Presserat als Retter des Journalismus: Kann das gut gehen?

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Kritischer Blick eines Medienanwalts auf die Reformplane des Selbstregulierungsgremiums der Medienbranche

Markus Prazeller, Advokat, Partner Kanzlei «Wagner Prazeller Hug», Basel

Résumé: Depuis des années, le Conseil suisse de la presse (CSP) se bat pour être reconnu. Ses prises de position sont toutefois rarement remarquées par le grand public. La pression financière, en particulier, l’incite désormais à se remettre en question. Grâce à un paquet de réformes accepté début décembre par le Conseil de fondation, les procédures devraient être raccourcies. En outre, ses prestations servant «la société dans son ensemble», selon le communiqué du CSP, une aide des pouvoirs publics serait justifiée. L’avocat spécialisé Markus Prazeller émet des doutes sur la pertinence de ces réformes. Le CSP, affirme-t-il, lance trop d’activités et, en revendiquant de fonds publics, met en danger son rôle d’organe d’autorégulation.

Zusammenfassung: Der Schweizer Presserat kämpft seit Jahren um Anerkennung. Seine Stellungnahmen werden in der breiten Öffentlichkeit nur selten wahrgenommen. Insbesondere der finanzielle Druck zwingt den Presserat, sich und seine Strukturen zu hinterfragen. Gemäss dem Reformpaket sollen die Verfahren verkürzt werden. Und der Presserat soll aufgrund seiner staatstragenden Haltung öffentliche Gelder erhalten. Medienanwalt Markus Prazeller bezweifelt, dass diese Reformen viel bringen. Der Presserat erliege bisweilen einem Aktionismus und gefährde mit der Forderung nach öffentlichen Geldern seine Rolle als Selbstregulierungsgremium.

I. Einleitung

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Es sind schwierige Zeiten für Markus Spillmann und den Schweizer Presserat. Hier eine Branche, die seit Jahren krampfhaft versucht, ihr altes Geschäftsmodell ins digitale Zeitalter zu retten und dabei zuweilen zu vergessen scheint, dass Journalismus mehr ist als Clickbait, Native Advertising und Content Management. Da der Presserat, ein Gremium aus Freiwilligen, eingesetzt, um die Einhaltung der journalistischen Handwerksregeln durchzusetzen. Dabei hat sich Spillmann, ehemaliger NZZ-Chefredaktor und heute Präsident des Stiftungsrats des Presserats, nichts weniger als die Rettung des Journalismus vor der schleichenden Verrohung auf die Fahne geschrieben.

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In einem Gastbeitrag in der NZZ schrieb Spillmann kürzlich, der Presserat dürfe nicht nur eine Organisation des «nice to have» sein. Die Erwägungen des Presserats sollten nicht bloss «zur Kenntnis genommen werden», sondern müssten Eingang finden in den journalistischen Alltag. Der Presserat, so das Selbstverständnis von Spillmann, sei oberste moralische Instanz des Journalismus, bewundert und gefürchtet gleichermassen: «Wer vom Presserat gerügt wird, muss «rot» werden. Wer nicht gerügt wird, soll sich darüber freuen als Auszeichnung für eine korrekte und ethisch saubere Arbeitsweise.» Nur, ist der Presserat dieser Aufgabe gewachsen?

II. Presserat wird in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen

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Tatsache ist: Das Selbstregulierungsgremium der Schweizer Medienbranche kämpft seit Jahren den Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit. Seine Stellungnahmen zu den «Dos» und «Don’ts» der Medien werden in der breiten Öffentlichkeit nur selten wahrgenommen. Wer sich als Betroffener eines Medienberichts dennoch zu einer Beschwerde entschliesst, wartet Monate auf eine Stellungnahme. Zudem ist der Einfluss des Presserats auf das journalistische Tagesgeschäft und die Arbeitsweise von Medienschaffenden gering. Dies liegt nach meiner Auffassung auch daran, dass sich der Presserat in seinen Stellungnahmen zu oft in den konkreten Einzelfällen verliert, ohne daraus allgemeinverbindliche Feststellungen zu entwickeln. Zudem wird das Presseratsverfahren zunehmend zum Werkzeug politischer Interessensgruppen, die nicht an einem starken und kritischen Journalismus interessiert sind, sondern denen es einzig darum geht, mit Hilfe des Presserates Wasser auf die eigenen Mühlen zu leiten. Dafür kann der Presserat nichts – aber es schadet seiner Glaubwürdigkeit.

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Im Versuch, auf die eigene Tätigkeit aufmerksam zu machen und in der Öffentlichkeit gehört zu werden, erliegt der Presserat zudem zuweilen dem Aktionismus. Dann wird das Argument dem schnellen Effekt geopfert – Clickbait der Medienwächter gewissermassen. Beispiele dafür sind die vorschnelle Ausweitung der Zuständigkeit des Presserats auf Social-Media-Beiträge oder die kürzlich vom Presserat veröffentlichte Stellungnahme zur Löschung von Artikeln durch die Ringier-Mediengruppe. Ringier hatte im Hinblick auf einen Gerichtsprozess eine Reihe von Artikeln aus der Schweizer Mediendatenbank (SMD) gelöscht und wurde dafür hart vom Presserat angegangen. Man habe «willkürlich» in die «Archivfreiheit» eingegriffen und «verfälsche die historische Wahrheit», tadelte der Presserat.. Der Presserat hat vor lauter Aktionismus übersehen, dass die SMD kein öffentliches Archiv ist, sondern eine nicht-öffentliche, kommerziell betriebene Plattform einer privatrechtlichen Betriebsgesellschaft. Die SMD hat weder einen Informationsauftrag, noch dient sie dazu, eine «historische Wahrheit» zu präservieren. Es fehlt daher bereits an einer rechtsstaatlich garantierten Freiheit eines Einzelnen, die eingeschränkt werden könnte.

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Zudem ist jeder Person, natürlich wie juristisch, das Recht zuzugestehen, sich vor rechtlichen Angriffen zu schützen. Möchte man den Verlagen dieses Recht absprechen, müsste man konsequenterweise auch eine radikale Reform des Systems der rechtlichen Verantwortlichkeit propagieren. Dazu äussert sich der Presserat in seiner knappen Stellungnahme aber freilich nicht.

III. Finanzieller Druck zwingt, Strukturen zu hinterfragen

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Immerhin: Der Verlust an Bedeutung bleibt auch beim Gremium und dessen Präsident Markus Spillmann nicht unbemerkt. Insbesondere der finanzielle Druck – der Presserat leidet laut Aussagen von Spillmann seit Jahren unter einem strukturellen Defizit, und die Verlage sind als Träger des Presserats nicht bereit, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen – zwingt den Presserat, sich und seine Strukturen zu hinterfragen.

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Am 2. Dezember hat der Stiftungsrat unter der Leitung von Spillmann ein Reformpaket verabschiedet. In einem Gastkommentar in der NZZ hatte Spillmann zuvor angedeutet, wie dieses aussehen wird.

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Zunächst verspricht Spillmann – nicht zum ersten Mal –, die Verfahren des Presserates zu verkürzen, was ohne Einschränkung zu begrüssen ist. Die entscheidende Frage, die sich hier stellt und die Spillmann (noch) nicht beantwortet: Wie ist das ohne zusätzliche Kosten zu bewerkstelligen?

IV. Öffentliche Gelder für den Presserat?

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Ausserdem bezweifle ich, dass sich mit der Ausweitung des Tätigkeitbereichs die finanziellen Probleme des Presserates lösen liessen. Daran glaubt offenbar selbst der Presserat nicht. Gegenüber der «NZZ» äusserte sich Spillmann im Frühjahr ausführlich zur gesellschaftlichen Bedeutung seines Gremiums. Der Presserat leiste einen «imminent wichtigen Beitrag zur Einhaltung gewisser Standards» und beuge der Verrohung vor. Mit seinem flammenden Plädoyer, vorgetragen im Rahmen eines schriftlich geführten Interviews mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin, lancierte er die wohl umstrittenste Idee des Reformpaketes: Aufgrund seiner staatstragenden Rolle soll der Presserat künftig öffentliche Gelder aus einer möglichen indirekten Medienförderung erhalten.

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Gewiss, mit Fördergeldern liesse sich die finanzielle Situation des Presserats längerfristig stabilisieren. Auch liessen sich dafür mit Sicherheit prominente Unterstützer aus der Politik finden. Aber würde ein solches Finanzierungsmodell die strukturellen Probleme des Gremiums lösen und dem Presserat zu mehr Aufmerksamkeit und Prestige verhelfen? Ich denke nicht.

V. Presserat verzettelt sich

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Das Problem des Presserates besteht vor allem darin, dass er sich zunehmend verzettelt und so den Blick auf die wesentlichen Fragen des Journalismus verliert. Hinzu kommen Unzulänglichkeiten in den Verfahrensregeln. Ein Beispiel: Die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten (auch «Journalisten-Kodex» genannt) sieht vor, dass sich Journalistinnen und Journalisten an die Wahrheit zu halten haben. Die entsprechende medienethische Pflicht ist in Ziff. 1 der Erklärung festgehalten. Doch wie will der Presserat beurteilen, ob ein Beitrag der Wahrheit entspricht, wenn es gemäss seiner eigenen, oft wiederholten Formel nicht zu den Aufgaben des Presserat gehört, ein Beweisverfahren durchzuführen.

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Selbstverständlich lässt sich die Haltung des Presserates rechtlich wie auch aus Gründen der Opportunität nachvollziehen – der Presserat ist als reines Branchengremium nicht mit hoheitlichen Rechten ausgestattet, es fehlen ihm, neben den finanziellen Mitteln, auch die rechtlichen Kompetenzen, um ein faires Beweisverfahren zu etablieren. Umso unverständlicher ist es jedoch, dass sich der Presserat in seinen Stellungnahmen regelmässig dazu veranlasst sieht, lange Ausführungen zu machen zum angeblichen Wahrheits- oder Unwahrheitsgehalt von Medienberichterstattungen – und Medien regelmässig wegen eines Verstosses gegen diese Ziffer 1 abzumahnen. Gemäss den offiziellen Zahlen des Presserats wurden im Jahr 2018 elf Verletzungen der Wahrheitspflicht festgestellt. Nur die Verletzung der Anhörungspflicht wurde öfter beanstandet (12 Verletzungen). Jeder dieser Beanstandungen haftet der Makel an, dass sie nicht im Rahmen eines fairen und transparenten Beweisverfahrens zustande gekommen ist, im schlimmsten Fall aber präjudizierende Wirkung auf zivil- und strafrechtliche Verfahren haben kann.

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Hier steht sich der Presserat mit seinem Verfahren und seinem Aktivismus selbst im Weg. Völlig ohne Not, steht den Betroffenen doch mit dem Gegendarstellungsrecht ein vor den staatlichen Gerichten schnell durchsetzbares Recht zur Verfügung, mit dem angebliche Verletzungen der Wahrheitspflicht beanstandet werden können. Auf die Dienste des Presserats kann hier ohne weiteres verzichtet werden. Die Gerichte können das besser.

VI. Öffentliche Gelder schaffen Abhängigkeiten

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Solche Unzulänglichkeiten lassen sich auch durch ein öffentliches Finanzierungsmodell nicht beseitigen. Ganz im Gegenteil. Profitiert der Presserat von öffentlichen Geldern, steigen auch die Anforderungen an sein Verfahren und seine Stellungnahmen. Damit werden Abhängigkeiten und politische Erwartungen geschaffen. Das gefährdet die Rolle des Presserat als Selbstregulierungsgremium eines freien und unabhängigen Journalismus. Der Presserat überzeugt dann, wenn er branchenfinanziert und staatlich unabhängig ist. Nur so wird er als starke Stimme wahrgenommen, die auch in der Branche selbst über die nötige Glaubwürdigkeit verfügt. Ist die Branche selbst hingegen nicht bereit ist, sich ein solches Gremium zu leisten, dann braucht es keinen Presserat.

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Es sind schwierige Zeiten für Markus Spillmann und den Schweizer Presserat.


Die Replik zu diesem Beitrag, verfasst von Markus Spillmann, Präsident der Stiftung Schweizer Presserat, finden Sie ebenfalls auf dieser Website unter dem Titel «Der Presserat ist nicht Retter, sondern Wächter»
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