«SLAPP» und «SLAPP-back»: Goliath und David

«

– oder welche Steine David gegen Einschüchterungsklagen braucht

Regula Bähler, Rechtsanwältin, Zürich

Résumé: Les actions en justice dites SLAPP (pour «strategic lawsuits against public participation», soit «poursuites stratégiques contre la mobilisation publique», également appelées «poursuites-bâillons») visent souvent des journalistes, des organisations non gouvernementales et la société civile. Même si elles n’ont pas de fondement et se basent sur des exigences malveillantes, elles sapent la liberté des médias et, par là, la participation au processus de formation démocratique des opinions. Un projet de législation pour les encadrer ou les proscrire est en cours sur le plan européen. En matière civile, des motifs abusifs devraient pouvoir être vérifiés le plus tôt possible et mener à un rejet de la plainte. En matière de délits contre l’honneur, les actions SLAPP ne devraient pas être possibles.

Zusammenfassung: SLAPP-Klagen (strategic lawsuits against public participation), strategische Klagen gegen die öffentliche Teilnahme, richten sich gegen Medienschaffende, nichtstaatliche Organisationen und die Zivilgesellschaft. Häufig unbegründet und auf mutwilligen Forderungen beruhend, unterhöhlen sie die Medienfreiheit und damit die Beteiligung am Prozess der demokratischen Willensbildung. Auf europäischer Ebene sind deshalb Bestrebungen für eine Anti-SLAPP-Gesetzgebung im Gange. In Zivilsachen sollen etwa missbräuchliche Motive in einem möglichst frühen Verfahrensstadium geprüft werden und zur Abweisung der Klage führen. Bei Ehrverletzungsdelikten sollen SLAPP-Klagen gar keine Anwendung finden.

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung      Rn 1

II. Einschüchterungsklagen – auch in der Schweiz     3
     1. «Gotham City»: hohe Anwaltskosten trotz Prozesserfolg     6
     2. Weltweit grösste Edelmetallraffinerie gegen Hilfswerk     7
     3. Potentatentochter gegen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation 
         A. Flächendeckende Löschungsanträge im Zivilprozess     8
         B. Parallele Strafanzeige mit existenzgefährdenden Anträgen     12
         C. Begleitende PR-Massnahmen     17

III. Anti-SLAPP in Übersee     18
     1. Australien: Fokus auf dem unangemessenen Zweck einer Klage     19
     2. Kanada: Doktrin gegen Prozessmissbrauch     21
     3. USA: zwischen Schutz der Freiheitsrechte und SLAPP-back     25

IV. Europa: Anti-SLAPP-Gesetzgebung im Interesse des Gemeinwohls   31
     1. Anti-SLAPP-Musterrichtlinie    
         A. Rechtliche Definition von SLAPP-Klagen und Kriterien     32
              für eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse
         B. Kernanliegen: möglichst frühzeitige Abweisung
              von SLAPP-Klagen      35
         C. Das Recht auf ein faires Verfahren soll nur in einem
              begründeten Fall greifen      38
         D. Verleumdung aus dem Strafrechtskatalog streichen     40
         E. Gegen Forum Shopping und Mosaikklagen     43
     2. SLAPP-back über Inspiration und Plädoyers zur
         Rechtsfortentwicklung      46


I. Einleitung

1

Daphne Caruana Galizia. Der Name der investigativen Journalistin und Bloggerin aus Malta steht auch fünf Jahre nach ihrer Ermordung noch für unerschrockene Berichterstattung über Korruption und organisiertes Verbrechen. So hatte Caruana Galizia undurchsichtige Geldtransaktionen öffentlich gemacht und die maltesische Pilatus Bank in die Nähe von Geldwäsche, unter anderen für Diktatoren, gerückt. Diese Enthüllungen sollten die Panama Papers später bestätigen. Die Europäische Zentralbank entzog der Pilatus Bank die Zulassung[1] und die maltesische Einheit für Finanz-Aufklärung (FIAU) verhängte eine Millionenbusse über die Bank.

2

Als Caruana Galizia getötet wurde, war ihr Vermögen auf der Bank seit Monaten über eine vorsorgliche Massnahme blockiert. Dies im Zusammenhang mit einem der 47 zivilrechtlichen Gerichtsverfahren, welche gegen sie wegen Persönlichkeitsverletzung oder Diffamierung eingeleitet worden waren. Fast alle von maltesischen Politikern, etwa dem damaligen Wirtschaftsminister, oder deren Geschäftspartnern.

II. Einschüchterungsklagen – auch in der Schweiz

3

Medienschaffende in anderen europäischen Ländern berichten von ähnlichen Einschüchterungsklagen, von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation), in denen es nicht in erster Linie darum geht, Recht zu bekommen. Vielmehr sollen Medienschaffende kritische Berichte ganz oder teilweise löschen, den Namen des Klägers unerwähnt lassen, oder sich – nachdem ihnen drastische rechtliche Konsequenzen angedroht oder sie wiederholt vor Gericht zitiert worden sind – genau überlegen, ob sie erneut über den Kläger berichten. Die Schere ist aus dem Kopf kaum mehr wegzudenken. Denn den Medienschaffenden fehlen, ganz anders als den Klägern, die Ressourcen, um zu prozessieren: finanziell, aber auch rein zeitlich, wenn sie ihre Energie in das Unterfüttern von mehrhundertseitigen Schriftsätzen investieren müssen statt in ihre journalistische Arbeit.

4

Aber es sind nicht nur Medienschaffende von SLAPP-Klagen betroffen. Diese richten sich ebenso gegen nichtstaatliche Organisationen (NGO), die mit ihren Studien und Berichten Journalistinnen und Journalisten vergleichbar in der Rolle des Public Watchdog stehen. Eine Umfrage von «Brot für alle», welches seit Anfang 2022 in das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS integriert ist, hat im vergangenen Jahr elf NGO in der Schweiz befragt. Sechs von ihnen sind in gerichtliche Verfahren verwickelt, einige von ihnen mehrfach, andere haben straf- und zivilrechtliche Parallelprozesse in der nämlichen Sache zu führen. Obwohl sich diese Verfahren teilweise bereits über Jahre hinziehen, ist es noch in keinem zu einem rechtskräftigen Urteil gekommen. Drei Auseinandersetzungen sind vergleichsweise erledigt worden.

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Die drei nachfolgend zu schildernden Konstellationen und Fälle weisen Merkmale einer SLAPP-Klage auf. Ob es sich tatsächlich um solche handelt, werden bei Swissaid und dem Bruno Manser Fonds die Gerichte zu entscheiden haben.

1. «Gotham City»: hohe Anwaltskosten trotz Prozesserfolg

6

«Gotham City», die unabhängige Westschweizer Online-Zeitschrift, die auf das Aufdecken von Wirtschaftskriminalität spezialisiert ist, hat sich 2020 mit vier superprovisorischen Verboten konfrontiert gesehen, berichtet swissinfo.ch[2]. Keines ist zu einem definitiven geworden. In einem weiteren Verfahren ist «Gotham City» erstinstanzlich untersagt worden, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem ein wegen Steuerdelikten verurteilter Vermögensverwalter erkennbar sei, obwohl er namentlich nicht genannt wurde. Die Redaktion verzichtete auf eine Anfechtung des Entscheides, weil sie 2020 bereits auf 20’000 Franken Anwaltskosten sitzen geblieben ist, was dem Lohnbudget eines ganzen Monats entspricht. Einer der Gründer der Plattform hat gegenüber swissinfo.ch gemeint: «Wir können nicht jedes Mal kämpfen. Wenn wir wissen, dass wir in Schwierigkeiten geraten werden, lassen wir es manchmal sein.»

2. Weltweit grösste Edelmetallraffinerie gegen Hilfswerk

7

Noch in einem frühen Stadium befinden sich die Verfahren der Valcambi SA, der weltweit grössten Edelmetallraffinerie mit Sitz im Tessin, gegen Swissaid. Das Hilfswerk hat 2020 die Studie «Die dunkle Seite des Goldes» veröffentlicht. Wegen Persönlichkeitsverletzung nach Art. 28 ZGB steht eine Schlichtungsverhandlung an. Gleichzeitig muss sich jene Person, welche laut Impressum bei Swissaid für die Dossiers Rohstoffe zeichnet, strafrechtlich wegen Verletzung von Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG verantworten. Valcambi beanstandet 46 Textpassagen, teilweise mehrfach vorkommend, als Schädigung ihres guten wirtschaftlichen Rufes respektive als unnötige Herabsetzung oder Anschwärzung. Die Gelegenheit zur Stellungnahme vor der Publikation der Studie hatte das Unternehmen nicht wahrgenommen. Swissaid hält an sämtlichen Darstellungen fest, insbesondere auch an jenen, welche Valcambi mit Konfliktgold in Verbindung bringen.[3]

3. Potentatentochter gegen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation

A. Flächendeckende Löschungsanträge im Zivilprozess
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Dem Bruno Manser Fonds (BMF) soll unter anderem verboten werden, im Internet, über soziale Medien oder irgendwelche sonstige Trägermedien gewisse Aussagen zu verbreiten, insgesamt 249 an der Zahl – von Rundschreiben, Medienmitteilungen, Mitgliederinformationen, öffentlichen Vorträgen, Beschriftungen von Bildergalerien, Berichten, Büchern über Newsletter, Filme, Videos, Geschäftsberichte bis zu Korrespondenzen. Dies verlangt die Tochter des Potentaten Taib Mahmud, der 33 Jahre lang Ministerpräsident des malaysischen Bundesstaates Sarawak war, dessen Finanzminister und Minister für natürliche Ressourcen. Heute amtet er noch als Gouverneur von Sarawak. In dieser Zeit hatte sich der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist Bruno Manser gegen die Abholzung der Regenwälder, dem Lebensraum der Penan, mit beachtlichem internationalem Erfolg eingesetzt. Bis er im Jahr 2000 auf ungeklärte Weise in eben diesen Regenwäldern verschwand. Der Bruno Manser Fonds, noch von ihm selbst ins Leben gerufen, führt seine Arbeit fort.

9

Während die Urwälder in Sarawak auf einen Zehntel ihres ursprünglichen Gebiets schrumpften, lancierte der BMF Kampagnen gegen die Korruption im Tropenholzhandel und versuchte, der Vermögensbildung der Familie Mahmud und den von ihr beherrschten Firmen in der Höhe von mehreren hundert Millionen US-Dollar auf die Spur zu kommen. Der BMF beschritt den Rechtsweg und erstattete in verschiedenen Ländern strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Anzeigen, jedoch ohne den erhofften Erfolg.

10

2018 klagten die Potentatentochter, ihr Ehemann und zwei von ihnen beherrschte kanadische Immobilien- und Beteiligungsfirmen, die Sakto Corporation und die Sakto Development Corporation in Ottawa, gegen den Bruno Manser Fonds, an dessen Sitz in Basel, und gegen den Geschäftsleiter des BMF persönlich. Die streitgegenständlichen Dokumente, die im Zusammenhang mit Korruptions- und Geldwäschereivorwürfen stehen, sollen auf der Grundlage von Art. 28 ZGB für immer aus der Öffentlichkeit verschwinden.

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Die Streitgenossinnen und -genossen fordern vom BMF auch die Herausgabe eines angeblichen Verletzergewinns. Um diesen eruieren zu können, verlangen sie unter anderem die Edition der Bilanzen, Erfolgsrechnungen und die Aufstellung sämtlicher Zahlungseingänge. Ausserdem wollen sie detaillierte Angaben und Statistiken zu Besuchern auf den einschlägigen Webseiten samt Unterseiten, deren Verweildauer, die Mail- und Twitterkommunikation im Zusammenhang mit den einschlägigen BMF-Kampagnen, detaillierte Angaben zu sonstigen Werbe- und Fundraising-Kampagnen.

B. Parallele Strafanzeige mit existenzgefährdenden Anträgen
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Über eine gleichzeitig eingereichte Strafanzeige – wegen falschen Anschuldigungen, Irreführung der Rechtspflege, Ehrverletzung, Nötigung, obendrein wegen Betrugs, Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung – beantragen die vier als Privatkläger auftretenden Parteien von der Staatsanwaltschaft, in den Räumlichkeiten des BMF und bei dessen Verantwortlichen auch privat Hausdurchsuchungen vorzunehmen sowie alle Datenträger, relevanten Geschäftsunterlagen und sonstigen einschlägigen Unterlagen zu durchsuchen und als Beweismittel zu beschlagnahmen. Des Weiteren verlangen die Klägerinnen und der Kläger, sämtliche Vermögenswerte auf den Bankkonten des Bruno Manser Fonds zu beschlagnahmen, mitsamt den entsprechenden Bank- und Geschäftsunterlagen.

13

Passiert ist in der Strafuntersuchung in den vergangenen dreieinhalb Jahren wenig.

14

Das Basler Zivilgericht lehnte vorsorgliche Massnahmen ab, vor allem, weil die zeitliche Dringlichkeit dafür gefehlt hatte. Der ordentliche Zivilprozess steht kurz vor dem Abschluss des Schriftenwechsels.

15

Die Justizverfahren dauern. Begleitend hatten die Klägerinnen und der Kläger eine der grossen PR-Firmen beauftragt, die eigenem Bekunden zufolge Kunst betreibt, um das Image ihrer Kunden zu verbessern und deren Kommunikation eine einzigartige Handschrift zu verleihen. Die Agentur zeichnete ein Negativbild über den Bruno Manser Fonds und liess dieses diversen Medien zukommen. Sie platzierte bei ausgewählten Stiftungen die Botschaft, dass bei der Governance des BMF etwas nicht stimme und der Geschäftsleiter nicht davor zurückschrecke, die Dinge so in die falsche Richtung zu drehen, dass diese der Erreichung seiner Ziele dienten. Der Rechtsvertreter, der im Namen der Kläger Strafanzeige erstattet hatte, wurde bei der ZEWO – welche den NGO die Gütesiegel für den Umgang mit Spenden verleiht – vorstellig und meldete, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wegen mutmasslicher Vermögensdelikte gegen den BMF ermittle.

16

Wie die Verfahren zwischen der Potentatentochter und ihren Firmen gegen den Bruno Manser Fonds ausgehen werden, ist nicht abzusehen. Doch so viel ist klar: Das dereinst letztinstanzliche Urteil wird Präzedenzcharakter haben. Es geht nicht darum, allfällig falsche Tatsachenbehauptungen zu schützen. Es geht darum, ob und wie in der Schweiz Verdachtsmomente der Korruption oder Geldwäscherei überhaupt geäussert werden dürfen, ohne dass sich Medienschaffende und NGO durch ihre Berichte in ihrer Existenz bedroht sehen.

C. Begleitende PR-Massnahmen

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Jedenfalls beschäftigt die Problematik von SLAPP-Klagen NGO und Organisationen der Medienschaffenden zunehmend. Sie steht aber auch auf der Agenda der EU, des Europarats und der OSZE. Der Ruf nach Anti-SLAPP-Regelungen hallt schon einige Zeit durch deren Gremien, welche sich mit Medien- und Demokratiefragen befassen. Es gilt, das Recht auf freie Meinungsäusserung gegenüber dem Recht auf Privatleben in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen, wobei das Recht auf Privatsphäre auch den Ruf einer Person – auch einer juristischen – und deren moralische Integrität umfasst. Ein ebenso grosses Anliegen ist es, der Unterhöhlung des Grundrechts auf ein faires Gerichtsverfahren und einen wirksamen Rechtsbehelf durch SLAPP-Klagen zu begegnen.

III. Anti-SLAPP in Übersee

18

In Europa hat noch kein Land eine Anti-SLAPP-Regelung getroffen. Im Gegensatz zu Vorschriften, die in Bundesstaaten der USA, in Kanada und Australien erlassen worden sind.[4]

1. Australien: Fokus auf dem unangemessenen Zweck einer Klage

19

In Australien ist 2008 ein Gesetz zum Schutz der Öffentlichkeitsbeteiligung[5] in Kraft getreten, welches für die Hauptstadtregion gilt. Es will vor Zivilprozessen abschrecken, die eine vernünftige Person als Beeinträchtigung der Beteiligung an der Öffentlichkeit ansehen würde. (Art. 5) Zum einen geht es um Verfahren, die in der Verfolgung eines unangemessenen Zwecks (improper purpose) eingeleitet werden. Zum andern um gerichtliche Auseinandersetzungen, von denen eine vernünftige Person annehmen würde, sie dienten hauptsächlich dazu, andere davon abzuhalten, sich an der Öffentlichkeit zu beteiligen. Oder eine vernünftige Person müsste davon ausgehen, dass der Hauptzweck darauf ausgerichtet sei, Ressourcen für die Beteiligung an der Öffentlichkeit abzuziehen und auf das Verfahren zu verlagern, oder einfach eine Person zu bestrafen oder zu benachteiligen. (Art. 6)

20

Dieser gesetzgeberische Fokus auf den unangemessenen Zweck hat Kritik auf den Plan gerufen. Er lasse den wesentlichen Punkt von SLAPPs unberücksichtigt, nämlich dass die Verfahren selbst, unabhängig von ihrem Ausgang, eine Bedrohung für die öffentliche Beteiligung darstellen.[6]

2. Kanada: Doktrin gegen Prozessmissbrauch

21

Im Verlauf der vergangenen 90er-Jahre rollten sich in Kanada aufsehenerregende gerichtliche Auseinandersetzungen ab, die sich um die freie Meinungsäusserung zu öffentlichen Themen drehten. Im Fall Frazer gegen den Bezirk Saanich[7] erkannte der Oberste Gerichtshof von Britisch Kolumbien zum ersten Mal, dass die Klage SLAPP-Merkmale trage. Eine Gruppe von Einwohnerinnen und Einwohnern hatten gegen ein Bauvorhaben eine Petition lanciert und bei der Gemeindeverwaltung lobbyiert. Als das Projekt daraufhin gestoppt wurde, klagte der Bauträger gegen acht der Aktivistinnen und Aktivisten, mit der Begründung, diese hätten sich dazu verschworen, sein Geschäft zu schädigen. Obwohl die Klageschrift 77 Punkte umfasste, sei sie schwach begründet, befand der Oberste Gerichtshof. Es handle sich lediglich um einen Versuch, die demokratischen Aktionen der Beklagten mit leichtfertigen und übertriebenen Behauptungen zu ersticken, was verwerflich und zu tadeln sei.

22

In Britisch Kolumbien gibt es eine Doktrin gegen Prozessmissbrauch. Gerichte können Klagen abweisen, bevor das eigentliche Hauptverfahren nur schon angefangen hat. Dies zum Schutz der Wahrung der Integrität des Gerichtsverfahrens und der Rechtspflege. Nach der Frazer/Saanich-Entscheidung haben die Provinzen Ontario und Quebec die Doktrin in ihren Verfahrensordnungen festgeschrieben.

23

So sieht Artikel 51.4 Absatz 1 der Zivilprozessordnung von Quebec[8] nun vor, dass das Gericht jederzeit, auf Antrag oder von Amtes wegen, eine Klage oder einen Schriftsatz für missbräuchlich erklären und die betreffende Partei dafür auch sanktionieren kann. Ein solcher Verfahrensmangel liegt gemäss Absatz 2 dieser Bestimmung in einer offensichtlich unbegründeten, leichtfertigen oder hinhaltenden Klage oder Verfahrenshandlung. Er kann auch in einem lästig-störenden oder einfach streitsüchtigen Verhalten bestehen. Der Missbrauch kann sich auch in Bösgläubigkeit manifestieren, in einer überzogenen oder unangemessenen Verfahrensweise, welche zur Vorverurteilung einer anderen Person führt oder im Versuch besteht, die Ziele der Justiz zu vereiteln. Dies insbesondere, wenn dadurch die Freiheit der Meinungsäusserung in der öffentlichen Debatte eingeschränkt wird.[9]

24

Diese Definition mit ihren alternativen und nicht kumulativen Voraussetzungen macht es etwas einfacher, einen Prozessmissbrauch nachzuweisen. Trotzdem bleiben die Latten für die Beweisführung hochgestellt, kann es ja auch nicht darum gehen, die Garantien für den fairen Rechtsweg abzuschneiden.

3. USA: zwischen Schutz der Freiheitsrechte und SLAPP-back

25

Die USA können diesbezüglich auf längere Erfahrungen zurückblicken. Bereits in den 1990er Jahren erliessen einzelne Bundesstaaten Anti-SLAPP-Gesetze. Mittlerweile kennen rund 30 Teilstaaten prozessuale Mittel, von der frühzeitigen Abweisung einer Klage bis zur Zuerkennung von Schadenersatz für die Beklagten.[10] Die Spannweite zwischen den Regelungen in den einzelnen Bundesstaaten ist gross. Die einen wenden die Anti-SLAPP-Regeln nur auf Fälle an, die darauf abzielen, das Handeln der Exekutivorgane günstig zu beeinflussen, was Klagen gegen Medienschaffende und NGO ausschliesst. Andere wiederum stellen stärker auf die abschreckende Wirkung von SLAPP-Klagen ab und das dadurch in Mitleidenschaft gezogene öffentliche Interesse. Allen gemeinsam ist die Respektierung des First Amendments, des 1. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, wonach es sowohl dem Kongress wie auch den Bundesstaaten untersagt ist, Gesetze zu erlassen, welche die Rede- und Religionsfreiheit, die äussere Medienfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder auch das Petitionsrecht einschränken. In diesem Fall die Rechte der Beklagten in SLAPP-Verfahren.

26

In Kalifornien gelten wohl die weitreichendsten Anti-SLAPP-Bestimmungen. Nur schon die programmatische Einleitung zu § 425.16 der Zivilprozessordnung[11] macht dies deutlich, welche auf eine beunruhigende Zunahme von Klagen hinweist, «die in erster Linie eingebracht wurden, um die wirksame Ausübung der verfassungsmässigen Rechte auf Redefreiheit und das Einreichen von Petitionen zur Behebung von Missständen auszuschalten. Der Gesetzgeber stellt fest und erklärt, dass es im öffentlichen Interesse liegt, die fortgesetzte Beteiligung an Angelegenheiten von öffentlichem Belang zu fördern, und dass diese Beteiligung nicht durch den Missbrauch von gerichtlichen Verfahren ausgeschaltet werden darf. Zu diesem Zweck ist dieser Abschnitt weit auszulegen.»

27

Die Beklagten erhalten die Möglichkeit zum Nachweis, dass sie wegen einer Handlung verklagt worden sind, die entweder die Redefreiheit betrifft oder das Petitionsrecht, und zwar im Zusammenhang mit einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse.[12] Dazu zählen insbesondere Äusserungen über kontroverse politische, wirtschaftliche und soziale Themen, auf der lokalen Ebene genau so wie international. Hingegen verneinen die kalifornischen Gerichte einen Bezug zum öffentlichen Interesse, wenn es um Aussagen über eine Person geht, die nicht im Licht der Öffentlichkeit steht.[13]

28

Gelingt den Beklagten der Nachweis, dass die Kriterien für eine SLAPP-Klage erfüllt sind, dürfte ihr Antrag auf Abweisung der Klage aussichtsreich sein.[14] Zumindest dann, wenn die Kläger ihrerseits nicht zu beweisen vermögen, dass sie mit ihrer Klage wahrscheinlich Erfolg haben werden.[15]

29

Das kalifornische Anti-SLAPP-Gesetz verleiht den Beklagten, welche mit ihrem Abweisungsantrag durchgedrungen sind, zusätzlich das Recht, eine SLAPP-back-Klage einzureichen, mit der Schadenersatz wegen Missbrauchs des Rechtswegs gefordert werden kann.[16]

30

Wie die Gerichte in Kalifornien im Einzelnen mit Anti-SLAPP-Klagen umgehen, ergibt sich aus einem Entscheidungsbaum, den Curtis Karnow, Richter am Superior Court von San Francisco, erstellt hat.[17]

IV. Europa: Anti-SLAPP-Gesetzgebung im Interesse des Gemeinwohls

31

Seit 2018 hatte das EU-Parlament die EU-Kommission eher erfolglos aufgefordert, einen europäischen Regelungsvorschlag zu SLAPP in Angriff zu nehmen. Dann aber fasste das EU-Parlament im April 2021 im Zusammenhang mit der Ermordung von Daphne Caruana Galizia eine Entschliessung zur Rechtsstaatlichkeit in Malta.[18] Es wies darauf hin, dass der Schutz von investigativen Medienschaffenden und Hinweisgebern im ureigensten Interesse der Gesellschaft steht (Ziff. 15), und betonte, «dass das Instrument des Investigativjournalismus bei der Bekämpfung von Korruption und Missständen in der Verwaltung im Interesse des Gemeinwohls besondere Beachtung und finanzielle oder steuerliche Unterstützung erhalten sollte» (Ziff. 16). Deshalb forderte das EU-Parlament die Kommission erneut auf, EU-Rechtsvorschriften gegen SLAPP-Klagen vorzuschlagen.

1. Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

A. Rechtliche Definition von SLAPP-Klagen und Kriterien für eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse
32

An einer gemeinsamen Aussprache des Innenausschusses (LIBE) und des Rechtsausschusses (JURI) wurde die Studie «Nutzung von SLAPP-Klagen zur Einschüchterung von Journalisten, nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft» vorgestellt.[19] Diese empfiehlt eine Anti-SLAPP-Richtlinie vorzubereiten, die sich weitgehend an den Ansätzen und Begrifflichkeiten der Anti-SLAPP-Musterrichtlinie orientiert, welche eine breit angelegter Zusammenschluss von Verbänden der Zivilgesellschaft, von Medienschaffenden, Reporter ohne Grenzen sowie Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, im Jahr 2020 erarbeitet hat.[20]

33

Mit einem wesentlichen Unterschied: Die EU-Studie bleibt beim Begriff SLAPP, während die Musterrichtlinie nicht von «Strategic Lawsuits» spricht, sondern direkt von «Abusive Lawsuits». Ob strategisch oder missbräuchlich, darunter ist laut vorgeschlagener Definition eine Klage zu verstehen, «die sich aus der öffentlichen Beteiligung eines Beklagten an Angelegenheiten von öffentlichem Interesse ergibt und der eine rechtliche Grundlage fehlt, die offensichtlich unbegründet ist oder die Elemente aufweist, die auf einen Missbrauch von Rechten oder Prozessgesetzen hindeuten, und daher das gerichtliche Verfahren zu anderen Zwecken als der wirklichen Geltendmachung, Verteidigung oder Ausübung eines Rechts nutzt»[21].

34

Anknüpfungspunkt ist also eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse – nicht etwa die allfällige Absicht der klagenden Partei. Es geht um jede Sache, die mit einem gemeinsamen «politischen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen oder sonstigen Anliegen in Verbindung gebracht werden kann, auch im Hinblick auf ihre potenziellen oder tatsächlichen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Gesellschaft oder eines Teils von ihr.»[22] Dies umfasst insbesondere

  • Fragen im Zusammenhang mit der Gesundheit, Sicherheit oder dem sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen oder gemeinschaftlichen Wohlergehen;
  • Fragen im Zusammenhang mit einer Ware, einem Produkt oder einer Dienstleistung auf dem Markt;
  • Fragen, die eine Person oder Einrichtung betreffen, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht;
  • Fragen, die sich auf ein Thema von allgemeinem (widespread) Interesse beziehen;
  • Fragen, die von einer gesetzgebenden, exekutiven oder gerichtlichen Instanz behandelt oder überprüft werden, oder in irgend einem anderen amtlichen, gesetzlich zugelassenen Verfahren;
  • jedes Benehmen oder Verhalten, welches ein öffentliches Interesse zu beeinträchtigen oder zu gefährden vermag, wie Heuchelei, Irreführung der Öffentlichkeit, schwerwiegendes Fehlverhalten, Korruption oder Kriminalität.[23]
B. Kernanliegen: möglichst frühzeitige Abweisung von SLAPP-Klagen
35

Entsprechend dem Kernanliegen der zu verabschiedenden Richtlinie – die möglichst frühzeitige Abweisung von Klagen, welche die SLAPP-Definition erfüllen – haben die EU-Mitgliedstaaten Massnahmen zu treffen, damit die beklagte Partei einen Antrag auf Abweisung der Klage einbringen kann. Ab dem Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens nach den für das angerufene Gericht geltenden Verfahrensregeln.[24]

36

Das Gericht hat bei seinem Entscheid zu prüfen, ob die Forderung ganz oder teilweise unbegründet ist, ob die Klage oder ein Teil derselben offensichtlich unbegründet ist und ob es Anhaltspunkte für den Missbrauch eines Rechts oder Prozessrechts gibt.[25] Die klagende Partei hat ihrerseits nachzuweisen, dass keiner dieser Abweisungsgründe vorliegt.[26]

37

Bei einem Abweisungsentscheid hat das Gericht die folgenden Punkte zu berücksichtigen:

  • hinreichende Erfolgsaussichten der Klage, auch im Hinblick auf die Einhaltung von ethischen Regeln und Standards im Zusammenhang mit dem Klagegegenstand des Hauptverfahrens;
  • Unverhältnismässigkeit, übermässiger oder unangemessener Charakter der Forderung oder eines Teils davon, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf die Höhe des geforderten Schadensersatzes;
  • Umfang der Forderung, einschliesslich der Frage, ob der Zweck der Forderung eine Massnahme der Behinderung ist;
  • Art und Schwere des Schadens, der dem Kläger wahrscheinlich entstehen wird oder entstanden ist;
  • Prozesstaktik der klagenden Partei, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf die Wahl des Gerichtsstands und den Einsatz von Verzögerungsstrategien;
  • voraussichtliche Kosten des Verfahrens;
  • Mehrfachansprüche gegen denselben Beklagten mit Bezug auf ähnliche Angelegenheiten;
  • Machtungleichgewicht zwischen Kläger und Beklagtem;
  • Finanzierung des Rechtsstreits durch Dritte;
  • ob die beklagte Partei vor oder während des Verfahrens seitens des Klägers in irgendeiner Weise eingeschüchtert, belästigt oder bedroht worden ist;
  • tatsächlich oder potenziell abschreckende Wirkung im Hinblick auf die Beteiligung in der betreffenden Angelegenheit von öffentlichem Interesse.[27]
C. Das Recht auf ein faires Verfahren soll nur in einem begründeten Fall greifen
38

In der Entschliessung zur Stärkung der Demokratie, der Medienfreiheit und des Medienpluralismus vom 11. November 2021[28] betont das EU-Parlament, dass das Recht der Kläger auf Wahrung des eigenen guten Rufs durch Anti-SLAPP-Regeln nicht geschmälert werden dürfe. Die Vorschläge würden die Rahmenbedingungen eines fairen Gerichtsverfahrens und das Recht auf Zugang zur Justiz nicht antasten. Denn das Recht auf ein faires Verfahren soll nur in einem begründeten Fall greifen. Und dafür hat der Kläger zumindest eines oder mehrere überzeugende Argumente vorzulegen.

39

Die Anti-SLAPP-Richtlinie soll auch mit Kostenregelungen kombiniert werden, welche den Beklagten bei Abweisung der Klage sämtliche Anwalts-, Sachverständigen- und Gerichtskosten ersetzen sowie alle anderen angemessenen Kosten und Auslagen, welche ihnen mit dem Rechtsstreit entstanden sind.[29] Ausserdem sollen die Gerichte gleichzeitig mit der Abweisung einer SLAPP-Klage über die Zuerkennung von immateriellem und finanziellen Schadenersatz entscheiden.[30]

D. Verleumdung aus dem Strafrechtskatalog streichen
40

Die zu erlassende Anti-SLAPP-Richtlinie ist nicht nicht nur auf Zivilsachen, sondern auch auf verwaltungsrechtliche und Strafverfahren anwendbar. Denn SLAPP-Klagen sind oft Mehrfachklagen: Nebst der Einleitung eines Zivilprozesses wird Strafanzeige erstattet, in erster Linie wegen Ehrverletzung, auch nach dem UWG. Vorgeblich wegen der Verbindung mit zivilrechtlichen Haftungsansprüchen.

41

Diverse Untersuchungen in europäischen Ländern weisen auf eine deutliche Zunahme dieses parallelen Vorgehens auf. So beispielsweise auch in Italien, wo sich zwischen 2011 und 2017 die Strafanzeigen gegen Medienschaffende verdoppelten. Auch wenn nur 6,6 Prozent dieser Fällen überhaupt vor Gericht gekommen sind, weist das Kompetenzzentrum für Medienfreiheit in Europa doch auf den Chilling Effect von missbräuchlichen Strafanzeigen auf die Medienfreiheit[31] hin, auf deren abschreckende Wirkung in der Gestalt von Selbstzensur.[32] – Deshalb schliesst sich das EU-Parlament der Empfehlung der Menschenrechtskommissarin des Europarats[33] und des Beauftragten der OSZE für Medienfreiheit[34] an, wonach die Teilnehmerstaaten die Verleumdung aus ihren Strafrechtskatalogen streichen sollen. Im Sinne eines Zwischenschritts könnte dieser Tatbestand ins Verwaltungsrecht verlagert werden, wegen dessen weniger einschneidenden Strafwirkung und um jede Form der Inhaftierung auszuschliessen.

42

Allerdings gibt es Bedenken, ob sich diese Forderung im Gemeinschaftsrecht verwirklichen lässt. Weil es Sache der Mitgliedstaaten ist, welche Handlungen und Unterlassungen sie strafrechtlich sanktionieren.[35]

E. Gegen Forum Shopping und Mosaikklagen
43

Sehr häufig betreffen SLAPP-Klagen internationale Sachverhalte. Und die Beklagten stehen vor einer Mauer, hinter der sich die Unwägbarkeiten eines fremden Justizsystems verbergen, wenn es den Klägern anheimgestellt bleibt, den Gerichtsstand und damit allenfalls auch das anwendbare Recht zu wählen. Deshalb erachtet es die EU-Kommission als notwendig, im Rahmen einer Überprüfung der Verordnungen Brüssel Ia und Rom II dem Klagetourismus im Zusammenhang mit SLAPP-Klagen besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Bestimmungen über das Forum Shopping und die Rechtswahl einschränkend anzupassen.[36]

44

Nach geltendem Recht kann der Kläger bei unerlaubten Handlungen wählen: zwischen dem Ort des Wohnsitzes oder Sitzes der Beklagten, und dem Ort, an dem die schädigende Handlung begangen wurde, sowie dem Ort, an dem sich die schädigende Handlung auswirkt. Spielt sich das Ganze im Internet ab, ist auch darauf abzustellen, wo sich das Publikum befindet, an das sich das betreffende Medium richtet. – Zwar gibt es in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Bestrebungen, ubiquitäre Gerichtsstände oder «Mosaikklagen» zu vermeiden, mit denen die Kläger ihre Forderungen und sonstigen Begehren in Teile zergliedern und auf mehrere Länder verteilen können.[37] Deshalb soll bei Verleumdungsklagen nur noch der Gerichtsstand am Wohnsitz oder Sitz der Beklagten gelten, sofern die Beteiligten nichts anderes vereinbaren.

45

Was die Rechtswahl angeht, sollen SLAPP- und Verleumdungsklagen in erster Linie auf das Recht jenes Landes abstellen, in dem die engste Verbindung zwischen der Veröffentlichung und dem Zielpublikum auszumachen ist. Die Anpassungen über die internationalen Zuständigkeiten und Rechtswahlmöglichkeiten sollen sich auch im Lugano-Übereinkommen niederschlagen.

2. SLAPP-back über Inspiration und Plädoyers zur Rechtsfortentwicklung

46

Es wird dauern, bis das Anti-SLAPP-Vorhaben, das sich bis eben noch in der öffentlichen Anhörung befunden hat, in der EU verwirklicht sein wird. Die Kommission beabsichtigt, noch in diesem Monat eine Initiative für eine Richtlinie vorschlagen, welche die EU-Mitgliedstaaten dereinst in ihr nationales Recht umzusetzen haben.

47

Für die Schweiz wird die Richtlinie ohnehin nicht gelten, ausser allfälligen Anpassungen, welche in diesem Zusammenhang im revidierten Lugano-Übereinkommen übernommen werden. Auch die Empfehlungen des Europarats und der OSZE an die Adresse der Teilnehmerstaaten, zu denen die Schweiz zählt, Massnahmen zum Schutz der Beklagten von SLAPP-Klagen zu treffen, werden vorerst noch verhallen. Erschwerend kommt die gesetzgeberische Absicht hinzu, die Hürden für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen gegenüber periodischen Medien zu senken.[38] Und am geltenden Art. 47 Abs. 1 lit. c BankG wird offiziell kaum gerüttelt, welcher jene mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht, die ihnen offenbarte Bankgeheimnisse weiteren Personen offenbaren.

48

Auch wenn es der investigative Journalismus und kritische Berichte von NGO hierzulande nicht einfach haben, so können sich die von SLAPP-Klagen Betroffenen, alle diese Davids, in ihren Stellungnahmen doch an bestehenden Gesetzen und entsprechenden Vorhaben in anderen Ländern orientieren und so versuchen, zur Rechtsfortentwicklung beizutragen. Gleichsam als vorläufige «SLAPP-back»-Strategie.


Fussnoten:

  1. Bei Redaktionsschluss ist das Rechtsmittelverfahren C-701/19 P beim EuGH noch hängig.

  2. https://www.swissinfo.ch/ger/schweiz-pressefreiheit-meinungsfreiheit-unter-druck-demokratie-gotham-city/47122298

  3. Eine Dokumentation des Falles, einschliesslich der Quellen von Swissaid und der Beanstandungen von Valcambi, findet sich unter https://www.swissaid.ch/de/beitraege/swissaid-steht-zu-recherchen-und-zieht-studie-nicht-zurueck/?gclid=EAIaIQobChMI5t3DiOeh9gIV1-J3Ch1HIwBNEAAYASAAEgIEiPD_BwE

  4. Vgl. die Studie «Nutzung von SLAPP-Klagen zur Einschüchterung von Journalisten, nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft» aus dem Jahr 2021. Diese Studie (IPOL-STU[2021]697287) ist von der Politischen Abteilung für Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlaments auf Ersuchen des JURI-Ausschusses in Auftrag gegeben worden. – Abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/IPOL_STU(2021)697287

  5. https://www.legislation.act.gov.au/a/2008-48/

  6. IPOL-Studie a.a.O., S. 19

  7. Fraser v. Corp of District of Saanich [1999] BCJ 3100 (BCSC)

  8. Code of Civil Procedure: https://www.legisquebec.gouv.qc.ca/en/document/cs/C-25?&target=

  9. Übersetzung dieser und weiterer Gesetzespassagen: Regula Bähler

  10. Vgl. IPOL-Studie a.a.O., S. 17 f. sowie https://anti-slapp.org/your-states-free-speech-protection/

  11. California Code of Civil Procedure – https://leginfo.legislature.ca.gov/faces/codes_displayText.xhtml?lawCode=CCP&division=&title=6.&part=2.&chapter=2.&article=1

  12. CCP § 425.16(e)

  13. Dyer vs. Childress, 55 Cal. Rptr. 3d 544 (Cal. Ct. App. 2007

  14. CCP § 425.16(g)

  15. CCP § 425.16(b)(1)

  16. CCP § 425.16(c)(1)

  17. https://works.bepress.com/curtis_karnow/42/

  18. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0148_DE.html

  19. Vgl. Fn 4

  20. Abrufbar unter https://www.mediadefence.org/resources/anti-slapp-directive/

  21. IPOL-Studie a.a.O., S. 13

  22. IPOL-Studie a.a.O., S. 13

  23. Art. 3 Abs. 3 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  24. Art. 4 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  25. Art. 6 Abs. 1 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  26. Art. 7 Abs. 1 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  27. Art. 7 Abs. 2 Anti-SLAPP Musterrichtlinie

  28. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0451_DE.html, Ziff. 30

  29. Art. 11 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  30. Art. 12 Anti-SLAPP-Musterrichtlinie

  31. Vgl. dazu auch Michael Schweizer: Chilling Effect im Schweizer Medienkontext,medialex 10/2020, 3. Dezemb er 2020: https://medialex.ch/2020/12/03/chilling-effect-im-schweizer-medienkontext/

  32. https://www.rcmediafreedom.eu/Tools/Legal-Resources/SLAPPs-the-Italian-Case

  33. Vgl. https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/time-to-take-action-against-slapps

  34. https://www.osce.org/representative-on-freedom-of-media/505174 – Download S. 8

  35. Vgl. IPOL-Studie a.a.O., S. 53

  36. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0451_DE.html, Ziff. 25

  37. Vgl. IPOL-Studie a.a.O., S. 45

  38. Vgl. dazu Matthias Schwaibold: Ein Attentat auf die Medienfreiheit, medialex 3/2021, 3. Mai 2021 – https://medialex.ch/2021/05/03/ein-attentat-auf-die-meinungsfreiheit/

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