Mediales Krisenmanagement: Im Spannungsfeld zwischen Sieg, Remis und Schachmatt

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Erfahrungen aus der Schnittstelle von Medienrecht und Kommunikation

Christina Hatebur, Krisenkommunikatorin, Arlesheim und
Dr. Jascha Schneider-Marfels, Rechtsanwalt, Basel*

Résumé: Pendant des décennies, les crises dont certaines personnes étaient l’objet dans les médias n’ont pas beaucoup attiré l’attention. Mais désormais, ce ne sont plus seulement les élites, les politiciens, le personnel de l’Etat ou les cadres de l’économie qui sont visés. Les PME, les clubs de sport, les hôpitaux ou les particuliers sont désormais également pris dans les méandres de comptes-rendus médiatiques. Les auteurs présentent leurs expériences à l’aide d’exemples concrets. Ils montrent notamment comment le rôle de l’avocat a changé dans la prise en charge de clients confronté à une crise médiatique et pourquoi ils devraient collaborer étroitement avec des spécialistes de communication de crise. Comme aux échecs, le roi, la dame, le cavalier et la tour doivent travailler de concert. Pour surmonter de telles crises, il faut de la force, et celle-ci vient d’une stratégie soignée et bien réfléchie. Dans ce domaine, les compétences ne s’apprennent pas dans les livres d’école. L’expérience, la coopération et du doigté sont tout autant importants.

Zusammenfassung: Lange fristete das mediale Krisenmanagement in der Schweiz ein stiefmütterliches Dasein. Die mediale Krise trifft heute nicht mehr bloss die Elite von Politikern, Beamten und Wirtschaftsbossen. Betroffen sind auch KMU, Sportvereine, Spitäler und Privatpersonen, die in den Fokus medialer Berichterstattung geraten. Die Autoren schildern praxisbezogen ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet. Sie zeigen, wie sich die Rolle des Anwalts bei der Beratung von Klienten in medialen Krisen verändert hat und darum Anwältinnen und Anwälte eng mit Kommunikationsfachleuten zusammenarbeiten sollten. Entscheidend ist wie beim Schach das Zusammenspiel von König, Dame, Springer und Turm. Die Stärke in der Bewältigung von medialen Krisen liegt in einer sorgfältigen und durchdachten Strategie. Das Wissen dazu steht nicht in Lehrbüchern; die Erfahrung der Akteure, ihre Zusammenarbeit und das Fingerspitzengefühl sind genauso wichtig. 

I. Einleitung

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Was ist mediales Krisenmanagement? Um eine mediale Krise handelt es sich, wenn eine Person oder ein Unternehmen in den Massenmedien oder den neuen Medien in ein schlechtes Licht gerückt werden, sodass ihre Reputation ernsthaft gefährdet ist.[1] Aufgabe der Krisenmanager ist es, den drohenden Reputationsschaden abzuwenden oder so gering als möglich zu halten. In der Regel besteht das Krisen-Team aus dem oder den Klienten, den Anwälten und Kommunikationsfachleuten.

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Eigentlich ist mediales Krisenmanagement nichts anderes als eine Partie Schach spielen. Nur heissen die Akteure nicht Dame, König, Pferd und Turm, sondern Journalist**, Medienanwalt, Klient und Krisenkommunikator. Wie beim Schach gilt es, die Strategie des Gegners rechtzeitig zu erkennen, vorbereitet zu sein und mit strategisch ausgefeilten Zügen den Gegner Matt zu setzen. Schach und mediale Krisen haben viele Parallelen. Die Regeln sind bekannt. Die Fähigkeiten und Aufgaben der Figuren ebenfalls. Keine Partie gleicht der anderen und setzt jedes Mal aufs Neue strategisches Können, Weitsicht und das nötige Gefühl des perfekten Timings voraus.

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Lange fristete das mediale Krisenmanagement in der Schweiz ein stiefmütterliches Dasein. In Zeiten, als die «NZZ» das bürgerliche Amtsblatt darstellte, der «Blick» mit gelben Aushängen auf dem Boulevard um Leserinnen und Leser buhlte und ein Sendeturm im provinziellen Gunzwil bei «Beromünster» einen Bekanntheitsgrad und eine Glaubwürdigkeit erlangte, von dem die Marketing-Strategen der heutigen Radioketten nur träumen können, war mediales Krisenmanagement einer kleinen, elitären Schicht von Politikern, Beamten und Wirtschaftsbossen vorbehalten. Sie setzten alles daran, «schlechte Presse», wie es damals hiess, zu verhindern. Krisenmanagement bedeutete, unliebsame Journalisten mit scharfen Anwaltsschreiben und nötigenfalls gerichtlichen Publikationsverboten[2] zu stoppen, um zu verbergen, was noch verborgen werden konnte. Fehler wurden – auf Anraten von selbsternannten Medienprofis – nur eingeräumt, wenn es nicht mehr anders ging.

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Die meisten Partien gingen verloren. Der Grund war eigentlich von Anfang an klar. Schach führt eben nicht zum Sieg, wenn der übernächste Zug bereits zu spät erkannt wurde. Der Journalist Andrea Masüger hat 2012 in einem Artikel in der NZZ[3] beschrieben, wie besonders Akteure in der Krisenkommunikation des Staates im Spannungsfeld von Medien, Recht und Politik stets die gleichen unvorteilhaften Verhaltensmuster zeigen. Sie merken eben nicht, wenn die Lunte brennt. Sie schätzen die Bedeutung von öffentlichen Ämtern für die Medienkonsumenten falsch ein, beharren auf Formalismen und meiden das Zugestehen von Fehlern wie der Teufel das Weihwasser.[4]Jede Krise lässt sich in verschieden Phasen unterteilen.[5]

II. Eröffnung

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Wie beim Schach, ist daher der Beginn von immenser Bedeutung. Die Eröffnung umfasst die ersten 10 bis 15 Züge und stellt die erste Phase einer neuen Partie dar.[6] Wer eine klare Strategie vor Augen hat, das Gegenüber kennt und vorbereitet ist, hat einen fokussierten Plan, wie er eine Partie eröffnet. Das gilt auch in – oder eben vor – der medialen Krise. Wer vorbereitet ist und Krisenmanuals erstellt hat, seine Ansprechpersonen bzw. seinen Krisenstab kennt, interne Kommunikationskanäle für den Krisenfall eingerichtet hat, regelmässige Medientrainings wie Sicherheitsschulungen als selbstverständlich einstuft und eine nachhaltige und weitsichtige Kommunikationskultur geschaffen hat,[7] weiss, wie er sich zu verhalten hat, wenn das Ereignis eintritt. Sobald die Anfrage des Journalisten ins Haus flattert, wird er oder sie eben nicht auf dem linken Fuss erwischt.

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Wie entscheidend dieser Eröffnungszug ist, zeigt das nachfolgende Beispiel: Ein Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche war Gegenstand eines Medienartikels, der jedoch bei den Kunden keine hohen Wellen schlug. Dennoch fürchtete der Betrieb begründeterweise einen Folgeartikel und damit verbunden einen publizistischen Flächenbrand, zumal auch mehrere Gerichtsverfahren in dieser Sache hängig waren. Die Krisenmanager loteten zunächst sämtliche potenziellen Risiken aus und erstellten eine SWOT- und eine Risikoanalyse, jeweils aus medialer und rechtlicher Sicht. Auf dieser Basis wurde ein Krisenkommunikationskonzept erstellt, welches auch klar definierte, wann rechtliche Schritte (z.B. Abmahnschreiben basierend auf Art. 28 ZGB, superprovisorische Massnahmen gegen Medien[8]) eingeleitet werden.

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Das Unternehmen entschied sich für eine transparente und offene Kommunikation[9] und bereitete ein Kundenschreiben vor, welches bei ersten Anzeichen einer zweiten Berichterstattung verschickt werden sollte, um die Kommunikationshoheit weiterhin zu behalten. Das Schreiben sollte zudem Transparenz schaffen und offen mit eigenen Schwächen und Fehlern umgehen. Urheberin der Tonspur dieses Kundenbriefes war die Krisenkommunikatorin. Der Rechtanwalt überprüfte das Schreiben dahingehend, ob es strafrechtlich geschützte Geheimnisse verriet, Persönlichkeitsrechte verletzte oder anderweitig in einem Gerichtsprozess gegen das Unternehmen verwendet werden könnte. Der CEO absolvierte zudem ein Medientraining und es wurden Fragen und Antworten – sogenannte Q & A – erstellt, die wiederum juristisch abgestimmt wurden. Die Mitarbeitenden wurden informiert, wie sie bei Anfragen von Journalisten reagieren sollen. Dies beinhaltete auch die Erstellung einer Vorlage für das Entgegennehmen von Telefonaten mittels Vornamens, Namens, Medium, Datum, Mail und Telefonnummer bis hin zur Reaktion, falls ein Journalist ohne Termin die Firma betreten würde.

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In der Tat meldete sich nach einigen Monaten ein Journalist, der beabsichtigte, eine weitere Geschichte zu publizieren. In der Folge wurde das vorbereitete Schreiben verschickt, welches von den Kunden sehr positiv aufgenommen wurde. Damit konnte erreichen werden, dass die Kunden nicht durch die Medien informiert wurden und Informationen aus erster Hand erhielten. In der Folge kam es zum Recherchegespräch. Der bestens vorbereitete CEO legte – unterstützt von der Krisenkommunikatorin – offen und transparent die Situation und den offenen Umgang mit den Kunden dar, was der Geschichte in publizistischer Hinsicht sehr viel Wind aus den Segeln nahm. Im Anschluss an das Gespräch schickte der Rechtsanwalt der Redaktion ein Schreiben, in welchem explizit darauf hingewiesen wurde, welches die Grenzen einer Publikation seien, insbesondere im Zusammenhang mit der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der verschiedenen involvierten Personen. Es wurde nie eine zweite Geschichte publiziert. Es war in diesem Fall bereits – um auf das Sachspiel zurückzukommen – die Eröffnungsphase, d.h. die sorgsame Vorbereitung und das Vorhandensein einer Strategie und Kommunikationskultur, welche massgeblich dazu beitrugen, dass ein Reputationsschaden und insbesondere auch ein teures Gerichtsverfahren abgewendet werden konnten.

III. Das Mittelspiel

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Der digitale Wandel in unserer Gesellschaft hat dazu geführt, dass Themen wie Datenschutz, Persönlichkeitsrecht und geistiges Eigentum eine zentrale Bedeutung erlangt haben. Der Stammtisch findet heute im Internet, respektive in den Sozialen Medien statt. Die klare Unterscheidung in Medienschaffender und Rezipient ist nicht mehr möglich. Sender sind auch Empfänger von Botschaften an die Allgemeinheit und umgekehrt. Der technische Verbreitungsweg spielt keine Rolle mehr. Was früher nur den Verlegern und der SRG vorbehalten war, kann heute mit wenigen Klicks erreicht werden: eine grosse Anzahl an Menschen mit einer Botschaft zu erreichen. Dieser Zerfall des klassischen Mediensystems hat zu einem Massensterben an Zeitungen geführt und bedroht das Geschäftsmodell der Verleger. Der Medien- und Meinungsmarkt ist hochkompetitiv geworden. Redaktionen müssen sparen, was zu einem Verlust der journalistischen Qualität führt.[10] Stammtischdiskussionen werden in der Öffentlichkeit des Internets und mit neuen Formen (Likes, Klicks, Fantasienamen als Account) geführt, weshalb rassistische Äusserungen und Persönlichkeitsverletzungen massiv zunehmen.

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Kurzum: Die mediale Krise trifft heute nicht mehr bloss jene Elite von Politikern, Beamten und Wirtschaftsbossen, betroffen sind auch KMU, Sportvereine, Spitäler und Privatpersonen, die – zu Recht oder zu Unrecht – in den Fokus medialer Berichterstattung geraten. Es erstaunt daher nicht, dass der Bedarf an professionellem und bezahlbarem Krisenmanagement zugenommen hat. Leider wird diese Dienstleistung oftmals zu spät beigezogen, d.h. erst dann, wenn die Krise bereits begonnen hat und sich die Partie im Mittelspiel befindet. Mit Bauern stoisch eine Mauer um den König zu bilden, reicht dann nicht mehr aus. Es besteht die Gefahr, dass das Gegenüber mit seiner Dame, die vom Läufer oder Pferd geschickt gedeckt wird, flink einen Bauern schlägt und den König mit wenigen Zügen schachmatt setzt.

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Ein illustratives Beispiel für ein erfolgreiches Mittelspiel ist jenes KMU, welches eine Holdingstruktur aufwies. Die einzelnen Tochtergesellschaften hatten sehr ähnliche Logos und Firmenbezeichnungen, waren indes in verschiedenen Sparten tätig. Eine dieser Töchter war insolvent im Sinne von Art. 191 SchKG. Obschon der Kampf ums wirtschaftliche Überleben seit über einem Jahr geführt wurde, war der Betrieb im Zeitpunkt, als die Finanzmittel völlig ausgeschöpft waren, kommunikativ und juristisch nicht vorbereitet. Der Unternehmer befürchtete, dass sich eine mögliche Insolvenz bzw. ein Konkurs negativ auf die übrigen Tochtergesellschaften und die Gruppe auswirken könnte. Die Eröffnungsphase dieser Krise war also längst passé, die Zeit drängte und es mussten rasch Lösungen gefunden werden.

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Innert Kürze wurden auch in diesem Fall eine SWOT-Analyse und eine Risikoanalyse erstellt. Die Bedenken des Unternehmers waren nicht von der Hand zu weisen. Auf der einen Seite musste der Anwalt mit dem Treuhänder den Insolvenzantrag vorbereiten und die notwendigen Beschlüsse auf Aktionärsebene mithilfe eines Notars einholen.[11] Parallel arbeitete die Krisenkommunikatorin einen sehr persönlichen Text aus, in welchem der Unternehmer aufzeigt, wie sehr er sich für den Betrieb eingesetzt hatte und weshalb ein Scheitern letztlich unumgänglich war. Dieser Text wurde vom Rechtsanwalt geprüft, ob er allenfalls die Basis für eine Verantwortlichkeitsklage im Sinne von Art. 754 OR nach sich ziehen würde.

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Der Unternehmer veröffentlichte in der Folge den Text auf verschiedensten Kanälen, fein aufeinander abgestimmt: Zunächst floss der Text in den Insolvenzantrag ein. Kurz nach Einreichung des Gesuchs wurden die Mitarbeitenden von ihm persönlich informiert, und auch Hilfe bei der Suche nach Lehrstellenersatz und anderen Arbeitsplätzen wurde angeboten und umgesetzt. Es folgte eine Publikation auf der Webseite als «Pop-up»[12] und noch am selben Tag ein Postversand an alle Kunden, Geschäftspartner und Lieferanten. In einer Medienmitteilung, welche bewusst die Form eines Story-Telling[13] aufwies, wurden die Abläufe rund um den Insolvenzantrag und die Bemühungen des Unternehmers, insbesondere für die Lehrlinge eine Lösung zu finden, besonders hervorgehoben. Die mediale Berichterstattung war in der Folge durchs Band positiv. Die darauffolgende Insolvenz bzw. Konkurs hatten keine Auswirkungen auf die Tochtergesellschaften.

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Dieses Beispiel zeigt, dass zu einem effizienten medialen Krisenmanagement auch das Beherrschen des Mittelspiels gehört. In dieser Phase ist es vor allem wichtig, keine Zeit zu verlieren. Während sich in diesem Fall der Anwalt auf die konkursrechtlichen Fragen konzentrierte, schuf die Krisenkommunikatorin die Basis für die Öffentlichkeitsarbeit und die interne Kommunikation. Dieses erfolgreiche Zusammenwirken in der mittleren Phase der Krise führte zu einer Abwendung potenzieller Reputationsschäden durch externe, aber auch interne Beeinflussung, bzw. diese konnten geringgehalten werden.

IV. Das Endspiel

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Aus juristischer Sicht ist es oftmals schwierig, dem Mandanten mittels eines Gerichtsprozesses oder einer Beschwerde beim Presserat eine wirksame Hilfestellung beim Kampf gegen den Verlust seiner Reputation zu bieten. Verfahren dauern in der Regel lange und Richter sind nicht erreichbar, um den Facebook-Post oder den Tweet von Samstagnachmittag zu stoppen. Die juristische Maschinerie kann drohen und allenfalls verbieten, was heutzutage nur sehr bedingt geeignet ist, den Ruf eines Unternehmens oder einer Person zu retten. Was es braucht ist – wie beim Schach – einen Plan, eine Strategie, den richtigen Riecher, viel Erfahrung, ein Quäntchen Bauchgefühlt, welche Figur wann zum Zuge kommt und vor allem das richtige Timing.

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Daher ist es wichtig, dass Anwälte in medialen Krisen eng mit Krisenkommunikatoren zusammenarbeiten. Es ist das Zusammenspiel von König, Dame, Springer und Turm, das zum Sieg führt. Der Kommunikationsprofi findet die passenden Worte und weiss, wie die Medien funktionieren. Dies braucht oftmals situatives Feingefühl und Kenntnis über den Klienten und die weiteren Akteure und Stakeholder, wie beispielsweise Familienangehörige, Mitarbeitende, Kunden, um nur einige zu nennen. Der Anwalt prüft die Texte auf juristische Pferdefüsse und merkt, wann juristischer Handlungsbedarf besteht. Er kann sich unter Umständen völlig im Hintergrund halten.

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Bisweilen wird eine Partie auch erst im Endspiel, der letzten Phase, entschieden. Das Spiel ist bereits weit fortgeschritten; es sind nur noch wenige Figuren im Spiel und der Klient in der Regel in der Defensive[14] . Wichtig ist in einer solchen Situation der Befreiungsschlag. Dieser gelang z.B. einem Unternehmen in der Gesundheitsbranche. Es wurde durch eine ungeschickte Antwort des vom Unternehmen zuständigen Leiters Kommunikation auf eine Anfrage in den Medien fälschlicherweise einer groben Verletzung medizinischer Pflichten bezichtigt. Das Unternehmen reagiert zunächst sehr langsam und nahm sich Zeit für eine interne Abklärung. Aufgrund der medialen Berichterstattung entstand eine grosse Verunsicherung bei den Patientinnen und Patienten, und die Reputation war bereits erheblich geschädigt.

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Das Ergebnis der internen Untersuchung gelangte zum Schluss, dass die Berichterstattung in den Medien falsch war, weil sich die vorgeworfenen Ereignisse nicht, wie in den Medienberichten dargestellt, abgespielt hatten. Sicherlich wäre eine Klage auf Berichtigung zur Verfügung gestanden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Medienberichte jedoch bereits mehrere Wochen alt. Ein Gerichtsprozess hätte sehr lange gedauert, und während der Dauer des Verfahrens hätte die Reputation nachhaltig und erheblich gelitten.

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Das Unternehmen entschied sich daher, nach Durchführung einer SWOT- und Risikoanalyse, auf eine aktive Kommunikation zu setzen und berief eine Medienkonferenz ein, um den Diskurs mit den Medienschaffenden zu suchen. Die Konferenz wurde daher als Round-Table mit den betroffenen Medienhäusern gestaltet. In der Folge gelang es, die Journalisten zu überzeugen, dass das Unternehmen korrekt gehandelt hatte und die Quelle, auf welche die Journalisten bauten, nicht korrekt sein konnte. Die entsprechenden Berichte folgten und waren durchs Band positiv. In einem zweiten Schritt wurden die Medienunternehmen vom Anwalt aufgefordert, die früheren, falschen Berichte aus dem Internet zu entfernen und die Archive mit entsprechenden Zusätzen zu versehen. Alle angeschriebenen Medienunternehmen nahmen die Löschungen diskussionslos vor und der Gerichtsweg musste nicht beschritten werden. Ein gröberer Reputationsschaden konnte in letzter Minute verhindert werden.

V. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

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Die Rolle des Anwalts bei der Beratung von Klienten in medialen Krisen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die enge Zusammenarbeit mit den Kommunikationsfachleuten ist heutzutage unerlässlich. Der Klient ist und bleibt in dieser Partie immer der König, um beim Beispiel Schach zu bleiben. Ihm dienen alle anderen Figuren, deren Fähigkeiten von Fall zu Fall unterschiedlich einzusetzen sind. Der Anwalt ist nicht primär dazu da, stereotyp die ohnehin trägen gerichtlichen Möglichkeiten umzusetzen und Prozesse zu führen. In einem Team unterstützt er vielmehr die übrigen Akteure, insbesondere die Kommunikationsfachleute, welche rasch handeln und Gegensteuer zu einem sich anbahnenden Reputationsschaden geben können. Der Anwalt hat oftmals beratende Funktion im medialen Krisenmanagement, er prüft die Texte und zeigt auf, wie sich die Rechtslage verhält. Gerichte stellen die «ultima ratio» dar, wenn vorgängig klar definierte Grenzen überschritten wurden oder von Anfang an realistische Chancen bestehen, z.B. mittels einer superprovisorischen Verfügung das Schlimmste zu verhindern. Der Anwalt ist mit anderen Worten ein wichtiger Teamplayer, der von Anfang an in ein Krisenkommunikationskonzept eingebunden werden muss. Die Stärke in Bewältigung von medialen Krisen liegt in der Vorbereitung und dem Ausarbeiten einer sorgfältigen und durchdachten Strategie. Das Wissen dazu steht nicht in Lehrbüchern und ist nicht justiziabel, daher sind die Erfahrung der Akteure, ihre Zusammenarbeit und das Fingerspitzengefühl genauso wichtig wie das Gesetzbuch.


*Die Autoren schildern praxisbezogen ihre persönlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet. Sie arbeiten seit einigen Jahren fallbezogen als Krisenmanagement-Team für Privatpersonen, Unternehmen und im Auftrag von Anwaltskanzleien für deren Mandanten.

** Die verwendeten Pluralformen für Personen gelten sowohl für Männer als auch für Frauen.

Fussnoten:

  1. Der Begriff «mediale Krise» kennt keine einheitliche Definition. Bereits die Bedeutung des Wortes «Krise» befindet sich im steten Wandel, vgl. statt vieler: Schoeß, Marie/Zejnelovic, Marko/Kohlrausch, Laura (Hrsg.): «Krise. Mediale, sprachliche und literarische Horizonte eines viel zitierten Begriffs», Language talks, Bd. 5, 2018.

  2. Publikationsverbote müssen nicht zwingend Massenmedien betreffen, vgl. dazu: BGE 138 III 641.

  3. https://www.nzz.ch/tagung-krisenkommunikation-des-staats-zuerich-1.16284273?reduced=true (aufgerufen am 26. Juni 2021).

  4. https://www.glaus.com/kommunikationsrecht-schweiz/krisenkommunikation.html (aufgerufen am 26. Juni 2021).

  5. Vgl. Fiederer, Susanne/Ternès, Anabel: «Effiziente Krisenkommunikation – transparent und authentisch», 1. Aufl., 2017, S. 57 ff.

  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Er%C3%B6ffnung_(Schach) (aufgerufen am 26. Juni 2021).

  7. Die Basisliteratur zur Krisenkommunikation ist vielschichtig. Statt vieler: Meißner, Jana/Schach, Annika (Hrsg.), «Professionelle Krisenkommunikation, Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis», 1. Aufl., 2019.

  8. Vgl. Art. 266 ZPO.

  9. Vgl. Fiederer, Susanne/Ternès, Anabel: «Effiziente Krisenkommunikation – transparent und authentisch», 1. Aufl., 2017, S. 41 ff.

  10. Vgl. den Bericht des Bundesrates vom 5. Dezember 2014– Sicherung der staats- und demokratiepolitischen Funktionen der Medien (in Erfüllung der Motion 12.3004 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N), S. 30, wo von einem «Qualitätsverlust» die Rede ist.

  11. BSK SchKG II-Brunner/Boller, Art. 191, Rn. 13a.

  12. «Pop-up» sind Fenster, die sich automatisch beim Aufrufen der Webseite öffnen.

  13. https://de.wikipedia.org/wiki/Storytelling_(Methode), (aufgerufen am 26. Juni 2021).

  14. https://de.wikipedia.org/wiki/Endspiel_(Schach) (aufgerufen am 26. Juni 2021).

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