Kritik an der Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen

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Rechtsprechungsübersicht 2020 der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI)

Oliver Sidler, Dr. iur., Rechtsanwalt, Küssnacht am Rigi

Résumé: Le scepticisme vis-à-vis des découvertes scientifiques ne cesse de grandir et les critiques contre les comptes-rendus qui en sont faits à la radio et à la télévision deviennent de plus en plus fortes. Or le principe d’objectivité n’exige pas que, dans un compte-rendu, toutes les opinions soient exprimées avec le même poids, qualitativement et quantitativement. Mais la priorité choisie doit être montrée au public en toute transparence. L’an dernier, l’Autorité indépendante d’examen des plaintes en matière de radio-télévision (AIEP) a été saisie de plusieurs plaintes concernant des émissions sur la protection du climat, les antennes radioélectriques, les nouvelles formes d’énergie, le don d’organes et les transplantations, ou encore sur le racisme. L’AIEP a aussi émis des critiques sur la manière de mener des interviews ou sur la compétence juridictionnelle, sur la liberté de choisir des thèmes et sur le droit d’être à l’antenne avant des votations.

Zusammenfassung: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden zunehmend hinterfragt und deren Darstellung in Radio und Fernsehen kritisiert. Das Sachgerechtigkeitsgebot verlangt nicht, dass alle Sichtweisen qualitativ und quantitativ gleichwertig zum Ausdruck kommen. Für das Publikum muss aber der Themenfokus transparent sein. Die UBI behandelte im letzten Jahr verschiedene Beschwerden zu umstrittenen Themen wie Klimaschutz, Antennenemissionen, neue Energieformen, Organspende und Transplantationen oder Rassismus. Sie äusserte sich auch zur Kritik an der Gesprächsführung oder der Gerichtsbarkeit, der freien Themenwahl und dem Recht auf Antenne im Vorfeld von Wahlen.

I. Überblick

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Von den 36 erledigten Beschwerdeverfahren konnte die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen im letzten Jahr 24 materiell-rechtlich beurteilen (2019: 22). Auf elf Beschwerden wurde nicht eingetreten (2019: 11). Eine Beschwerde wurde zurückgezogen. Gutgeheissen wurden fünf Beschwerden; bei 19 Beschwerden wurde keine Verletzung des programmrechtlichen Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG oder Vielfaltsgebot von Art. 4 Abs. 4 RTVG festgestellt. Im Folgenden wird eine Auswahl der im Jahr 2020 abgeschlossenen Verfahren vorgestellt.

II. Nichteintretensentscheide

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Bei den vielen Nichteintretensentscheiden geht es um die fehlende enge Beziehung zum Gegenstand einer Sendung und somit die fehlende Legitimation zur Einreichung einer Individualbeschwerde. Die UBI setzt in diesen Fällen den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer eine Nachfrist zur Nachbesserung und Einreichung einer Popularbeschwerde und prüft, ob die Angelegenheit allenfalls von öffentlichem Interesse ist und deshalb behandelt werden könnte (b.841, b.844, b.860, b.873). In mehreren Fällen führte die Unterstellung eines Beschwerdeführeres unter Vormundschaft zur Niederlegung des Mandats durch den Rechtsvertreter und in Folge zum Nichteintreten (b. 845, b. 851, b.861, b.865).

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Die 20-tägige Frist nach Ausstrahlung eines Beitrags zur Einreichung einer Beanstandung bei der Ombudsstelle ist zu beachten, und es stellt keinen übertriebenen Formalismus dar oder ist gar willkürlich, wenn die UBI darauf beharrt. Vorliegend waren dem Beschwerdeführer die Fristen bekannt, zumal er schon etliche Male – notabene fristgerecht – Beanstandungen vornahm und vom Ombudsmann der privaten Radio- und Fernsehstationen der italienischsprachigen Schweiz auf die Formalitäten aufmerksam gemacht wurde (b.836 und b.840).

III. Zu falschen Informationen und dem Verschweigen wesentlicher Fakten

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Fernsehen SRF strahlte im Rahmen der Sendung «DOK» vom 14. November 2019 den Film «Der Klimawandel. Die Fakten» aus. Der Film ist eine leicht gekürzte, deutschsprachig synchronisierte Version der BBC-Originalfassung «Climate Change – The Facts» von Sir David Attenborough.

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Gegen diese Sendung wurden zwei Popularbeschwerden eingereicht. Entgegen den Behauptungen im Film gebe es keinen Konsens unter Klimaforschern zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels und der Film sei einseitig sowie alarmistisch und grenze an Panikmache. Die UBI meint dazu, dass der beanstandete Film einen anwaltschaftlichen Fokus zugunsten des Umweltschutzes aufwies und dies für das Publikum rasch erkennbar war, nicht zuletzt durch die verschiedenen Auftritte von Greta Thunberg. Den Beschwerdeführern beigepflichtet wurde, dass der Titel des Films irreführend war. Denn es ging in der Dokumentation nicht um die Faktenlage bzw. den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Klimawandel. Vielmehr bestand der Film aus einer Ansammlung von Stellungnahmen besorgter Stimmen, insbesondere auch aus der Wissenschaft, zum Klimawandel. Insofern war der Film sicherlich eher einseitig mit Blick auf die vertretenen Positionen, die aber jeweils als persönliche Ansichten erkennbar waren. Auch kam zum Ausdruck, dass es andere Ansichten zum Klimawandel gibt und dass die Empfehlung teilweise von renommierten Sachverständigen geäusserten Meinungen nicht unumstritten sind. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde nicht verletzt (b. 839/838).

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Auch in der Sendung „Reporter“ mit einem Porträt des Schweizer Klimaforschers Thomas Stocker und dessen Reise nach Grönland von 2018 (Wiederholung der Sendung vom 2. September 2018 mit Ausstrahlungstermin am 7. Juli 2019) sah die UBI keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots. Von den Beschwerdeführern gerügt wurde die falsche Information zur Klimaerwärmung und das Verschweigen wesentlicher Fakten dazu. Nach Meinung der UBI ging es in der Sendung gerade nicht darum, sondern um ein Porträt des Klimaforschers, der auch als umstritten und für Klimaskeptiker als Reizfigur dargestellt wurde. Zudem seien auch Klimaskeptiker in der Sendung zu Wort gekommen. Insofern vermittelte das Porträt ein differenziertes Bild zum Klimaforscher (b. 830).

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Eine ähnliche Argumentation verfolgte ein Beschwerdeführer zu einem ganz anderen Thema. Er rügte einen Beitrag einer dreiteiligen Serie zur häuslichen Gewalt in Radio DRS (Sendung „Rendez-vous“ vom 6. September 2019), in welcher die Korrespondentin die Situation in Spanien präsentierte, wo es bereits seit 2004 ein Gesetz gegen Geschlechtergewalt sowie eine Regierungsbeauftragte zu dieser Thematik gibt. Der letzte Teil des Beitrags bestand aus einem Interview der Moderatorin mit einer Inlandredaktorin zur Situation und den Massnahmen in der Schweiz. Für den Beschwerdeführer wurden die Hauptgründe für das Vorliegen von häuslicher Gewalt in der Schweiz verschwiegen. Es seien mehrheitlich Personen mit moslemischem Glauben, die Gewalt gegen Frauen befürworteten und auch tatsächlich ausübten. Man könne nicht über Massnahmen gegen häusliche Gewalt sprechen, ohne die Ursachen zu nennen. In der Serie ging es aber nicht um die Darstellung der Ursachen der häuslichen Gewalt gegen Frauen, sondern vielmehr um die verschiedenen Massnahmen in einzelnen Ländern und auch in der Schweiz. Nur am Rande wurde gefragt, wo denn das Problem in der Schweiz liege. Erwähnt wurden dazu Stichworte wie Arbeitslosigkeit oder patriarchalische Muster, welche häufig auch bei Familien mit Migrationshintergrund beobachtet würden. Allerdings sei häusliche Gewalt in allen Bildungsschichten vorhanden und auch bei Menschen verschiedener Kulturen. Diese Aussage entspricht den Tatsachen gemäss Bundesamt für Statistik (Kriminalstatistik 2017). Da sich der Beitrag aber in für die Zuhörerinnen und Zuhörer klar erkennbarer Weise auf die in drei Ländern getroffenen Massnahmen fokussierte, war es für die Meinungsbildung nicht notwendig, die religiöse oder ethnische Herkunft der Täter im dritten Beitragsteil zur Schweiz speziell zu thematisieren (b. 831).

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Fernsehen SRF strahlte im Rahmen der Sendung „DOK“ im Dezember 2019 die vierteilige Serie „Organspende – Ich will leben“ aus. Die letzten beiden Folgen wurden nacheinander am gleichen Abend gezeigt. Im Zentrum der Serie standen Menschen, die auf ein Organ warten oder bereits eines erhalten haben. Beanstandet wurde, dass der Nutzen einer Organspende stärker gewichtet worden sei als die Nachteile und dass wesentliche Informationen verschwiegen worden seien. Die UBI konnte keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes feststellen, da neben der Darstellung von persönlichen Schicksalen im Film in transparenter und differenzierter Weise über die heutige Situation bei Organspenden und Transplantationen in der Schweiz informiert worden sei. Auch Kritik an der heutigen Regelung, insbesondere von Gegnern der Organspende am Lebensende, fand Eingang in die Serie. Auch unter dem Gesichtspunkt des Vielfaltsgebot über einen Zeitraum von maximal drei Monaten beurteilte die UBI noch weitere zwei Beiträge zur Organspende und stellte dabei fest, dass die verschiedenen Ansichten im Sinne des Vielfaltsgebots angemessen zum Ausdruck kamen (b. 843).

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Auch bei einem Beitrag in der Sendung „Schweiz aktuell“ vom 25. Februar 2020 von Fernsehen SRF zur Windenergie wurde von den Beanstandern gerügt, dass wesentliche Fakten im Beitrag unerwähnt geblieben und Fakten falsch dargestellt worden seien. Zudem seien die Befürworter der Windenergie bevorzugt behandelt worden, was aus der Redezeit hervorgehe. Die UBI erkannte einige Mängel, wenn auch nur in Nebenpunkten, beispielsweise seien die Gründe für die Opposition gegen das Windkraft-Projekt sowie die Haltung der Bevölkerung und der Umweltverbände zu allgemein und wenig differenziert dargestellt worden. Bei einem knapp fünfminütigen Beitrag können aber nicht alle Aspekte vertieft und differenziert behandelt werden. Bereits aus der Anmoderation sei für das Publikum das eigentliche Thema und der Fokus des Beitrags klar ersichtlich gewesen. Zum Vorwurf der höheren Redezeit für die Befürworter des Windkraftprojekts äusserte sich die UBI wie folgt: „Das Sachgerechtigkeitsgebot verlangt (…) nicht, dass alle Sichtweisen qualitativ und quantitativ gleichwertig zum Ausdruck kommen (…). Wie erwähnt, ging es in der beanstandeten Sendung nicht um eine Abwägung der Vor- und Nachteile von Windkraftanlagen im Generellen oder des Projekts «Quatre Bornes». Vielmehr wollte die Redaktion an einem konkreten Beispiel aufzeigen, warum die Windkraft in der Schweiz einen solch schweren Stand hat, obwohl sie im Sinne des revidierten Energiegesetzes zu den eigentlich zu fördernden erneuerbaren Energien zählt und es diverse Projekte für Windkraftanlagen gibt (…). Die Gründe für den Widerstand gegen das Projekt (…) hätte die Redaktion zwar etwas vertiefter darstellen können. Die freie Meinungsbildung wurde dadurch aber ebenso wenig verfälscht wie durch die optische Gestaltung“ (b. 847).

IV. Die Crux mit den Wiederholungen

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Wiederholungen von Sendungen aus vergangenen Jahren können dem Publikum ein falsches Bild vermitteln, wenn sich die Geschehnisse zum Zeitpunkt der Zweitausstrahlung wesentlich geändert haben. Ein Beschwerdeführer monierte denn auch zu Recht die Wiederholung einer Ausstrahlung von „Buhmann, der Restauranttester“ aus dem Jahr 2017. Das porträtierte Restaurant wurde in der Zwischenzeit (zum Zeitpunkt der Zweitausstrahlung am 9. September 2019) von neuen Pächtern bewirtschaftet und die Sendung aus dem Jahr 2017 mit den alten Pächtern könne dem Publikum ein falsches Bild vermitteln und sei daher nicht mehr auszustrahlen. Bereits im Schlussbericht des Ombudsmanns wurde darauf hingewiesen, dass mittels einer Einblendung oder einem sonstigen Hinweis unmissverständlich darauf hingewiesen werden muss, dass es sich um eine Zweitausstrahlung einer Sendung aus dem Jahr 2017 handle. Auch im Rahmen des Schriftenwechsels vor der UBI wurde dies wieder thematisiert, und der Sender verpflichtete sich, bei jeder zukünftigen Ausstrahlung der beanstandeten Folge zu Beginn, am Ende sowie vor und nach jeder Werbeunterbrechung den entsprechenden Hinweis anzubringen. Der Beschwerdeführer erachtete die Beschwerdesache damit als erledigt und war an einer programmrechtlichen Beurteilung nicht mehr interessiert, weshalb die UBI das Verfahren als gegenstandslos abschrieb (b. 832).

V. Recht auf Antenne im Vorfeld von Wahlen

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Radio und Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz berichtete im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2019 in zahlreichen Radio- und Fernsehbeiträgen über Parteien und Kandidierende aus dem Kanton Tessin. Eine Vertreterin der Lega Verde rügte, die Gruppierung sei gegenüber anderen Parteien benachteiligt worden. RSI habe ihren Antrag auf Zugang zu den im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen organisierten Programmen mit der Begründung abgelehnt, dass die Lega Verde im Grunde eine zu kleine politische Formation sei, dass sie keine Sitze habe und nicht im Tessin verwurzelt sei. Zudem könne nicht jeder eingeladen werden.

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Bei Sendungen in Wahl- oder Abstimmungszeiten handelt es sich um einen sensiblen Zeitraum, in dem die Anforderungen an die journalistische Sorgfalt besonders hoch sind, erinnerte die UBI in ihrem Entscheid. Die Ansichten der verschiedenen konkurrierenden politischen Parteien müssen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht allerdings keine Verpflichtung dazu, Parteien und Kandidaten absolut identisch zu behandeln, da auch der Grad des Interesses der Bevölkerung an ihnen zu berücksichtigen ist. Insofern ist das Informationsbedürfnis des Zuschauers oder der Zuhörerin an Wahlsendungen zu berücksichtigen. Im Rahmen der Autonomie und Freiheit der Programmgestaltung sind die Veranstalter frei, die Anzahl und Art der Wahlsendungen zu bestimmen, die sie ausstrahlen wollen. Insbesondere können sie auch frei die Redezeit einteilen und die Art und Weise der Teilnahme an den Sendungen an die Bedeutung der jeweiligen politischen Formation anpassen, um dem tatsächlichen Informationsbedarf der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Dabei können sie sich am Anteil der gewählten Vertreter orientieren, die bereits in den Exekutiv- oder Legislativorganen vertreten sind. Allenfalls haben kleine Parteien keinen Zugang.

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In ihrem Entscheid kommt die UBI zum Schluss, dass bei den sechs speziell der Ständeratswahl gewidmeten Sendungen (vier Fernsehsendungen und zwei Radiosendungen) die drei weiteren Ständeratskandidaten von Kleinparteien überhaupt nicht erwähnt wurden. Es gab zwar kurze Berichte über die Lega Verde, welche aber nur allgemein waren und nicht auf die Ständeratswahl eingingen. Aus diesem Grund reichte dies nicht aus, sich richtig und angemessen in Radio- und Fernsehen zu präsentieren (b. 833).

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Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedarf eine Zugangsbeschwerde nicht zwingend eines ausdrücklich abgelehnten Gesuchs auf Teilnahme in einer Sendung oder in einem Programm. Ein entsprechendes stillschweigendes respektive konkludentes Verhalten kann ebenfalls die Voraussetzungen für eine Zugangsbeschwerde erfüllen (BGE 136 I 175). Um diese Frage ging es bei der Beschwerde zu einem mehrteiligen Beitrag zur Patientenberatung und du den Patientenrechten in der Schweiz aus Anlass der Gründung der ersten Patientenstelle in Zürich vor 40 Jahren in der Sendung „Puls“ von Fernsehen SRF vom 4. November 2019. Im Film äussern konnte sich die Leiterin der Zürcher Patientenstelle, welche seit 2003 in diesem Amt ist. Die Beschwerdeführerin, ihre Vorgängerin in dieser Funktion, kam dagegen nicht zu Wort. Für die UBI war klar, dass es sich bei der Sendung nicht um eine historische Aufarbeitung handelte oder die anfänglichen Konflikte bei der Stellenübernahme im Zentrum waren, sondern die verschiedenen Aspekte der Patientenberatung. Auch überliess die Beschwerdeführerin damals selber die Öffentlichkeitsarbeit anderen Personen, weshalb auch keine Archivaufnahmen aus der Zeit vor der Gründung der ersten Patientenstelle in Zürich mit der Beschwerdeführerin bestehen. Auch wenn der Beschwerdeführerin unbestrittenermassen grosse Verdienste um die Patientenstelle zugute kommen, wurde ihr im Gegensatz zu zwei Frauen, mit denen sie Konflikte bei der Gründung bzw. bei der Übergabe der Stellenleitung erlebte, keine Sendezeit eingeräumt. Eine rechtswidrige Verweigerung des Zugangs zum Programm liegt darin nicht. Die UBI prüfte weiter, ob dadurch auch das Sachgerechtigkeitsgebots verletzt wurde, verneinte dies aber in der Folge (b. 837).

VI. Grundsatz der Unschuldsvermutung bei laufenden Strafverfahren

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Fernsehen SRF strahlte am 6. Juni 2019 im Nachrichtenmagazin „10vor10“ einen Beitrag über die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit der Vergabe der Fussball-Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland und die Rolle des Ex-FIFA-Generalsekretärs aus. Anlass zum Beitrag war insbesondere die Aufhebung der Anklage gegen vier Personen, darunter auch dem Beschwerdeführer, am gleichen Tag. Am 27. April 2020 wurde das Verfahren wegen Verjährung eingestellt.

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Der Beschwerdeführer beanstandet, der Beitrag über das von der Bundesanwaltschaft gegen ihn geführte Verfahren sei tendenziös, reisserisch, unsachlich und inhaltlich falsch gewesen. Der Bericht habe nicht auf eigenen Recherchen beruht und habe unwahre Behauptungen enthalten.

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Die UBI erinnert in ihrem Entscheid daran, dass bei der Berichterstattung über laufende Strafverfahren dem Grundsatz der Unschuldsvermutung genügend Rechnung zu tragen ist. „Jeder Mensch gilt demnach als unschuldig, solange er nicht in einem rechtmässig durchgeführten Verfahren rechtskräftig verurteilt worden ist. Bei der Berichterstattung über laufende Strafverfahren sind Vorverurteilungen deshalb zu vermeiden. Neben einer präzisen Darstellung der Fakten und der verschiedenen Standpunkte gebietet der Grundsatz der Unschuldsvermutung eine zurückhaltende Ausdrucksweise in Inhalt und Ton“. Die UBI stimmte dem Beschwerdeführer dahingehend zu, dass die Anmoderation und der erste Teil des Filmberichts nicht präzis waren. So wurden die verschiedenen Geldflüsse im Beitrag nicht korrekt auseinandergehalten. Die konkreten Vorwürfe gegenüber den Beschwerdeführern wurden nicht klar von den eigentlichen Korruptionsvorwürfen getrennt. Auch wurde das Wort „Angeklagter“ verwendet, auch wenn die schweizerische Strafprozessordnung schon seit Jahren von der „beschuldigten Person“ spricht. Auf der anderen Seite wurde aber auf die geltende Unschuldsvermutung explizit hingewiesen und die Sichtweise des Beschwerdeführers kam über seine schriftliche Stellungnahme vollumfänglich und an geeigneter Stelle zum Ausdruck. Zudem äusserte sich der ebenfalls befragte frühere FIFA-Präsident zugunsten des Beschwerdeführers. Die festgestellten Mängel im ersten Teil der Sendung waren deshalb nicht geeignet, die Meinungsbildung des Publikums zum Beitrag insgesamt zu verfälschen. Sie betrafen Nebenpunkte, welche mit Blick auf den gesamten Beitrag noch keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots begründeten. Die Beschwerde wurde von der UBI mit fünf zu drei Stimmen abgewiesen (b. 829).

VII. Zusammensetzung einer Diskussionsrunde

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Die Rolle von Israel im Nahostkonflikt war auch in diesem Jahr wieder Gegenstand einer Beschwerde. Konkret ging es um die Zusammensetzung einer Diskussionsrunde im Rahmen der von SRF am 8. Oktober 2019 ausgestrahlten Sendung «#SRFglobal Filmnacht». Die Sendung beschäftigte sich mit den Problemen Jugendlicher im Nahen Osten, Iran und Frankreich anhand von vier Filmen. Die Beschwerdeführer beanstanden die Zusammensetzung der Diskussionsteilnehmer vor dem ausgestrahlten Film „Omar“ und waren der Meinung, dass die Sicht Israels nicht genügend dargestellt worden sei. Es handle sich um ein Beispiel des politisch motivierten und diskriminierenden Journalismus der SRG bei der Berichterstattung über Israel und den Nahostkonflikt. Die UBI weist in ihrem Entscheid darauf hin, dass es in der beanstandeten Diskussion nicht um eine Analyse des Nahostkonflikts ging, sondern um eine Einführung zu einem Film, in welchem die Mauer (die Absperranlagen Israels) eine wichtige Rolle spielt. Auch wenn es ein paar redaktionelle Unkorrektheiten gab, konnte sich das Publikum zu der in der Diskussion vermittelten Informationen eine eigene Meinung bilden. Der Standpunkt Israels sei in angemessener Weise zum Ausdruck gekommen, insbesondere durch die Ausführungen der Korrespondentin vor Ort. Der auch an der Diskussion teilnehmende Samir, welcher sich politisch israelkritisch verhält, wurde als Filmemacher eingeladen und er äusserte sich auch nicht politisch. Die UBI stimmte den Beschwerdeführern aber zu, dass die Nähe von Samir zur Organisation BDS hätte offengelegt werden sollen (Samir ist Unterstützer der antisemitischen und terrornahen Israel-Boykott-Bewegung ‚BDS‘ – Boykott, Desinvestition und Sanktionen). Insgesamt aber konnte dies die Meinungsbildung des Publikums nicht beeinflussen (b. 834).

VIII. Freie Themenwahl

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Immer wieder hat sich die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen mit Beschwerden zu beschäftigen, welche von einem bestimmten Beitrag einen anderen Fokus respektive eine andere Sichtweise wünschten. Beim Beitrag im Nachrichtenmagazin „10vor10“ vom 17. Oktober 2019 ging es um die vom Parlament beschlossenen Rückerstattungspflichten von Ergänzungsleistungen für Erben über im Alter entstehende Pflegekosten. In der dagegen erhobenen Popularbeschwerde wurde gerügt, die Situation der Frauen und der Wert der unentgeltlich erbrachten Pflegeleistungen seien nicht angemessen zum Ausdruck gekommen. Die UBI weist in ihrem Entscheid auf die Programmautonomie der Veranstalter in der Wahl des Themas eines Beitrages hin. Dabei ging es um die neue Regelung bei den Ergänzungsleistungen und nicht um die von den Beschwerdeführerinnen hervorgehobenen Aspekte. Dies sei für das Publikum ersichtlich gewesen und es sei im Kommentar aber auch auf Pflegeleistungen der Ehefrauen hingewiesen worden. Zu Interviews waren die Betroffenen nicht bereit. Grundsätzlich meint die UBI, dass es im Rahmen von Beiträgen in Nachrichtensendungen aufgrund der begrenzten Sendezeit ohnehin nicht möglich sei, Themen umfassend mit allen Facetten abzuhandeln. Immerhin seien im Studiogespräch mit dem Experten auch grundsätzliche Fragen der Finanzierung von Pflegekosten im Alter behandelt und alternative Möglichkeiten zum heutigen System aufgezeigt worden. Eine Pflicht zur ausgewogenen Darstellung von geschlechtsspezifischen Positionen lasse sich zudem nicht aus dem Sachgerechtigkeitsgebots, sondern gegebenenfalls aus dem Vielfaltsgebot von Art. 4 Abs. 4 RTVG ableiten. Dieses richte sich aber an das ganze Programm eines konzessionierten Veranstalters und nicht nur an eine einzelne Sendung (b. 835).

IX. Kritik an der Gesprächsführung und der Gerichtsbarkeit

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Die Kritik an der Gesprächsführung eines Moderators, der in einer Interviewsendung rund die Hälfte der Sendezeit beanspruchte, seine eigene Meinung kundzutun, kann unter dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit von der UBI nicht geprüft werden. Die UBI muss sich bei ihrer programmrechtlichen Prüfung auf eine strikte Rechtskontrolle beschränken (BGE 131 II 253) und darf keine Fachaufsicht betreiben und namentlich nicht die Qualität oder den Stil einer Sendung beurteilen. Nach Ansicht der UBI waren im vorliegenden Fall umstrittene Aussagen des Moderators für das Publikum, welches zudem über einiges Vorwissen verfügt haben dürfte, erkennbar. Dieses habe sich aus den erwähnten Gründen eine eigene Meinung zu den Ansichten der beiden Protagonisten und auch zur Moderation bilden können. Der interviewte Gast, ein mediengewandter ehemaliger Regierungsrat, wehrte sich zudem in der Sendung auch mehrmals gegen den Moderationsstil des Interviewers. Und er konnte sich auch zu den einzelnen Vorwürfen zur Führung der Unternehmensgruppe – es ging um die MCH Group AG – äussern.

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Der Schlussbericht der Ombudsstelle ging von einer Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots aus, da es namentlich aufgrund des Moderationsstils für das Publikum kaum möglich war, sich eine eigene Meinung zur Situation und Führung der MCH Group AG zu bilden. Ich erwähne den Schlussbericht an dieser Stelle nicht explizit deshalb, weil ich ihn als Ombudsmann der privaten Radio- und Fernsehveranstalter der deutschsprachigen Schweiz zu verantworten habe. Vielmehr ging die UBI in ihrem Entscheid – wohl das erste Mal – auch kurz inhaltlich auf einen Schlussbericht einer Ombudsstelle ein, ohne diesen nur als formelle Voraussetzung zum Eintreten für die UBI beiläufig zu erwähnen (b. 853). Es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt.

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Das Bündner Baukartell und der Whistleblower Adam Quadroni wie auch die Untersuchung der Wettbewerbskommission und die zahlreichen Medienartikel waren in den letzten Jahren auf der Agenda der Medien. Auch das Schweizer Fernsehen widmete sich in einem DOK-Film mit dem Titel „Der Preis der Aufrichtigkeit – Adam Quadronis Leben nach dem Baukartell“, ausgestrahlt am 4. Dezember 2019, diesem Thema. Beanstandet wurde von einem Mitglied des Regionalgerichts Engiadina Bassa/Val Müstair jedoch primär die Darstellung des zuständigen Regionalgerichtspräsidenten, der darin mehrmals namentlich erwähnt und mit Bild gezeigt wurde. Mehrere Personen erhoben gegen ihn schwere Vorwürfe, weshalb bei dieser Konstellation erhöhte journalistischen Sorgfaltspflichten bestehen. Auch wenn der Regionalgerichtspräsident nicht im Zentrum des Filmes stand, beurteilte sie die Darstellung nicht als Nebenpunkt, der zu vernachlässigen wäre. Das Publikum gewinnt vom dargestellten Regionalgerichtspräsidenten den Eindruck eines parteiischen und schikanösen Richters, der Verbindungen zum Baukartell hat und sich aus diesem Grund am Whistleblower rächt. Vorwürfe werden unwidersprochen artikuliert. Entlastende oder relativierende Argumente, von denen die Produzentin offenbar schon aufgrund ihrer Kontakte zum Beschwerdeführer Kenntnis gehabt haben soll, blieben unerwähnt. Die massive Kritik an der Tätigkeit des Gerichtspräsidenten vermittelt damit auch von der Gerichtsbarkeit im Unterengadin ein höchst zweifelhaftes Bild, wo gemäss UBI allgemeine Verfahrensgarantien nicht eingehalten würden sowie eine unabhängige und unparteiische Gerichtsbarkeit nicht gewährleistet sei. Die UBI erinnert an den in der EMRK statuierten Schutz des Ansehens der Judikative, fügt aber auch hinzu, dass Kritik an der richterlichen Tätigkeit oder an der Rechtsprechung möglich sein soll. „Bei Angriffen gegen Richter sollte aber die notwendige Sorgfalt bei der Darstellung der Tatsachen aufgewendet werden. Vorwürfe von Verfahrensbeteiligten sind bereits aufgrund deren Eigeninteressen kritisch zu hinterfragen und auch Gegenmeinungen sind transparent zu machen. Sie müssen überdies auf einer ausreichenden Faktenlage basieren, zumal es der Judikative aufgrund der richterlichen Pflicht zur Zurückhaltung und des Amtsgeheimnisses nur beschränkt möglich ist, auf Vorwürfe zu reagieren. Diesem Umstand wurde im Film nicht Rechnung getragen“. In der Abstimmung hiess die UBI die Beschwerde knapp mit vier zu drei Stimmen gut (b. 849).

X. Transparente Produktetests und die Kraft von Symbolbildern

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Die Durchführung von Produktetests in Konsumentenmagazinen wie dem „Kassensturz“ sind immer wieder Gegenstand von Beanstandungen vor der UBI oder Gerichtsverfahren (vor allem wegen Verletzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb). In Bezug auf die Testanlage ist es wichtig, dass für die Zuschauerin und den Zuschauer transparent gemacht wird, wie diese aussieht. In einer Kassensturz-Sendung vom 26. Mai 2020 wurden 16 der in der Schweiz meistverkauften Olivenöle durch Mitglieder des Schweizer Olivenöl-Panels sensorisch getestet. Gerügt wurde, dass die Testanlage und die Bewertung nicht den geltenden Richtlinien zur Feststellung der gesetzlichen Konformität der geprüften Olivenöle entsprachen und ein Mitglied des Test-Panels direkte Verbindungen zu einem Detaillisten aufwies, der selber Olivenöle verkaufe. Zum letzten Punkt meinte die UBI, dass aus Transparenzgründen eine Erwähnung angebracht gewesen wäre, dass ein Jury-Mitglied einen Detaillisten mit Bio-Olivenöl beliefert. Dieses Unterlassen sei jedoch nicht der Redaktion anzulasten, da sie mit Schweizer Olivenöl-Panel eine anerkannte Prüfergruppe mit dem Test beauftragte und für sie kein Anlass bestanden habe, die Jurymitglieder zusätzlich selber näher zu überprüfen. Dieser Umstand habe die Ergebnisse des Tests kaum bzw. zumindest nicht in relevanter Weise beeinflusst, meint die UBI. Zur Testanlage äusserte sich die UBI dahingehend, dass es sich in erkennbarer Weise nicht um eine rechtlich normierte Konformitätsbewertung, sondern um einen in Magazinen wie „Kassensturz“ gängigen Produktetest, der medienspezifischen Anforderungen genügen und insbesondere Bedürfnisse von Konsumentinnen und Konsumenten befriedigen will. Dieser Fokus sei für das Publikum klar ersichtlich gewesen (b. 855).

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Symbolbilder beschränken sich weitgehend auf die Illustration oder Einstimmung zu einem Thema. Im Entscheid vom 30. Oktober 2020 (b. 857) setzte sich die UBI mit dem Einfluss von Symbolbildern auf das Sachgerechtigkeitsgebot auseinander. Wie schon in früheren Entscheiden erwähnt, sollte der Einsatz entsprechender Bilder auf die Wortmeldung abgestimmt sein, damit nicht ein falscher Eindruck vermittelt werden kann, da Wort und Bild im Medium Fernsehen eine Einheit bilden. „Eine unzutreffende Bebilderung und die damit verbundene Nichteinhaltung von journalistischen Sorgfaltspflichten begründet aber erst eine Programmrechtsverletzung, wenn dadurch die Meinungsbildung des Publikums zum Beitrag insgesamt verfälscht wird“. Bei den fraglichen Standbildern in einem Tagesschau-Beitrag über die Seenotrettung im Mittelmeer handelt es sich um ein Standbild mit Flüchtlingen auf einem Schlauchboot und ein anlegendes Boot mit Flüchtlingen. Im konkreten Fall erachtete die UBI keine Diskrepanz zwischen der Aussage des Bildes und der Anmoderation im Beitrag, weshalb es die Beschwerde als unbegründet einstimmig abgewiesen hat.

XI. Weitere Entscheide zum Sachgerechtigkeitsgebot

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In einer Betroffenheitsbeschwerde gegen eine Sendung von RTR ging es um den Beschluss des Gemeindevorstands von S-chanf, die Dispensierung des Försters aufzuheben und die Zusammenarbeit mit diesem weiterzuführen, sowie die Reaktionen darauf. Die entsprechenden Beiträge in der Fernsehsendung «Telesguard» vom 2. und 3. April 2020, in der Radiosendung «Actualitad» vom 3. April 2020 sowie die Online-Publikationen an beiden Tagen befand die UBI alle als sachgerecht. Es gehöre zu den Aufgaben der Medien, Beschlüsse von Behörden kritisch zu hinterfragen. Die Beschwerden gegen die fünf Publikationen wies die UBI alle einstimmig ab (b. 852).

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Am 10. Oktober 2019 strahlte Fernsehen RSI in der Sendung «Falò» einen kritischen Beitrag über eine private Bildungseinrichtung in Lugano aus. Es war bereits der zweite Beitrag im Jahr 2019 dieser Sendung über das betreffende Institut. Die dagegen erhobene Beschwerde erachtete die UBI als unbegründet. Das Institut hatte mehrere Interviewangebote der Redaktion abgelehnt. Umstrittene Aussagen zum Institut wie auch die Kontroverse, welche in Verfahren vor dem kantonalen Erziehungsdepartement und anschliessend dem Staatsrat mündeten, waren für das Publikum, welches zudem schon über ein gewisses Vorwissen verfügte, erkennbar. Dieses konnte sich denn auch eine eigene Meinung zum beanstandeten Beitrag im Sinne des Sachgerechtigkeitsgebots bilden. Die UBI hat die Beschwerde einstimmig abgewiesen (b.842).

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Vermehrt Anlass zu Beschwerden geben Sendungen, welche wissenschaftliche Themen behandeln. So beispielsweise ein Beitrag im Regionaljournal Aargau Solothurn vom 26. Februar 2020 (SRF) zur Problematik der Elektrosensibilität. Vorgestellt wurde darin ein Hauseigentümer, der die Vermietung von Wohnungen an die Bedingung eines Nutzungsverbots für Smartphones und WLAN knüpft. In einem zweiten Teil beantwortete ein Wissenschaftsredaktor von SRF im Rahmen eines Moderationsgesprächs Fragen zur Strahlenbelastung aus wissenschaftlicher Sicht. Gerügt wurde, dass die tatsächliche Risikosituation von WLAN, Smartphone und Mobilfunkantennen insgesamt nicht sachgerecht erfolgt sei. Zudem sei auch die Information über den aktuellen Wissensstand im zweiten Teil der Sendung völlig einseitig gewesen. Die Sicht von Elektrosensiblen sei am Einzelschicksal eines medienunerfahrenen Hausbesitzers gezeigt worden, welche der medienerfahrene Wissenschaftsredaktor anschliessend in dezidierte Weise widerlegt habe, ohne allerdings eine einzige Quelle zu nennen.

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Die UBI wies mit sechs zu zwei Stimmen die Beschwerde ab. Die UBI war der Meinung, dass das respektvolle Porträt des Wohnungsvermieters den Zuhörenden einen aufschlussreichen Einblick in die Situation von Elektrosensiblen, die wohl nicht allgemein bekannt gewesen sein dürfte, verschafften. Die aktuelle Sicht der Wissenschaft zur Gesundheitsgefährdung von Elektrostrahlung basierte auf einer seriösen Quelle, nämlich dem Bericht „Mobilfunk und Strahlung“. Die entsprechenden Erkenntnisse der breit abgestützten Arbeitsgruppe seien im Wesentlichen korrekt, wenn auch etwas undifferenziert dargestellt worden. Tendenziös sei der Bericht nicht gewesen, denn er veranschaulichte die gesundheitlichen Gefahren durch Elektrostrahlung von zwei Seiten. Es sei auch zum Ausdruck gekommen, dass es sich um eine Problematik handelt, die stark umstritten sei und polarisiere (b. 850).

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In einem gut vierminütigen Fernsehbeitrag in einer tagesaktuellen Nachrichtensendung ist es nicht möglich, ein komplexes Thema wie die Luftangriffe auf Dresden während dem Zweiten Weltkrieg vertieft und umfassend mit dem gesamten geschichtlichen Hintergrund zu behandeln. Zu diesem Schluss kommt die UBI in einem Entscheid vom 28. August 2020 (b. 846). Die Beschwerdeführer rügten insbesondere, dass die Informationen, auf welchen der Beitrag beruhte, von einer Historikerkommission sei, deren Arbeit fälschlicherweise als abschliessendes Urteil dargestellt und in keiner Weise hinterfragt worden sei, obwohl bereits kurz nach der Publikation des Schlussberichts die Zahl der Toten gegen oben habe korrigiert werden müssen. Auch andere Informationen entsprachen nicht den Tatsachen. Nach Ansicht der UBI wurde der Schrecken der intensiven Bombardements sowie die damit verbundene Zerstörung und das Leid der Bevölkerung korrekt und für das Zielpublikum in transparenter und nachvollziehbarer Weise dargestellt. Auch sei zum Ausdruck gekommen, dass die offizielle Zahl von Todesopfern umstritten sei.

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In einer Zeitraumbeschwerde beanstandete ein Beschwerdeführer die ständige Bewirtschaftung des Themas Rassismus durch Radio und Fernsehen SRF. Die tödliche Verhaftung von George Floyd sei schon einige Wochen zurück gelegen und es habe keinen Grund für die vielen Beiträge zum Thema Rassismus gegeben. Dies betreffe primär die USA. Über andere Themen wie namentlich die schon länger andauernde Diskriminierung von Menschen, die älter als 50 Jahre alt sind, oder die Überschwemmungen am Thunersee habe SRF nicht berichtet. Die UBI wies auf die durch den Todesfall von George Floyd in der Schweiz ausgelöste Debatte über Rassismus zum fraglichen Zeitraum hin, weshalb nicht SRF das Thema willkürlich setzte, sondern das damit zusammenhängende Geschehen im In- und Ausland. Im Rahmen der Programmautonomie von Art. 6 Abs. 2 RTVG ist die freie Wahl des Themas eines Beitrages gewährleistet (b. 856).

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Aus rundfunkrechtlicher Sicht ist es nicht relevant, ob eine Kontroverse Sendung zu einem politischen Thema kurz vor einer Debatte im Nationalrat ausgestrahlt wird. Zu Recht wendet die UBI in einem solchen Fall die Prüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Sachgerechtigkeitsgebot an und prüft nicht besondere Sorgfaltspflichten zur Gewährleistung der Chancengleichheit wie vor Volksabstimmungen. Im konkreten Fall ging es um einen Beitrag zur Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der Sendung „Kassensturz“ vom 30. April 2019. Gerügt wurde insbesondere, dass die gezeigten Beispiele zur Veranschaulichung der angeblich drastischen Folgen des Revisionsentwurfs für die Versicherten nicht faktengerecht und irreführend gewesen seien, weil sie die geltende Rechtsprechung missachtet hätten. Zudem seien die Interviews des Moderators im letzten Beitragsteil tendenziös gewesen. Für die UBI stand fest, dass der Beitrag einen pointiert anwaltschaftlichen Fokus zugunsten der Versicherten verfolgte. Dies sei jedoch für das Publikum klar erkennbar gewesen. „Ein solcher Ansatz ist grundsätzlich zulässig, solange die damit verbundenen erhöhten journalistischen Sorgfaltspflichten zur Gewährleistung der Meinungsbildung des Publikums eingehalten werden“. Zu diesen „erhöhten journalistischen Sorgfaltspflichten“ äussert sich die UBI nicht. Sie lässt es lediglich damit bewenden, dass sie sich bei ihrer Beurteilung im Lichte von Art. 4 Abs. 2 RTVG auf eine strikte Rechtskontrolle zu beschränken und keine politische oder qualitative Bewertung vorzunehmen hätte. Immerhin müssten die thematisierten Aspekte faktengetreu und differenziert sowie die Gegenmeinung dargestellt werden. Dies sei im beanstandeten Beitrag in verschiedener Hinsicht nicht der Fall gewesen. Mit fünf zu vier Stimmen hiess die UBI die Beschwerde gut (b. 827).

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