Beschwerde wegen fehlenden gültigen Strafantrages gutgeheissen

B

Bundesgericht stellte Verfahren wegen Hausfriedensbruchs gegen Reporterin ein

Dr. Andreas Meili, Rechtsanwalt, mplaw.ch, Zürich

Résumé: Le Tribunal fédéral a donné raison à une journaliste lucernoise qui avait fait appel de sa condamnation en première instance pour violation de domicile, car elle avait réalisé un reportage dans une maison occupée. Selon l’auteur de l’analyse qui suit, il ne faut pas surestimer l’importance de ce verdict. La procédure pénale contre la journaliste n’a en effet pas été classée en raison de son métier, mais parce que les propriétaires de la maison occupée n’avaient pas déposé une plainte valable contre elle dans le délai légal de trois mois. La journaliste se distinguait des occupants en ce qu’elle n’avait pas l’intention d’occuper la maison. Le Tribunal fédéral n’a toutefois pas examiné si une condamnation, dans ce cas concret, aurait été contraire au droit constitutionnel, respectivement au droit conventionnel, mais il s’est contenté de retenir l’argument formel. La question de fond (des journalistes peuvent-ils pénétrer dans une propriété occupée pour interviewer les occupants) n’a pas été tranchée. Les journalistes risquent donc toujours, à l’avenir, d’être condamnés pour violation de domicile dans ce genre de situation.

Zusammenfassung: Das Bundesgericht hat die Beschwerde einer Journalistin gutgeheissen, die wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden war, weil sie Hausbesetzer für eine Reportage im besetzten Haus aufgesucht hatte. Die Bedeutung dieses Entscheids ist nach Auffassung des Autors aber nicht zu überschätzen, denn das Strafverfahren gegen die vorinstanzlich verurteilte Journalistin wurde nicht aufgrund ihrer Medienfunktion eingestellt, sondern nur deshalb, weil die Hauseigentümer keinen gültigen Strafantrag gegen sie gestellt hatten. Sie habe sich von den Hausbesetzern unterschieden, weil sie keine Absicht gehabt habe, das Haus selber zu besetzen. Da das Bundesgericht die Frage nicht prüfte, ob im konkreten Fall eine Bestrafung verfassungs- bzw. konventionsrechtlich unzulässig gewesen wäre, riskieren Medienschaffende somit auch künftig, sich in solchen Fällen wegen Hausfriedensbruchs strafbar zu machen.

Anmerkungen:

1

Das Urteil des Bundesgerichts wird in der Medienbranche begrüsst, da es in einem sensiblen Bereich (Privathaus – Schutz der Privatsphäre) vermeintlich mehr Freiraum für journalistische Recherche schafft. Die Bedeutung dieses Entscheids ist aber nicht zu überschätzen. Denn im Resultat wurde das Strafverfahren gegen die vorinstanzlich verurteilte Journalistin nicht aufgrund ihrer Medienfunktion eingestellt, sondern nur deshalb, weil die Hauseigentümer innert der dreimonatigen Frist gemäss Art. 31 StGB keinen gültigen Strafantrag (Art. 30 StGB) gegen sie gestellt hatten (vgl. E. 1.5).

2

Das Gericht kam zu diesem überraschenden Schluss, weil es die eigentlichen Hausbesetzer (also jene Personengruppe, die das Haus tatsächlich dauerhaft besetzten wollten) von der Journalistin unterschied, die das Haus nur deshalb betreten hat, um über die Besetzung eine Reportage zu schreiben, also keine Absicht hatte, das Haus selber zu besetzen oder die Besetzer in ihrer Tat zu unterstützen (vgl. E. 1.4). Ihre Tat wurde daher als «eigenständige (Neben-)Tat und nicht als eine strafrechtlich zurechenbare Beteiligung am Hausfriedensbruch» der Gruppe der Hausbesetzer qualifiziert (a.a.O.).

3

Aus dem Urteil folgt somit, dass an sich auch das Bundesgericht (zumindest in objektiver Hinsicht) von der Erfüllung eines Hausfriedensbruchs i.S.v. Art. 186 StGB durch die besagte Journalistin ausging und sie nicht aufgrund der Ausübung ihrer Grundrechte (Meinungs- und Informationsfreiheit gemäss Art. 16 BV und Medienfreiheit gemäss Art. 17 BV) von der Strafverfolgung schützte, sondern aus rein strafantragsrechtlichen Gründen.

4

Das bedeutet für die Praxis, dass Medienschaffende, die künftig zum Zweck der Berichterstattung über eine Hausbesetzung ein illegal besetztes Haus betreten, aufgrund ihrer medialen Funktion wie bisher nicht per se von Strafe geschützt und vor Strafverfolgung ausgenommen sind, sofern gegen sie rechtzeitig ein eigenständiger Strafantrag vom Inhaber des Hausrechts gestellt wird.

5

Medien geniessen insofern also auch fortan keine Sonderstellung oder Privileg, sondern unterstehen den allgemeinen Regeln über den Hausfriedensbruch, wie das z.B. auch im Bereich der Ehrverletzungen prinzipiell der Fall ist (siehe dazu Riklin, Basler Komm. zu Art. 173 StGB, Rz 65 m.w.H.).

6

Wie dort müssen aber auch die Regeln über den Hausfriedensbruch verfassungskonform ausgelegt und angewendet werden, weshalb nicht ausschliesslich auf das formalrechtliche Kriterium des Vorliegens eines gültigen Strafantrags abgestellt werden darf, wenn es bei den Beschuldigten um Medienschaffende geht. Vielmehr ist diesfalls die wichtige Aufgabe der Medien, wie sie in den Grundrechten gemäss Art. 16 und 17 BV sowie vor allem Art. 10 EMRK zum Ausdruck kommen, zu berücksichtigen (ebenso Riklin, a.a.O., Rz 66).

7

Was häufig übersehen wird: Nach Art. 10 Abs. 2 EMRK sind nur Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit zulässig, die «in einer demokratischen Gesell­schaft notwendig sind». Ob die Bestrafung einer Journalistin, die über eine Hausbesetzung berichten will und nur zu diesem Zweck das besetzte Haus betritt, in einer demokratischen Gesellschaft tatsächlich notwendig ist, erscheint im Lichte der medialen Grundrechte mehr als fraglich und ist meiner Meinung nach aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen.

8

Das Bundesgericht ist im vorliegenden Entscheid zwar zum gleichen Resultat gelangt. Den Medienschaffenden wäre aber besser gedient gewesen, wenn dieses Resultat aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen zustande gekommen wäre. Indem sich das Bundesgericht nur mit der Geltung des Strafantrags auseinandergesetzt hat, ohne die Frage zu prüfen, ob im konkreten Fall eine Bestrafung verfassungs- bzw. konventionsrechtlich unzulässig gewesen wäre, riskieren Medienschaffende somit auch künftig, sich wegen Hausfriedensbruch strafbar zu machen. Eine grundlegende Klärung dieser fragwürdigen Rechtslage tut somit weiterhin not.

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