerin vorgeworfen wurde, einen Mitarbeiter unfair behandelt zu haben. Gegenüber der Betreiberin der Suchmaschine wollte sie erreichen, dass bei der Eingabe ihres vollständigen Namens im Suchfeld nicht auf den Beitrag verwiesen wird («De-Listing»). Nachdem das Landgericht die Betreiberin der Suchmaschine verpflichtet hatte, den Link auf der Ergebnisseite dauerhaft zu entfernen,[57] wies das OLG die Berufung ab.[58] Daraufhin wandte sich die Beschwerdeführerin an das BVerfG und machte eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung geltend.[59] Im Gegensatz zum vorstehenden Beschluss des BVerfG führten die Richter:innen aus, dass das OLG die Grundrechtspositionen der Parteien umfassend berücksichtigt habe.[60] Eine zentrale Rolle spiele zudem der Umstand, dass die Geschäftsführerin von sich aus die Öffentlichkeit gesucht hatte.[61] Zwar sei sie nicht nur in ihrer Sozialsphäre betroffen – deren Grenzen zunehmend verschwimmen würden – jedoch ziele der Beitrag «auf ein in die Gesellschaft hineinwirkendes Verhalten» und sei «durch ein hier noch fortdauerndes, wenn auch mit der Zeit abnehmendes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt».[62] Die Verfassungsbeschwerde sei in diesem Sinne zwar zulässig, jedoch unbegründet.

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Darüber hinaus erlangte der Beschluss insoweit Bedeutung, als die Richter:innen festhielten, dass im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, Deutsche sich auch auf Grundrechte der EU-GRC[63] berufen können.[64]

3. Auf europäischer Ebene

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Innerhalb der Europäischen Union stellt vor allem das Urteil des EuGH zu Google Spain[65] den «Beginn einer neuen Traditionslinie»[66] dar, auf die weitere Schritte folgten.[67]

a) EuGH

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Dem Urteil des EuGH liegt das Anliegen eines spanischen Zahnarztes zugrunde, den Verweis auf eine beinahe 20 Jahre alte amtliche Veröffentlichung bezüglich einer Zwangsvollstreckung löschen zu lassen.[68] Seine Klage richtete sich einerseits gegen die Zeitung, in der die Zwangsvollstreckung publiziert wurde, andererseits gegen die Niederlassung von Google in Spanien und Google Inc. Während die spanische Datenschutzbehörde AEPD[69] die Klage gegen die Zeitung aufgrund des öffentlichen Interesses ablehnte, hiess es die Klage gegen Google gut. Die Rechtsmittelinstanz legte dem EuGH sodann einige Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor.

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Nachdem der EuGH die Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts bejaht hatte,[70] setzten sich die Richter:innen mit der Frage auseinander, ob das Medienprivileg für Suchmaschinenbetreiber:innen einschlägig sei – und verneinte dies.[71] Demgegenüber bejahte das Gericht ein Recht auf Vergessenwerden v.a. aus datenschutzrechtlichen Erwägungen heraus.[72] Gleichzeitig arbeiteten die Richter:innen die überragende Bedeutung von Suchmaschinen für die Allgemeinheit heraus und wägten das Öffentlichkeitsinteresse der Allgemeinheit gegen das Bedürfnis der Einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden, ab. Der Gerichtshof stellte dabei die Einzelfallbedeutung in den Mittelpunkt und machte deutlich, dass sich die Interessenlage jeweils stark unterscheiden könne.[73] Darüber hinaus konkretisierte das Gericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.[74]

b) EGMR

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Neben dem EuGH setzte sich der EGMR mit dem entsprechenden Recht und seiner konkreten Ausgestaltung auseinander. Zentral ist dafür der Fall des M.L. und des W.W. gegen Deutschland[75], in dem es um einen Löschungs- bzw. Anonymisierungsanspruch gegenüber Medienarchiven ging. Dabei ging es um die Ermordung eines Schauspielers, wofür die beiden Beschuldigten im Jahr 1993 rechtskräftig verurteilt wurden. Nach Ihrer Entlassung auf Bewährung versuchten sie die Medienberichtserstattung unter voller Namensnennung zu unterbinden. Nachdem sie ihr Anliegen auf nationaler gerichtlicher Ebene nicht durchsetzen konnten,[76] legten sie Beschwerde beim EGMR ein.

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Im Sommer 2018 wies der EGMR die Beschwerde zurück, da keine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliege. Dem EGMR zufolge umfasse das Persönlichkeitsrecht zwar jenes auf Resozialisierung, jedoch stünde diesem vorliegend die Pressefreiheit gegenüber – wobei die Richter:innen zwischen klassischen Medien und Suchmaschinenbetreiber:innen unterschieden.[77] Sie differenzierten somit zwischen der ursprünglichen, durch die Meinungsfreiheit geschützten Herausgabe von Informationen sowie dem Interesse der Suchmaschinenbetreiber:innen, die Auffindbarkeit dieser Informationen zu erleichtern.[78] Das Gericht betonte weiter, dass es auch durch die Strafverbüssung zu keiner zeitlichen Zäsur komme, sodass das Öffentlichkeitsinteresse nicht unbedingt zurücktreten müsse.[79] Jedoch seien zeitliche Aspekte etwa bzgl. der Bedeutung in der öffentlichen Auseinandersetzung zu berücksichtigen.[80] Sodann führte das Gericht aus, dass im konkreten Fall die Berichterstattung objektiv-sachlich gehalten wurde,[81] mithin kein reisserischer Ton o.ä. dominierte. Der EGMR machte zudem deutlich, dass die Betroffenen von sich aus Kontakt mit den Medien gesucht hätten.[82]

III. Das aktuelle Urteil: Hurbain gegen Belgien

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Der EGMR schaffte somit grundlegende Kriterien, die sich auch auf den nun entschiedenen Fall «Hurbain» auswirken. Gleichzeitig gilt es zwei Unterschiede zu berücksichtigen: Während die Betroffenen im vorstehenden Fall mehrfach selbst an die Medien herangetreten waren, wollte der betroffene «G.» im folgenden Fall in Ruhe gelassen werden. Darüber hinaus unterscheidet sich der Fall insoweit, als der G. keinen Mord beging, sondern einen Unfall im Strassenverkehr mit Todesfolge verursachte.

1. Der Sachverhalt und der bisherige Verfahrensverlauf

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G. verursachte im Jahr 1994 unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall mit Todesfolge und wurde verurteilt. Die Zeitung «Le Soir» berichtete am 10. November 1994 in einem etwa zwanzig Zeilen langen Artikel über diesen und andere Unfälle. In dem Beitrag wurde der vollständige Name des G. genannt. Einige Jahre später forderte G., ein Arzt, die S.A. Rossel et Compagnie als Eigentümerin der Zeitung zur Löschung des Artikels auf und strebte ein Verfahren vor der Selbstregulierungsinstitution der belgischen Medien[83] an. Beides blieb erfolglos. Im Frühjahr 2012 verklagte G. am Tribunal Correctionnel in Neufchâteau den Herausgeber der Zeitung, Patrick Hurbain. Auf der Grundlage von Art. 1382 des belgischen Zivilgesetzbuchs[84] sollte dieser dazu verpflichtet werden den Artikel zu anonymisieren. Das Gericht gab diesem Anliegen weitestgehend statt. Hurbain legte dagegen vor dem Berufungsgericht in Liège erfolglos Berufung ein.[85] Nach einem weiteren von G. angestrengten Verfahren über die zunächst nicht erfolgte Umsetzung des Urteils im Herbst 2014, legte Patrick Hurbain Revision ein. Diese wurde am 29. April 2016 abgewiesen.[86]

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Hurbain gelangte deshalb im September 2016 mit einer Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK an den EGMR, wo eine Kammer am 22. Juni 2021 in einer 6:1-Entscheidung urteilte, dass die Beschwerde zwar zulässig sei, eine Verletzung von Art. 10 EMRK, der Freiheit der Meinungsäusserung, indes nicht vorliege.[87] Begründet wurde dies vor allem damit, dass die nationalen Gerichte eine ausreichend umfassende Abwägung der beeinträchtigen Rechte vorgenommen hätten und eine Anonymisierung des Artikels das Archiv als solches nicht betreffen würde[88] – da die Änderungen nur am online publizierten Artikel vorgenommen würden.

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Am 16. September 2021 beantragte Hurbain unter Verweis auf Art. 43 EMRK die Verweisung der Rechtssache an die grosse Kammer. Diesem Antrag wurde am 11. Oktober 2021 stattgegeben.[89]

2. Die beteiligten Akteure

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Die Grosse Kammer legt im aktuell publizierten Urteil diesen Verfahrensablauf dar und setzt sich über 257 Randziffern respektive 85 Seiten hinweg sodann mit den rechtlichen Grundlagen sowie den jeweiligen Argumenten der Parteien auseinander.

a) Der Antragssteller Hurbain

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Das Gericht stellt zunächst die vom Antragssteller Hurbain vorgebrachten Argumente vor, die ihm zufolge den Fall charakterisieren.[90] Demnach zielt er in erster Linie darauf ab, die Bedeutung der Integrität (digitaler) Archive herauszuarbeiten.[91] Er hinterfragt zudem, inwiefern dem G. tatsächlich ein schwerwiegender Schaden entstanden sei[92] und stellt zur Diskussion, ob das öffentliche Interesse tatsächlich mit der Zeit abnehmen würde. Ihm zufolge sei eine solche Annahme fragwürdig, zumal auch Historiker:innen und Soziolog:innen ein Interesse an solchen Ereignissen hätten[93] und dem G. als Arzt auf lokaler Ebene eine wichtige Position zukomme.[94] Darüber hinaus argumentiert er, dass die Gefahr bestehe, dass sich Medienunternehmen dazu entscheiden könnte, keine Informationen aufzubewahren, sofern irgendein individueller Bezug bestehe. Es sei somit eine abschreckende Wirkung für die Arbeit der Presse zu befürchten.[95]

b) Die belgische Regierung

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Das Gericht gibt sodann die Auffassung der Regierungsvertreter Belgiens wieder, denen zufolge es sich bei der Archivierung durch die Presse um eine bedeutende, jedoch sekundäre Aufgabe handle.[96] Auch die Wahl zwischen analoger oder digitaler Aufbewahrung sei zweitrangig.[97] Wichtiger sei es hervorzuheben, dass die Anonymisierung weniger einschneidend sei als die Löschung[98] und die Einzelfallabwägung zentral bleibe.[99] Entsprechend erwarten sie auch keine abschreckende Wirkung für die Arbeit von Medienhäusern. Zudem unterscheide sich der vorliegende Fall durch zwei Punkte: Erstens habe der G. den Medienkontakt gerade nicht gesucht[100] und zweitens bliebe vorliegend der originale Artikel unberührt.[101]

c) Die Drittbeteiligten G. und Article 19

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Daran schliessen die Argumente des G. sowie der sechzehn Drittbeteiligten als Streithelfer an; letztere vertreten durch Article 19. Während G. betont, dass Le Soir erst verspätet Massnahmen ergriffen habe,[102] unterstreichen die Vertreter:innen von Article 19, dass ein Löschen in jedem Fall vermieden werden müsse, um die Arbeit der Medien nicht einzuschränken.[103] Der Betroffene G. sieht diese Beeinträchtigung der Archive, hebt jedoch hervor, dass es sich bei der Anonymisierung um eine minimale Veränderung handle.[104] Zudem verwiesen Suchmaschinen einheitlich auf die anonyme Version – anders beispielsweise als bei der Verwendung von «noindex tags»,[105] die für jede Suchmaschine einzeln erstellt werden müssten. Mit Bezug auf die Rolle der Medien betonen die Vertreter:innen von Article 19, dass bei Art. 16 DSGVO vor allem die Ausnahmen u.a. für Journalist:innen zu beachten seien.[106] Vor diesem Hintergrund sei stets im Einzelfall zu prüfen, ob es sich tatsächlich um einen über das «übliche» Mass hinausgehenden Schaden handle.[107] Je nachdem seien andere Massnahmen angezeigt. Diesbezüglich vertritt G. die Auffassung, dass Online-Artikel im Archiv grundsätzlich nicht zur Information der Öffentlichkeit dienten, sondern in erster Linie zur Erzeugung von «traffic» auf der Website eingesetzt würden.[108]

3. Die Erwägungen des Gerichts

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Ausgehend von diesen Darlegungen untersuchen die Richter:innen, ob bzw. inwieweit diese Eingriffe in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.[109] Von vornherein betont das Gericht, dass drei Versionen des Artikels vorhanden seien: Neben der originalen Druckversion sei dies die öffentlich einsehbare Onlineversion sowie eine sich im geschlossenen Hauptarchiv befindliche Version.[110] Diese Differenzierung sei relevant, da es vorliegend um die Verfügbarkeit der seit dem Jahr 2008 existierenden Online-Publikation gehe.[111] Die anderen Versionen seien hingegen nicht betroffen.

a) Der Umfang des Art. 10 EMRK

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Davon ausgehend stellen die Richter:innen in den Rz. 176 ff. die Grundzüge des Art. 10 EMRK dar. Sie führen aus, dass die Freiheit der Meinungsäusserung explizit nicht nur Informationen oder Ideen umfasse, sondern eben auch Schockierendes beinhalte.[112] Gleichzeitig sei zu berücksichtigen, dass der Presse eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zuteilwürden.[113] Zur Pressearbeit gehörten auch Archivtätigkeiten, sodass die Integrität der Pressearchive ein Leitprinzip sei. Dies sei bei jeder Prüfung eines Antrags auf Entfernung oder Änderung eines archivierten Artikels zu berücksichtigen und gelte insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Rechtmässigkeit des Artikels nicht in Frage stehe.[114]

b) Der Umfang des Art. 8 EMRK

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An diese Darstellung schliesst eine Übersicht über den Umfang des Art. 8 EMRK an.[115] In diesem Zusammenhang sei zunächst relevant, dass es sich beim «Privatleben» um einen nur schwerlich eingrenzbaren Begriff handle, der bis in den beruflichen Alltag hineinreichen könne.[116] Dies werde beispielsweise in Fällen deutlich, in denen die persönliche Reputation einer einzelnen Person durch einen weitgehenden Angriff auf dem Spiel stehe und dies auf die persönliche Identität oder Integrität zurückspiegele.[117] Darüber hinaus befinde sich das Recht auf Vergessenwerden weiterhin in einer Entwicklungsphase.[118] Gleichzeitig stehe bereits fest, dass der Faktor Zeit eine zentrale Rolle spiele.[119] Und obschon das Gericht sodann die weitere Entwicklung vorzeichnet, betont es auch, dass das Recht nicht eigenständig durch die Konvention geschützt sei: Soweit es von Art. 8 EMRK erfasst sei, könne es nur bestimmte Situationen und Informationen betreffen.[120]

c) Die relevanten Kriterien

29

Mit Bezugnahme auf den konkreten Fall prüfen die Richter:innen sodann, ob ausreichend Gründe für eine Anonymisierung vorliegen. Den Ausgangspunkt dieser Prüfung stellten die in Couderc und Hachette Filipacchi Associés gegen Frankreich[121] entwickelten Grundsätze dar. Da es sich vorliegend um die elektronisch archivierte und nicht die originale Version handle, müssten diese jedoch angepasst werden.[122] Zu berücksichtigen sei demnach:

a. die Art der archivierten Informationen;
b. die seit der Erstpublikation vergangene Zeit;
c. das aktuelle Interesse an den Informationen;
d. der Bekanntheitsgrad und das Verhalten der betroffenen Person;
e. mögliche negative Auswirkungen für die betroffene Person, sofern der Artikel verfügbar bleibt;
f. der Grad der Zugänglichkeit; sowie
g. die Auswirkungen auf die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit.[123]

30

Im Rahmen der Anwendung auf den Sachverhalt unterstreicht das Gericht, dass diese im Rahmen des gegebenen Ermessensspielraums erfolge: Das Gericht könne nur prüfen, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung mit derjenigen übereinstimme, die sich aus den dargelegten Kriterien ergäbe.[124]

aa) Die Art der archivierten Informationen
31

Das Gericht führt bezüglich der Art der archivierten Informationen aus, dass es sich bei dem Unfall um einen aus einer Unfallserie handle, zu denen es im bestimmten Zeitraum gekommen war – und über die anschliessend berichtet wurde.[125] Dabei wurde über G. jedoch nicht nur mit vollem Namen, sondern auch über die spezifischen Umstände berichtet. Zwar liege somit eine Berichterstattung vor, die anschliessend jedoch keine weitere Bedeutung erlangt habe.[126]

bb) Die zeitliche Komponente
32

Sodann sei seit der Erstpublikation im Jahr 1994 bereits einige Zeit vergangen. Da die Relevanz von Informationen oftmals in einem engen Zusammenhang zur Aktualität stehe,[127] habe G. nach Zeitablauf ein berechtigtes Interesse daran gehabt sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern – ohne permanent an seine Vergangenheit erinnert zu werden.[128]

cc) Das aktuelle Interesse
33

Die zeitliche Komponente sei bei der Frage nach dem aktuellen Interesse ebenfalls von besonderer Relevanz. Der zentrale Bewertungszeitpunkt sei hierbei der Zeitpunkt der Anfrage durch G. – nicht jener der Erstpublikation.[129] Sodann sei der Spielraum für mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 2 EMRK zwar klein, jedoch könne das öffentliche Interesse auch nicht dazu dienen, den Hunger nach Informationen über das Privatleben anderer Personen zu stillen.[130] Vor dem Hintergrund des Zeitablaufs komme dem Unfall somit eine marginale und keine historische Bedeutung zu.[131]

dd) Der Bekanntheitsgrad und das Vorverhalten
34

Zur Frage des Bekanntheitsgrads sowie dem Vorverhalten des betroffenen G. äussert sich das Gericht differenziert: Durch Zeitablauf könne das Profil einer Person durchaus in Vergessenheit geraten, zu einem späteren Zeitpunkt jedoch auch wieder an Bedeutung gewinnen.[132] Mit Bezugnahme auf das Argument des Antragsstellers – G. komme als Arzt auf lokaler Ebene eine gewisse Bedeutung zu – führen die Richter:innen aus, dass diese Berufswahl nicht zu einer öffentlichen Bedeutung führe, zumal er nicht von sich aus den Kontakt zu den Medien gesucht habe.[133]

ee) Potenzielle negative Auswirkungen
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Sodann geht das Gericht auf die negativen Auswirkungen für G. ein, die durch das Fortbestehen der Informationen auf der Website eingetreten sind. Diesbezüglich seien hinreichend begründete Darlegungen hinsichtlich einer schwerwiegenden Beeinträchtigung seines Privatlebens erforderlich.[134] Dabei reiche es nicht aus, dass die Person in der Zwischenzeit «rehabilitiert», d.h. wieder in die Gesellschaft aufgenommen, sei.[135] Vorliegend sei jedoch deutlich geworden, dass durch die leichte Auffindbarkeit des Artikels psychologische Schäden und Stigmatisierungen zu befürchten seien.[136]

ff) Der Grad der Zugänglichkeit
36

Was die Verfügbarkeit und den Grad des Zugangs zu den Informationen betrifft, führt das Gericht aus, dass die Einsicht in Archive eine aktive Handlung, etwa die aktive Eingabe von Schlüsselwörtern auf einer Website, erforderlich mache.[137] Ohne eine solche spezifisch ausgerichtete Suche sei das Auffinden erschwert. Vorliegend sei jedoch zu beachten, dass die Informationen frei verfügbar seien, während sie in vergleichbaren Fällen hinter einer Paywall stünden.[138]

gg) Die Auswirkungen
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Zu guter Letzt seien diese Elemente unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Meinungsäusserungsfreiheit sowie die Pressefreiheit abzuwägen. Das Gericht betont, dass vor allem dank des technologischen Fortschritts zahlreiche verschiedene Möglichkeiten bekannt seien, um den Zugang zu diesen Informationen zu erschweren. Beispielhaft seien etwa die Umsortierung der Suchergebnisse oder das Entfernen eines Artikels aus dem Index zu nennen. Angesichts dieser Möglichkeiten sei stets diejenige Methode zu wählen, welche zur geringsten Einschränkung der Pressefreiheit führe.[139] Während in vorherigen Urteilen stets geschaut wurde, welche Alternativen zuvor ausgetestet worden seien, hatte G. von vornherein erklärt, dass es mehrere verschiedene noindex tags gebraucht hätte, was wenig effizient gewesen wäre.[140] Dasselbe gelte für das Hinzufügen eines schriftlichen Hinweises[141] oder die Kontaktaufnahme mit einzelnen Suchmaschinenanbieter:innen.[142] In Anbetracht dessen schliesst das Gericht, dass die Anonymisierung weniger einschneidend sei als das Löschen der Informationen.[143]

38

Das Gericht schliesst mit der Feststellung, dass die nationalen Gerichte in kohärenter und nachvollziehbarer Weise sowohl die Art als auch die Schwere, der dargelegten juristischen Tatsachen berücksichtigt hätten. Eine Verletzung von Art. 10 EMRK liege mithin nicht vor.

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Auf diese 12:5-Entscheidung des Gerichts folgt eine zustimmende Meinung des Richters Krenc sowie eine abweichende Meinung des Richters Ranzoni, welche von den Richtern Küris, Grozev, Eicke und Schembri Orland unterstützt wird. In der abweichenden Meinung äussert Richter Ranzoni die Befürchtung, der von der Mehrheit des Gerichts gewählte Ansatz berge die Gefahr einer erheblichen Schwächung der Pressefreiheit.[144] Dabei verweist er auf das aktuelle geopolitische und soziale Klima[145] und bezieht sich dabei augenscheinlich auf Einschränkungen der Pressefreiheit in autoritären Systemen oder auf Herausforderungen durch digitale Disruptionen. Da Zeitungen verschwänden, sei es wichtig, diese Freiheiten zu stärken und die entsprechenden Aktivitäten zu schützen.[146] Im Hinblick auf die Frage, ob der zeitliche Ablauf eine Rolle spielt, sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dies jederzeit ändern könne. Was einmal an Bedeutung verloren habe, könne jederzeit wieder an Bedeutung gewinnen.[147]

4. Kritik

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Obschon die grosse Kammer somit nachvollziehbare Kriterien für den Umgang mit dem Recht auf Vergessenwerden entwickelt hat, äusserte sich die Nichtregierungsorganisation Media Defence im Anschluss an das Urteil besonders kritisch.[148] Sie kritisierte vor allem, dass durch diese weitere Etablierung des Rechts auf Vergessenwerden, die Meinungsäusserungsfreiheit im Allgemeinen sowie die Pressefreiheit im Konkreten eingeschränkt bzw. insgesamt bedroht werde. Das Argument zielt dabei vor allem auf die ihres Erachtens nicht unerhebliche Einwirkung auf Medienarchive.[149] Angesichts aktueller Diskussionen um öffentliche Medien ist diese Perspektive ernst zu nehmen.[150] Und doch führt diese konkrete Kritik von Media Defence zu weit: Erstens führt das Urteil nicht dazu, dass Presseunternehmen ihre Archive nun fortlaufend überprüfen und Namen aus historischen Artikeln herausstreichen müssen. Vielmehr bleibt es bei einer einzelfallbezogenen Prüfung[151] und dem Ziel der möglichst geringfügigen Einschränkung der Pressefreiheit.[152] Im vorliegenden Fall ist zudem zu beachten, dass die originale, gedruckte Version in den Printarchiven unverändert bestehen bleibt.[153] Zweitens sind die Hürden eines auf das Recht auf Vergessenwerden gestützten Antrags erheblich, zumal im Zweifelsfall eine Anonymisierung gegenüber der vollständigen Löschung bevorzugt wird. Und drittens bleibt es auch dabei, dass die das Recht geltend machende Person einen erheblichen Schaden geltend machen muss, der über das «blosse» Interesse an der Rehabilitation hinausgeht.[154]

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Der weitere Kritikpunkt von Media Defence knüpft an diesen letztgenannten Punkt an, indem hinterfragt wird, ob dem G. tatsächlich ein solch erheblicher Schaden entstanden sei. Unter Berücksichtigung der nun entwickelten Kriterien ist zu beachten, dass inzwischen knapp drei Jahrzehnte seit der erstmaligen Publikation vergangen sind,[155] es sich weder um einen statistisch noch historisch signifikanten Fall handelt und der Betroffene G. der allgemeinen Öffentlichkeit kaum bekannt sein dürfte. In einer gegenteiligen Situation hätte das Gericht den entsprechenden Anspruch nur schwerlich bejaht.[156] Darüber hinaus trifft es zwar zu, dass die gesellschaftliche Rehabilitierung für sich allein genommen keinen entsprechenden Anspruch begründen kann (siehe dazu das Gericht auf Rz. 233), jedoch hatte das Berufungsgericht in Liège ausführlich dargelegt, dass bei der Eingabe des vollen Namens des G., der Artikel als einer der ersten erschien. Dies hat ohne Frage erhebliche psychologische Auswirkungen auf den Betroffenen. Die Wirkung von online verfügbaren Inhalten auf die Einzelne wird umso deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass «das Internet» de facto wohl kaum vergisst.[157]

42

Gleichzeitig stellt sich dann die Frage, warum die Freiheiten und Rechte der Medien eingeschränkt werden, wenn die Informationen sowieso verfügbar bleiben. Bekannt ist in diesem Zusammenhang vor allem der sog. Streisand-Effekt,[158] wonach durch den Versuch, eine Online-Verbreitung von Inhalten zu verhindern, eher das Gegenteil erreicht wird. Das Recht kann diesem Phänomen nur bedingt Einhalt gebieten, zumal die dahinterstehenden Akteure nur selten identifiziert bzw. rechtlich belangt werden können. Andererseits erfordert genau dieser Umstand ein Recht, das sich umso mehr schützend vor die oder den Einzelnen stellt – selbst wenn die Löschung digitaler Inhalte ein Kampf gegen Windmühlen zu sein scheint.

IV. Schluss

43

Angesichts dieser vielfältigen Ebenen bleibt die Frage bestehen, was zu tun bleibt. Zum einen wäre zu diskutieren, ob nicht Einzelpersonen eigene Löschrechte zustehen sollten. Zwar bieten Unternehmen bereits sich selbst löschende Nachrichten an[159] und auch Gesuchen bei grossen Suchmaschinenbetreiber:innen[160] wird zunehmend stattgegeben. Doch ist die Löschung oftmals nur durch die Drittpartei möglich. Sollte dies so sein? Wie ist der Umgang zu handhaben, wenn Bewerber:innen aufgrund von Informationen im Internet eine Arbeitsstelle nicht erhalten?[161] Oder wenn eine Sterbeurkunde verlangt wird, um als Angehörige das Profil einer verstorbenen Person zu löschen?[162] Eine Stärkung der Rolle der Nutzer:innen scheint angezeigt, zumal ansonsten die Gefahr besteht, dass ausschnitthafte und damit teilweise verfälschende oder fehlleitende Persönlichkeitsprofile in der Onlinewelt zunehmen.[163] Gleichzeitig darf eine solche Bestärkung nicht dazu führen, dass sich Betroffene die eigene öffentliche Darstellung gewissermassen «kuratieren», indem Vergangenes oder potenziell Negatives ausgeblendet wird. Dies zeigt die besondere Bedeutsamkeit der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsäusserungsfreiheit – oder aber mit der Kunstfreiheit[164] – auf.

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Zum anderen sind deutliche Zuweisungen erforderlich, partizipieren doch immer mehr Akteure mit unterschiedlichen Interessen an dem gesamten Prozess.[165] Neben Privatpersonen, staatlichen Institutionen und Medienunternehmen sticht dabei vor allem die herausragende Bedeutung von Suchmaschinen heraus, welche die Auffindbarkeit von Inhalten sowohl erleichtern (bzw. de facto überhaupt erst möglichen), als auch erschweren (bzw. de facto unterbinden) können.[166] Neben diese Akteure treten Archive, denen für die Kultur des Menschen eine zentrale Bedeutung zukommt.[167] Angesichts der schieren Menge an Inhalten stehen diese jedoch vor der Herausforderung, zunehmend selektionieren und neue Wege zur Bewahrung sich in Bewegung befindlicher Inhalte finden zu müssen – ohne die kollektive Erhaltung des Wissens und der Kultur zu sehr zu beschränken.[168]

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Das Urteil schafft trotz der berechtigten Kritik Rechtssicherheit für die Ausprägungen des «right to be let alone»[169].[170] Sowohl die Befürchtungen eines «Nicht-mehr-vergessen-Könnens»,[171] als auch jene vor einer umfassenden Löschung werden ernstgenommen und berücksichtigt. Und doch bleibt es am Ende wohl bei der Erkenntnis, dass die Struktur und die Permanenz des Internets[172] Segen und Fluch zugleich sind.


Fussnoten:

* Dario Haux, Dr. iur., LL.M. (Columbia), Substitut in einer Anwaltskanzlei in Zürich. Der Autor dankt den zahlreichen (anonymen) Reviewer:innen für kritische Anmerkungen zu den Vorversionen

[1] Siehe beispielhaft Rachel Huber / Barbara Lüthi / Katharina Morawek, Auslegeordnung «Erinnerungskultur Stadt Zürich»: Studie im Auftrag des Präsidialdepartements der Stadt Zürich zur erinnerungskulturellen Situation, Luzern 2023; umfassend zum Begriff, Vorgang und der Funktion des Vergessens Carina Becker, Das Recht auf Vergessenwerden, Diss. Tübingen 2019, S. 13 ff. Beim Umgang mit der Vergangenheit spielt stets auch die Frage nach der «Wahrheit» eine Rolle. Siehe dazu aktuell Björnstjern Baade, Wahrheit und Recht: Störung und Schutz regulatorischer, asylrechtlicher und medialer Wahrheitsfindung, Habil. Berlin 2022, Tübingen 2023.

[2] Siehe zu einigen Aspekten Antoinette Maget Dominicé / Dario Henri Haux / Fabienne Sarah Graf, Saving Content in Digital Surroundings: A Safe Solution?, Pólemos 2020, S. 17 ff.

[3] Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.

[4] Urteil des EGMR [GK] 57292/16 vom 4. Juli 2023 (Hurbain gegen Belgien); siehe dazu Sebastian Zeitzmann, Belgien: Verurteilung zur Anonymisierung der archivierten Onlineversion eines Zeitungsartikels, AfP 2023, S. 307 f.

[5] Siehe dazu etwa Stephan Kirste, Die Zeitlichkeit des positiven Rechts und die Geschichtlichkeit des Rechtsbewusstseins: Moment der Ideengeschichte und Grundzüge einer systematischen Begründung, Diss. Berlin 1998; Sebastian Wuschka / Isabella Risini / Stefan Lorenzmeier / Felix Boor (Hrsg.), Zeit und Internationales Recht: Fortschritt – Wandel – Kontinuität, Tübingen 2019; sowie zu aktueller Forschung Alice Bertram / Cosima Möller / Nina Weymann, Bericht über den Workshop «Zeit und Recht» im Rahmen der strategischen Partnerschaft mit der Universität Zürich im März 2021.

[6] Umfassend dazu Felix Stumpf, Das Recht auf Vergessenwerden, Diss. Baden-Baden 2017.

[7] Siehe dazu Rolf H. Weber, The Right to be Forgotten – More than a Pandora’s Box?, JIPITEC 2011, S. 120 f.

[8] Rolf H. Weber, Neue Grundrechtskonzeptionen zum Schutz der Privatheit, in: Weber/Thouvenin (Hrsg.), Neuer Regulierungsschub im Datenschutzrecht?, Zürich 2012, S. 7 ff.

[9] Im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zum Recht auf Vergessenwerden wird v.a. auf ein Werk von Viktor Mayer-Schönberger, Delete. Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten, Berlin 2010, als Ausgangspunkt entsprechender Diskussionen verwiesen.

[10] So Rolf H. Weber / Ulrike Heinrich, Braucht die Schweiz ein Recht auf Vergessen im Internet?, in: Epiney/Diezig (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2013/2014, Zürich 2014, S. 301; mit Verweis auf Le Monde vom 13. Oktober 2010 («Droit à l’oubli» sur Internet: une charte signée sans Google ni Facebook).

[11] Siehe Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung), 2012/0011 (COD) vom 25. Januar 2012, Erwägungsgründe 53 und 54.

[12] Rolf H. Weber, Der Ruf nach einem Recht auf Vergessen: Ein neues datenschutzbezogenes Verfassungsrecht im Spannungsfeld zwischen Privatheit und Transparenz?, digma 2011, S. 102 ff.

[13] Volker Boehme-Neßler, Das Recht auf Vergessenwerden – Ein neues Internet-Grundrecht im Europäischen Recht, NVwZ 2014, S. 825 ff.

[14] Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101).

[15] Urteil des EGMR 57292/16 vom 22. Juni 2021 (Hurbain gegen Belgien), Ziff. 94; zum Vorstehenden siehe Boris Paal, in: Paal/Pauly (Hrsg.), Beck’sche Kompakt-Kommentare, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., München 2021, Art. 17 DSGVO N 2 (zit. Komm. DSGVO BDSG-Bearbeiter:in).

[16] Moritz Hennemann, Das Recht auf Löschung gemäß Art. 17 Datenschutz-Grundverordnung, PinG 2016, S. 176 f.

[17] Bruno Glaus, Das Recht auf Vergessen und das Recht auf korrekte Erinnerung, Medialex 2004, S. 200.

[18] Zu beachten ist Art. 32 DSG (Bundesgesetz über den Datenschutz vom 25. September 2020 [DSG; SR 235.1]). Demnach können Betroffene beispielsweise verlangen, dass anschliessend an eine Auskunft nach Art. 25 DSG unrichtige Personendaten berichtigt werden. Von diesem grundsätzlichen Recht gibt es einige Ausnahmen, etwa aufgrund von Aufbewahrungsvorschriften.

[19] Siehe etwa BGE 109 II 353 E. 3; BGE 122 III 449 E. 3b.

[20] Rainer J. Schweizer / Lea Striegel, in: Ehrenzeller/Egli/Hettich et al. (Hrsg.), St. Galler Kommentar, Bundesverfassung, 4. Aufl., Zürich 2023, Art. 13 N 112 (zit. SGK BV-Bearbeiter:in).

[21] Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210).

[22] Siehe Urteil des Bundesgerichts 5P.254/2002 vom 12. September 2002 E. 2.5; sowie Urteil des Bundesgerichts 5P.308/2003 vom 28. Oktober 2003 E. 2.4 f.

[23] Zum Vorstehenden siehe Patrick Eggimann, Recht auf Vergessen: Und wer da googelt, der findet nicht mehr, sic! 2014, S. 651.

[24] Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15. September 2017 (BBl 2017 6941), S. 7077 f.

[25] Siehe BGE 109 II 353; BGE 111 II 209; weitergehend Mirjam Teitler, Der rechtskräftig verurteilte Straftäter und seine Persönlichkeitsrechte im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Informationsinteresse, Persönlichkeitsschutz und Kommerz, Zürich 2008, S. 82 ff.

[26] BGE 109 II 353 E. 3, u.a. mit Verweis auf das sog. Lebach-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 536/72 vom 5. Juni 1973 (BVerfGE 35, 202-Lebach).

[27] Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101).

[28] SGK BV-Schweizer/Striegel, Art. 13 N 112; siehe in diesem Kontext Erwägung 65 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): «Eine betroffene Person sollte (…) ein Recht auf Vergessenwerden» haben, was insbesondere «wichtig in Fällen (sei), in denen die betroffene Person ihre Einwilligung noch im Kindesalter gegeben hat und insofern die mit der Verarbeitung verbundenen Gefahren nicht in vollem Umfang absehen konnte.», zitiert nach Sandra Husi-Stämpfli, DSGVO: Schützt die kleinen Technik-Nerds, digma 2017, S. 29.

[29] BGE 111 II 209 E. 3c; dazu Eggimann (Fn. 23), S. 651.

[30] Siehe dazu Matthias Oesch / Tobias Naef, EU-Grundrechte, der EuGH und die Schweiz, ZSR 2017, S. 142.

[31] SGK BV-Schweizer/Striegel, Art. 13 N 112.

[32] Dt. Bundesverfassungsgericht.

[33] Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 25. Oktober 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 294) geändert worden ist (BGB).

[34] Komm. DSGVO BDSG-Paal, Art. 17 DSGVO N 2a.

[35] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I).

[36] Siehe zu den Hintergründen das Urteil des Bundesgerichtshofs VI ZR 330/11 vom 13. November 2012 (Apollonia).

[37] Siehe dazu Katharina de la Durantaye / Céline M. Lalé, Hurbain v. Belgien: Eine Entscheidung zum Vergessen?, ZEuP 2022, S. 684 f. m.w.H.

[38] Urteil des Landgerichts Hamburg 324 O 113/10 vom 15. April 2011.

[39] Oberlandesgericht.

[40] Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg 7 U 49/11 vom 1. November 2011.

[41] Dt. Bundesgerichtshof.

[42] Urteil des Bundesgerichtshofs VI ZR 330/11 vom 13. November 2012.

[43] Eine zentrale Rolle spielte hierbei der Verweis auf das Urteil des EGMR [GK] 39954/08 vom 7. Februar 2012 (Axel Springer AG gegen Deutschland).

[44] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2478) geändert worden ist (GG).

[45] Siehe dazu Nadine Klass, Das Recht auf Vergessen(-werden) und die Zeitlichkeit der Freiheit, ZUM 2020, S. 268.

[46] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 107.

[47] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 107.

[48] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 110 ff.

[49] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 150 f.

[50] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 105.

[51] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 105.

[52] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 105.

[53] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 108.

[54] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 16/13 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 152-Recht auf Vergessen I), Rz. 107.

[55] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 276/17 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 216-Recht auf Vergessen II).

[56] Klass (Fn. 45), S. 274.

[57] Urteil des Landgerichts Lüneburg 3 O 149/15 vom 22. April 2016.

[58] Urteil des Oberlandesgerichts Celle 13 U 85/16 vom 29. Dezember 2016.

[59] Klass (Fn. 45), S. 268.

[60] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 276/17 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 216-Recht auf Vergessen II), Rz. 123 ff.

[61] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 276/17 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 216-Recht auf Vergessen II), Rz. 134.

[62] Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 276/17 vom 6. November 2019 (BVerfGE 152, 216-Recht auf Vergessen II), Rz. 128.

[63] Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2000/C 364/01 vom 1. Dezember 2009 (EU-GRC).

[64] Siehe dazu m.w.H. Komm. DSGVO BDSG-Paal, Art. 17 DSGVO N 2a.

[65] Urteil des EuGH C-131/12 vom 13. Mai 2014 (Google Spain SL und Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González); siehe dazu Eggimann (Fn. 23), S. 644 ff.; Oesch/Naef (Fn. 30), S. 141; Becker (Fn. 1), S. 124 ff.; Johannes Masing, Vorläufige Einschätzung der «Google-Entscheidung» des EuGH, Verfassungsblog vom 14. August 2018; Hugh J. McCarthy, All the World’s a Stage: The European right to be forgotten revisited from a US perspective, GRUR Int. 2016, S. 604 ff.

[66] Urs Saxer, Konturen eines europäischen Persönlichkeitsschutzes: Das Google-Urteil des EuGH und dessen Folgen, Medialex 2015, S. 35.

[67] Siehe etwa das Urteil des EuGH C-136/17 vom 24. September 2019 (GC u. a. gegen Commission nationale de l’informatique et des libertés (CNIL)), zitiert nach Durantaye/Lalé (Fn. 37), S. 682, dort Fn. 3.

[68] Siehe zu diesem Fall umfassend Jens Milker, Die Umsetzung des «Rechts auf Vergessenwerden» im deutschen Recht: Der Datenschutz als Taktgeber für das Äusserungsrechte, Diss. Wiesbaden 2019, S. 91 ff.

[69] Agencia Española de Protección de Datos.

[70] EuGH, Google Spain SL und Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, Ziff. 45 ff.

[71] Siehe dazu EuGH, Google Spain SL und Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, Ziff. 85.

[72] EuGH, Google Spain SL und Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, Ziff. 80.

[73] EuGH, Google Spain SL und Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González, Ziff. 86; siehe die Zusammenfassung in EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 71 ff.

[74] SGK BV-Schweizer/Striegel, Art. 13 N 112 mit Verweis auf Stumpf (Fn. 6), S. 207 ff. m.w.H.

[75] Siehe dazu Frank Meyer / Lukas Staffler, Die Rechtsprechung des EGMR in Strafsachen im Jahr 2018, FP 2019, S. 318 f.

[76] Siehe Urteil des Landgerichts Hamburg 324 O 459/07 und 324 O 469/07 vom 29. Februar 2008; Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg 7 U 30/08 und 7 U 31/08 vom 29. Juli 2008; Beschluss des Bundesgerichtshofs VI ZR 228/08 vom 4. August 2009; Beschluss des Landgerichts Krefeld 12 O 13/04 vom 24. November 2009; Beschluss des Bundesgerichtshofs VI ZR 227/08 und VI ZR 228/08 vom 15. Dezember 2009; Beschluss des Landgerichts Krefeld 12 O 13/04 vom 16. Dezember 2009; Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf 20 W 152/09 vom 1. Februar 2010 sowie Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 535/10 vom 11. Juni 2010 und 2 BvR a535/10 vom 28. Oktober 2010.

[77] Urteil des EGMR 60798/10, 65599/10 vom 28. Juni 2018 (M.L. u. W.W. gegen Deutschland), Ziff. 97.

[78] EGMR, M.L. u. W.W., Ziff. 97.

[79] Meyer/Staffler (Fn. 75), S. 319.

[80] EGMR, M.L. u. W.W., Ziff. 95.

[81] EGMR, M.L. u. W.W., Ziff. 101.

[82] EGMR, M.L. u. W.W., Ziff. 106 ff.

[83] Conseil de déontologie journalistique.

[84] Im Original: «Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.»

[85] Urteil des Cour d’Appel Liège 2013/RG/393 vom 25. September 2014.

[86] Urteil des Cour de cassation de Belgique C.15.0052.F/1 vom 29. April 2016.

[87] EGMR, Hurbain.

[88] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 136.

[89] Pressemitteilung der Kanzlerin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 11. Oktober 2021.

[90] Dies sind (1) die unbestrittene Rechtmässigkeit der Informationen, (2) deren Bedeutung als Archivgut, (3) potenzielle Folgen von Änderungen an diesen Informationen, (4) der Zeitpunkt der Anfrage, (5) der Status des G. sowie (6) der Umstand, dass er sich nicht direkt an die Suchmaschinenbetreiber:innen gewandt hatte, siehe EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 138.

[91] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 139.

[92] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 140.

[93] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 141.

[94] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 143.

[95] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 146.

[96] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 150.

[97] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 152.

[98] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 155.

[99] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 156.

[100] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 155.

[101] Siehe im Gegensatz dazu etwa Urteil des EGMR 33846/07 vom 16. Juli 2013 (Wegrzynowski und Smolczewski gegen Polen).

[102] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 158.

[103] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 163.

[104] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 160.

[105] Dabei handelt es sich dem Grunde nach um ein Set an Regeln, welches dazu dient, die Indizierung von Inhalten durch Suchmaschinen zu verhindern.

[106] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 164.

[107] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 166.

[108] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 161.

[109] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 170.

[110] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 172.

[111] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 174.

[112] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 176.

[113] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 177.

[114] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 185.

[115] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 187.

[116] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 188.

[117] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 189.

[118] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 194.

[119] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 194 mit Verweis auf Urteil des EGMR 35841/02 vom 7. Dezember 2006 (Österreichischer Rundfunk gegen Österreich), Ziff. 68 ff.

[120] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 199.

[121] Urteil des EGMR 404 54/07 vom 10. November 2015 (Couderc und Hachette Filipacchi Associés gegen Frankreich).

[122] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 202 ff.

[123] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 205.

[124] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 213.

[125] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 214 ff.

[126] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 219.

[127] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 220.

[128] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 221.

[129] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 222.

[130] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 223.

[131] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 225.

[132] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 227.

[133] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 229.

[134] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 232.

[135] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 233.

[136] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 234.

[137] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 237.

[138] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 239.

[139] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 242.

[140] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 243 f.

[141] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 245.

[142] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 246.

[143] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 249 f.

[144] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 4.

[145] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 6.

[146] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 8.

[147] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 11.

[148] Siehe auch die Mitteilung von Article 19 vom 4. Juli 2023 (European Court of Human Rights: A blow to integrity of media archives).

[149] Siehe zum Vorstehenden Mediadefence vom 6. Juli 2023 (European Court of Human Rights issues judgment in Hurbain v Belgium, expanding the application of the «right to be forgotten»).

[150] Siehe dazu auch EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 254.

[151] Siehe in diesem Kontext auch den Verweis der Richter:innen auf die Studie in den Mitgliedsstaaten mitsamt der Bedeutung von Einzelfallbetrachtungen EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 89.

[152] Siehe dazu auch EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 242.

[153] EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 251.

[154] Siehe zu diesen Argumenten Hugh Tomlinson, Case Law, Strasbourg: Hurbain v Belgium, Grand Chamber upholds decision that order anonymising newspaper archive did not violate Article 10, Inforrm’s Blog vom 26. Juli 2023.

[155] Siehe zum zeitlichen Aspekt auch EGMR, M.L. u. W.W., Ziff. 109; Giovanni Sartor, The right to be forgotten: Publicity, privacy and the passage of time, in: Schartum/Bygrave/Bekken (Hrsg.), John Bing – A Tribute, Oslo 2014, S. 79 ff.

[156] Mediadefence vom 6. Juli 2023 (European Court of Human Rights issues judgment in Hurbain v Belgium, expanding the application of the «right to be forgotten»); sowie Tomlinson (Fn. 154).

[157] Als einer der Ersten bereits im Jahr 1998: Joseph D. Lasica, The Net never forgets, Salon vom 25. November 1998, zitiert nach Becker (Fn. 1), S. 3; siehe auch Beschluss des VGH Baden-Württemberg 9 S 1056/11 vom 12. Mai 2011, zitiert nach Becker (Fn. 1), S. 3; kritisch zu diesem Verständnis Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Erinnern und Vergessen im digitalen Zeitalter, digma 2016, S. 82.

[158] Siehe dazu Christine Möhrke-Sobolewski, Gehackte Fahrzeuge: Strafantragsrecht bei Datendelikten in der Schweiz und in Deutschland, Diss. Zürich 2021, S. 214 m.w.N.

[159] Siehe bei WhatsApp.

[160] Siehe bei Google.

[161] Siehe zu entsprechenden Fällen Stumpf (Fn. 6), S. 46 f.

[162] Weitergehend zum digitalen Erbe Cordula Lötscher, Der digitale Nachlass, Zürich et al. 2021; siehe in diesem Kontext auch Antoinette Maget Dominicé / Dario Henri Haux, The Decision of the German Federal Court of Justice against Facebook: Opportunity to Define Digital Heritage?, Santander Art and Culture Law Review 2020, S. 251 ff.

[163] Saxer (Fn. 66), S. 39.

[164] Siehe dazu Philipp Schwarz, Street Photography and the Right to Privacy: The Tension Between Freedom of Artistic Expression and an Individual’s Right to Privacy in the USA, cognitio 2020, S. 1 ff.

[165] So etwa Durantaye/Lalé (Fn. 37), S. 681.

[166] Siehe Dario Henri Haux, Die digitale Allmende: Zur Frage des nachhaltigen Umgangs mit Kultur im digitalen Lebensraum, Zürich et al. 2021, S. 176 m.w.H.

[167] Siehe dazu EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 63 ff.

[168] Siehe dazu Haux (Fn. 166), S. 180 ff.

[169] Locus classicus Samuel D. Warren / Louis D. Brandeis, The Right to Privacy, Harvard Law Review 1890, S. 193.

[170] Siehe zu den verschiedenen Facetten des Rechts auf Vergessenwerden EGMR [GK], Hurbain, Ziff. 194 f.

[171] Leutheusser-Schnarrenberger (Fn. 157), S. 82, auf Mayer-Schönberger (Fn. 9) referenzierend.

[172] Becker (Fn. 1), S. 2.

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sui generis | ISSN: 2297-105X; DOI: https://doi.org/10.21257/sg.244

 

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