Bundesgerichtsurteil über ein Bildhonorar, Tarif-Erneuerungen und ein Blick über die Grenze

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Übersicht über Entscheide und die Rechtsentwicklung im Urheberrecht des Jahres 2023

Philip Kübler, Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M., Direktor ProLitteris *

Résumé: Durant l’année sous revue, nous nous sommes occupés de l’arrêt du Tribunal fédéral sur la redevance pour une photographie utilisée sans autorisation, du renouvellement de deux tarifs des sociétés de gestion pour la copie et le stockage ainsi que de la consultation sur l’introduction d’une protection des prestations pour les éditeurs et les professionnels des médias. Philip Kübler rappelle en outre deux jugements allemands relatifs à la mention de l’auteur et au ghostwriting, ainsi qu’un jugement de la Cour suprême autrichienne qui, comme le Tribunal fédéral, a dû se pencher sur une utilisation non autorisée d’une image.

Zusammenfassung: Im Berichtsjahr beschäftigten uns das Bundesgerichtsurteil über ein Bildhonorar für eine unautorisiert genutzte Fotografie, die Erneuerung zweier Tarife der Verwertungsgesellschaften zum Kopieren und Speichern und die Vernehmlassung zur Einführung eines Leistungsschutzes für Medienverlage und Medienschaffende. Philip Kübler erwähnt zusätzlich zwei Urteile aus Deutschland zur Urhebernennung bzw. zum Ghostwriting und ein Urteil des österreichischen obersten Gerichts, das sich wie das Bundesgericht mit einer unerlaubten Bildnutzung befassen musste.

I. Rechte und Nutzungen – namentlich Bildhonorare

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Drei Jahre nach Inkrafttreten des erweiterten Urheberrechtsschutzes für Fotografien (Art. 2 Abs. 3bis URG) befasste sich das Bundesgericht erstmals mit einer unautorisiert genutzten nicht-individuellen Fotografie unter neuem Recht, im Entscheid BGer 4A_168-2023 vom 21. April 2023. Zur Erinnerung: Das Gesetz führte 2020 die Sonderregel ein, dass sämtliche Presse-, Produkt- und Gebrauchsfotos als Werke geschützt sind, ohne dass sie einen individuellen Charakter haben, also ohne dass sie kreativ gestaltet sind, und dies mit einer Schutzdauer bis 50 Jahre nach Herstellung statt bis 70 Jahre nach dem Leben der Urheberin.

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Berufsfotografierende fanden die Höhe der Ersatzzahlung von bloss CHF 55 stossend, nachdem der Urheber für einen höheren Ersatz ans Bundesgericht gelangt war und für diesen Betrag wohl keine Lizenz erteilt hätte. Der Fotograf verlangte CHF 2’820, mit Verletzerzuschlag und Umtriebsentschädigung ursprünglich sogar CHF 3’920. Die Kalkulation folgte den Preisempfehlungen 2017 der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Bildagenturen und -archive (SAB-Empfehlungen). Dass der Berufsfotograf seine Rechnungsstellung an diesen Branchenempfehlungen orientiere, und dass diese Empfehlungen Marktpreisen entsprächen, fand das Bundesgericht ungenügend belegt. Im Ergebnis liess es genau wie die Vorinstanz die Offerte des Beklagten, des Verletzers, gelten: CHF 55 für die unautorisierte Nutzung. Der Entscheid wurde in Medialex besprochen von Etienne Coquoz, Une épine dans le pied des photographes professionnels? medialex 05/23, 6 juin 2023, und Christoph Schütz, Wenn der Dieb den Wert des Diebesgutes diktiert, medialex 09/23, 7. November 2023.

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Als Lehre lässt sich ziehen, dass Fotografinnen und andere Kreativschaffende ihre Offerten und Rechnungen nach einem Preissystem gestalten sollten. Hält man sich an die Preisliste eines Verbandes, so referenziert man diese Quelle konsequent und gestaltet auch die Abweichungen davon möglichst nach festen Regeln und Kriterien. In der Kalkulation für die Kunden sind Lizenzkosten von Honoraren und anderen Leistungskomponenten zu trennen, denn im Gerichtsfall geht es ums nackte Urheberrecht. Im Fall eines Missbrauchs seiner Werke sollte der Urheberrechtskläger vor Gericht nicht nur die eine unbezahlte, sondern ein paar Dutzend bezahlte Rechnungen vorweisen. Damit beweist man den Marktwert der unerlaubt genutzten Werke. Die früher honorierten Lizenzen müssen ähnliche Produkte und Nutzungen betreffen, damit eine Annäherung möglich ist (Werkkategorien Foto oder Kunst, Illustrationen, Grafiken; Werknutzungen Druck, Online, Wahrnehmbarmachen, Senden; Preisbestimmungskriterien wie Mengen, Verbreitungskanäle, Rabatte und Zuschläge). All dies muss man in den schriftlichen Eingaben vor Gericht behaupten, dokumentieren und nach Widerrede der Gegenpartei beweisen können.

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Weil es nicht genügt, pauschal zu sagen, dass ein Branchentarif den tatsächlich erzielten Marktpreisen entspricht, könnten die Berufsverbände Prävention betreiben, indem sie ihre Honorarempfehlungen – im Rahmen des wettbewerbsrechtlich Zulässigen – mittels Studien und Daten erhärten.

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Eine schweizerische Knacknuss bleibt der Verletzerzuschlag. Es gibt ihn nicht in ausdrücklicher Form, trotz begründeten Forderungen (dazu mit weiteren Verweisungen Christoph Schütz, Wenn der Dieb den Wert des Diebesgutes diktiert, medialex 09/23, 7. November 2023, Rn. 46 und 50). Im vorliegenden Fall argumentierte der Kläger mit Branchentarifen und Honorarempfehlungen und danach hilfsweise mit dem Argument, dass die Freiheit der unautorisierten Nutzung einen höheren Marktwert indiziere. Tatsächlich liegt in dieser Überlegung eine gewisse Chance.

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Der bundesgerichtlichen Begründung folgend könnten Fotografinnen und ihre Verbände versuchen, genau zu behaupten und zu beweisen, dass und warum ein zu bezahlender Lizenzpreis für unautorisierte Nutzungen höher ist. Statt eines pönalen Verletzerzuschlags («Aufschlag 100%») sollte die Freiheit des Kunden etwas kosten, den sachlichen, zeitlichen und räumlichen Anwendungsbereich der «Lizenz» zu definieren. Die Definitionsmacht des Verletzers hätte einen wirtschaftlichen Wert und somit einen erhöhten Preis. In diese Richtung geht auch Etienne Coquoz, Une épine dans le pied des photographes professionnels? medialex 05/23, 6 juin 2023, Note 14.

II. Lizenzierung und Verwertung – namentlich Privatkopie

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Im Bereich der Kollektivverwertung in der Verantwortung der Verwertungsgesellschaften trat im Jahr 2023, nach Genehmigung durch die Eidgenössische Schiedskommission, der total revidierte Gemeinsame Tarif 8 in Kraft (GT 8). Die gesetzlichen Vergütungen betreffen das interne Kopieren in Organisationen (siehe Philip Kübler, Internes Kopieren: Warum zahlen – und wieviel? medialex 09/2021, 5. November 2021). Neu ist das analoge und digitale Vervielfältigen in einem einzigen übersichtlichen Tarif geregelt, der frühere GT 9 für Digitalkopien wurde im GT 8 integriert. Die Vergütungen für den Eigengebrauch in Unternehmen, Verwaltungen und sonstigen Organisationen stützen sich namentlich auf Art. 19 Abs. 1 lit. c und Art. 20 Abs. 2 URG und begründen mit rund CHF 10 Mio. jährlichem Ertrag einen mittelgrossen Geschäftsbereich der Verwertungsgesellschaften. Die Pauschalen pro Vollzeitstelle und das Tarifdokument wurden deutlich vereinfacht. Betriebe in der Schweiz schulden je nach Branche eine Grundvergütung von jährlich CHF 3.20, CHF 5.20 oder CHF 8.20 pro Stelle (Vollzeitäquivalente), eine Zusatzvergütung von CHF 4.50 pro Stelle mit Zugang zu einem internen Medienspiegel, und eine Vergütung als Dritter (Bibliothek, Medienbeobachtungsdienst, Kopierbetrieb) zu CHF 0.035 pro Kopie. Medienverlage und Medienschaffende profitieren von diesen Vergütungen zunehmend, nachdem die für Medien zuständige Verwertungsgesellschaft ProLitteris seit 2019 eine eigenständige jährliche Verteilung für Werke im Internet durchführt («Verteilung Online»).

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Ein zweiter Tarif, der sich auf den urheberrechtlichen Eigengebrauch stützt, ist GT 4 unter Leitung der SUISA. Die Verwertungsgesellschaften beabsichtigen, Cloud-Dienste einer Leerträgerabgabe zu unterstellen (Speichervergütung), da Cloudspeicher für das private Kopieren geschützter Werke und Leistungen verwendet werden und Gerätespeicher substituieren können. Für das Tarifverfahren gaben die Verwertungsgesellschaften im September 2023 die gewohnte demoskopische Befragung in Auftrag, mittels der das Kopierverhalten der Konsumenten auf den verschiedenen digitalen Geräten ermittelt wurde. Medien und Medienschaffende können auch diese Vergütungen über die Verteilungen von ProLitteris beziehen, sei es die Verteilung Online für Medieninhalte im Internet oder die Verteilung Print für gedruckte Zeitungen und Zeitschriften.

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Im Bereich der erweiterten Kollektivlizenzen (extended collective licenses, ECL) ist eine erstmalige Open-Archive-Lizenz erwähnenswert, die ProLitteris seit 2023 einer Vermittlerin von Kulturerbe erteilte. Die Verwertungsgesellschaft ProLitteris und Memoriav, die Kompetenzstelle für das audiovisuelle Kulturgut der Schweiz, einigten sich über die Absicherung der Urheberrechte an Texten und Bildern, die auf dem nationalen Rechercheportal Memobase zugänglich sind. Das Angebot von ProLitteris an Gedächtnisinstitutionen verbindet die rechtssichere Nutzung verwaister Werke gemäss dem Gemeinsamen Tarif 13 (Art. 22b URG) mit dem Instrument der erweiterten Kollektivlizenz (Art. 43a URG).

III. Gesetzgebung und Politik – namentlich Leistungsschutz für Medien

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Das Urheberrechtsgesetz (URG) erfuhr im Jahr 2023 keine bedeutende Änderung. Im Zuge der Harmonisierung der Strafrahmen wurde in Art. 67 Abs. 2 URG der dritte Satz «Mit der Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden» gestrichen. Deshalb trägt die aktuelle Fassung des URG das Datum 01.07.2023.

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Auf der politischen Bühne dominierte der Leistungsschutz für Medien die urheberrechtliche Diskussion. Der Bundesrat führte die Vernehmlassung im Sommer 2023 durch. Der Entwurf sieht eine gesetzliche Vergütung für die Nutzung journalistischer Leistungen vor, welche von grossen Onlinediensten via Verwertungsgesellschaften an Medienunternehmen und deren Urheberinnen und Urheber zu zahlen ist. Inzwischen bekräftigte der Bundesrat sein Vorhaben im Juni 2024 und stellte einen neuen Gesetzesentwurf in Aussicht. Der Leistungsschutz für Medien ist umstritten. Medienverlage und Medienschaffende würden an den Vergütungen – in unbekannter Höhe – im Verhältnis von ca. 50:50 partizipieren.

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Das Urheberrecht war ferner Gegenstand eines Entwurfs zur Änderung des Nationalbibliotheksgesetzes (NBibG) im Zuge der sogenannten Kulturbotschaft, in welcher der Bundesrat alle vier Jahre seine Kulturpolitik definiert. Feste Bestandteile der Kulturbotschaft sind jeweils die Förderbereiche des Bundesamtes für Kultur sowie die Budgets der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und des Schweizerischen Nationalmuseums. Am Rande kann es aber auch einmal um die Pflichtexemplare der Nationalbibliothek gehen, so im Jahr 2023 um das dépôt légal numérique. Die Regelung digitaler Pflichtexemplare ist umstritten. Die Werke von Medienverlagen, Buchverlagen, Autorinnen und anderen Rechteinhabern sind dank Archivierung und Zugänglichmachen Teil des Kulturerbes, sie können von der Nationalbibliothek in der Regel gratis eingefordert und mit Beschränkungen zugänglich gemacht werden.

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Unter dem Titel «Zweitveröffentlichungsrecht und Open Access als regulatorische Herausforderung» legten Florent Thouvenin, Stephanie Volz, Gian Paolo Romano und weitere Autoren am 09.10.2023 einen Bericht zuhanden von Swissuniversities vor, der Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen. Im Dokument wird die Einführung eines zwingenden Zweitveröffentlichungsrechts empfohlen, und zwar vorzugsweise im Verlagsvertragsrecht. Politisch zu klären und gesetzlich zu regeln sei namentlich folgender Anwendungsbereich: Publikationen mit einem definierten Mass an öffentlicher Förderung, Arten von Publikationen und gegebenenfalls Versionen, Schutzfristen und ähnliche Massnahmen, Rückwirkung ja oder nein, weitere Elemente. Im Spannungsfeld des Vorstosses stehen die Rolle der Verlage für die Vielfalt, Qualität und Unabhängigkeit im wissenschaftlichen Publizieren und die Unterschiede zwischen Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und deren Disziplinen. Die Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechts ist umstritten. Die Publikationshoheit der Verlage würde durchbrochen, seine wirtschaftliche und rechtliche Kontrolle würde beschränkt, und die publizistische Stellung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen würde gestärkt.

IV. Entwicklungen im europäischen Raum

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Zwei interessante deutsche Urteile betrafen das Urheberpersönlichkeitsrecht der Namensnennung, man dürfte in der Schweiz ein ähnliches Ergebnis erwarten.

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Der deutsche Bundesgerichtshof liess gelten, dass die AGB einer kommerziellen Fotodatenbank eine Bestimmung enthielten, dass die Fotografinnen und Fotografen auf die Ausübung des Urhebernennungsrechts verzichteten. Entscheidend waren für das Gericht die Umstände. Den Urhebern sei die Konsequenz hinreichend bewusst, die Entscheidung sei reversibel, und dass die Fotoplattform den Usern keine Urhebernennung zumutete, sei mit wirtschaftlichen und praktischen Vorteilen verbunden, die sich – trotz geringer Vergütungshöhe – in einer grossen Reichweite der Werke niederschlugen (BGH I ZR 179/22 vom 15.06.2023). Die Namensnennung von Berufsfotografinnen ist auch in der Schweiz keine vollständige, aber deren Unterlassung sollte sich auf sachliche Motive und auf einen Vertrag stützen.

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Das Landgericht Köln befasste sich mit dem Ghostwriting. Der Geist wurde zur lebendigen Urheberin, nachdem die Autorin, die ihren Auftraggeber interviewt und den Inhalt in ein Buch umgewandelt hatte, ihren Namen im Impressum vermisste, worauf sie vom Gericht zur Miturheberin erklärt wurde samt Anspruch auf Namensnennung – dies mangels gegenteiliger Vereinbarung (Landesgericht Köln, 14 O 237/22 vom 13.07.2023). Es lohnt sich auch in der Schweiz zu erinnern, dass sich Ghostwriting auf einen entsprechenden Vertrag und eine dazu passende Vertrauensbeziehung stützen sollte, wenn der Geist später nicht aus der Flasche treten soll.

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Aus Anlass des eingangs erwähnten Fotografie-Urteils des Bundesgerichts von 2023 sei ein jüngeres Urteil aus Österreich von 2024 erwähnt, das sich ebenfalls zum Bildhonorar äussert, das infolge einer unautorisierten Nutzung vom Verletzer gezahlt werden muss. Auch im Nachbarland stützte sich der Kläger auf die Honorarempfehlungen in der Branche. Im Ergebnis resultierten immerhin EUR 3000, obwohl statt einer Profifotografie Amateurfotografien genutzt wurde, dafür gleich mehrere und während Jahren, und anders als in der Schweiz konnte das Duplum als Verletzerzuschlag gestützt auf die ausdrückliche gesetzliche Grundlage (§ 87 Abs. 3 UrhG Österreich) gewährt werden (Oberster Gerichtshof OGH, 04.04.2024, Medien und Recht 4/24, Seite 169).



* Der Autor übernimmt die Jahresübersicht zum Urheberrecht von Sandra Künzi, die sich zuletzt vor einem Jahr geäussert hat (Sandra Künzi, Durchsetzen von Ansprüchen aus Urheberrecht ist ein dorniger Weg, medialex 07/23, 5. September 2023).
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