Analyse des Zuger Urteils zur Gewinnherausgabe, warum das Untersuchungsgeheimnis zu wahren ist und wieso Swissmedic Schreibverbote verfügt
Liebe Leserin, lieber Leser
Die Aufregung rund um das Urteil des Kantonsgerichts Zug zur Gewinnherausgabe im Fall Spiess-Hegglin gegen Ringier ist gross. Während die Klägerin den Entscheid letzte Woche als «Meilenstein» pries, sprach Ringier von einem «fatalen Schlag gegen den freien Journalismus» und warnte vor «willkürlichen und exorbitanten Nachahmerklagen». Natürlich besteht die Gefahr, dass künftig Anwälte von potentiellen oder auch nur selbsternannten Medienopfern mit dem Zuger Urteil Drohkulissen aufbauen, die ihre Wirkung insbesondere bei Medienunternehmen mit geringen finanziellen Ressourcen nicht verfehlen werden. Dennoch sieht es Rechtsanwalt Christoph Born, der für Medialex den Entscheid analysiert, nicht ganz so drastisch. Im Beitrag «Gewinnschätzung mit schalem Nachgeschmack und beschränkter Tragweite» weist er darauf hin, dass es beim Präjudiz des Bundesgerichts, auf das sich die Zuger Richter stützen, um die Gewinnherausgabe bei Persönlichkeitsverletzungen durch Boulevardmedien ging. Bei Klagen gegen Boulevardmedien muss für die Kausalität zwischen widerrechtlicher Persönlichkeitsverletzung und Gewinnerzielung nicht der volle Beweis erbracht werden. Diese Beweiserleichterung gilt jedoch nicht im Bereich des Investigativjournalismus. Zudem habe das Gericht auch deshalb weitgehend auf die Berechnungen und das Gewichtungsmodell von Spiess-Hegglin bzw. ihrer Experten abgestellt, weil diese von Ringier nicht oder zu wenig substantiiert bestritten worden seien. Die Auswirkungen des Entscheides aus Zug, der ohnehin noch nicht rechtkräftig ist, brauchen also nicht überbewertet zu werden.
Die viel diskutierte Strafnorm «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» gemäss Art. 293 StGB greift in die Medienfreiheit ein. Es sind jeweils das Geheimhaltungs- und das Veröffentlichungsinteresse gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Untersuchungsgeheimnis einerseits und dem Kommissions- und Kollegialbehördengeheimnis andererseits. Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel fokussiert in seiner Untersuchung «Das öffentliche Geheimhaltungsinteresse im Widerstreit mit dem Veröffentlichungsinteresse» auf das Untersuchungsgeheimnis. Besonders in Fällen mit Medieninteresse komme es gehäuft vor, dass vom Amtsgeheimnis geschützte Informationen aus den Untersuchungsakten in den Medien erscheinen. Der Geheimnisschutz sei aber für die effiziente Führung von Strafuntersuchungen grundlegend. Er diene dem Schutz der beschuldigten Personen vor Vorverurteilung, dem Schutz der Privatsphäre aller Verfahrensbeteiligter sowie dem Schutz vor Verdunkelung. Ein überwiegendes öffentliches Interesse liege in Bezug auf Untersuchungs- und Gerichtsakten nur selten vor, etwa dann, wenn bei einer Veröffentlichung der Aspekt der sachlichen Behördenkritik überwiege und die Informationen erforderlich seien, um solche Kritik begründen zu können.
Swissmedic hat mehrere Schweizer Medien angewiesen, bestimmte Artikel über das Schlankheitsmedikament Ozempic zu löschen. Dies hat bei Medienschaffenden Unverständnis ausgelöst, denn (unabhängige) Berichterstattung über medizinische Produkte gehört zur Kernaufgabe der Medien. Rechtsanwalt Markus Prazeller hebt im Beitrag «Schreibverbote zum Zwecke des Gesundheitsschutzes» hervor, dass bei einer Berichterstattung über ein Präparat nicht vorschnell auf das Vorliegen von Publikumswerbung geschlossen werden solle, wie Swissmedic dies tue. Gerade im Bereich von Arzneimitteln fänden sich in den sozialen Medien und auf Webseiten eine Vielzahl von Behauptungen, die von den Konsumentinnen und Konsumenten oftmals nicht verifiziert und eingeordnet werden könnten. Diesen Missstand vermöge die Löschung einzelner Medienartikel nicht zu beheben – im Gegenteil: Eine verantwortungsvolle Medienberichterstattung trage zur Aufklärung der Öffentlichkeit bei und schade den gesundheitspolitischen Interessen nicht.
Wie üblich finden Sie unter «Aktuelle Entscheide» die Liste mit neu publizierten medienrechtlich relevanten Urteilen der Bundesgerichte, mit UBI-Entscheiden und den jüngsten Stellungnahmen des Presserats. Und «Neue Literatur» bietet Ihnen einen Überblick über neu erschienene wissenschaftliche Publikationen zum Medienrecht.
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Simon Canonica
Redaktor «Medialex»
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