Superprovisorisches Verbot gegen Buchveröffentlichung

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Bemerkungen aus der Praxis am Beispiel des Urteilsspruchs des Kantonsgerichts Zug (Einzelrichter) vom 04.Mai 2020

Rudolf Mayr von Baldegg, Rechtsanwalt, Luzern

Résumé: En éclairant un exemple récent, celui d’une cour zougoise saisie par l’ancienne députée cantonale Jolanda Spiess-Hegglin contre un projet de publication de la journaliste Michèle Binswanger, l’analyse met en lumière des problèmes survenant fréquemment dans l’utilisation de mesures super-provisoires. Les journalistes y voient souvent une violation de la liberté des médias, tandis que les personnes qui réclament ces mesures et leurs avocats visent ainsi l’obtention d’un verdict favorable de juges uniques. Or ces derniers, par précaution, ont tendance à leur donner raison, avec l’idée qu’ils se donnent ainsi le temps de regarder tranquillement si les mesures provisoires étaient justifiées. L’auteur de l’article, l’avocat Rudolf Mayr von Baldegg, fustige le fait que le juge ne consulte que très rarement la partie opposée aux mesures super-provisoires, alors qu’il n’est permis de renoncer à une prise de position que s’il est impossible de l’obtenir, mais pas quand il n’est que difficile, pénible ou ennuyeux d’entendre la partie adverse.

Zusammenfassung: Der Beitrag beleuchtet am Beispiel des Zuger Entscheides in der Praxis häufig auftretende Probleme rund um superprovisorische Publikationsverbote. Medienschaffende sehen darin meist eine Verletzung der Medienfreiheit, die Gesuchsteller und deren Anwälte streben  mit «rauchenden Colts» ein günstiges Verdikt der Einzelrichterinnen und Einzelrichter an, und diese neigen oft dazu, sicherheitshalber den Hammer zunächst sausen zu lassen nach dem Motto: Man kann ja später in Ruhe prüfen, ob die nur provisorisch geltenden Massnahmen berechtigt waren. Der Autor bemängelt, dass zu selten eine Stellungnahme innert kurzer Frist eingeholt werde, obwohl auf eine solche nur verzichtet werden dürfte, wenn dies unmöglich ist, nicht aber, wenn es bloss schwierig, mühsam oder gar nur lästig ist, die Gegenpartei vor der Verfügung anzuhören.

1. Zusammenfassung der verfügten Massnahmen (Entscheidsdispositiv)

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Im Entscheid vom 04.Mai 2020 (ES 2020 222) verbot der Einzelrichter des Kantonsgerichtes Zug mittels vorsorglicher Massnahmen superprovisorisch, ein Buch, einen Artikel oder eine andersartige Veröffentlichung zu publizieren (sic!), zu verkaufen oder zu vertreiben (lassen), in dem bzw. in der Handlungen anlässlich der Zuger Landammannfeier vom 20. Dezember 2014 in Bezug auf Markus Hürlimann, in Bezug auf andere an der Feier anwesende Männer, in Bezug auf das Mass des Alkoholkonsums und in Bezug auf das Sexualverhalten der Gesuchstellerin thematisiert werden oder Spekulationen diesbezüglich geäussert werden.

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Sodann wird der Gesuchsgegnerin, der Journalistin, Michèle Binswanger, verboten über Jolanda Spiess-Hegglin zu verbreiten, diese würde Markus Hürlimann der Vergewaltigung bezichtigen. Alle diese Massnamen wurden superprovisorisch, d.h. ohne Anhörung der Gesuchgegnerin verfügt und mit der üblichen Strafandrohung von Art. 292 StGB versehen. Eine Stellungnahme zu den Massnahmen konnte innert 10 Tagen schriftlich eingereicht werden.

2. Entscheid ohne Begründung

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Vorab sei klarzustellen, dass der Entscheid des Einzelrichters im Rahmen der superprovisorischen Verfügung keine Begründung oder Erwägungen enthält, weshalb diese für die Beurteilung der ausgesprochenen Massnahmen natürlich abgewartet werden müssen. Indessen geht es bei den nachfolgenden Gedanken weder um die Beleuchtung oder gar Analyse der sog. «Landammannfeierskandals» noch um das Verhalten der Beteiligten oder Dritter an derselben, über die schon viel (zu viel) geschrieben und gesagt resp. gesendet wurde. Ebenso wenig steht eine Analyse des grundsätzlichen Massnahme-Anspruchs im Sinne der Berechtigung, also der Erfüllung der Anforderungen für vorsorgliche Massnahmen im Zentrum, die ebenfalls Aktenkenntnis und die Begründung des Entscheides voraussetzen würde.

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Die folgenden Bemerkungen fokussieren sich am Beispiel des vorliegenden Entscheides abstrakt auf in der Praxis häufig auftretende Unsicherheiten bei Fallkonstellationen betreffend den Zeitpunkt der Intervention, die Form der vorgängigen Rechercheanfragen, Inhalte sowie den Umfang, die Auslegung der verfügten vorsorglichen Massnahmen und selbstverständlich deren superprovisorische Anordnung.

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Vor diesem Hintergrund dürften die nachfolgenden Bemerkungen auch ohne Aktenkenntnis zulässig sein, zumal in casu auch der Einzelrichter bei Erlass der vorsorglichen Massnahmen offensichtlich nur einseitig informiert war und die Begründung der Verfügungen in vorsorglichen Massnahmeverfahren häufig Monate später eingehen. In der Praxis ist diese Ausgangslage der Klassiker des gegenseitigen Shut-downs im Vorfeld von superprovisorischen Verfügungen im Sinne von Art. 265 ZPO.

3. Medienschaffende wittern oft Privatzensur

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Immer wieder melden sich aufgebrachte Medienschaffende, denen eine sogenannte «Superprovisorische» auf den Schreibtisch geflattert ist, und immer wieder stellen sie die Frage: «Aber ich habe ja noch gar nichts publiziert, sondern erst Recherchen getätigt und Fragen gestellt. Darf denn all dies bereits verboten werden?» Solche und ähnliche Fragen an die Redaktionsleitungen und die Medienjuristen zeigen, dass sowohl Medienschaffende wie auch von Publikationen Betroffene und nicht zuletzt auch Gerichtspersonen das gesetzliche Instrument der vorsorglichen und insbesondere der superprovisorischen Verfügung häufig missverstehen. Die Medienschaffenden wittern Privatzensur und die Verletzung der Medienfreiheit, die Gesuchsteller und deren Anwälte hoffen mit «rauchenden Colts» auf ein günstiges Verdikt der Einzelrichterinnen und Einzelrichter. Diese, häufig eingeschüchtert durch (trotz wortreich wiederholter äusserster Dringlichkeit) umfangreiche Eingaben mit unzähligen Belegen, neigen häufig dazu, sicherheitshalber zunächst einmal den Hammer sausen zu lassen nach dem Motto: Man kann ja dann in Ruhe weitersehen, ob die nur provisorisch geltenden Massnahmen berechtigt waren. Dies scheint auch im vorliegenden Fall nicht anders gewesen zu sein, zumal der Fall, brisant bezüglich der gegenseitigen Vorwürfe und der prominenten Protagonisten, Aufsehen erregen würde.

4. Zeitpunkt der Intervention als Anlass für Missverständnisse 

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Schon der Zeitpunkt der Anordnung der Massnahmen gibt zu Missverständnissen Anlass. Im Vorfeld einer Publikation oder einer Fernsehrecherche fällt in aller Regel eine Interaktion zwischen den betroffenen Parteien an, in der Telefonate, Besprechungen oder Recherche-Mails stattfinden, Fragen an die Betroffenen gestellt oder etwa Aussenaufnahmen registriert werden. Gerade diese Phase des Informationsaustausches führt oft zur falschen Vorstellung der von der Recherche Betroffenen, es sei bereits unmittelbar eine Sendung im Kasten oder ein Artikel im Druck, obwohl ein solcher erst fertig recherchiert, geschrieben oder ein Radio- resp. Fernsehbeitrag gedreht, geschnitten und vertont werden muss. All dies dauert; zuweilen bringen sich zwischenzeitlich Anwälte mit sogenannten Abmahnungen in Stellung, um mittels aufgebauten Bedrohungsszenarien den Publikationseifer der Journalisten im Keim zu ersticken.

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Fatal ist, dass der alsdann angerufene Einzelrichter von diesem «Vorgeplänkel» in aller Regel gar nichts weiss. In der Praxis empfiehlt sich deshalb für die betroffene Partei, aber vor allem auch die Gerichte, zunächst mittels telefonischer Rückfrage in Erfahrung zu bringen, ob überhaupt, und gegebenenfalls wann eine Publikation geplant ist. Dies ist eher selten gleichentags der Fall. Damit wäre schon das Kriterium der Dringlichkeit klarer zu beurteilen, denn kein auch nur halbwegs professionell arbeitendes Medium würde hier «tricksen», ansonsten seine Glaubwürdigkeit nachhaltig verspielt wäre.

5. Form der Recherchen als Auslöser

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Ebenfalls missverstanden wird seitens der Betroffenen häufig, dass im Zusammenhang mit der Recherche-Fragen Thesen aufgestellt werden müssen, die es anhand der Recherche-Ergebnisse zu verifizieren oder aber zu verwerfen gilt. Daraus abzuleiten, dass diese Thesen in der geplanten Publikation als unbestrittene Fakten dargestellt werden, geht fehl. Gerade aus den Umständen des vorliegenden Falles und den präzise gestellten (und offenbar gutgeheissenen) Rechtsbegehren geht hervor, dass die Parteien offensichtlich vorher in Kontakt miteinander gewesen sind und jedenfalls genügend Gelegenheit hatten, Informationen über die zu verbietenden Behauptungen auszutauschen (vgl. Zusammenfassung unter Ziffer 1). So ist kaum davon auszugehen, dass das Buchprojekt und allfällige weitere Publikationen Äusserungen wie die verbotenen Behauptungen in dieser Form ungeprüft und unkritisch übernehmen und eins zu eins veröffentlichen würden, sicherlich aber nicht, ohne dass die Betroffenen hierzu einlässlich Stellung nehmen könnten.

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Hinzu kommt, dass sich das Gesuch und damit das superprovisorische Verbot schwergewichtig gegen ein Buchprojekt zum Thema richtet, so dass von einer aktuellen Berichterstattung geschweige denn von einer Tageaktualität nicht ausgegangen werden konnte.

6.  Verbot kann Publikation, nicht aber Recherche betreffen

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In Bezug auf den Umfang resp. die Auslegung der ausgesprochenen Massnahmen erscheint klar, dass im vorliegenden Fall zwar jegliche Art von Publikationen, nicht aber Recherchen als solche untersagt wurden, wenngleich eine Persönlichkeitsverletzung bereits durch Äusserungen wie Mails oder Anfragen im Rahmen der Recherche begangen werden kann, etwa wenn die zu verifizierende These einem Dritten gegenüber als quasi feststehende Fakten oder wie unumstössliche Tatsachen formuliert worden sind. Ob dies vorliegend der Fall war, kann mangels Aktenkenntnis nicht beurteilt werden. Es handelt sich bei Korrespondenzen, Mails und Gesprächen im Rahmen der Recherchen in aller Regel aber nicht um Publikationen, weil sie sich nicht an eine grössere Anzahl Menschen oder die Allgemeinheit richten. Damit erweisen sich im vorliegenden Fall die Publikation betreffenden Verbote zumindest in Bezug auf den Umfang m. E. als zulässig, geht es doch darum, eine Verbreitung allenfalls persönlichkeitsverletzender Inhalte in der Öffentlichkeit, sei es durch Buch, Artikel oder andersartige Publikationen, zu verhindern. Ob allerdings – wie vorliegend – jegliche Spekulationen, also Mutmassungen zum Thema generell verboten werden dürfen, erscheint unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsgebotes doch etwas gewagt.

7. Welche Behauptungen sind vom Massnahme-Anspruch gedeckt? 

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In Bezug auf den Inhalt der beantragten und verbotenen Aussagen stellt sich zunächst die Frage, ob die Gesuchstellerin überhaupt Veröffentlichungen von Behauptungen in Bezug auf Markus Hürlimann untersagen lassen kann, was auch bezüglich unbekannter Dritter gelten muss. Dies dürfte allerdings hier dann zulässig sein, wenn und insoweit diese auch direkt auf die Person der Gesuchstellerin Bezug nehmen. Die übrigen untersagten Behauptungen betreffend die Intimsphäre und sind wohl vom Massnahmenanspruch gedeckt. Nichts anderes gilt für den verbotenen Vergewaltigungsvorwurf. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass entsprechende Befürchtungen glaubhaft dargestellt wurden.

8. Kein Medienprivileg für ein Buchprojekt

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Was die Nachteilsprognose anbelangt, so genügt hier die blosse Glaubhaftmachung eines lediglich nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils, da zumindest das Romanprojekt nicht von der privilegierten resp. erschwerten Anforderungen an Massnahmen gegen Berichte in periodisch erscheinenden Medien profitierten kann (Art. 265/266 ZPO). Dass es aber offenbar schwergewichtig um ein singuläres Buchprojekt geht und nicht primär um dem Medienprivileg unterliegende Publikationen in periodisch erscheinenden Medien, erhellt aus der Tatsache, dass die Gesuchstellerin nur die Autorin und nicht den Verlag oder ein periodisch erscheinendes Medium ins Recht gefasst hat, welche ja für die Veröffentlichung zivilrechtlich verantwortlich wären.

9. Anhörung der Gegenpartei wird zu oft unterlassen

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Vor diesem Hintergrund des Vorstehenden erscheint vor allem auch das Kriterium der besonderen Dringlichkeit und insbesondere der Vereitlungsgefahr bei einem Buchprojekt fraglich, sodass eine superprovisorische Anordnung vorliegend kaum gerechtfertigt gewesen sein dürfte. Die Verletzung des fundamentalen Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Verfügung scheint angesichts der Informationen zu den offensichtlich längeren Kontakten zwischen den Parteien im Vorfeld der Verfügung unzulässig, zumal bei einem Buchprojekt die Recherchephase und die effektive Veröffentlichung zeitlich weit auseinanderliegen. Es ist deshalb kaum vorstellbar, dass eine Publikation vor Stellungnahme der Betroffenen erfolgt und damit der Massnahme-Anspruch vereitelt worden wäre. Angesichts der modernen Kommunikationsmittel ist es kaum je unmöglich, den Betroffenen anzuhören, bevor superprovisorisch verfügt wird (vgl. Art. 265 ZPO und zur Problematik Mayr von Baldegg/Strebel Medienrecht für die Praxis 5. A. 2018, S. 293 ff. mit vielen Hinweisen auf die Praxis). Aus den spezifisch gestellten Rechtsbegehren geht hervor, dass offensichtlich die Gesuchstellerin im Vorfeld mit Recherche-Anfragen konfrontiert worden ist, mithin gar keine besondere Dringlichkeit bestand.

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Nicht zum vorneherein auszuschliessen ist auch die Möglichkeit, dass das Gesuch hinausgezögert wurde, um die besondere Dringlichkeit zu erhärten, was zur Abweisung des Superprovisoriums führen müsste (BSK N 12 zu Art. 265 ZPO). Die Anordnung einer Stellungnahme innert kürzester Frist zu Handen des Einzelrichters wäre wohl möglich und damit zweifelsfrei unerlässlich gewesen, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ohne Nachteil für die Gesuchstellerin zu verhindern. Es muss nämlich dem Richter (absolut) unmöglich und nicht bloss schwierig, zu mühsam oder gar nur lästig sein, die Gegenpartei anzuhören, bevor er verfügt (BSK N 11 zu Art. 265 ZPO m. H.). Dieser Wunsch des Gesetzgebers verhallte auch hier einmal mehr ungehört (BBl 1982 II 669).

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1 Kommentar

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  • Medialex sollte Hinweise auf Interessenbindungen einführen. Wer weiss, dass Rudolf Mayr von Baldegg langjährig dafür sorgt, dass Medienopfer nur mit grösstem Aufwand gegen Persönlichkeitsverletzungen durch die SRG vorgehen können, liest den Artikel anders als eine Leserin, die diese Rolle nicht kennt.

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