«Die Europäische Union löste diese Probleme tapfer ohne meine Dissertation»

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Medialex-Serie «Meine Diss»: Was AutorInnen heute über ihre Doktorarbeit von damals denken – Teil 1

Philip Kübler zu seiner 1999 erschienenen Diss «Rechtsschutz von Datenbanken EU – USA – Schweiz»

Medialex lance une nouvelle série, «Ma dissertation», dont les épisodes seront publiés à intervalles irréguliers. L’idée: des juristes ayant travaillé sur des thèmes relevant du droit des médias reviennent sur leurs réflexions au moment de la rédaction et analysent les effets potentiels de leur dissertation sur la pratique juridique. Philip Kübler, aujourd’hui directeur de ProLitteris et président du Conseil de fondation de Medialex, ouvre la série. Il repense avec une certaine ironie au doctorat, publié il y a plus de vingt ans, qu’il avait consacré à la protection juridique des banques de données.

In seiner losen Serie «Meine Diss» möchte Medialex aufspüren, was Juristinnen und Juristen, die eine Doktorarbeit zu einem medienrechtlich interessanten Thema geschrieben haben, heute über ihre Arbeit denken, woran sie sich erinnern und ob sie finden, ihre Diss habe Auswirkungen auf die Praxis gehabt.
Den Anfang macht Philip Kübler, heute Geschäftsführer von ProLitteris und Medialex-Stiftungsratspräsident. Er schaut gelassen und mit einem Schuss Selbstironie auf seine vor über 20 Jahren erschienene Doktorarbeit zum internationalen Rechtsschutz von Datenbanken zurück.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute in Ihrer Dissertation lesen?

Man ist ja ewig stolz auf seine Doktorarbeit. Dieser Stolz ist ein einsames Gefühl, weil das Buch von praktisch niemand anderem gelesen wird. Das akzeptiert man im Voraus, und dieses Bewusstsein ist letztlich eine Entlastung, von der die echten Schriftsteller nur träumen können. In meinem Fall war das Thema faszinierend. Welche unkörperlichen Inhalte darf man von anderen übernehmen, und worauf kommt es an? Datensammlungen wurden gegen das Jahr 2000 hin zum internationalen Hype, und ihr Schutz gegen die unautorisierte Nutzung war in allen Rechtsordnungen eine Knacknuss. Das Thema war schmal genug, damit ich darüber zügig schreiben konnte, und weit genug, um dem Effort einen Sinn zu geben.

Wie packten Sie damals die Doktorarbeit an?

Ich hatte meine Doktorarbeit 1999 nach einem Aufenthalt in Berkeley und der Anwaltsprüfung in New York innert neun Monaten geschrieben. Zugleich war ich als Rechtsanwalt tätig und am Aufbau eines TV-Senders beteiligt. Vielleicht merkt man dem Buch das Tempo an. Anderseits entstand der Stoff auf diese Weise aus einem Guss. Richtig schnell war mein Doktorvater Rolf H. Weber, der den Entwurf an einem Osterwochenende kommentierte und korrigierte.

Wovon handelte Ihre Doktorarbeit?

Datenbanken sind Sammlungen von Daten. Es können irgendwelchen Daten sein. Die Sammlung als solche ist urheberrechtlich nur dann geschützt, wenn die Auswahl und Anordnung der Daten kreativ ist. Weil Kreativität nicht der Zweck einer Datenbank ist, wenn diese auf objektiven Kriterien beruht oder auf Vollständigkeit angelegt ist, entstanden Ende der 1990er-Jahre Datenbankschutzgesetze. Nicht so in der Schweiz, wo der Scheinwerfer stattdessen auf Art. 5 lit. c UWG fiel. Würde das Verbot der unlauteren Übernahme von fremden Arbeitsergebnissen für einen angemessenen Rechtsschutz von Datenbanken ausreichen? Auch an den US-amerikanischen Universitäten fanden Kritiker eines ausufernden geistigen Eigentums die Idee einer Fairnessregel anstelle einer Eigentumsregel interessant. Und tatsächlich stellte sich für mich heraus, dass der schweizerische Pragmatismus mit einer kurzen Gesetzesnorm im Vergleich mit einem komplizierten neuen Industriegesetz vorteilhaft abschneidet.

War Ihre Dissertation auch von Nutzen für die Rechtspraxis?

Im Ergebnis nicht. Das UWG kam in der Folge für Datensammlungen kaum zum Zug. In Amerika las man meine Analyse der beiden US-Gesetzesvorschläge sowieso nicht, setzte diese Vorstösse aber auch nicht in Kraft. Die EU-Datenschutzrichtlinie wiederum hat bis heute Bestand und wurde vor Auslegungsprobleme gestellt, die auch in meinem Buch vorkommen. Die Europäische Union löste diese Probleme tapfer ohne meine Dissertation, es gab ja in Deutschland bereits eine überbordende Fülle an Rechtsliteratur. Meine Arbeitsergebnisse, so lässt sich scherzen, wurden also nicht übernommen. Eine typische Dissertation halt.

Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihre Diss nochmals schreiben würden?

Ich würde den Konflikt zwischen Informationsschutz und Informationsfreiheit noch grundsätzlicher anpacken und Fallgruppen bilden. Meine Doktorarbeit enthält zwar eine prägnante Analyse der gesetzgeberischen Gefässe für den Urheberschutz und den Leistungsschutz. Auf Anregung meines Doktorvaters musste ich die absoluten und relativen Rechte mit Bezug auf den Schutz von Informationssammlungen dogmatisch ergründen, um eine gute Note zu erhalten. Das tat ich etwas trotzig in ellenlangen Fussnoten. Diese Grundlagen waren wertvoll für die Doktorarbeit, und ich hätte das Material später akademisch weiterverwerten können. Daraus wurde nichts, weil ich in die Telekombranche ging und Manager wurde. Statt einer langweiligen Zusammenfassung hätte ich schon als Fazit der Diss eine Empfehlung an die Gesetzgebung bieten können. Damals wollte ich strikt bei der rechtlichen Auslegung bleiben und liess politische Bewertungen bleiben.

Gibt es Merkmale, die Ihre Arbeit von damals von anderen abhebt?

Neben der Dogmatik der absoluten v. relativen Rechte sind es vielleicht die Äusserungen zum Aufwandvergleich im lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz. Noch heute scheint mir in der Anwendung von Art. 5 lit. c UWG eine Zurückhaltung und Verwirrung zu bestehen, die im Gesetzestext nicht angelegt ist. Florent Thouvenin hat sich dem Kern des Problems, dem Aufwandvergleich, in einem interessanten Aufsatz von 2018 angenommen, mit dem Titel «Art. 5 lit. c UWG – reloaded» (sic! 2018 S. 595). Daneben sticht eine Äusserlichkeit meines Textes ins Auge. Beim Zitieren setzte ich damals das Gesetzeskürzel konsequent vor die Artikelnummer. Das fand ich eine leserfreundliche Idee, vor allem für einen Text mit unterschiedlichen Gesetzesquellen wie URG Art. 2 Abs. 2 und UWG Art. 5 lit. c. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass sich diese Idee überhaupt nicht durchgesetzt hat.

Verraten Sie zum Schluss eine Anekdote oder ein Geheimnis im Zusammenhang mit ihrer Diss?

Ich erinnere mich, wie meine Word-Datei gegen Ende instabil wurde, mit Tausenden Fussnoten und automatischen Querverweisen. Sie passte noch haarscharf auf eine Floppy Disc für die Druckerei. In dieser Lage verzichtete ich auf eine Neuformatierung der unschön geratenen Inhaltsübersicht. Ich leistete mir dafür einen offensichtlichen Scherz in einem Detail zum Datenbegriff, und zwar nur um herauszufinden, ob eine Leserin oder ein Leser zum Witz in der Fussnote vorstösst und sich bei mir meldet. Das war niemals der Fall. Und jetzt finde ich die Stelle nicht mehr. Oder, wer weiss, ich verstehe den Scherz selber nicht mehr.

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