Medialex-Serie «Meine Diss»: Was AutorInnen heute über ihre Doktorarbeit von damals denken – Teil 2
Michael Schweizer zu seiner Dissertation aus dem Jahr 2011: «Recht am Wort: Schutz des eigenen Wortes im System von Art. 28 ZGB»
Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute in Ihrer Dissertation lesen?
Ehrlich gesagt: keine besondere Gefühlsregung. Natürlich weckt es Erinnerungen. Ich habe die Dissertation begleitend zur Arbeit in einem Medienunternehmen geschrieben. Wer als Inhouse-Counsel gearbeitet hat, weiss: kein einfaches Unterfangen. Das hat den Prozess in die Länge gezogen. Es brauchte Disziplin und Nerven, sich in der freien Zeit immer von Neuem in die Arbeit zu vertiefen.
Wie packten Sie damals die Doktorarbeit an?
Das Interesse am Medienrecht und Kommunikationsrecht bestand seit der Uni. Als Thema für eine Doktorarbeit hätte mich das Recht am Bild gereizt. Es erschien mir aber schon gut beackert. Anders das Recht am Wort: Kaum eingehende Literatur. Keine Gerichtsentscheide. Ermunterung und Challenge erfuhr ich in einem Austausch mit Prof. em. Heinz Hausheer – und natürlich im Gespräch mit Frau Prof. Regina Aebi-Müller. Sie hat die Arbeit später betreut.
Zufällig fiel mir just in dieser Phase ein anschaulicher Relevanzbeweis in die Hände. Der Journalist und Autor Mark van Huisseling und ein Künstler hatten sich über Zitate verhakt. Im Artikel notierte van Huisseling dazu: « ‘Mir geht es um Präzision’ schrieb er in einer E-Mail und verlangte, das Interview gegenlesen zu dürfen. Dann schrieb er Sätze rein, die er nie gesagt hatte, und strich gesagte raus. Denn man darf im Gespräch was sagen und später das Gegenteil verlangen in der gedruckten Fassung. ‘Recht am eigenen Wort’ heisst das». Das Zitat sollte später mein Intro werden.
Wovon handelte Ihre Doktorarbeit?
Sie behandelt die Frage: Inwiefern schützt Art. 28 ZGB das eigene gesprochene oder geschriebene Wort? Die Interview-Situation ist das naheliegende Anwendungsbeispiel: Darf eine Journalistin die Antwort des Interview-Partners verändern? Darf der Interviewte beim Gegenlesen heikle Aussagen wieder streichen – und bei Widerstand das Interview zurückziehen? Die Arbeit behandelt die rechtlichen Grundlagen dazu wissenschaftlich.
Das Ergebnis: Es geht um Freiheit und Verantwortung. Ich entscheide frei, ob ich reden will, mit wem und unter welchen Bedingungen. Wer das Gespräch mit mir heimlich aufnimmt, raubt mir meinen Entscheid. Wurde ich auf dem Tonband verewigt? Ich hätte andere Worte gewählt! Die heimliche Aufnahme ist natürlich ein extremes Beispiel. Es ist auch strafrechtlich relevant. Meine Entscheidungsfreiheit raubt mir ebenso, wer mir unter falschen Vorwänden Aussagen entlockt. Oder wer mir vor dem Interview Bedingungen verspricht und sie später nicht einhält.
Umgekehrt bedeutet Freiheit Verantwortung: Konnte ich mich frei und bewusst äussern? Wurden vereinbarte Bedingungen eingehalten? Wenn ja, hat das Recht am Wort seinen Schutzzweck erfüllt. Art. 28 ZGB gewährt kein Recht auf nachträgliches Umentscheiden. Der Rückzug des Interviews ist dann kein Anspruch, sondern die zu begründende Ausnahme.
Das ist natürlich verkürzt. Interview-Situationen sind immer individuell, geprägt von unausgesprochenen Annahmen oder einer bilateralen Praxis zwischen den Interview-Partnern. Entscheidend ist zudem das Verhalten der Beteiligten. Macht die Interviewte sofort darauf aufmerksam, wenn die Frage den vereinbarten Scope verlässt? Oder beantwortet sie die Frage freimütig und erst später interveniert die Kommunikationsabteilung? Solche Umstände sind im Einzelfall genau zu prüfen. Artikel 28 ZGB wie er leibt und lebt.
War Ihre Dissertation auch von Nutzen für die Rechtspraxis?
Unüblich für eine Dissertation, darf ich nach über einem Jahrzehnt sagen: Das muss sich noch weisen. Zwar hat das Bundesgericht die Dissertation zitiert. Dies jedoch beispielhaft zu einem Aspekt, der meiner Arbeit nicht eigen ist. Zum Recht am Wort gibt es keine Rechtsprechung. Das ist keine Überraschung: Streiten sich Journalist und Politikerin um ein Interview? Das landet bestimmt nicht vor Gericht.
Natürlich kann der Journalist den Gang zum Gericht antreten. Das Risiko: Die Politikerin entzieht dem Journalisten die Liebe – oder gleich dem ganzen Medium. Zukünftige Interviewanfragen und Hintergrundgespräche lehnt sie ab. Medien sind jedoch in allen Bereichen auf Interviewpartner in Schlüsselpositionen angewiesen.
Es heisst immer, die Medien seien am längeren Hebel. Auch wenn das bisweilen der Fall sein mag: Die Welt ist nicht schwarz oder weiss. Insbesondere wer das in Zusammenhang mit dem Streit um Interviews behauptet, hat nie erlebt, wie heftig gewichtige Interviewpartner gegenüber Journalisten reagieren können. Dazu kommt: auf beiden Seiten Rechtsunsicherheit; ein Beweisproblem, wenn Interviewmodalitäten mündlich vereinbart wurden; oft fehlende finanzielle Ressourcen. Also beugt sich eine Seite zähneknirschend – oder beide. Manchmal resultiert im Medienbeitrag ein inhaltlicher Murks: Transparenz über den Streit, Frustration über den Rückzug, Andeutungen zu den zurückgezogenen Aussagen oder indirekte Zitate. Das ist für keine Seite befriedigend – am wenigsten für das Publikum.
Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihre Diss nochmals schreiben würden?
Eine praktischere Beschäftigung mit unzähligen Fallbeispielen wäre sicher attraktiver. Die Dissertation beinhaltet viel wissenschaftliche Grundlagenarbeit. Dazu stehe ich heute noch. Es war mir wichtig, das Recht am Wort zuerst aus Art. 28 ZGB herzuleiten. Vor allem interessierte mich das Schutzgut. Das ist keine dogmatische Spielerei. Was gibt es in der Praxis Wichtigeres als zu verstehen, was Sinn und Zweck eines Persönlichkeitsguts ist? Im besten Fall ist es ein Beitrag zur kohärenten Behandlung der Fälle durch die Justiz; und das Verständnis ermöglicht im Alltag erste vernünftige Reflexe, selbst wenn zum Sachverhalt kein passendes Präjudiz zur Hand ist.
Gibt es Merkmale, die Ihre Arbeit von damals von anderen abhebt?
Das beurteilen lieber andere.
Verraten Sie zum Schluss eine Anekdote oder ein Geheimnis im Zusammenhang mit ihrer Diss?
Ein miserabler Geheimnisträger, wer Geheimnisse öffentlich lüftet. Tatsächlich weiss ich keins. Was interessant war: Über die Jahre haben sich Personen mit einer Frage oder einem Feedback zur Dissertation gemeldet – nicht häufig, dafür regelmässig. Ein Professor, Anwaltskolleginnen und -kollegen, ein Journalist, eine Studentin oder kürzlich ein Doktorand einer deutschen Universität. Während meiner Zeit bei der SRG gelangte auch eine Person an mich, die dem Unternehmen zuvor im Rechtsstreit gegenübergestanden hatte. Vermutungsweise beabsichtigte sie, mich im Streit mit einer anderen Privatperson zu zitieren. Ich war zurückhaltend, verweigerte jedoch nicht den wissenschaftlichen Diskurs. Als Autor empfand ich die Auslegung der fraglichen Passage nämlich gar zielgerichtet. Wir haben das diskutiert, sachlich, respektvoll; die Person hat es akzeptiert. Diese unerwarteten Momente haben mich immer gefreut. Harry Potter begeistert die Massen. Eine Dissertation interessiert höchstens eine kleine, eingeschworene Gruppe.