Die Publikation einer „Entschuldigung“ kann ein klag- und durchsetzbarer Anspruch sein

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Entgegnung auf den Beitrag von Andreas Meili in Medialex vom 4. November

Manuel Bertschi, LL.M., Kellerhals Carrard, Basel

Résumé: Selon l’auteur, la formulation volontairement souple de l’art. 49, al. 2 du Droit des obligations permet de considérer la publication d’excuses comme une manière de «donner satisfaction autrement». L’auteur montre que le ressenti personnel de la personne lésée est fondamental en matière de réparation. Le droit ne peut donc rien faire d’autre que de quitter le «terrain de l’objectivité», selon les mots d’Andreas Meili, qui critiquait ce fait. En outre, rien ne permet d’affirmer que la liberté d’opinion s’oppose de façon absolue au droit d’obtenir des excuses. Des restrictions peuvent se justifier, selon les cas concrets. En conséquence, la publication d’«excuses» peut, selon les cas, être exigée en justice et mise en œuvre.

Zusammenfassung: Nach Ansicht des Autors kann aufgrund der bewusst offenen Formulierung von Art. 49 Abs. 2 OR die Publikation einer Entschuldigung eine „andere Art“ der Genugtuung darstellen. Der Autor zeigt auf, dass bei der Genugtuung das persönliche Empfinden der Geschädigten im Vordergrund steht. Somit könne das Recht hier gar nicht anders, als, wie Meili moniert, „den Boden der Objektivität“ verlassen. Zudem sei nicht einzusehen, weshalb die Meinungsfreiheit einem Entschuldigungsanspruch in absoluter Weise entgegenstehen solle. Einschränkungen liessen sich je nach Einzelfall rechtfertigen. In diesen Konstellationen sei die Publikation einer „Entschuldigung“ ein klag- und durchsetzbarer Anspruch.

I. Rückblick

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In seinem Artikel vom 4. November 2019 setzte sich Andreas Meili mit der Frage auseinander, ob ein Medienschaffender gerichtlich dazu gezwungen werden könne, sich mittels Publikation bei der durch die Berichterstattung in der Persönlichkeit verletzten Person zu entschuldigen. Meili zieht dabei verschiedene Lehrmeinungen und Gerichtsentscheide aus der Schweiz und Deutschland herbei, beantwortet die eingangs gestellte Frage aber nicht abschliessend. Vor allem das Grundrecht der Meinungsfreiheit spricht aus Meilis Sicht jedoch dagegen, jemandem mit staatlichen Mitteln eine Entschuldigung bzw. eine Meinung aufzuzwingen. Zudem sei es problematisch, schreibt Meili, wenn das Recht den „Boden der Objektivität“ verlasse und sich auf den „schwammigen Grund“ subjektiver Gefühlsbekundungen begebe. Der Entschuldigungsanspruch, etwa im Fall Spiess-Hegglin c. Ringier, habe deshalb einen „schweren Stand“.

II. Die Frage der Rechtsgrundlage

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Bei der Beantwortung der vorliegend interessierenden Frage, ob Medien(unternehmen und -schaffende) gerichtlich dazu gezwungen werden können, eine Entschuldigung zu publizieren, ist vorab die nötige Rechtsgrundlage zu bestimmen. Im Rahmen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes weist Meili zunächst auf Art. 28a Abs. 2 ZGB hin.

Art. 28a Abs. 2 ZGB
„Er (der Kläger, Anm. des Autors) kann insbesondere verlangen,
dass eine Berichtigung oder das Urteil Dritten mitgeteilt
oder veröffentlicht wird.“
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Meili führt aus, dass eine Entschuldigung nach Art. 28a Abs. 2 ZGB in der Lehre und Rechtsprechung zwar kontrovers diskutiert, mehrheitlich aber abgelehnt würden. Dem ist aus dogmatischen Gründen beizupflichten, denn die Entschuldigung kann weder als Berichtigung noch als Mitteilung oder Veröffentlichung eines Urteils im Sinne von Art. 28a Abs. 2 ZGB qualifiziert werden. Ausserdem sind die Behelfe nach Art. 28a Abs. 2 ZGB im Gegensatz zu einer Entschuldigung objektivierbar: Es geht um die Berichtigung oder Publikation von Fakten.

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Zu Recht schwenkt Meili deshalb auf der Suche einer Rechtsgrundlage des Entschuldigungsanspruchs auf die Genugtuung nach Art. 49 OR über. Im Kontext zivilrechtlicher Persönlichkeitsverletzungen findet sich mit Art. 28a Abs. 3 ZGB denn auch eine Scharniernorm, die explizit auf die Genugtuung verweist. Dass eine Genugtuung nicht oder nicht nur in Form einer Geldsumme gewährt werden muss, ergibt sich aus Art. 49 Abs. 2 OR.

Art. 49 Abs. 2 OR
„Anstatt oder neben dieser Leistung (Leistung einer Geldsumme,
Anm. des Autors)
kann der Richter auch auf eine andere Art
der Genugtuung erkennen.“
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Kann die Publikation einer Entschuldigung eine andere Art der Genugtuung nach Art. 49 Abs. 2 OR sein? Damit hatte sich im Fall Spiess-Hegglin c. Ringier auch das Kantonsgericht Zug[1] auseinandersetzen müssen, allerdings tat es dies nur sehr sparsam. Nach Ansicht des Kantonsgerichts Zug besteht „kein klagbarer Anspruch auf Publikation einer Entschuldigung“, einzig eine freiwillige Entschuldigung könnte eine Form der Genugtuung darstellen.[2] Meili stimmt dem in seinem Beitrag zu und ergänzt, dass niemandem mit staatlichen Mitteln eine Meinung aufgezwungen werden solle. Dies sieht der Autor differenzierter. Wie aufzuzeigen sein wird, lässt sich aus Art. 49 Abs. 2 OR tatsächlich ein Entschuldigungsanspruch ableiten.

III. Art. 49 Abs. 2 OR: Weitestgehende Anpassung an die Empfindung der Geschädigten

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Der offene Wortlaut von Art. 49 Abs. 2 OR enthält keinerlei Einschränkungen oder Aufzählungen möglicher Genugtuungsformen. Entsprechend hält das Bundesgericht in BGE 4C.177/2003[3] fest, dass der Gesetzgeber den Richterinnen und Richtern eine grosse Urteilsfreiheit darüber erteilen wollte, welche Arten von Genugtuung in Frage kommen. Brehm pflichtet dem bei und schreibt: „Der Gesetzgeber hat dem Richter im Rahmen von Art. 49 OR mit der generellen Formulierung „eine andere Art der Genugtuung“ die grösste Urteilsfreiheit geben wollen. […] Damit soll dem Gericht die weitgehendste Anpassung an die Empfindungen des Geschädigten ermöglicht werden.“[4] Die offene Formulierung von Art. 49 Abs. 2 OR bietet also Raum für verschiedenste Arten einer Genugtuung und somit prinzipiell auch für eine Entschuldigung. Ein gewichtiger Teil der Lehre wie Keller/Gabi/Gabi[5], Müller[6] oder eben Brehm[7] bestätigen dies. Es ist demgegenüber keine Schweizer Lehrmeinung auszumachen, die in absoluter Weise die Entschuldigung als andere Art der Genugtuung i.S.v. Art. 49 Abs. 2 OR ablehnt.

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Neben dem offenen Wortlaut von Art. 49 Abs. 2 OR ist der eigentliche Zweck der Genugtuung in Erinnerung zu rufen: die Milderung der erlittenen seelischen Unbill, indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder die Beeinträchtigung erträglicher gemacht[8] wird. Weil bei der Genugtuung also das persönliche Empfinden der Geschädigten im Vordergrund steht, kann das Recht hier gar nicht anders, als, wie Meili moniert, „den Boden der Objektivität“ verlassen. Vielmehr muss bei der richterlichen Gewährung der Genugtuungsform(en) im Rahmen des Zulässigen die subjektive Perspektive der Geschädigten eingenommen werden. Wie sonst soll diese «weitgehendste Anpassung an die Empfindungen des Geschädigten» erzielt werden? Die Publikation einer Entschuldigung entspricht insbesondere in Konstellationen medialer Verfehlungen einem Anliegen sehr vieler Medienbetroffenen. So musste sich beispielsweise Tamedia bei Carl Hirschmann im Rahmen eines Vergleichs im Mai 2019 für die persönlichkeitsverletzende Berichterstattung entschuldigen.[9]

IV. Meinungsfreiheit ist nicht absolut geschützt

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Einer gerichtlich angeordneten «öffentlichen Entschuldigung» könnte gemäss Meili die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit entgegenstehen. Auch in der Schweiz bewahrt die (negative) Meinungsfreiheit vor staatlichem Zwang, eine Meinung zu äussern oder eine Information mitzuteilen.[10] Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit sind natürliche wie juristische Personen erfasst, weshalb mit Blick auf den Fall Spiess-Hegglin c. Ringier das Medienunternehmen die Meinungsfreiheit der Entschuldigungsforderung möglicherweise entgegenhält. Allerdings gilt die Meinungsfreiheit nicht absolut. Einschränkungen können gerechtfertigt sein, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht, ein öffentliches Interesse oder der Schutz von Grundrechtrechten Dritter gegeben ist und auch die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt.[11] Im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung müsste insbesondere der Wortlaut und der Kontext einer eingeforderten Entschuldigung beurteilt werden.

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Klar ist, dass eine innere Überzeugung eines anderen weder beansprucht noch durchgesetzt werden kann. Besonders im Rahmen medialer Verfehlungen aber dürfte die tatsächliche Reue hinter einer Entschuldigung aus Sicht der Geschädigten zweitrangig sein. Weit wichtiger ist die eigene Rehabilitierung der Betroffenen gegenüber jener Öffentlichkeit, die Ziel einer ehr- oder privatsphärenverletzenden medialen Berichterstattung war. Dahingehend beschreibt auch Brehm die Entschuldigung im Rahmen von Art. 49 Abs. 2 OR: „Diese Form der Genugtuung ist ebenfalls denkbar – auch wenn dann die dazugehörende Reue des Täters vielleicht nur als Lippenbekenntnis besteht.“[12] In derartigen Konstellationen wird folglich – entgegen der Ansicht von Meili – niemand gezwungen, „eine fremde Meinung anzunehmen“. Denn weder muss hier eine eigentliche Meinung verinnerlicht werden, noch erfolgt der Zwang bezüglich der inneren Motive, sondern einzig hinsichtlich des Ausdrucks („Entschuldigung“). Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb die Meinungsfreiheit in absoluter Weise der Publikation einer Entschuldigung entgegenstehen sollte. Immerhin ist auch die gerichtliche Verpflichtung zur Urteilspublikation nach Art. 28a Abs. 2 OR mit der Meinungsfreiheit vereinbar. Ein Medienhaus kann mit anderen Worten durchaus gezwungen werden, eine Information mitzuteilen, die nicht seine innere Einstellung widerspiegelt.

V. Exkurs: Wie geht die Rechtsordnung mit systemischen Machtgefällen um?

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Medien haben immer die Deutungshoheit über einen von ihnen publizierten Streitgegenstand; der oder die Verletzte kann dem i.d.R. nicht viel entgegensetzen. Es besteht damit immer ein systemisches Machtgefälle zwischen einem Medienerzeugnis und der Zielperson einer Publikation. Die Rechtsordnung nimmt auf ungleiche Machtverhältnisse in einigen Rechtsgebieten Rücksicht. Gerichte beispielsweise fordern von Arbeitgebern in gerichtsnotorischer Weise die Ausstellung eines in erster Linie wohlwollend formulierten Arbeitszeugnisses – auch wenn Arbeitgeber auf einige Arbeitsverhältnisse wohl ohne jeden Ansatz von Wohlwollen zurückblicken. Im Arbeitsrecht gilt es demnach ähnlich wie bei der gerichtlich angeordneten Entschuldigung, sich hinsichtlich der Form und des Ausdruckes im Sinne des Schwächeren zu äussern; die innere Einstellung des Stärkeren ist dabei auch nicht von Belang. Die Forderung einer gerichtlich anzuordnenden Entschuldigung könnte auch aus dieser Perspektive betrachtet werden.

VI. „Entschuldigung“ liegt im richterlichen Ermessen

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beim Entschuldigungsanspruch erstens mit Art. 49 Abs. 2 OR eine gesetzliche Grundlage besteht und zweitens dieser Anspruch klag- und durchsetzbar sein kann. Selbst wenn bei der richterlich angeordneten Entschuldigung eine Verletzung der Meinungsfreiheit angenommen würde, sind entsprechende Einschränkungen je nach Einzelfall zu rechtfertigen. Gerichte können gemäss Art. 49 Abs. 2 OR andere Arten der Genugtuung als eine Geldsumme gewähren, sie müssen es aber nicht. Zu beobachten bleibt also, inwieweit Richterinnen und Richter es hinsichtlich der Publikation einer Entschuldigung wagen, ihr Ermessen auszuschöpfen.


Fussnoten:

  1. Entscheid Nr. A1 2017 55 vom 8. Mai 2019.

  2. Entscheid Nr. A1 2017 55 vom 8. Mai 2019, E. 3.3.

  3. BGE 4C.177/2003, E. 4.2.3.

  4. Brehm, BK OR, 2013, Art. 49 N 108.

  5. Keller/Gabi/Gabi, Haftpflichtrecht, 3. Aufl. 2012, S. 136.

  6. Müller, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Obligationenrecht, 2016, Art. 49 N 16.

  7. Brehm, BK OR, 2013, Art. 49 N 113.

  8. Brehm, BK OR, Art. 49 N 7.

  9. https://www.20min.ch/people/schweiz/story/Tamedia-entschuldigt-sich-bei-Carl-Hirschmann-24793713.

  10. Hertig, BSK BV, Art. 16 N 15.

  11. Art. 36 BV.

  12. Brehm, BK OR, 2013, Art. 49 N 113.

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