Sachgerechtigkeit und Mängel als Nebenpunkte

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Rechtsprechungsübersicht 2018 der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI

Oliver Sidler, Dr. iur., Rechtsanwalt, Zug

Résumé: Dans de nombreux cas, l› Autorité indépendante d’examen des plaintes en matière de radio-télévision (AIEP) s’est penchée au cours de l’exercice 2018 sur la différenciation entre la violation du principe de la présentation fidèle des événements et les erreur de fait sur des points secondaires. Des documentaires sur l’armée secrète P-26, des émissions sur la santé et la consommation ainsi que des bulletins d’information quotidiens et des programmes de discussion ont fait l’objet de plaintes.

Zusammenfassung: In zahlreichen Fällen beschäftige sich die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI im Berichtsjahr 2018 mit der Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots und der Abgrenzung zu Mängel in Nebenpunkten. Dokumentarfilme zur Geheimarmee P-26, Gesundheits- und Konsumentensendungen wie auch tagesaktuelle Beiträge der Tagesschau und Diskussionsendungen waren Gegenstand von Beanstandungen.

I. Einleitung

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Von den 24 erledigten Beschwerdeverfahren konnte die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen im 2018 deren 23 materiell-rechtlich beurteilen (2017: 16). Auf zwei Beschwerden (beide das Deutschschweizer Fernsehen betreffend) wurde nicht eingetreten (2017: 8). Gutgeheissen wurden vier Beschwerden; bei 20 Beschwerden wurde keine Verletzung des programmrechtlichen Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG oder Vielfaltsgebot von Art. 4 Abs. 4 RTVG festgestellt. Im folgenden wird eine Auswahl der im Jahr 2018 abgeschlossenen Verfahren  besprochen.

II. Nichteintretensentscheide

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Nicht eingetreten wurde auf eine Betroffenheitsbeschwerde, bei der keine enge Beziehung zum Gegenstand einer Sendung nachgewiesen werden konnte. Auf die Aufforderung der UBI, mindestens 20 Unterschriften und die notwendigen Angaben von den die Beschwerde unterstützenden und legitimierten Personen nachzureichen, ging der Beschwerdeführer nicht ein. Auch ein öffentliches Interesse an der Beurteilung der Beschwerde vermochte die UBI nicht festzustellen, zumal die Diskussionssendung „Arena“ zur No-Billag-Initiative vom 2. Februar 2018 bereits Gegenstand von etlichen Beschwerdeverfahren vor der UBI darstellte (b.780). Eine weitere Beschwerde wurde nicht berücksichtigt respektive es wurde darauf nicht eingetreten, da diese keine Unterschrift des Beschwerdeführers enthielt. Auch im Rahmen der ihm eingeräumten Nachbesserungsfrist stellte der Beschwerdeführer der UBI keine unterschriebene Version seiner Beschwerde zu, weshalb die Eingabe bereits das in Art. 95 Abs. 1 RTVG verankerte Erfordernis der Schriftlichkeit nicht vollständig erfüllte (b.782).

III. Geschichte der Geheimorganisation P-26

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Die Geschichte der ab 1979 geschaffenen geheimen Organisation P-26, die 1990 nach der Aufdeckung aufgelöst wurde, gab immer wieder zu Spekulationen und Diskussionen Anlass. Im Rahmen der Sendung „Dok“ strahlte Fernsehen SRF am 21. März 2018 den Dokumentarfilm „Die Schweizer Geheimarmee P-26“ aus. Darin wird aus Sicht von Mitgliedern der P-26 deren Geschichte erzählt. Gegen die Sendung wurde von einem Vorstandsmitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) Beschwerde geführt wegen Verletzung des Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebots. Kritisiert wurde vor allem, dass im Film kein Mitglied der im Film kritisierten parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK-EMD) zu Wort kam. Auch die Sicht von Kritikern der Armee und anderen durch die Tätigkeit der P-26 potenziell Betroffenen kam nicht zum Ausdruck. Schliesslich sei auch die Bedrohung durch den Osten trotz neuerer Erkenntnisse überzeichnet worden.

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Die UBI wies die Beschwerde einstimmig ab. Die Dokumentation zu einem geschichtlichen Thema müsse im Lichte des Sachgerechtigkeitsgebots nicht zwingend alle Aspekte umfassend abhandeln und könne ein Ereignis aus einem bestimmten Blickwinkel beleuchten, soweit dies für das Publikum erkennbar sei. Vorliegend wurde die Geschichte aus der Sicht einzelner Mitglieder der Geheimarmee erzählt, was für das Publikum klar erkennbar war. Die UBI hielt aber auch fest, dass einzelne Aussagen im Film präziser oder umfassender hätten dargestellt werden können. Dies betreffe etwa diejenigen zum Verteidigungsbudget, zur Bedrohungslage oder auch zum Bericht der PUK-EMD. Unter Berücksichtigung des Gesamteindrucks handelte es sich dabei aber um redaktionelle Unvollkommenheiten bzw. Mängel in Nebenpunkten. Der Film erlaube es dem Publikum, zwischen Fakten und persönlichen Ansichten zu unterscheiden, weshalb das Sachgerechtigkeit Gebot nicht verletzt worden sei (b.788).

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Gegen den Originalbeitrag, der ursprünglich im Rahmen der Sendung „Temps Présent“ am 21. Dezember 2017 auf RTS ausgestrahlt worden war, gingen ebenfalls Beanstandungen ein (b.787). Die UBI wies diese ebenfalls ab mit der ähnlichen Argumentation wie im Fall b. 788.

IV. Mängel als Nebenpunkte

1. Bezeichnung als «Querulant»

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Zur Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes braucht es nach Ansicht der UBI eine gewisse Intensität. Auch wenn Mängel in einem Beitrag festgestellt werden, liegt keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots vor, wenn diese Mängel insgesamt nicht verhinderten, dass sich das Publikum eine eigene Meinung zum fraglichen Beitrag bilden konnte. So beispielsweise im Entscheid b. 785, der die Sendung „Schweiz aktuell“ vom 15. Januar 2018 thematisierte. Darin wurde der Tierschützer Erwin Kessler als „neben einer anderen Person als »Querulant« bezeichnet. In der fraglichen Passage fragte der Redaktor die Personen, ob sie Querulanten seien, wenn sie doch mit allen Behörden bis hinauf zum Bundesgericht stritten. Für das Publikum war nach Ansicht der UBI aufgrund der Erklärung im Kommentar erkennbar, welche Bedeutung dem Begriff in der beanstandeten Passage zukam. Der Beschwerdeführer konnte sich zu diesem Vorwurf zudem mehrmals äussern und entschieden in Abrede stellen, dass er ein Querulant sei. Daraus schliesst die UBI, dass für das Publikum erkennbar war, dass es sich um eine umstrittene Aussage gehandelt hatte. Insofern sei den journalistischen Sorgfaltspflichten Rechnung getragen worden. Jedoch hätte durchaus auch erwähnt werden können, dass der Beschwerdeführer eine beachtliche Erfolgsquote aufweise, etwa bei Beschwerden, die er im eigenen Namen oder als Vertreter des VGT bei der UBI erhoben hatte.

2. Hinweis auf Nebenwirkungen und Alternativen

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Das Gesundheitsmagazin „Puls“ von Fernsehen SRF strahlte am 7. Mai 2018 eine Sendung zu Haarausfall aus und thematisierte das viel verwendete Medikament Finasterid, und in einem zweiten Filmbericht Alternativen zu diesem Medikament, welches teilweise erhebliche Nebenwirkungen zeitigt, auf. Mittels Popularbeschwerde rügten die Beschwerdeführer, dass im Beitrag über Haarausfall «Minoxidil» neben Haartransplantationen als einzige wirksame Alternative dargestellt worden sei. Die quantitative Bedeutung der Nebenwirkungen von «Minoxidil» sei ebenso wenig erwähnt worden wie weitere Alternativen. Die UBI lehnt die Beschwerde mit sechs zu drei Stimmen ab. Sie weist darauf hin, dass zwar der beanstandete Beitrag anders und differenzierter hätte ausgestaltet werden können. Alternative Präparate zu Medikamenten seien in pauschaler Weise aufgrund der fehlenden medizinisch-wissenschaftlichen Studien abgehandelt worden. Der Wirkstoff Thiocyanat als neue potentielle und nebenwirkungsfreie Variante bei Haarausfall habe keine Erwähnung gefunden. Die Fachleute hätten dagegen einhellig den Wirkstoff «Minoxidil» gegen Haarausfall empfohlen, ohne dabei die gemäss Kompendium am meisten auftretenden Nebenwirkungen zu erwähnen. Die UBI befand in ihrer Mehrheit, dass die Meinungsbildung des Publikums dadurch nicht verfälscht wurde, weil die Bewertungen der verschiedenen Präparate und Methoden in nachvollziehbarer und transparenter Weise erfolgten. Die Frage von Nebenwirkungen sei im Studiogespräch mehrfach angesprochen worden, womit die Moderation ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nach kam.

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Eine Minderheit der Kommissionsmitglieder war dagegen der Meinung, dass das Unterschlagen der wichtigsten Nebenwirkungen eines Wirkstoffs ein wesentlicher Mangel punkto sachgerechter Information darstellte und die freie Meinungsbildung des Publikums verunmöglichte. Zudem sei die Auswahl der Experten einseitig gewesen. Auch zum zweiten Teil des Beitrags, der  hauptsächlich beanstandet worden war, wies die Minderheit darauf hin, dass neue potentielle und nebenwirkungsfreie Varianten beim Haarausfall nicht einmal erwähnt wurden und auch in keiner Weise auf die möglichen Ursachen von Haarausfall eingegangen worden sei. Die Häufung dieser – im einzelnen vielleicht noch als Nebenpunkte zu qualifizierenden – Mängel führe dazu, dass die freie Meinungsbildung des Publikums manipuliert und so das Gebot der Sachgerechtigkeit verletzt worden sei (b.792).

3. Vollständigkeit in einer tagesaktuellen Nachrichtensendung

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Einstimmig abgewiesen wurde eine Beschwerde gegen die Nachrichtensendung „Tagesschau“ vom 30. Mai 2018 von Fernsehen SRF. Dort ging es um einen Beitrag mit dem Titel „Übernahme von EU-Recht“. Der Moderator wies im Beitrag einleitend darauf hin, dass die EU-Richtlinie ein Verbot von halbautomatischen Waffen vorsehe. Diese sei als Reaktion auf die Attentate von Paris vom 16. November 2015 erlassen worden. Im Filmbericht wurden Ausschnitte von Voten von Bundesrätin Sommaruga und von drei Nationalräten im Rahmen der parlamentarischen Debatte gezeigt. Die Beschwerdeführer sahen darin eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots und wiesen darauf hin, dass in Paris 130 Menschen nicht im Kugelhagel von automatischen Waffen gestorben seien, wie im Beitrag erwähnt, sondern dass auch vollautomatische Waffen benutzt worden seien. Im Beitrag sei somit nicht erwähnt worden, dass Anschläge ausschliesslich mit illegal erworbenen Waffen geprüft worden seien. Die UBI weist in ihrer abweisenden Begründung darauf hin, dass in einem zweieinhalb minütigen Beitrag in einer tagesaktuellen Nachrichtensendung nicht möglich ist, über alle Aspekte eines Themas zu informieren. Sie folgt damit der bisher allgemein akzeptierten programmrechtlichen Rechtsprechung. So hätte die Redaktion nicht zwingend erwähnen müssen, dass bei den Anschlägen in Paris illegal erworbene Waffen verwendet worden seien. Über die wesentlichen Fakten zur Vorgeschichte, zum Inhalt, zu den gegensätzlichen Meinungen sowie zum Ausgang der Nationalratsdebatte über das Waffenrecht und damit zum eigentlichen Thema des Beitrags informierte die Redaktion korrekt. Die nicht präzise Informationen über die bei den Attentaten in Paris verwendeten Waffen hätten die Meinungsbildung des Publikums zum Beitrag insgesamt nicht beeinträchtigt (b.795).

4. «Faktencheck» mit zu geringem Wahrheitsgehalt

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Erstmals in der Geschichte der UBI musste diese eine Publikation auf der Webseite von Swissinfo.ch beurteilen. Im Fall b. 778 ging es um die Publikation „Die No-Billag-Argumente im Faktencheck“ vom 25. September 2017 und „Solche Nachrichten sind für Auslandschweizer unentbehrlich“ vom 26. September 2017. Die Beschwerde wurde mit fünf zu drei Stimmen gutgeheissen. Da die beiden Publikationen mehr als fünf Monate vor der Eidgenössischen Volksabstimmung über die «No Billag»-Initiative veröffentlicht wurden, waren die in der sensiblen Zeit vor Urnengängen geltenden erhöhten Sorgfaltspflichten zur Gewährleistung der Chancengleichheit beider Lager noch nicht anwendbar. Die UBI prüfte die beiden Publikationen daher einzig auf die Vereinbarkeit mit dem Sachgerechtigkeitsgebot. Aufgrund des tendenziösen Charakters und der einseitigen Bewertungen der Aussagen der Nationalräte kam die UBI zum Schluss, dass sich die Leserschaft zum «Faktencheck» keine eigene Meinung bilden konnte. Die sieben Aussagen von Befürwortern der Initiative bezifferte die Redaktion im Durchschnitt mit einem Wahrheitsgehalt von 40 Prozent, die drei Aussagen von Gegnern der Initiative mit einem durchschnittlichen Wahrheitsgehalt von fast 97 Prozent. Die UBI kam zum Schluss, dass der «Faktencheck» das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt hat und hiess diesbezüglich die Beschwerde des Vizepräsidenten der Jungfreisinnigen des Kantons Zürich gut.

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Ebenfalls kontrovers beriet die UBI über den Swissinfo-Artikel «Solche Nachrichten sind für Auslandschweizer unentbehrlich». Bemängelt wurde insbesondere, dass nicht erwähnt wurde, dass Auslandschweizer keine Radio- und Fernsehgebühren entrichten müssen. Insgesamt kam die UBI aber zum Schluss, dass dieser Mangel noch keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots begründete. Die Funktionen der im Artikel Stellung nehmenden Auslandschweizer kamen in transparenter Weise zum Ausdruck. Die Beschlüsse des National- und Ständerats wurden korrekt zusammengefasst. Die UBI wies die Beschwerde deshalb bezüglich dieses Artikels mit sechs zu zwei Stimmen ab.

5. Fehlen nicht gravierender Nebenpunkte 

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Im Entscheid b.772 befasste sich die UBI mit der italienischsprachigen Konsumentensendung «Patti Ciari» von Fernsehen RSI und den Beiträgen «Leasing con fregatura» und «La trappola del leasing» vom 7. April 2017. Die Beanstanderin machte geltend, dass ihr Inkassounternehmen im Tessin in den Augen der Zuschauer in ein schlechtes Licht gerückt worden sei, da u.a. wesentliche Informationen zum Sachverhalt nicht berücksichtigt worden seien. Im Beitrag wurde eine anonyme Zeugin erwähnt, die wegen Nichtbezahlung von Leasingbeträgen vom Inkassounternehmen zur Zahlung aufgefordert worden war.

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Die UBI bemängelte einzig ein paar Nebenpunkte, die aber nicht einen derart gravierenden Mangel darstellten, dass sich das Publikum keine eigene Meinung machen konnte. Das Logo des Inkassounternehmens und die Unterschrift des Leiters der Tessiner Niederlassung waren in dem Schreiben vom 23. November 2016, welches im Beitrag im Vollbild dargestellt wurde, nicht sichtbar oder erkennbar. Zur anonymen Zeugin seien der Öffentlichkeit die wichtigsten Informationen zur Verfügung gestellt worden. Die Beanstanderin hätte auch Gelegenheit gehabt, sich zu äussern, und ihre Stellungnahme sei korrekt und angemessen vorgetragen worden.

6. Rechtskontrolle ist nicht Qualitätskontrolle

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In konstanter Praxis der UBI wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die UBI auf eine Rechtskontrolle zu beschränken und keine Fachaufsicht und namentlich auch keine Qualitätskontrolle ausüben soll. Soweit es sich bei rundfunkrechtlich relevanten Mängeln des Beitrags um Nebenpunkte handelt und sich das Publikum zum Beitrag aufgrund des klar erkennbaren Themas und des Blickwinkels, der korrekt vermittelten Fakten insgesamt sowie zu den als persönlichen Ansichten erkennbaren Stellungnahme der in einer Sendung interviewten Personen eine eigene Meinung bilden kann, ist das Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG nicht verletzt. In diesem Sinne entschied die UBI zu einer Sendung der „Rundschau“ vom 30. August 2017 mit dem Beitrag „Gold-Deal mit Eritrea“ (b. 775).

V. Zum Auslassen von Fakten zur Affaire Hildebrand

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Die UBI beschäftigte sich auch mit einem Online-Artikel auf SRF News mit dem Titel „Die Fakten zur Affäre Hildebrand“ vom 23. August 2017 (Entscheid b. 776). Die Beschwerde wurde mit 8:1 Stimmen gutgeheissen. Im Beitrag dargestellt wurde eine Chronologie der Ereignisse im Zusammenhang mit dem ehemaligen Präsidenten der Schweizerische Nationalbank. Nach Ansicht der UBI fehlte eine E-Mail des Bankberaters von Philipp Hildebrand vom 16. August 2011. Darin erinnerte dieser den ehemaligen Nationalbankpräsidenten daran, dass er während eines Gesprächs vom Vortag gesagt habe, es gehe in Ordnung, wenn seine Frau den Anteil an US-Dollar erhöhen wolle. Diese E-Mail stand im Widerspruch zu den Aussagen des ehemaligen Nationalbankpräsidenten, wonach er nichts von der von seiner Frau kurz vor der Bekanntgabe der Festlegung des Euro-Mindestkurses von 1.20 Franken gemachten Transaktionen gewusst habe. Diese Faktenlage verstärkte auch den Eindruck, dass der Rücktritt von Hildebrand als Nationalbankpräsident nicht freiwillig, sondern auf Druck des Bankrats erfolgt war, nachdem dieser von der E-Mail Kenntnis genommen hatte. Die UBI kommt zum Schluss, dass die fehlende Erwähnung dieser E-Mail die freie Meinungsbildung der Leserschaft zum Artikel verunmöglichte. Diese wichtige Information sei geeignet gewesen, den Eindruck, welche die Chronologie bezüglich der Gründe für den Rücktritt Hildebrands als Nationalbankpräsidenten und der Rolle der anderen Protagonisten insgesamt vermittelt habe, entscheidend zu beeinflussen. Ein entsprechendes Vorwissen der Leserschaft zu dieser E-Mail habe nicht vorausgesetzt werden können. Die Redaktion missachtete zentrale journalistischen Sorgfaltspflichten, indem sie trotz viel Vorbereitungszeit ein wesentliches und bekanntes Faktum in der Chronologie unerwähnt liess. Deshalb sei das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt worden.

VI. Sendungsankündigung und Anmoderation

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Die Sendung »Arena« vom 13. April 2018 widmete sich der geplanten Waffenrechtgesetzgebung. Beanstandet wurde insbesondere, dass die Position der Gegner der Verschärfung des Waffenrechts nicht korrekt zum Ausdruck gekommen sei; auch die Ankündigung der Sendung auf der Webseite wurde als einseitig und tendenziös betrachtet wie auch die Anmoderation, als der Moderator in seine Jackentasche griff, um das Mikrofon hervorzuholen (Anspielung auf vermeintliche Waffe in der Jacke). Die UBI wies die Beschwerde ab und wies einmal mehr darauf hin, dass die Anforderungen an die Sachgerechtigkeit bei Diskussionssendungen weniger hoch seien als bei rein redaktionell aufbereiteten Sendungen. Insbesondere müsse genügend Raum für eine spontane Entwicklung der Diskussion bestehen (vgl. BGE 139 II 519). In der Anfangssequenz, der Anmoderation (Griff zu Jackentasche) erblickte die UBI keine Symbolik und keinen Zusammenhang zwischen dieser Sequenz und dem Gesetzesvorschlag, der diskutiert wurde. Es sei eine effekthaschende Einlage des Moderators gewesen ohne direkten Zusammenhang zu den thematisierten Aspekten des Waffenrechts. Bezüglich der Auswahl der Gäste standen sich zwei Befürworter und zwei Gegnerinnen in der Diskussion gegenüber. Zudem kamen neben einigen Gästen der Sendung noch ein Büchsenmacher und ein Psychiater zu Wort. Nach Meinung der UBI konnten sich beide Seiten zu den verschiedenen Aspekten äussern. Zum Hinweis auf der Webseite zur Sendung, wonach der Bundesrat einen Vorschlag unterbreitet habe, der die Armeeangehörigen und die Schützen kaum betreffe, meinte die UBI, dass dieser zu pauschal und zu undifferenziert war. Dieser Mangel verunmöglichte aber nicht die Meinungsbildung zur Sendungsankündigung insgesamt. Zudem wurde an späterer Stelle erwähnt, dass die Gegner einer Verschärfung des Waffenrechts einen Eingriff in die Grundrechte beklagen.

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Grundsätzlich äusserte sich die UBI zur Frage der Sachgerechtigkeit einer Sendungsankündigung wie folgt: „Eine Sendungsankündigung kann nicht mit der eigentlichen Sendung oder einer Zusammenfassung derselben gleichgesetzt werden. Die Ankündigung weist auf die Themen und die Fragen hin, die in einer Sendung behandelt werden, sowie auf die beteiligten Personen. Eine Sendungsankündigung dient aber nicht dazu, dass sich die Leserschaft bereits eine eigene Meinung zu den in der Sendung behandelten Themen bilden kann. Die Ausgangslage, die sich primär stellenden Fragen, die gegensätzlichen Positionen von Befürwortern und Gegnern sowie die Identität der Teilnehmenden mit ihren Funktionen bzw. Interessen wurden in der Sendungsankündigung korrekt wiedergegeben“ (b. 789).

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Mit sechs zu drei Stimmen abgelehnt wurde auch eine Beschwerde gegen die Nachrichtensendung „Tagesschau“ vom 1. Mai 2018 mit dem Beitrag „Zeichen zwischen der Schweiz und der EU auf Annäherung“. Beanstandet wurde insbesondere der Hinweis auf neueste Umfragewerte, welche nahelegen, dass die Stimmung im Volk für ein Rahmenabkommen gekehrt habe. Die UBI bemängelte die Anmoderation mit dem Hinweis auf die Ergebnisse einer nicht näher bezeichneten Meinungsumfrage. Allerdings erfuhr im darauffolgenden Filmbericht das Publikum, aus welchen Gründen primär ein Stimmungswandel zum Rahmenabkommen stattgefunden hatte. Der Filmbericht relativierte die festgestellten Mängel in der Anmoderation, weshalb keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes festgestellt wurde (b. 791).

VII. Fiktionale Serien und öffentliche Sittlichkeit

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Eher selten dürfte vorkommen, dass fiktionale Serien von Fernsehen SRF beanstandet werden. Die UBI hatte sich jedoch im 2018 mit der Serie „Der Bestatter“ zu befassen. Die Beanstander rügten, dass eine falsche und irreführende Darstellung eines Rottweilers die Würde von Tieren, vorliegend einer Hunderasse, missachtet habe. Soweit das Sachgerechtigkeitsgebot betroffen hätte sein können, hält die unabhängige Beschwerdeinstanz daran fest, dass von einem fiktiven Kriminalfilm, bei welchem die Spannung und Unterhaltung im Vordergrund stehe, nicht eine gleich präzise und sachgerechte Vermittlung der Wirklichkeit wie bei Informationssendungen erwartet werden könne. Die Programmautonomie und die künstlerische Freiheit würden damit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Hingegen untersuchte die UBI die Darstellung des Hundes (zähnefletschend und blutrünstig) im Rahmen der Prüfung der öffentlichen Sittlichkeit gemäss Art. 4 Abs. 1 Satz 2 RTVG. Darunter subsumiert die UBI auch die Tierwürde, soweit diese nicht durch das Tierschutzgesetz gedeckt ist. In vielen Kantonen bestehe eine Bewilligungspflicht für den Erwerb von Rottweilern. Viele Menschen würden sich aufgrund von deren Grösse und der kräftigen Statur auch vor ihm fürchten. Es war denn auch nicht abwegig, in der Serie einen Rottweiler für die Rolle in der Krimifolge auszuwählen. Insgesamt erachtete die UBI den Einsatz des Hundes in der Krimifolge nicht als entwürdigend. Eine Gewaltverherrlichung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 RTVG vermochte sie auch nicht zu erblicken, zumal der tödliche Kampf zwischen dem Rottweiler und seinem Opfer weder in der beanstandeten Folge noch im Trailer gezeigt wurde. Zu sehen war lediglich der bedrohlich zähnefletschende und schäumende Hund, bevor er sich auf das Opfer stürzte, wie auch Bilder des nach dem tödlichen Angriff verunstalteten Mannes. Die UBI kommt zum Schluss, dass die in den beanstandeten Ausstrahlungen gezeigte Gewalt im Rahmen eines Krimis nicht als besonders intensiv und eindringlich oder übermässig erschien (b. 781).

VIII. Sorgfaltspflicht bei abstimmungsrelevanten Beiträgen

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Spärlich gelangen Beanstandungen über Sendungen privater Radio- und Fernsehveranstalter an die UBI. Diese hatte sich im Entscheid vom 23. März 2018 (b. 777) zu einem Beitrag über die Rentenreform in den Nachrichtensendungen vom 18. September 2017 auf TeleBärn, Tele M1 und TeleZüri zu befassen. Mit fünf zu drei Stimmen wurde die Beanstandung, wonach der Beitrag über die Rentenreform, welche Gegenstand der eidgenössischen Volksabstimmung vom 24. September 2017 über die Altersvorsorge 2020 gebildet hattee, den falschen Eindruck erweckt habe, das Rentenalter könnte bei einer Annahme der Vorlage auf 70 Jahre steigen, gutgeheissen. Gemäss UBI vermittelte der Beitrag in einseitiger und tendenziöser Weise den Eindruck, im Abstimmungskampf sei eine Bestimmung übersehen worden, die von erheblicher negativer Tragweite für die Versicherten sei. Die betroffene Redaktion habe es unterlassen, darauf hinzuweisen, dass die strittige Bestimmung im Grundsatz bereits Teil der geltenden Rechtspraxis bildet. Zudem wurden Aussagen von Nationalrätin Jaqueline Badran, welche als einzige der angeführten Personen die Bedeutung der Bestimmung relativierte, vom Korrespondenten als „Kleinreden“ abgetan oder in einen falschen Kontext gestellt. Nicht zum Ausdruck kam zudem die besondere Interessenlage eines Konsumentenschutzvertreters, bei dem es sich nicht um einen unabhängigen Experten gehandelt hatte, wie es der Filmbericht beim Publikum suggerierte, sondern um den Vertreter einer Zeitschrift, die sich stark gegen die Rentenreform engagierte. Diese Mängel bei der Transparenz verunmöglichten dem Publikum, die Bedeutung der thematisierten Bestimmung korrekt einzuschätzen.

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Zudem ging es bei dem Verfahren auch um die Verletzung des Vielfaltsgebots von Art. 4 Abs. 4 RTVG, wonach besondere Anforderungen an Sendungen und Beiträge mit einem Bezug zu einer bevorstehenden Volksabstimmung abgeleitet wird. Da diese erhöhten Sorgfaltspflichten nur für konzessionierte Programme gelten, waren davon nur TeleBärn und Tele M1 betroffen. Die UBI kommt zum Schluss, dass dem Prinzip der Chancengleichheit als wichtige journalistische Sorgfaltspflicht bei abstimmungsrelevanten Beiträgen nicht Genüge getan wurde. Bezüglich der im Beitrag vertretenen Meinungen bestand ein Ungleichgewicht, indem einem Befürworter der Abstimmungsvorlage zwei Gegner gegenüberstanden. Zudem diente die Gestaltung des Beitrags nicht dazu, die Positionen der beiden Lager ausgewogen, fair und unparteilich darzustellen.

IX. Transparenz

1. Erkennbarer Fokus einer Diskussionsveranstaltung

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Auch wenn über eine Diskussionsveranstaltung im Radio berichtet wird, bedeutet das noch nicht, dass über alle Aspekte dieser Veranstaltung eine Zusammenfassung abgegeben werden muss. Im Entscheid b. 779 war eine Veranstaltung der schweizerischen Energiestiftung Anlass für einen kurzen Beitrag. Darin und bereits in der Anmoderation wurde aber für die Zuschauerin und den Zuschauer klar, dass es um die Frage ging, ob die Wirtschaft wachsen kann, wenn die Schweiz die Energiewende schaffen und die Pariser Klimaziele erreichen will. „Die Redaktion entschied sich in klar erkennbarer Weise dafür, die Frage der Vereinbarkeit von Energiewende und Wirtschaftswachstum in den Vordergrund zu rücken und dazu kurze Stellungnahmen von zwei Wissenschaftlern, die an der Veranstaltung referierten, auszustrahlen. Die unterschiedlichen Meinungen der beiden Experten kamen dabei in transparenter Weise zum Ausdruck“.

2. Satiresendungen als Spezialfall 

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Im Beitrag „Stinkwasser“ der Satiresendung „Zytlupe“ von Radio SRF 1 vom 2. Februar 2018 (b. 771) bezeichnete die Kabarettistin die Bauern als „staatlich subventionierte Brunnenvergifter“. Sie bezog sich auf die Problematik der Pestizide, welche sowohl das Trinkwasser als auch Mineralwasser betrifft. In konstanter Praxis wies die UBI darauf hin, dass in satirischen Beiträgen, in welchen das Publikum in erkennbarer Weise „nicht ernsthaft informiert“ werden soll, das Sachgerechtigkeitsgebot nur beschränkt gelte. Die im Beitrag vermittelten Informationen zu Gewässerverunreinigung durch Pestizide waren nicht immer ganz präzise, namentlich bezüglich der Schutzzonen für Mineralquellen. Der Kern der von der Kabarettistin thematisierten Problematik entsprach aber den Tatsachen, meinte die UBI. Der Beitrag verletzte nach Ansicht der UBI  Art. 4 Abs. 1 RTVG nicht, der die Beachtung der Grundrechte vorsieht. Mit dem Begriff „subventionierte Brunnenvergifter“ wies die Kabarettistin in zugespitzter sowie provokativer und damit für eine Satire typischen Weise darauf hin, dass Bauern auf der einen Seite Direktzahlungen für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen erhalten und auf der anderen Seite mehrheitlich für die Verunreinigung von Trinkwasser aufgrund des Einsatzes von Pestiziden verantwortlich seien. „Die Verwendung des Begriffs „Brunnenvergifter“ mag aufgrund des erwähnten historischen Kontextes problematisch sein. Wenn in satirischen Sendungen aber grundsätzlich nur noch politisch korrekte Wörter und Bezeichnungen verwendet werden dürften, würde diese Kunstform erheblich eingeschränkt und viel von ihrer Schärfe und Würze verlieren“ (b. 171).

X. «Recht auf Antenne»

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Von der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen abgelehnt wurde ein Zugangsgesuch zu einer Berichterstattung über zwei Volksmotionen im katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen. Der Beanstandeter rügte, dass das Regionaljournal Ostschweiz nicht über die beiden Volksmotionen „Qualitätsentwicklung“ und „geprüfter Datenschutz“ berichtet habe, obwohl der Redaktion genügend Sendezeit zur Verfügung gestanden hätte. Gemäss ständiger Praxis der UBI gibt es kein „Recht auf Antenne“ (vg. auch BGE 136 I 167). Eine Verweigerung des Zugangs zum Programm kann aber in gewissen Fällen problematisch sein, insbesondere wenn dadurch gleichzeitig mit der Meinungsäusserungsfreiheit auch das Rechtsgleichheitsgebot und das Diskriminierungsverbot berührt sind. Somit muss geprüft werden, ob der Programmveranstalter den Gesuchsteller in verfassungs- und konventionswidriger Weise diskriminiert hat.

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Allgemein kommt die UBI zum Schluss, dass die Nichtberichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse alleine noch keine rechtswidrige Verweigerung zu einem Radio- oder Fernsehprogramm darstellt. Ein damit verbundener Anspruch auf Zugang zu einem konkreten Radio- oder Fernsehprogramm besteht nur ausnahmsweise in qualifizierten Fällen. Im vorliegenden Fall betraf der verweigerte Zugang keine Sendung zu einer bevorstehenden Volksabstimmung oder Wahl. Der Entscheid der Redaktion, nicht über die beiden Volksmotionen zu berichten, sei Ausfluss der Programmautonomie der Veranstalter und der damit verbundenen freien Themenwahl. Jene erachtete die parlamentarischen Vorstösse als zu wenig relevant für eine Berichterstattung. Für den Beschwerdeführer mag diese Nichterwähnung aufgrund von dessen persönlicher Situation und nach dem Entscheid der Kollegienräte, nicht auf die beiden Volks Motionen einzutreten, hart sein. Die entsprechende Verweigerung des Zugangs beruht jedoch nicht auf der Diskriminierung des Beschwerdeführers oder einer generellen Tabuisierung von Kritik an der katholischen Kirche durch Radio SRF und ist somit auch nicht rechtswidrig (b. 174).

XI. RTS-Beiträge zum US-Präsident Trump

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Die erste Beschwerde richtete sich gegen einen Teil des Programms «Le Journal 19:30» vom 27. Juni 2017, das einem Live-Interview mit dem Governor of Virginia (USA) gewidmet war. Präsident Trump und seine politische Orientierung standen im Mittelpunkt der Fragen an den Gouverneur. In der Sequenz wurde der Gouverneur transparent als Oppositionsfigur zu Donald Trump eingeführt, nachdem er eine zentrale Rolle in Bill und Hillary Clintons Kampagnen gespielt hatte. Der Moderator stellte keine kritischen Fragen und nahm keine Stellung zu Gunsten von Präsident Trump. Die Öffentlichkeit hatte Vorkenntnisse über die Politik und die Kontroversen von Präsident Trump. Aus diesen Gründen kam die UBI zum Schluss, dass das Interview zwar einseitig geführt wurde, der Grundsatz der fairen Darstellung der Ereignisse aber nicht verletzt wurde. Die UBI wies die Beschwerde daher einstimmig zurück (b.783)

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Die zweite Beschwerde betraf das Programm «Infrafouge» vom 17. Januar 2018, das unter dem Thema «Trump: verrückt oder genial?». Zwei Anhänger und zwei Gegner von Präsident Donald Trump waren zu Gast in der Show, die in der Lage waren, ihre Argumente zu entwickeln und ihre Ansichten über das Ergebnis des ersten Jahres der Präsidentschaft von Donald Trump darzulegen. Bei der Debatte ging es insbesondere um den Gesundheitszustand von Donald Trump. Die UBI war mehrheitlich der Ansicht, dass der Gesundheitszustand von Präsident Trump thematisiert werden konnte, da die offizielle Ankündigung des Ergebnisses eines Gesundheitstests durch den Hausarzt von Präsident Trump erfolgte, der zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der angefochtenen Sendung in den Medien ausführlich diskutiert wurde (b.784).

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