Journalismus als Risiko

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Razzia in einer Redaktion – das Bankgeheimnis geniesst privilegierten Schutz

Simon Jakob, Rechtsanwalt, M.A. HSG in Law & Economics, Senior Legal Counsel «Neue Zürcher Zeitung»

Zusammenfassung: Inside Paradeplatz hatte 2016 Fakten publiziert, die zu einer Strafuntersuchung und erstinstanzlichen Verurteilung von Ex-Raiffeisen-Chef Vincenz und seinem Vertrauten Stocker führte. Anfang Juni fand nun beim Finanzportal eine Hausdurchsuchung statt, gestützt auf Art. 47 des Bankengesetzes, das seit seiner Verschärfung von 2015 Verletzungen des Bankgeheimnisses nicht nur durch Bankpersonal, sondern auch durch Dritte wie Journalisten unter Strafe stellt. Dies wirkt abschreckend auf Medienschaffende. Der Autor findet, die Pressefreiheit sei auch in einer Finanznation wie der Schweiz ein hohes Gut. Behördliche Zwangsmassnahmen wie im vorliegenden Fall müssten sich daran messen lassen. Die Hausdurchsuchung bei Inside Paradeplatz erscheint ihm in diesem Licht als unverhältnismässig und kontraproduktiv.

Résumé: La plateforme d’informations «Inside Paradeplatz» (IP) avait publié en 2016 des faits qui ont conduit à une enquête pénale et à la condamnation, en première instance, de l’ancien directeur général de Raiffeisen, Pierin Vincenz, et de son co-accusé Beat Stocker. Les révélations journalistiques ont eu, près de 10 ans plus tard, des conséquences pour IP. Début juin, les bureaux et le domicile privé du fondateur du portail, le journaliste Lukas Hässig, ont fait l’objet d’une perquisition en vertu de l’article 47 de la loi sur les banques, qui, depuis son durcissement en 2015, punit les violations du secret bancaire non seulement par le personnel bancaire, mais aussi par des tiers tels que les journalistes. L’auteur de l’analyse qui suit estime que la liberté de la presse est un bien précieux, même dans une nation avec une tradition financière forte comme la Suisse. Les mesures coercitives prises par les autorités, comme dans le cas présent, doivent être évaluées à l’aune de ce principe. Dans ce contexte, la perquisition chez Inside Paradeplatz lui semble disproportionnée et contre-productive.

I. Paradigmenwechsel von 2015

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Der jüngste Fall Inside Paradeplatz zeigt, wie in der Schweiz investigativer Journalismus selbst zum Ziel strafrechtlicher Ermittlungen werden kann. Hintergrund ist Art. 47 Bankengesetz (BankG), der das Bankkundengeheimnis schützt. Seit der Revision von 2015 erfasst dieser Strafartikel nicht mehr nur Bankangestellte, sondern explizit auch Dritte. Journalisten können somit kriminalrechtlich belangt werden, wenn sie geheime Bankinformationen veröffentlichen – selbst dann, wenn diese von grosser gesellschaftlicher Relevanz sind.

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Diese Ausweitung des Täterkreises stellte einen Paradigmenwechsel dar. Bis 2015 machte sich ein Journalist nicht strafbar, wenn er von einem Bank-Insider erhaltene Informationen publizierte. Das Delikt der Bankgeheimnisverletzung zielte allein auf Personen innerhalb des Bankwesens ab, die anvertraute Kundengeheimnisse unbefugt offenbarten. Doch mit Wirkung ab 1. Juli 2015 wurde Art. 47 BankG verschärft: Seither wird auch bestraft, wer als unbeteiligter Dritter ein Bankgeheimnis weiterverbreitet. Kritiker warnten damals, eine solche Regelung könne investigative Enthüllungen im öffentlichen Interesse faktisch unterbinden. Gleichwohl setzten sich Stimmen durch, die meinten, es sei nicht Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten. Das Ergebnis: Heute sind Bankdaten stärker geschützt als viele andere Geheimnisse – etwa medizinische Informationen, bei denen nur das Gesundheitspersonal selbst der Schweigepflicht untersteht, nicht aber Medienschaffende.

II. Abwägung der Interessen

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Juristisch gerät die Schutzfunktion des Bankgeheimnisses hier in Konflikt mit der Pressefreiheit. Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert Medien das Recht, auch heikle Informationen zu verbreiten, sofern ein öffentliches Interesse besteht. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wiegt das Interesse einer demokratischen Gesellschaft an kritischer Berichterstattung schwer: Journalisten dürfen Informationen von allgemeiner Bedeutung veröffentlichen, wenn sie wahr und gutgläubig erlangt sind; das öffentliche Interesse überwiegt dann das Bedürfnis, sie für die Veröffentlichung vertraulicher Unterlagen zu bestrafen. Anders formuliert: Pressefreiheit endet nicht dort, wo staatliche oder wirtschaftliche Akteure ein Geheimhaltungsinteresse behaupten. Vielmehr muss im Einzelfall eine Verhältnismässigkeitsprüfung stattfinden: Ist die beanstandete Enthüllung notwendig für die öffentliche Debatte?

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In der Strafbestimmung zum Bankgeheimnis (Art. 47 BankG) fehlt eine solche ausdrückliche Interessenabwägung. Der Gesetzgeber hat Journalisten keine gesetzliche Möglichkeit eingeräumt, sich auf das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung zu berufen. Dies stellt einen blinden Fleck dar. Gerade die Causa Inside Paradeplatz verdeutlicht, wie problematisch das sein kann: Die Informationen, um die es geht, betrafen keine anonymen Bankkunden, sondern Spitzenmanager, deren undurchsichtige Geschäfte zu Strafverfahren und Verurteilungen führten. Inside Paradeplatz hatte 2016 publik gemacht, dass Pierin Vincenz – damals Raiffeisen-Chef – 2,9 Millionen Franken auf seinem Konto erhalten hatte, kurz nach einer umstrittenen Firmenakquisition. Diese Enthüllung löste interne Untersuchungen bei der Bank aus und alarmierte die Finanzmarktaufsicht. In der Folge wurden Vincenz und sein Mitstreiter Beat Stocker wegen verschiedener Delikte angeklagt und erstinstanzlich verurteilt. Ohne die journalistische Veröffentlichung wäre dieser Skandal womöglich nie ans Licht gekommen.

III. Kein Unterschied zwischen Whistleblower und Reporter

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Dennoch behandelt die geltende Rechtslage den Journalisten faktisch gleich wie den ursprünglichen Geheimnisträger. So eröffnete die Zürcher Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Verletzung des Bankgeheimnisses – erst gegen Unbekannt, dann gezielt gegen Lukas Hässig als Herausgeber von Inside Paradeplatz. Im Juni 2025 kam es zur Hausdurchsuchung in Redaktion und Privatwohnung. Beschlagnahmt wurden sämtliche Arbeitsgeräte und Unterlagen des Journalisten. Ein solcher Eingriff in die redaktionelle Arbeit ist massiv: Zum einen erscheint es unrealistisch, auf diesem Wege den ursprünglichen Informanten – mutmasslich innerhalb der Bank Julius Bär – zu ermitteln. Zum anderen erhält die Staatsanwaltschaft damit potentiell Einblick in unzählige vertrauliche Recherchen und Quellen des Journalisten. Zwar hat Hässig von seinem Siegelungsrecht Gebrauch gemacht, sodass ein Zwangsmassnahmengericht nun prüft, welche Daten ausgewertet werden dürfen. Doch allein die Drohkulisse einer solchen Razzia entfaltet Wirkung – man spricht hier von einem chilling effect auf die Medien. Reporter ohne Grenzen (RSF) warnte bereits, dass Art. 47 BankG eine abschreckende Wirkung auf Investigativjournalisten ausübt. Beispiele dafür gibt es: Bei der internationalen Enthüllungsaktion «Suisse Secrets» über dubiose Bankkonten beteiligten sich Schweizer Zeitungen aus Angst vor Strafverfolgung gar nicht erst. Ausländische Medien berichteten über mutmassliche Gelder von Oligarchen, während die heimische Presse schwieg. Demokratiepolitisch ist dies alarmierend. Die Presse übernimmt die Rolle einer vierten Gewalt, indem sie Machtmissbrauch aufdeckt – insbesondere in einem Finanzplatz wie Zürich. Wenn investigativer Journalismus jedoch mit Hausdurchsuchung und Strafverfahren beantwortet wird, entsteht ein Klima der Einschüchterung. Dies gefährdet die öffentliche Kontrolle über Wirtschaft und Behörden.

IV. Fazit und Ausblick

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Der Fall Inside Paradeplatz illustriert ein strukturelles Problem. Art. 47 BankG in seiner aktuellen Form steht in einem Spannungsverhältnis zur Medienfreiheit (siehe dazu auch David Zollinger, Die Verwendung von Bankdaten durch Medienschaffende, medialex 06/22). Die Kritik daran wächst seit Jahren – national wie international. Die Organisation Reporter ohne Grenzen bezeichnete die Strafnorm kürzlich als „eines der grössten Defizite hinsichtlich der Pressefreiheit in der Schweiz“. Tatsächlich schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich beim rechtlichen Schutz der Medienfreiheit deutlich schlechter ab als in anderen Kategorien.

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Es mehren sich auch innenpolitisch die Stimmen für eine Korrektur: Bereits 2022 empfahl eine parlamentarische Kommission, den Pressefreiheitsvorbehalt im Finanzbereich zu stärken. Das Anliegen lautet, investigative Recherchen über den Schweizer Finanzplatz zu ermöglichen, ohne dass Journalisten strafrechtlich verfolgt werden. Noch ist ungewiss, wann und wie der Gesetzgeber reagiert. Umso wichtiger wird im konkreten Fall die Prüfung durch unabhängige Gerichte.

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Letztlich wäre eine Klärung durch den EGMR wünschenswert: Sollte ein Schweizer Journalist tatsächlich aufgrund von Art. 47 BankG verurteilt werden, müsste der Strassburger Gerichtshof die Vereinbarkeit mit Art. 10 EMRK überprüfen. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut – auch in einer Finanznation. Behördliche Zwangsmassnahmen wie im vorliegenden Fall müssen sich daran messen lassen. Die Hausdurchsuchung bei Inside Paradeplatz erscheint in diesem Licht als unverhältnismässig und kontraproduktiv: Sie wird kaum das ursprüngliche Geheimnisleck stopfen, öffnet aber eine gefährliche Büchse der Pandora für die Medienfreiheit. In einer liberalen Demokratie darf das Bankgeheimnis nicht über dem öffentlichem Interesse stehen – diese Lehre sollte man spätestens jetzt ziehen.

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1 Kommentar

  • Neu wäre doch eine Berufung auf Art. 14 StGB in Verbindung mit Art. 10 EMKR möglich? Damit wäre eigentlich auch Art. 47 BankG eine vorgängige Interessenabwägung inhärent?

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