Das Bundesgericht auf Abwegen und die Jahresübersicht 2022 Verfassungsrecht und EMRK
Mit dem heutigen letzten Newsletter des Jahres 2023 stellen wir die Besprechung eines bisher unterschätzten Urteils des Bundesgerichts von 2021, des BGE 147 IV 145, online. Darin hat sich Lausanne soweit ersichtlich erstmals mit der Frage beschäftigt, wie vorzugehen ist, wenn in einem Strafprozess im Rahmen der Vorfragen über den Ausschluss der Öffentlichkeit und die Auferlegung von Auflagen an die anwesenden Medienschaffenden entschieden werden muss. Journalist und Richter Thomas Hasler kritisiert in seinem Beitrag «Das Bundesgericht auf Abwegen» das Verdikt aus Lausanne, das nicht nur die Rechte der Gerichtsberichterstattenden massiv beschneide, sondern diese letztlich auch der Willkür der Sachgerichte ausliefere.
Ab heute finden Sie bei uns die umfassende Jahresübersicht 2022 im Bereich Verfassungsrecht und EMRK. Professor Franz Zeller setzt sich unter dem Titel «Verhärtete Kommunikation: Rechtfertigung des Terrorismus und Hassrede gegen Minderheiten» intensiv und fundiert mit der medienrelevanten Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auseinander. Immer wieder sah sich die Justiz mit einer sich verhärtenden Kommunikation konfrontiert. Zu beurteilen waren Äusserungen, die oft nicht von professionellen Medienschaffenden stammten, aber meist über massenmediale Kanäle verbreitet wurden. Im Berichtsjahr waren die Gerichte auch mit typisch journalistischen Themen wie dem Schutz der persönlichen oder geschäftlichen Reputation vor Verletzungen durch die Massenmedien konfrontiert. Die Justiz befasste sich zudem mit neuen Phänomenen wie dem Einsatz von Drohnen zum Zweck redaktioneller Recherche.
Der Bundesrat will die RTV-Gebühren senken. Als Konter zur Volksinitiative «200 Franken sind genug!» (Halbierungsinitiative) will er bis 2029 die Radio- und Fernsehabgabe schrittweise auf 300 Franken herunterfahren. Zudem sollen ab 2027 über 60’000 Unternehmen von der Abgabe befreit werden. Zur Unternehmensabgabe hat das Bundesverwaltungsgericht, ebenfalls im November, ein Urteil gefällt, das zu reden gab. Laut seinem noch nicht rechtskräftigen Entscheid A_4741/2021 ist der aktuell gültige degressive Tarif der Radio- und Fernsehabgabe für Unternehmen verfassungswidrig.
Erneut müssen wir Abschied nehmen von einem sehr geschätzten Kollegen. Im Alter von 88 Jahren ist Peter Studer, früherer Tagi- und Fernseh-Chefredaktor und ehemaliger Präsident des Presserates, verstorben. Peter Studer hatte bei «medialex» immer wieder geistreiche und praxisnahe Aufsätze zu Medienrechtsthemen publiziert und wichtige Urteile besprochen. Seine Texte sind bis heute lesenswert geblieben. Dies zeigen Beiträge wie «Bildrecht, Bildethik – eine Belebung wegen Ghadafi und Kachelmann?» in medialex 02/2010 oder die Besprechung eines Bundesgerichtsentscheides von 2012, der erneut aktuell werden könnte, in medialex 03/2012. Das Bundesgericht verpflichtete damals die SBB, im HB Zürich ein israelkritisches Plakat aufzuhängen. Wir werden Peter Studer als unermüdlichen Kämpfer für unabhängigen, transparenten, seriösen und relevanten Journalismus in Erinnerung behalten.
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Wie üblich finden Sie unter «Aktuelle Entscheide» die Liste mit neu publizierten medienrechtlich relevanten Urteilen der Bundesgerichte, mit UBI-Entscheiden und den jüngsten Stellungnahmen des Presserats. Und «Neue Literatur» bietet Ihnen einen Überblick über neu erschienene wissenschaftliche Publikationen zum Medienrecht.
Stiftungsrat und Redaktion von «medialex» wünschen Ihnen frohe Festtage und alles Gute im Neuen Jahr.
Der nächste Newsletter erscheint Anfang Februar 2024.
Simon Canonica
Redaktor «Medialex»
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